Sherlock Holmes und das Ungeheuer von Ulmen

Franziska Franke

"Sherlock Holmes und das Geheimnis von Ulmen" ist inzwischen der fünfte "Sherlock Holmes " Krimi aus der Feder von Franziska Franke. Im Vergleich zu den letzten beiden Geschichten ist der zugrundeliegende Fall interessanter gestaltet, auch wenn die Autorin immer wieder in die gleichen Grundmuster zurückfällt. Der Täter darf nicht sympathisch sein und in einer kleinen Gemeinde wie das Dorf Ulmen in der Eifel fallen neben den Frauen noch einige der von Holmes wieder in der Verkleidung des norwegischen Detektivs befragte Männer gleich aus dem Raster. Ein aufmerksamer Leser kann den Täter ab der Mitte des Buches erahnen, auch wenn das Motiv im Gegensatz zum monströsen Titel lange im Dunkeln bleibt und sich als profan entpuppt. Viel auffälliger ist, dass Franziska Franke dieses Mal Probleme hat, den Fall auf Romanlänge zu bringen und viele kleine Baustellen offen lässt. So ahnt ein aufgrund des Medieninteresses am potentiellen Monster von Ulmen - ein Dinosaurier, der in einem der Mare überlebt haben könnte -, dass Holmes kein Norweger ist. Anstatt diese Baustelle voran zu treiben, lässt die Autorin den Hinweis fallen. In diesem Punkt wird ausgesprochen viel Potential vergeudet,  zumal der Journalist und Holmes sich von Beginn an nicht grün sind. An einer anderen Stelle behauptet Holmes allen Ernstes, bei seinem Besuch in Frankfurt auch mehr über Saurier zu erfahren, weil er von Anfang an nichts ausschließen wollte. So wie der Tatort gewesen ist, könnte Holmes von Beginn an ein Monster als "Täter" ausschließen. Aber um dem Titel gerecht zu werden, muss diese Idee noch ein wenig „verfolgt“ werden.  Ebenfalls wenig Sinn macht es, dass die Leiche so schnell begraben worden ist, dass niemand eine Obduktion ausführt und im Grunde auch rückblickend auch ein Unfall in Frage kommen könnte. Das Motiv für den zweiten, eigentlichen Mord soll dann Erpressung sein, wobei auch dieses Motiv keinen nachvollziehbaren Sinn macht. Denn erstens hat das Opfer kein Geld und zweitens würde sich der Erpresser mit seiner Vorgehensweise um eine gute Story bringen. Eine Kooperation, die schief gegangen ist, wäre interessanter gewesen. Hinzu kommt, dass das Auftauchen des Monsters verschiedene Pläne durchkreuzt, weil es die Öffentlichkeit in den kleinen Ort bringt, was zumindest der Täter hätte verhindern müssen, um sein Geschäft weiter fortzusetzen. Alternativ forciert er es auf eine zu auffällige Art und Weise, die rückblickend wenig Sinn macht. Eine Scheidung kann in aller Stille stattfinden und behördliche Post an die Meldeanschrift gibt es nicht. Niemand verlangt in dieser kleinen Gemeinde einen Totenschein, obwohl zu Beginn eine Tote potentiell erben könnte. Interessant ist, dass niemand nach weiteren "Erben" sucht, da die einzige in Frage kommende Person ja bis auf die Frau des Apothekers, der sie nicht für ernst nimmt, vor Jahren an einer Seuche (!!!) verstorben ist. Dass in diesem kleinen Dorf keine Gerüchte über eine unerfüllte und unglückliche Ehe kursiert haben sollen, mag man nicht glauben.

