Doppelstern

Robert A. Heinlein, Doppelstern, Titelbild, Rezension
Robert A. Heinlein

Zum ersten Mal erscheint Robert A. Heinleins Mitte der fünfziger Jahre veröffentlichter Roman „Double Star“ unter seinem Originaltitel in Deutschland. Die zahlreichen bisherigen Veröffentlichungen haben Heinleins Buch „Ein Doppelleben im Kosmos“ genannt, wobei dieser Titel sogar noch besser auf die in der Ich- Form erzählte Geschichte passt als der von Robert A. Heinlein Selbstgewählte.  Der Roman erschien von Februar bis April 1056 im Magazin „Astounding Science Fiction“ und erhielt als erster von Heinleins Büchern einen HUGO.

Obwohl das Buch in der späten Ära seiner Jugendabenteuer publiziert worden ist, nimmt es Teile seiner durchaus politisch sozialkritischen Roman wie „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ vorweg und packt sie in eine phantastische Story, die auf den Legenden eines John Fords basieren könnte.

Im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten, in denen nicht nur Heinlein die Ich- Perspektive gewählt hat, funktioniert diese Story aus der intimen Position des Erzählers ausgesprochen gut, da der arbeitslose Schauspieler Lawrence Smith alias Lorenzo Smythe alias Der große Lorenzo nicht nur die Rolle seines Lebens erhält, sondern vor allem immer wieder auf die eigenen Lebenserfahrungen eingeht.  Es sind die goldenen Regeln, die ihm sein Vater auf den steigen Lebensweg mitgegeben hat, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen und deutlich machen, dass eine strenge, aber das Selbstbewusstsein des Kindes stärkende Erziehung das beste Rüstzeug ist, das man einem Heranwachsenden mit auf den Lebensweg geben kann. Lawrence Smith hält sich immer wieder an diese Regeln, die er aufgrund der Achterbahnfahrt seiner Karriere höchstens angepasst, aber niemals wirklich gebrochen hat. Auch wenn Lawrence Smith irgendwann im Laufe der Handlung verschwinden und einem größeren Individuum Platz machen muss, bleibt er als Figur nicht nur zugänglich, er ist rückblickend der Charakter, welche den Plot zugänglich und lesenswert macht.  

Dabei greift Robert A. Heinlein für seine utopische Geschichte – der Hintergrund ist eher Beiwerk, da sie auch in der Gegenwart oder Vergangenheit spielen könnte- auf eine der ältesten Ideen der Literatur zurück: der Einsatz eines Doubles.

Lawrence Smith versucht einen Raumfahrer anzubetteln. Seit Monaten hat er kein Engagement mehr gehabt und sein Agent ruft ihn auch nicht mehr zurück. Smith selbst sieht sich als brillanten Schauspieler, der nach eigener Angabe und sehr viel Eigenlob vor allem auch die Klassiker beherrscht.  Der Raumfahrer kennt Smith aber und will ihn engagieren. Er soll eine ihm noch nicht genannte Persönlichkeit vertreten, die „verschwunden“ ist.

Dass dieser Auftrag gefährlich sein könnte, macht ein Angriff auf Smith und seine Auftraggeber deutlich. Ein Marsianer – Smith hat eine Allergie gegen sie – begeht schließlich rituellen Selbstmord, ein Mann wird in Notwehr niedergeschossen.

Smith erfährt, dass er schließlich John Joseph Bonforte, den politischen Führer der expansionistischen Partei verkörpern soll, der nicht nur einer der prominentesten Politiker des Sonnensystems ist, sondern eine wichtige Rede halten soll. Politische Gegner haben ihn entführt.

Dass Smith eine latente Ähnlichkeit zu Bonforte hat, wird an mehreren Stellen betont. Das der Mime nicht auf den Gedanken kommt, einen derartig prominenten Menschen zu vertreten, erscheint unwahrscheinlich.  Smith übernimmt den Auftrag, auch wenn er mit Bonfortes politischen Ansicht nicht übereinstimmt, selbst aber keine andere Position einnimmt.

In Heinleins Zukunft herrscht eine konstitutionelle Monarchie über das Sonnensystem. Es herrscht ein Kaiser, vielleicht die einzige Persönlichkeit, die aufgrund ihrer Verantwortlichkeit auch weiter über die Horizont schauen kann. Die Begegnung zwischen Smith und dem Kaiser gehört in mehrfacher Hinsicht zu den Höhepunkten des ganzen Romans.  Interessant ist, das Bonforte als Amerikaner „ausgesondert“ wird und die Amerikaner auf der einen Seite die Grundlage bis auf den Kaiser für die parlamentarische Struktur dieser Regierung gelegt haben, auf der anderen Seite eher als assoziierte Mitglieder erscheinen, die auf ihre Autonomie sehr viel Wert legen.

