An Occupation of Angels

Lavie Tidhar

Lavie Tidhars Novelle "An Occupation of Angels" gibt für Interessierte einen Vorgeschmack auf seine beiden Aufsehen erregenden Romane "Osama" (Eine Welt ohne Terror in Form eines Hardboiled Detektivromans) und "The Violent Years" (zwei Superhelden begegnen sich immer wieder in einem immer düsterer werdenden Europa), für die der in Großbritannien lebende Israeli verschiedene Preis erhalten hat. "An Occupation of Angels" erschien schon 2005 zu Beginn seiner Karriere. Wie in den oben angesprochenen Werken nimmt Tidhar ein gängiges Genre (in diesem Fall James Bond) und verbindet es mit einer christlich religiösen Idee, die insbesondere während des zu abrupten Showdowns grenzwärtig auch den Bereich der übersteigerten Farce berührt.

Im Gegensatz zu vielen Zusammenfassungen besteht kein offensichtlicher oder aktiver Zusammenhang zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Auftauchen der Engel. Die entweder außerirdischen oder überirdischen Wesen - in diesem Punkt ist sich der Autor hinsichtlich seiner endgültigen Position unklar und versucht in erster Linie Versatzstücke des Genres wie ein Tor in eine andere Dimension zu bemühen - tauchen auf, als der Krieg zum Erliegen gekommen ist und die Schrecken/ Folgen offenbar geworden sind. Mindestens drei Erzengel machen sich an wichtigen Plätzen des menschlichen Glaubens - St. Paul, Notre Damme und schließlich auch als ironischer Hinweis dem Kreml  - breit und dominieren in erster Linie durch ihre Aura. In ihren sehr langen Schatten folgen "gewöhnliche" Engel, die einen mehr oder minder direkten Einfluss auf die Menschen haben. Unter dieser eher symbolischen Dominanz hat sich aber die geschichtliche Entwicklung Europas in bekannten Bahnen entwickelt. Europa ist geteilt, der Osten kommunistisch, der Westen kapitalistisch und der kalte Krieg erhält durch diese Sendboten nur eine weitere Dimension. Die Ich- Erzählerin Killarney ist ein weiblicher James Bond, der allerdings deutlich enger von ihren Vorgesetzten geführt wird und der als Einzelgänger nur am Ende überzeugen darf. Zu Beginn verfolgt der Leser, wie sie einen der wenigen Erzengel tötet. Diese können anscheinend durch Kugeln sterben und in diesem Punkt ist ihre Allmacht anscheinend und manchmal eher ambivalent gehandhabt begrenzt. Kaum ist sie in London zurück, soll sie für ihren Geheimdienst, der wiederum die schmutzigen Aufgaben für die amerikanische sich im Hintergrund haltende CIA übernimmt, nach Paris, um einen verschwundenen Agenten zu finden. Was sich anfänglich wie Urlaub anhört, wird für sie zu einer existentiellen herausfordernden Odyssee durch ein dunkles Nachkriegseuropa, an dessen Ende sich Machtträume zerschlagen.

So faszinierend die Grundidee auch sein mag, Lavid Tidhars Novelle weißt noch eine Reihe von Schwächen auf. Killarney wirkt eher wie eine Schablone aus verschiedenen bekannten Ideen. Die Wandlungsfähigkeit mit einfachsten Mitteln erinnert an die Fernsehserie "Alias", die Kaltschnäutzigkeit mit welcher sie tötet an James Bond. Die emotionalen Konflikte wirken wie eine oberflächliche Anlehnung an John le Carre und die Jagd auf untergetauchte Nazis am Ende erinnert an Frederik Forsyth. Stillistisch übertreibt Tidhar vor allem in der ersten Hälfte des Romans, wenn er sich nicht zwischen Parodie und Thriller - so wird ein potentieller Informant in einer überfüllten Bar mit einem präzisen Schuss vor ihren Augen förmlich hingerichtet - entscheiden kann. An einer anderen Stelle sich Killarney in einer Parodie des Orientexpresses Kontakt mit dem gesuchten Objekt der Begierde und versucht den schwerkranken Mann - ein Idee, die plötzlich wieder fallen gelassen wird - auszufragen, ohne dass er Verdacht schöpft? Bei einem Mann, der sich auf der Flucht vor dem eigenen Geheimdienst befindet? Der am Ende als Kryptologe die Tore öffnen soll, während sein Spezialgebiet ansonsten das Übersetzen von Engelsbotschaften ist ? Wirken diese Szenen schon unglaubwürdig, so wiederholt sich Tidhar an anderen Stellen,. Zweimal auf fast die gleiche Weise wird die jeweils gefangene Killarney nackt und gefesselt mit Strom gefoltert. An anderen Stellen übernimmt in der Originalfassung ihr Organimus in Kämpfen die Kontrolle. Instinkte würden besser passen, aber dazu wiederholen sich die Situationen zu oft. An mehreren anderen Stellen wird sie aus höchster Not in letzter Sekunde von eher konstruiert erscheinender Seite befreit, was sich meistens in neuen Kapiteln mit einem kleinen informativen Rückblick widerspiegelt.

