Der unsichtbare Killer

Peter F. Hamilton

Mit dem umfangreichen Science Fiction Thriller "Der unsichtbare Killer" kehrt Peter F. Hamilton im Grunde zu seinen Anfängen als Science Fiction Autor zurück. In der "Mindstar" Trilogie um Greg Mandel standen auch die  Kriminalelemente mehr im Vordergrund als die futuristischen Hintergründe. Im vorliegenden Roman mischt Peter F. Hamilton Altbekanntes mit neuen Ideen und versucht ein perfektes Verbrechen in einer im Grunde nicht ganz perfekten Überwachungsgesellschaft zu beschreiben, die auf einer erstaunlich gut ausgebildeten Schattenwirtschaft basiert. Dabei ist der deutsche Titel "Der unsichtbare Killer" im Grunde falsch. Dieser Killer, der über zwanzig Jahre zweimal zuschlägt, ist nicht unsichtbar, er ist fremdartig. Beim ersten Angriff wird der einzigen Überlebenden und Zeugin nicht geglaubt, beim zweiten Zuschlagen sind es die Spuren seiner Waffe, die einen Zusammenhang darstellen. Der britische Originaltitel "Great North Road" ist ebenfalls unpassend, denn nach Norden dringt nur eine Expedition auf dem erdähnlichen, aber gänzlich nur von einer exotischen Flora und Fauna überzogenen Planeten St. Libra nach Norden vor, um den Beweis für einen Außerirdischen, für einen First Contact zu erbringen. Beide Titel führen wie viele Spuren des Romans in die Irre. Mit mehr als eintausendeinhundert Seiten ist "Der unsichtbare Killer" in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Verschiedene Handlungsebenen werden von Sprüngen in die Vergangenheit begleitet, die aus subjektiver Pespektive teilweise erst beim zweiten "Besuch" als abgeschlossen bezeichnet werden können. Das Vorenthalten von relevanten Informationen soll die Spannung im Roman steigern, aber teilweise agiert Peter F. Hamilton nicht nur überambitioniert, sondern ein wenig zu schematisch, zumal er neben einem Exkurs in den Bereich von Filmen wie "The Thing" - die Erläuterungen im stark konstruierten Epilog passen wie die "Faust" auf die Schöpfung des 1953er Films - und "Predator" - der Identitätslose Killer - eine vordergründig plausible "Rachestory" in den persönlichen Bereich abgleiten lässt. Auf der anderen Seite entwirft der Autor aus dem Handgelenk eine interessante wie vielschichtige Gesellschaft, die von Schattenwirtschaft und Betrug von der höchsten und damit reichsten Ebene - die Familie North - bis zu den einfachen Angestellten des öffentlichen Dienstes - die Polizisten um den mit der Ermittlung beauftragten Sidney Hurst und seiner Leute - reicht. Die zahllosen Details machen "Der unsichtbare Killer" zu einem interessanten Lesevergnügen.

Die North der zweiten Generation sind drei geklonte Brüder, die ihre jeweiligen Interessen beruflich genutzt haben. Sie kontrollieren in Form von Mischkonzernen einen Großteil der Industrie der Erde mit Schwerpunkten Lebensverlängerung und Rüstung sowie auf St. Libra die Produktion von wichtiger Verbrennungsstoffe, welche preislich um rezessive Tendenzen in der Wirtschaft zu vermeiden "fest gefroren" sind. Die North sind sich ihrer Macht wie Ohnmacht bewusst, denn die Klone der nächsten Generationen sind labil und neigen zum Irrsinn. Nicht nur aus diesem Grund stellen die drei Norths der zweiten Generation eine Machtfülle dar, die ungesund sein kann und sein muss. Vor zwanzig Jahren ist einer der North zusammen mit seinem Harem und einigen Cousins förmlich in seinem Haus auf St. Libra abgeschlachtet worden. Nur die Konkubine Angela hat das Massaker überlebt. Trotz intensiver Befragungen, in denen sie immer wieder auf ein Alien hingewiesen hat, ist sie des Mordes angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zwanzig Jahre später findet man auf der Erde die Leiche eines Norths der dritten Generation, der ähnlich wie die Toten auf St. Libra von einer fünfgliedrigen Klauenhand ermordet worden ist. Die These von einem außerirdischen Angreifer wird wieder aufgegriffen und Angela mit einem Trupp Soldaten in die Dschungel von St. Libra geschickt, während Sidney Hurst die Mordumstände auf der Erde mit einem unbegrenzten Budget untersuchen soll.