Den weiteren grundsätzlichen Handlungsverlauf kann sich der Leser schnell vorstellen. Die erste Rede ist ein voller Erfolg und Smith freut sich, als Bonforte von den Gegnern freigelassen wird, dass er jetzt reich in den Ruhestand treten kann.  Nur haben Drogen Bonfortes Bewusstsein angegriffen, so dass Smith weiter in dieser Rolle teilweise gegen seinen Willen und seine eigenen, von Heinlein eher ambivalent und unspezifisch beschriebenen politischen Ansicht antreten muss.  Hilfe bekommt er von den umfangreichen Akten, die Bonforte über jeden Menschen in seiner mittelbaren und unmittelbaren Umgebung minutiös angelegt hat. Dass es sich auch um ein paranoides Verhalten handeln könnte, spricht vorsichtshalber niemand aus.

Auch wenn Smith Bonforte für die meisten Menschen in der Öffentlichkeit täuschend echt imitieren kann, sind es seine eigenen Redeteile, welche erst zum Sturz der amtierenden Regierung und schließlich zu Neuwahlen führen. Heinlein macht es sich vielleicht ein wenig zu einfach, wenn Smiths allerdings sehr  emotional überzeugende Reden in dieser fast politisch sterilen Welt für im Grunde politische Erdrutsche Sorgen.  Aber genau wie die entstehende Liebesgeschichte zu Penny – Bonfortes Sekretärin – hat der Leser diese Wendungen vor allem in der vorliegenden konzentrierten Form zu akzeptieren, damit die ganze Geschichte funktionieren kann.

Bonforte bleibt eine tragische Figur im ganzen Roman. Er wird entführt, unter Drogen gesetzt und kann seine politische Triumphe im Grunde nicht verfolgen. Es gibt eine Szene, in denen Heinlein die beiden Inkarnationen sich begegnen lässt. Sie ist nicht kitschig geschrieben, sondern überzeugt vor allem emotional. Bonforte ist verblüfft und Smith eigentlich nur stolz, dass er diese Rolle seines Lebens so überzeugend spielt.  Ob sich Heinlein vom mehr und mehr um sich greifenden Begriff des Method Acting hat inspirieren lassen, ist nicht deutlich erkennbar, aber Smith wächst nicht nur äußerlich hinsichtlich seiner Gestik/ Mimik in die großen Stiefel des Politikers hinein, als Persönlichkeit beginnt er Verantwortung zu übernehmen und brüskiert damit die Männern, die ihn als Stellvertreter angeheuert haben.   Dieser intellektuelle Wandel, dieses Interesse an Politik und den betroffenen Menschen ist ein klassischer Heinlein, wobei „Doppelstern“ vor allem im direkten Vergleich zu „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ deutlich friedlicher, wenn auch nicht unbedingt pazifistischer ist.

Die größte Schwäche ist wieder mit Penny eine Frauenfigur. Heinlein greift als Macho alle Klischees auf und zeigt Penny als hilfsbereite, ein wenig naive und sich natürlich in Smith als perfekte Imitation Bonfortes verliebende junge Frau.

Der Plot selbst beginnt nicht nur flott, er hält über die verschiedenen Stationen sein hohes Tempo und zeichnet ein dreidimensionales, aber nicht entfremdetes Bild dieser Zukunft mit politischen Wurzeln aus der Gegenwart. Lawrence Smith teilweise selbst ironisches Unterton und seine aufgesetzte Altersweisheit – im Epilog zeigt Heinlein auf, welche Distanz zwischen den Ereignissen und dem Moment liegt, in dem Smith sie aufschreibt. Dadurch wirken die bis dahin sehr gut und auf Augenhöhe beschriebenen Momente ein wenig entrückt, aber geben dem Plot auch eine Abrundung, die nicht jeder Heinlein Roman aufweisen kann.  Vor allem weil er auch Toleranz gegenüber den Tentakel artigen, für Smith anfänglich unerträglichen Marsianern predigt und damit während der Kommunistenhetze im Amerika der fünfziger Jahre eine Lanze für die demokratische Basis bricht, die Amerika eigentlich auszeichnen sollte.

Politisch nicht so extrem wie seine späteren Werke konzentriert sich Heinlein auf diese Schelmengeschichte und unterhält auch sechzig Jahre nach der Erstveröffentlichung immer noch großartig.

  • Taschenbuch: 272 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (12. Februar 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317386
  • ISBN-13: 978-3453317383
  • Originaltitel: Double Star