Zwei- bzw. sogar dreimal treten Personen/ Wesen wieder auf, die als tot gelten und erfüllen letzt endlich ihre Aufgaben. Dabei verbindet der Autor den Anfang der Geschichte zu wenig mit dem Ende des Textes und die erste, angedeutete Mission Killarneys wirkt angesichts der Morde an weiteren Erzengel scheinbar sogar mit Atombomben in extra abgeschirmten Gebieten sehr banal. Als Protagonist bleibt Killarney oberflächlich und funktional in einem sehr stereotyp durchgeplanten Plot, dem angesichts der interessanten Grundidee im übertragenen Sinne an vielen Stellen das Fleisch eines Hintergrundstory fehlt. Auf der anderen Seite ist Killarney die einzige dreidimensionale Figur des Plots mit dem verrückten Nazischurken - eine historische Figur -, der von den Russen aus anfänglich vielleicht noch nachvollziehbaren Gründen geholt worden und plötzlich über eine eigene Armee in einem geheimen Labor verfügt, als erschreckend schwacher und klischeehafter Gegegenentwurf. Die finale Konfrontation endet auch in einem doppelten Klischee. Das eine ist vom Betreten des Gefängnisses erkennbar, das andere ist eine Art Flucht aus einer unmöglichen Situation, die es dem Autor ermöglicht, keine Fragen in einer plötzlich gereinigten (?) Welt beantworten zu müssen. Um die beiden Extreme herum fügen sich eine Reihe von Protagonisten ein, die ausschließlich vom allerdings temporeichen Plot getrieben/ charakterisiert werden. Tidhar bemüht sich, die nationalen Eigenheiten teilweise mit bissigem Humor darzustellen, aber sie planen angesichts des Potentials der Geschichte blass. 

Neben dem "Kalter Krieg" Szenario, das an einigen Stellen atmosphärisch überzeugen und sogar in Details gut durchdacht beschrieben worden ist, sollten die Erzengel und ihre Sendboten  der wichtigste Aspekt des Romans sein. Rückblickend verhält sich Tidhar in diesem, Punkt allerdings zu ambivalent, um wahrscheinlich orthodoxe Leser nicht zu verschrecken. Eine Möglichkeit ist, dass diese Engel einfach durch ein Dimensionstor auf die Erde gekommen sind und den Glaubensvorstellungen der Menschen zufällig entsprechen. Die andere Variation wird auch durch das Auftreten "Gottes" (ein interessanter, geschlechtlich ambivalenter Charakter, aus dem Tidhar frustrierend wenig macht) bestärkt. Nach den Auseinandersetzungen im Himmel wurden die Erzengel nicht in die Hölle, sondern auf die Erde nach dem Zweiten Weltkrieg verbannt. Ihre Jünger in Form "normaler" Engel folgten den dreien. Die Erde nach dem Krieg und dessen Schrecken ist der Hölle vergleichbar. Aber die Erzengel niesten sich nur an den erwähnten Plätzen ein und verbreiten ihre schrecklich schönen Auren, während die Engel in erster Linie passive Beobachter sind, die ihre Unverwundbarkeit eher einem Gerücht denn einem tragfähigen Beweis verdanken.  Ihre Passivität und einhergehend die Idee, dass mindestens eine unbekannte Macht - die Nazis können es in diesem Fall tatsächlich nicht sein, da sie ihre Experimente anscheinend für die Öffentlichkeit unsichtbar durchführen und einr unbekannten Zahl von verschwundenen Wesen keine Rolle spielen - plötzlich die Erzengel tötet, wird im Hintergrund erwähnt, hat aber keinen nachhaltigen Einfluss auf die Handlung. Selbst die Idee, dass Killarney auf der einzigen emotionalen Ebene als Köder verwandt worden ist, wirkt wenig überzeugend, da insbesondere einem Wesen ganz andere Fähigkeiten zustehen müßten. Die Idee einer Manifestierung christlicher Symbolik wäre bei einer aktiven Handhabung des Plots  - die Erzengel als grausame Wächter über menschliche Handlungen, die Engel als fliegende Erfüllungsgehilfen; die Erde ein diktatorisches Paradies - auch im Rahmen eines Spionagethrillers, der von der Anlage her aus den fünfziger oder sechziger Jahren stammen könnte - ohne Frage originell und lesenswert. Insbesondere Comicreihen wie "The Sandman" oder "Hellblazer" haben sich immer wieder diese Prämisse auf eine vielschichtige und teilweise surrealistisch pervertierte Art und Weise angenommen. Aber Tidhar nutzt sie als MacGuffin, um schließlich die finale Konfrontation vorzubereiten, aber nicht als Bereicherung der Handlung.

Stilistisch mit einigen parodistisch erscheinenden Übertreibungen solide geschrieben ist "An Occupation of Angels" vor allem in Form der Novelle eine kurzweilig zu lesende, phasenweise oberflächliche Geschichte, deren Grundidee frustrierend wenig gehoben wird. Während sich wie schon angesprochen bei der Konzeption des Plots trotz oder vielleicht auch wegen der exotischen Schauplätze eher eine Reihe von genretechnischen Floskeln und Klischees einschleichen und insbesondere die Protagonistin funktionell beschrieben worden ist, überzeugt „An Occupation of Angels“ vor allem in der ersten Hälfte durch seine morbide Nachkriegsatmosphäre. Tidhars inhaltlicher Mut zeigt sich noch nicht bei der grundsätzlichen Konzipierung des stellenweise zu fragmentarischen Texts, aber sein Hang zu auf den ersten Blick so einfachen wie eindringlichen Ideen ist in jeder Zeile dieser auf jeden Fall ambitionierten Geschichte zu spüren.  

 

 

  • Paperback: 142 pages
  • Publisher: Apex Publications (October 2, 2010)
  • Language: English
  • ISBN-10: 0984553533
  • ISBN-13: 978-0984553532