Um das Panorama, das Peter F. Hamilton ohne Frage souverän entwirft, einordnen zu können, ist es wichtig, die verschiedenen Handlungsebenen zu betrachten. Die Expedition in den Dschungel von St. Libra gehört dabei zu den schwächeren Passagen des Buches. Das liegt nicht nur an der Ähnlichkeit zu "Predator", sondern vor allem an der überstürzten Aufklärung. Mit Angela verfügt diese Handlungsebene allerdings über eine charismatische wie egoistische Persönlichkeit, deren Motive nach und nach nicht ganz zufriedenstellend herausgearbeitet werden. Ihr Vater ist durch Börsenterminspekulation entweder in die Pleite getrieben worden oder er hat die Risiken unterschätzt. Vorher gehörte er zu den reichsten Männern der Menschheit und profitierte von den Sprungtoren zu anderen Planeten, welche die "Verschiffung" von Rohstoffen kostentechnisch zu einem Kinderspiel machen. Von ihrem Vater wurde Angela zu einem 1: 10 gemacht. Sie altert für zehn Lebensjahre körperlich nur ein Jahr. Nach der Pleite ihres Vaters geht sie einen "fast" normalen Weg. Sie lebt gut in Armut, lernt einen Mann kennen und gemeinsam bekommen sie eine Tochter. Ohne kitschig zu werden zeichnet Peter F. Hamilton in Rückblenden ein fast normales Bild eines gefallenen Engels, die sich zu helfen weiß. In welchen Zusammenhang ihre spätere Prostitution mit dem dekadenten North steht, was sie wirklich in dieser Nacht in der Villa gemacht hat und was ihr widerfahren ist, sind Aspekte des Romanhintergrunds, die wie Facetten nach und nach aufgehellt werden und ihren Charakter in einem eher differenzieren Licht erscheinen lassen. Um diese Handlungsebene herum sind die sie begleitenden Soldaten - fast alle voller Misstrauen, während sie einen Jüngling zu ihrem Geliebten macht - eher eindimensional bis pragmatisch aufgebaut worden. Wenn am Ende dieser Handlungsebene in mehrfacher Hinsicht verschiedene Familienbande zusammenlaufen, dann wirkt die Vorgehensweise eher konstruiert und manchmal zu bemüht, zumal die Auflösung an sich mit den bösen Menschen, die einfach sich ein Paradies greifen, während andere Mächte das Geschmeiß wieder loswerden möchte, in einem starken Kontrast zum Kriminalelement des Romans stehen und die anfänglich hervorragenden Ermittlungen eher unterminieren. Peter F. Hamilton bewegt sich auf der epochalen, Äonen umfassenden Handlungsebene auf einem sehr schmalen Grad. Viele Fragen werden aufgeworfen und die Antworten erscheinen insbesondere Science Fiction Fans zu simpel. Unabhängig von der Happy End Lösung, in der fast alle "guten" Protagonisten zusammenkommen, um den nächsten Schritt der menschlichen Expansion auf einer fairen Ebene vorzubereiten, während die korrupten Konglomerate Teil der Vergangenheit werden. Zu zuckersüß, zu wenig nachhaltig überraschend und hinsichtlich der Erklärungen zu wenig fundamental vorbereitet erscheint dieser Spannungsbogen eher wie eine Art MacGuffin, der den Leser von der deutlich interessanteren Handlungsebene ablenken soll, in deren Verlauf die "Kampfmaschine" Angela mit einem Gewissen allgegenwärtig und doch dank der Tore unendlich weit entfernt ist.

Die irdische Krimihandlung ist sehr viel interessanter. Das liegt nicht nur daran, das die Polizisten in Hursts Team ihre Kompetenzen überschreiten. So spioniert ein junger Beamter die attraktiven Zeuginnen bis ins Intimste aus, bevor er den Kontakt zu ihnen sucht, um seine Sexsucht inklusiv des entsprechenden Dreiers zu befriedigen. Und als er die Richtige trifft, serviert er ihren natürlich unsympathischen und egoistischen Verlobten mit einem fiesen Trick einfach ab, um das bestellte Feld zu nutzen. Es ist kein Zufall, das bei Peter F. Hamilton auf der kleinsten persönlichen Ebene Triumph und Tragödie nahe beieinander stehen. Der Autor nutzt aber die modernen Möglichkeiten der Überwachungstechnik und der virtuellen Irrealitäten, um in einer perfekten Gesellschaft nachdrücklich zu beweisen, dass der Instinkt des erfahrenen Ermittlers allerdings dank einiger kleinerer Hilfestellungen von keinem Programm ersetzt werden kann. Die Ermittlungsarbeit wird detailliert beschrieben, wobei Hurst selbst auch kein unbeschriebenes Blatt ist. Er will sich mit seiner Familie ein neues Haus kaufen und muss dabei auch auf sein Schwarzgeldkonto zurückgreifen. In dieser Gesellschaft verfügt jeder über ein zweites oder drittes Konto, auf das mancher Spende läuft. Zu den packenden Szenen gehört die Suche nach einem Taxi in einer virtuellen Nachbildung des Stadtviertels, in dem die zahlreichen Überwachungssysteme systematisch ausgeschaltet worden sind. Oder die Verfolgungsjagd des Killers nach einem weiteren Anschlag. Diese beiden Szenen stehen in ihrer Komplexität und Struktur sich konträr gegenüber, aber sie unterstreichen nachhaltig, dass Hamiltons Roman sowohl auf der klassisch intellektuellen Ebene eines modernen Sherlock Holmes funktioniert als auch wie ein moderner Actionthriller betrachtet werden kann. Die Zusammenarbeit mit zwei gleich zwei Mitgliedern der Norths Familie ist dabei ambitioniert und ambivalent zugleich gestaltet. Es verwundert, dass Hurt einige relevanten Informationen erst aus zweiter Hand und nicht von einem Familienmitglied erfährt, obwohl der Punkt einer doppelten Identität schon hunderte von Seiten vorher angesprochen worden ist. Ein anderes Dritte- Generation - Mitglied der Familie arbeitet seit vielen Jahren als bodenständiger Ermittler und hat sich mit der Übernahme einer bürgerlich primitiven Tätigkeit den Zorn der erste Generation zugezogen. Dieser Aspekt wird mehrfach angesprochen, aber nicht weiter extrapoliert. So bleibt nicht nur dieser rote Faden in der Luft hängen, zumal Hamilton im Verlaufe der Handlung noch eine Entführung eines hochrangigen Waffenforschers und entsprechende Befreiungsaktionen integriert, die der Intention des Täters ein wenig zu widersprechen drohen.