 Das vorhandene "Beweismaterial" ist dürftig und das Holmes die Betrachtung eines Gemäldes und der Realität benötigt, um den eigentlichen Tatort zu finden, ohne diesen weiter zu untersuchen, wirkt auch eher wie ein Kompromiss, um diesen uneinheitlichen Kriminalroman abschließen zu können. Auch soll ein fingierter Brief den Täter aufscheuchen, während die zu verbergenden Dinge ganz wo anders liegen.  Die Mordwaffe befand sie schließlich doch ganz woanders, was plötzlich den Täterkreis - wie von Holmes vermutet - zumindest in der Theorie wieder erweitert. Dabei hat niemand - und der Dorfpolizist ist weder arrogant noch gänzlich dumm - bemerkt, dass der ursprüngliche Aufbewahrungsort aufgrund von Spuren an der Tatwaffe nicht passen kann. Zumindest schreibt die Autorin nicht, dass der Mörder nach der heimtückisch begangenen Tat, die Waffe sehr genau gereinigt hat.  

 Beim Leser bleibt der Eindruck zurück, als habe Franziska Franke ursprünglich eine etwas andere Geschichte erzählen wollen, bei der sie ab Mitte des Plots nicht mehr den Bogen bekommen hat. Was den zugrundeliegende Fall anbelangt, wirkt die Autorin momentan ein wenig ausgeschrieben und sollte versuchen, in dem ohne Frage eingeschränkten Rahmen der Sherlock Holmes Geschichte neue Wege zu finden.

Auffällig ist auch, dass das Zusammenspiel zwischen dem Doktor Watson ersetzenden David Tristram und Sherlock Holmes einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ohne es selbst zu merken wird Tristram von einem notwendigen Stichwortgeber zu einer Art "Deppen" reduziert, der inzwischen nicht mehr als Laufbursche arbeiten möchte und das auch mehrfach äußert. Zu Tristrams schwächsten Szenen des ganzen Romans gehört dessen Entführung durch angebliche "Verwandte" einer wichtigen Zeugin, die auf diese Art an das Erbe kommen wollen.  Erstens verhält sich Tristram unglaublich naiv, obwohl er dabei die richtigen Gedanken hat - auf Holmes warten bzw. die Rezeption zu informieren. Zweitens ist das Motiv derartig vage, denn Erbschaft bedeutet ja nicht gleich auszahlbares Erbe. Dann hätten man eher die Kinder der potentiellen Zeugin entführen sollen.  Niemand kann garantieren, dass sie die Anzeige auch gelesen hat. Die Entführung hat nur den Sinn, Holmes einen kleinen Schritt weiter in Richtung einer potentiellen indirekten Zeugin zu bringen und dazu wird mit diesem Klischee ein zu großer Bogen geschlagen. Was Holmes Beobachtungen angeht, so dienen Tristrams Kommentare nicht der Aufklärung, sondern der Belustigung. Viel schlimmer ist allerdings, dass Franziska Franke den Lesern nicht die Möglichkeit gibt, aus den vorhandenen beschriebenen Fakten sich ein eigenes Bild zu machen und die eigenen Fähigkeiten zu schulen. Zu den traurigen Höhepunkten gehört der Hinweis auf den Totenschein, der natürlich um die vierzig ist und deswegen nichts zwangsweise mit zeitgemäßen Möbeln wohnen muss. Mehr und mehr wird David Tristram zu einem Volltrottel reduziert, der nur während des abschließenden Showdowns kurzzeitig seine körperliche Fitness ausspielen kann. Das reicht angesichts der positiven Entwicklung, die Doktor Watson in vielen gegenwärtigen Holmes Geschichten erfahren hat, nicht mehr aus, um die Leser hinsichtlich der erdrückenden Dominanz Sherlock Holmes zu überzeugen. Den ermittelnden Detektiv Sherlock Holmes hat die Autorin besser im Griff. Sein exzentrisches Wesen, seine Ungeduld, aber auch seine perfide Neugierde über den Fall hinaus unwichtigen Dingen gegenüber; sein eher barsches Wesen und seine Fähigkeit, sich seiner Umgebung anzupassen, sind gut beschrieben worden und gleichen die zahllosen Schwächen ein wenig aus.

