Clarkesworld 131

Clarkesworld, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg)

  Neil Clarke fragt in seinem Editorial zum ersten Mal die Leser nach einem Thema. Herausgekommen ist allerdings der übliche und leider nicht sonderlich originelle Mix von bekannten Fragen und eher oberflächlichen Antworten. Viel besser macht es Cat Rambo, die ausführlich über die Herausforderungen schreibt, das geschriebene und angekaufte Buch auch zu vermarkten. Sie untersucht die verschiedenen Wege und stellt fest, dass der plakativste mit einem Verlagsvertrag nicht unbedingt der Lukrativste sein muss. Olga Kuno geht noch einen Schritt weiter. Wie entwickelt ein Autor aus der in diesem Fall zugrundeliegenden englischen Sprache inklusiv der entsprechenden Grammatik eine glaubwürdige außerirdische Sprache.  Der Umfang des Artikels verbietet es, in die Tiefe zu gehen, aber die Ansätze sind jederzeit nachvollziehbar und solide geschrieben.

Chris Urie interviewt Anna Lee Newitz. Neben einer Reihe von Sachbüchern hat sie in den USA eine Handvoll von in erster Linie Science Fiction Romanen publiziert. Wie bei einigen anderen von Uries Interviews ist es wichtig, wenigstens oberflächlich mit Anna Lee Newitzs Werk vertraut zu sein, da die Fragen doch deutlich in die Tiefe gehen und einige Zusammenhänge sich so nicht ableiten lassen.

Beide Nachdrucke sind Post Doomsday Geschichte. „Fleet“ von Sandra McDonald spielt auf einer ehemaligen amerikanischen Basis mehrere tausend Meilen von Hawaii entfernt. Eines Tages geht wie bei „Escape from LA“ der Strom aus. Die Zivilisation weltweit ist zusammengebrochen. Der geschlechtsumgewandelte Protagonist findet einen Gestrandeten und bringt ihn um, damit das Geheimnis dieser diktatorischen Ordnung gewahrt wird. Im Verlaufe der kurzweiligen, aber plottechnisch gegen Ende viel zu ambitionierten Geschichte bleiben sehr viele Fragen offen, auch wenn die dunkle nihilistische Atmosphäre und die ambivalente Zeichnung der einzelnen Protagonisten positiv überraschen.

Einer der Höhepunkte nicht nur dieser „Clarkesworld“ Ausgabe ist Kim Stanley Robinsons „Venice Drowned“. Eine melancholische Weltuntergangsgeschichte, deren Inhalt nahtlos in seine viel später geschriebene „40 Days of Rain“ Trilogie passen könnte. Die Meeresspiegel sind angestiegen und Venedig ist versunken. Nur noch die hohen Gebäude ragen heraus und werden von Menschen bewohnt. Aus aller Welt kommen Touristen, um in der Stadt zu tauchen, aber sie auch auszuplündern. Der Protagonist ernährt seine Familie von dieser Fahrten nach draußen, obwohl ihn die „Leichenfledderei“  an der alten Stadt anwidert.  Der Plot spielt im Grunde keine Rolle. Kim Stanley Robinson konzentriert sich alleine auf die Stimmung und die Gefahren, die sich durch die außer Kontrolle geratene Natur für die Reste der Stadt ergeben.  Auf der anderen fast zynischen Seite hat sich Venedig zu einem Taucherparadies entwickelt und die meisten Ereignisse spielen sich inzwischen unter Wasser ab. Mit genauen Beschreibungen erschafft der Autor eine surrealistische Atmosphäre. Das der Text aus den achtziger Jahren stammt, merkt man dem Spannungsbogen, der souveränen aber zurückhaltenden Handlungsführung und schließlich dem verbitterten, aber realistischen Ende nicht an.     

Die längste Geschichte ist eine Übersetzung. „A Man out of Fashion“ von Chen Qiufan – die Übersetzung stammt von Ken Liu – ist vom Ansatz her eine interessante Parabel über einen Mann, der weder in das Jahr 2018 noch in das Jahr 2322 passt. Im Jahre 2018 gewinnt dieser Außenseiter bei einer Lotterie die Möglichkeit, sich einfrieren zu lassen. In der Zukunft aufgeweckt erkennt er, dass sich viele äußerliche Sachen grundlegend geändert haben, während er aufgrund seiner Unbeweglichkeit, seiner Distanz und auch seiner fehlenden Emotionen in dieser Zukunft ebenfalls wie ein Fremdkörper erscheint. Dabei ist nicht richtig nachvollziehbar, ob dieser Mann in einer wirklichen Zukunft aufwacht oder ob es sich um eine virtuelle Realität handelt, welche den Schlafenden eine mögliche Zukunft impliziert.