Über die verschiedenen, am Ende gut zusammenlaufenden Handlungsebenen hinaus finden sich aber andere Aspekte, die überdenkenswert sind. Peter F. Hamilton hat sich ausgesprochen viel Mühe gegeben, die zahllosen Charaktere einzeln zu definieren. Auch wenn es zu Beginn des Buches ein Personenregister gibt, braucht der Leser diese Auflistung im Grunde nicht. Der Autor arbeitet ihre Stärken und Schwächen interessanterweise immer aus zwei Positionen heraus: die objektive, neutrale Perspektive des Erzählers und eine fast intime, sich kontinuierlich selbst hinterfragende subjektive Betrachtung des jeweils eigenen Lebens und der mehr oder minder kriminellen Taten. Durch diese mannigfaltige Vorgehensweise erscheinen die Figuren sehr viel dreidimensionaler und mehrfach scheut sich Hamilton auch nicht, lieb gewonnen Figuren auf grausame Art und Weise plötzlich sterben zu lassen. Zwar handelt es sich ausschließlich um Protagonisten der zweiten Handlungsebene, aber diese Vorgehensweise ist schon interessant und erhöht in wichtigen Passagen des Buches die sich nicht immer kontinuierlich aufbauende Spannung.

Hamiltons Menschheit unter der Führung des kapitalistischen Familienclans North ist rücksichtslos und expansiv. Ob St. Libra als perfekter wie unbewohnter Planet weiter hätte untersucht werden müssen, bevor er zur Besiedelung frei gegeben worden ist, wird zu wenig nachhaltig diskutiert, die möglichen Antworten pragmatisch im Kontext der Handlung integriert. Auf der anderen Seite spielt Hamilton die Idee durch, das die Menschen - als Gemeinschaft und weniger als Individuum - einen Gott gleichen Status unter dem Einsatz extremster monetärer Mittel erreicht haben, der durch eine technisch hochstehende Gesellschaft mit einer ungesunden Anlehnung an künstliche Intelligenzen begleitet wird. Die philosophischen Fragen versucht Hamilton in seinem Mikrokosmos aus unterschiedlichen Protagonisten mit einer auf der einen Seite faszinierend exotischen, auf der anderen Seite aber auch teilweise zu wenig progressiv oder querdenkend originell entwickelten Flora und Fauna zu diskutieren. St. Libra ist unter der Führung der North schon ein Planet der Andersdenkenden, der "Grünen" und Aussteiger. Das soziale Bild kann nicht mit der ausgebeuteten Erde gleich gestellt werden, auf der die rücksichtslose Technokratie ein Herr von armen Arbeitslosen zurück gelassen hat. Diese starken sozialen Unterschiede streift Hamilton wie viele andere Punkte seines Romans eher fahrlässig und entwickelt am Ende des komplexen, aber niemals komplizierten Romans eine fragwürdige Moral, die Wasser predigt, aber Wein goutiert. So ist "Der unsichtbare Killer" über weite Strecken - bis zur Identifizierung des Killers, welche wie ein Antihöhepunkt erscheint - ein lesenswerter, teilweise allerdings auch zu langer und mühsam um Spannung ringender Roman, der viel versucht, aber zu wenig beantworten möchte. Im Vergleich zu seinen fast esoterischen Epen kehrt Hamilton in die greifbare, dunkle Zukunft zurück, welche die "Mindstar" Trilogie zu einem so erfrischen Lesevernügen machte.

 

 

  • Taschenbuch: 1136 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch); Auflage: Aufl. 2013 (20. September 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404207211
  • ISBN-13: 978-3404207213
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 12 Jahren
  • Originaltitel: Great North Road