The Dark Side

The Dark Side, Titelbild, Rezension
Anthony O´Neill

Der erste Roman des Australiers Anthony O´Neil ist ein zwiespältiges Buch. Überambitioniert wie es sich für Science Fiction Erstlinge gehört versucht der Autor durch die zugrundeliegende Idee eines pervertierten „Outland“ Szenarios mit einem neuen unbestechlichen Marshall in einer Gemeinde voller Straffälliger Spannung zu erzeugen. Jeder könnte der Täter sein. Auf der anderen Seite nimmt er seinem Plot wieder die Dramatik, in dem er auf der Nebenhandlungsebene einen brutal mordenden Androiden beschreibt, der offen gesprochen nicht aus dem Nichts kommen kann; der nicht autark handelt und dessen mindestens intellektueller Auftraggeber nur ein Mann sein kann. Er handelt nach dem Brass Code. Wenn am Ende diese beiden Handlungsarme schließlich in einer Art imaginären Thronsaal des Größenwahns zusammenlaufen, stellt sich unwillkürlich die Frage, ob ein derartig intelligenter, aber auch sich selbst überschätzender Multimilliardär wirklich so auffällig vorgeht, um beide Ebenen zusammen genommen auf den letzten Drücker und plump seine losen Enden abschneidet. Bedenkt der Leser zusätzlich, das der die Ereignisse auslösende Katalysator ja lange Zeit geplant worden ist, dann wäre eine vorsichtigere, viel früher einsetzende Handlungsweise sehr viel effektiver.

„The Dark Side“ ist die dunkle Seite des Mondes. Vor vielen Jahren haben die Menschen die asozialen Verbrecher ins Exil auf den Mond geschickt. Einige haben dort verschiedene Aufgaben übernommen, andere hausen in ihren Kuppeln auf der Rückseite des Mondes und verfassen ihre Manifeste. Anthony o Neil hat sich von seinen australischen Vorfahren inspirieren lassen. Auf der Rückseite des Mondes gibt es aber noch ein weiteres Sündenbabel. Vor vielen Jahren hat der Milliardär Fletcher Brass seine eigene Kolonie errichtet, in der es neben Drogen und Prostitution auch immer einen Platz für schwerreiche Verbrecher gibt, die rechtzeitig vor ihrer Strafe nach Purgatory – übersetzt Fegefeuer fliehen können. Um eine solche Gemeinde kennenzulernen, bedarf es eine Außenseiters. Damien Justus – der Name ist Programm und wird auch manchmal zu „Justice“ umgedichtet – wird von der Erde nach Purgatory versetzt, um mit seiner unbestechlichen Art und Weise vordergründig für Ordnung zu sorgen. Eingestellt hat ihn unter anderem Fletcher Brass. Über Justus erfährt der Leser nicht viel. Er ist anscheinend geschieden, seine Frau und seine Tochter sind im Zeugenschutzprogramm. Er gilt als unbestechlich und ist ein Spürhund. Im Grunde entspricht er vielen Klischees des einsamen Wolfes, der in einem durch und durch korrupten System schließlich sogar gegen den Willen derjenigen, die ihn geholt haben, für Ordnung sorgt. Dass es hier irgendwann relativ schnell knallen muss, steht außer Frage. 

Kaum angekommen muss er eine seltsame Bombenexplosion untersuchen, bei der mehrere Wissenschaftler ums Leben gekommen sind. Von den Morden auf der zweiten Handlungsebene weiss er noch nichts. Justus befragt die üblichen Verdächtigen bis hoch in die Führungsspitze. Aus heutiger Sicht könnte der im Jahre 2016 veröffentlichte, aber vorher entstandene Roman ohne Frage eine Allegorie auf Trump sein. Die meisten Informationen werden dem Leser dank der Biographien geliefert, die Justus vor seinem Amtsantritt gelesen hat. Neben dem absurden kapitalistischen Kodex, der allerdings auch einige Lebensweisheiten umfasst, die neben den narzisstischen Exzessen pragmatisch erscheinen, sind es die Widersprüche zwischen den offiziellen Arbeiten und den Fakten, die von Brass unterdrückt worden sind. Viele der Diskrepanzen hinsichtlich eines erfolgreichen Lebenslaufes werden dem Leser bekannt vorkommen. Sie treffen im Grunde auf jeden der Superreichen zu, die neben ihren nicht immer weißen Tätigkeiten vor allem ihre Egos den geschäftlichen Erfolgen anpassen. Natürlich reagieren die Menschen in der jetzigen Zeit auf diese Ideen sensibler, aber wer zwischen den Zeilen liest, wird die Mischung aus James Bond Antagonist und durchtriebenen Kapitalisten erkennen. Der Autor präsentiert in dieser Hinsicht nichts Neues. Brass sucht während der Ermittlungen ein neues Ziel. Er möchte mit einem kleinen Team vom Mond aus in einem privat finanzierten Raumschiff zum Mars fliegen. Als zeitliches Element droht das Startfenster sich zu schließen, so dass er auf einen festen Termin angewiesen ist. Auch hier gibt es einige Widersprüche hinsichtlich der endgültigen Besatzung. O´Neil spricht in einem Abschnitt davon, dass Brass zumindest einen Menschen, der ihm gefährlich werden kann und der sein Purgatory in eine Art Paradies „umgestalten“ möchte, mit zu nehmen. An einer anderen Stelle wird davon gesprochen, dass er als Alternative eine Ermordung vorgesehen hat.     