Politische Kritik wie Extrapolation gegenwärtiger sozialer Strukturen bewegt sich auf einem sehr oberflächlichen und bis auf einige wenige Kommentare erstaunlich auch ambivalenten Niveau. Interessant ist, dass die zukünftigen Herrscher der Erde – es scheint sich um eine Art diktatorische Oligarchie zu handeln – sogar das „Chaos“ bzw. deren Kräfte kontrollieren und manipulieren können. Dieser Ansatz spricht eher für eine chinesische Version der „Matrix“ als eine greifbare Zukunftswelt.

Stilistisch versucht der Autor auch mit einem zu distanzierten und damit seinem Protagonisten zu stark negativ entsprechenden Stil, zu viele Ansätze und Ideen auf zu wenig inhaltlichen Raum unterzubringen, so dass phasenweise der Handlungsbogen eher wie ein Zitat aus einer Reihe von natürlich mahnenden Lehrbüchern erscheint als einen tatsächlichen spannenden Plot zu beinhalten.

 Auch die anderen vier Kurzgeschichten weisen unabhängig von interessanten Ideen eine Reihe von erzähltechnischen und teilweise auch inhaltlichen Mängeln auf.

 „In the Blind“ ist eine von zwei Geschichten, die im All spielt. Sunny Moraines Charaktere in der Erdumlaufbahn machen sich Gedanken, warum plötzlich die Kommunikation mit der Erde abgebrochen ist. Es wird versucht, eine emotionale Spannung aufzubauen, die sich in einigen „brutalen“ Szenen zu entladen sucht. Diese wirken eher aufgesetzt. Negativ ist weiterhin, dass der Leser weder mehr Hintergrundinformationen über die Astronauten erfährt noch er eine Möglichkeit hat, das Schicksal der Erde zu verfolgen. Neben dem offenen Auftakt ist das viel zu offene und zu abrupte Ende die größte Schwäche dieses Textes, der grundlegend überarbeitet und vielleicht als Novellette angelegt deutlich besser überzeugt hätte.

 Octavia Cade geht mit „The Stone Weta“ einen vergleichbaren Weg. Eine Gruppe von internationalen Wissenschaftlern versucht die wahren Klimadaten vor den bösen Regierungen zu retten, welche sie fälschen wollen. Natürlich werden Paranoiker zumindest die Ausgangsthese begrüßen und sich gerechtfertigt sehen. Aber die Prämissen, dass eine Gruppe von echten Amateurwissenschaftlern nicht nur ganze Regierungen, sondern deren umfangreiche Geheimdienstorganisation auf simple Art und Weise austricksen können, erscheint bemüht. Zumindest hätte die Autorin ihrem Text einen roten Handlungsfaden schenken sollen. So bleiben in diesem dialogtechnischen Stillleben im Grunde alle Fragen offen.

 Noch schlimmer ist die Grundidee bei „Twisted Knots“ von D.A. Xiaolin Spires. Fleisch könnte aufgrund der Zubereitung intelligent werden. Neben der absurden Grundidee ohne weiterführende Erklärungen wirkt der Text nur oberflächlich überarbeitet. Ohne Frage ist Englisch nicht die Muttersprache der Autorin, aber ein erfahrener Herausgeber wie Neil Clarke hätte die Kurzgeschichte gründlich überarbeiten können, damit zumindest die technischen Formalitäten erfüllt sind.

 Aus dieser Handvoll sehr schwacher Texte ragt „Reversion“ von Nin Harris ein wenig heraus. Sie kehrt die Grundidee aus Farmers „Die Liebenden“ um. Von ihrer Liebe und dessen Heimatwelt Tortz verstoßen flieht Askriti zu ihrem eigenen Planeten, um natürlich erkennen zu müssen, dass sie auf Ablehnung stößt. Nur mit einem besonderen Ritual will man sie wieder als „Mensch“ anerkennen, wobei ihre eigene Welt auch exotisch wie fremdartig und gar nicht menschlich erscheint.

 Unabhängig von der unterdurchschnittlichen technischen Entwicklung und dem überladenen, überambitionierten und schwer zu lesenden Stil kann „Reversion“ als Metapher auf die ganzen Menschen verstanden werden, die draußen außerhalb ihrer heimatlichen Gefilde gescheitert sind. Auf der anderen Seite haben es diese Menschen zumindest versucht, den eigenen Horizont zu erweitern und sollten dafür gelobt und nicht bestraft werden. Ein inhaltlich zweischneidiges Schwert, das in dieser aber solide zu lesenden Geschichte zumindest geschärft und nicht wie in den anderen Texten stumpf gemacht wird.

 In „Clarkesworld“ 131 überzeugen in erster Linie neben dem schönen Titelbild nur die beiden Nachdrucke. Es handelt sich um kraftvolle Kurzgeschichten. Aus den fünf neuen Texten ragt in erster Linie als Ganzes „Reversion“ noch heraus, während drei Texte gänzlich enttäuschen. Bislang leider die schwächste Ausgabe des Jahres 2017.         

www.clarkesworld.com

E Book Magazine, 112 Seiten