Viel interessanter ist den ganzen Roman betreffend die Begegnung mit den Bewohnern der Eifel. Neben den ausführlichen, aber wenig stimmungsvollen Beschreibungen dieser einzigartigen Landschaft, die gerade durch den Bau der Eisenbahn zivilisatorisch erschlossen wird, sind es die Menschen der kleinen Ortschaft, denen die beiden Detektive begegnen. Sprachlich sind sie von Anfang an "behindert". Keiner der Menschen spricht mehr als ein gebrochenes Englisch - hier sei auf den schließlich genervten Apotheker hingewiesen - oder einige Brocken französisch. Die Idee, den Ermittlern eine junge Übersetzerin zur Seite zu stellen, die am liebsten ungeachtet der geschlechtlichen Hemmnisse Polizistin werden möchte, ist gut, wird aber wie so vieles in diesem bislang schwächsten Franke Sherlock Holmes Roman nicht weiter extrapoliert. Auch hier verschenkt die Autorin unglaublich viel Potential, da es für Sherlock Holmes sehr wichtig ist, während seiner Ermittlungen auch die Zwischentöne bewerten zu können. Franziska Franke gleicht diese "Schwäche" ab Mitte des Plots dadurch aus, das Holmes das Deutsche dem Flämischen verwandt erklärt und ab diesem Augenblick deutlich besser zurecht kommt.  Auch die Verhöre der einzelnen Dorfbewohner scheinen kritisch gesprochen in vielen Teilen nur der Ablenkung zu dienen. Interessant ist, den Aberglauben der kleinen Gemeinde gegenüber der Eisenbahn zu verfolgen und die ganzen naiven Gerüchte, die mit den "Fremden" in die kleine Gemeinde kommen. Franziska Franke bemüht sich, diese "Ureinwohner" stilecht zu beschreiben und die kleinen Gesten machen den ganzen Roman deutlich lesenswerter als es rückblickend die Handlung vermuten lässt. In den beiden Großstädten Frankfurt und Trier bleibt die Autorin dagegen zu sehr an der Oberfläche und manche Zufälligkeit erweist sich zu schnell als kalte Spur, als das es sich gelohnt hätte, über die Schulter die Detektive die Aufmerksamkeit auf den Leser zu lenken. In Ulmen dagegen wirkt die Aussage befremdlich, dass jeder jeden kennt und jeder weiß, wie das ist. Dagegen haben zu viele Leute zu viele Geheimnisse, die während Holmes Befragungen entweder folgerichtig, aber viel öfter ohne wirkliche Gründe ans Tageslicht treten. Angesichts der schwerwiegenden Geheimnisse - zweimal Schulden und einmal Scheidung, sowie Funde, die aus Ulmen heimlich, aber regelmäßig abtransportiert werden müssen genau wie das Anliefern einer sehr großen Kiste, die mit anderen Ereignissen in einem näheren Zusammenhang stehen - wirkt es bizarr, das der Dorffunk nicht vorher getuschelt hat und das niemand es dem Detektiv erzählt, bevor er mühsam auf die teilweise doch stark konstruiert und wenig überzeugend erscheinenden Fakten zurückgreift.

 

Zusammengefasst nutzt die Autorin die von ihr anfänglich gehobenen Potentiale zu wenig und mit dem Titel legt sie absichtlich und wenig ironisch eine falsche Spur. Da war Arthur Conan Doyle mit "Der Hund der Baskervilles" ehrlicher. Kaum hat die Autorin dank Sherlock Holmes für den Leser verifiziert, dass es kein Monster gibt, reduziert sich der Fall auf simple, bekannte Motive. Die insbesondere Eifelreisenden vertraute und gut beschriebene Umgebung entschädigt ein wenig für einen Kriminalfall, der unter der Würde Sherlock Holmes ist und dessen Handlungsverlauf  vor allem auf Seiten der Autorin zahllose Schwächen offenbart, die eher für ein Schreiben nach Fortschrift denn aus Begeisterung sprechen.

 

KBV Verlag

ISBN: 978-3-942446-90-7 | 300 Seiten

9,90 Euro (inkl. MwSt.)
Taschenbuch

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