Dazwischen lernt Justus einige extreme Charaktere in der Kolonie kennen. Während der Befragungen entwickelt Anthony O Neil aber einige sehr gute Szenarien. So trifft der Polizist erst auf ein Double von Brass, das bis auf einige kleine Charakterzüge perfekt ist. Auch diese Idee wird gegen Ende des Plots sie fast vergessend relativiert. Die Angestellten reagieren eher empfindlich, die verschiedenen Verdächtigen können relativ schnell ausgeschlossen werden und der Bombenschlag entwickelt nicht nur revolutionäre Schockwirkung, die vielleicht auf den ersten Seiten zu erwarten gewesen ist.

Deutlich eindimensionaler und damit trotz einer Reihe blutiger Szenen langweiliger ist der zweite Handlungsbogen, mit dem Androiden, der sich auf dem Weg in die Hauptstadt befindet. Natürlich erscheinen einige Szenen bizarr. So sorgt sich der Androide in erster Linie um seinen Anzug oder lässt eine Rockband im vollklimatisierten Landrover abstimmen, ob man die Richtung ändert oder nicht. Als die Abstimmung nicht in seinem Sinne ausfällt, greift er durch und ändert die „Mehrheiten“. Er bringt aber auch Unschuldige wie einige Landvermesserinnen um. Dazu kommt eine Reihe von Megaverbrechern, deren Vergangenheit in einzelnen Episoden vor der „Hinrichtung“ beleuchtet wird. Dabei wirkt dieses Handlungselement nur einmal nachhaltig überraschend, es nutzt sich schnell ab. Nur über die unterschiedlichen, brutalen Hinrichtungsmethoden Spannung zu erzeugen, ist nicht ausreichend.

Anthony O Neil zieht dabei das Tempo nicht an. Natürlich kommt der Android seinem Ziel näher, aber durch die gleichbleibende, nicht unbedingt distanzierte Erzählgeschwindigkeit kann es der Leser nicht richtig einschätzen.

Hinzu kommt, dass die meisten Figuren eindimensional erscheinen und der Autor anscheinend absichtlich die verschiedenen Klischees vom aufrichtigen Polizisten oder der überdrehten Rockband bis zum angesprochenen Multimilliardär mit Großmannssüchten sowie seiner erotisierenden wie religiösen Tochter bedienen möchte. Da viele der Figuren einmalige und nur kurze Auftritte haben, ist der Rückgriff auf Chiffre nachvollziehbar. Allerdings geht ein Teil der Botschaft verloren und die Verbrecher wirken den Doktrin Brass entsprechend unbelehrbar, sowie ihr blutiges Ende emotional nicht ansprechend genug. Mit Justus verfügt der Roman über den angesprochenen stoischen Ermittler, der im mittleren Abschnitt des Buches allerdings auch irgendwo verloren geht und erst gegen Ende wieder die Initiative ergreift. Sein Gesicht ist von Narben aus einem früheren Fall gekennzeichnet. Natürlich lässt er sie sich nicht weg operieren. Das hebt ihn in der Theorie aus der Menge heraus, aber auch hier nutzt O Neil diese markanten Zeichen eher, um einige Zeilen zu schinden und den Ermittler darauf aufmerksam zu machen, das einer der Hauptverdächtigen auf jeden Fall nach der Herkunft seiner Verletzung gefragt hätte. 

Es ist schade, dass „The Dark Side“ auf der zwischenmenschlichen Ebene so viele Schwächen aufweist, während der Ausgangspunkt des Plots mit der Stadt der Sünde im Grunde in ewiger Dunkelheit sowie einem neuen Mann in Town interessant, wenn auch nicht originell ist. Vor allem lernt der Leser Purgartory zu wenig kennen, um sich bis auf die subjektiven Äußerungen ein dreidimensionales Bild selbst zu machen. Das Erwähnen jeglicher Sünde ist nicht gleich deren Umsetzung.  Auch die Alternative einer „reinen“ Stadt selbst auf der dunklen Seite des Mondes wird nur kurz andiskutiert. Das lässt den Hintergrund des Plots pragmatisch erscheinen.

Vor allem auf den ersten Seiten macht der Autor dagegen sehr viel richtig und entwickelt ein atmosphärisch stimmiges Szenario mit sehr vielen Facetten. Es ist schade, das gegen Ende weder die Ideen noch der ganze Verschwörungsplot zufriedenstellend abgeschlossen werden kann, vieles überambitioniert zu konstruiert und vor allem zu umständlich erscheint. Anthony o Neil sollte diesem Universum nicht den Rücken, sondern mit dem Detektiv Justus an seinem neuen Dienstort weitere Bücher schreiben. Das Potential ist ohne Frage vorhanden und durch das Abschlagen einiger Köpfe – hier wird auch eher an „Conan, der Barbar“ denn Shakespeare erinnert – könnte das potentielle Chaos für Belebung sorgen.

 

  • Broschiert: 416 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (1. März 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Gerd Rottenecker
  • ISBN-10: 3426518651
  • ISBN-13: 978-3426518656
  • Originaltitel: The Dark Side