PAM Sammelband 2- Attentat auf Universum

Paul Alfred Müller

Im zweiten „Paul Alfred Müller“ Sammelband veröffentlichen die beiden Herausgeber wieder reichlich illustriert und ihm prägnanten Nachwort pointiert kommentiert vier Leihbücher, die Müller um das Jahr 1950 veröffentlicht hat, wobei die Wurzeln von „Der große Spiegel“ in die vierziger Jahre und von „Humus“ sogar in die Zeit der „Sun Koh“ Serie, also die dreißiger Jahre, zurückreichen.

Die ersten beiden Romane der Sammlung "Der große Spiegel" und "Attentat auf Universum" setzen sich auf sehr unterschiedliche und doch wieder sich überschneidende Art und Weise mit Paul Alfred Müllers Lieblingsthema einer irdischen Hohlwelt auseinander. Während der schon Anfang der vierziger Jahre begonnene und erst nach dem Krieg fertiggestellte "Der große Spiegel" eher wie ein Kammerspiel erscheint, das in und in näherer Umgebung um ein mit gigantischen Mitteln in den Schweizer Bergen fertig gestelltes Observatorium spielt, ist "Attentat auf Universum" mit dem ersten natürlich privat finanzierten bemannten Flug zum Mond deutlich dynamischer, vielleicht auch oberflächlich packender, aber weniger intim und intensiv. Beide Romane handeln auch vom Verrat. Einmal gegen die Thesen des Theoretikers Auffermatt - eine romantisierte Version Müllers Sachbuch Alter Ego- und dann wieder durch den Diebstahl von Daten im zweiten Roman. Der Forscher Kerckhoff hat eine funktionierende Mondrakete entwickelt und die Pläne schließlich gegen die Freiheit sowohl im realistischen wie auch übertragenen geistigen Sinne seinem Dienstherrn überlassen. Kerckhoff und Auffermatt sind die schlechten Gewissen der Welt, wobei es im ersten Fall nur um eine objektive Forschung und das Anerkennen von Alternativen gegen die Thesen Kopernikus geht, während "Attentat auf Universum" der Start der Mondrakete und ein Auftreffen auf einen nur 3000 Kilometer im Rahmen der Hohlwelt über der Erde stehenden Mond eine Naturkatastrophe auslösen könnte, die alles menschliche Leben zerstört. In "Der große Spiegel" hält Paul Alfred Müller seine Thesen sehr lange zurück und lässt sie erst spät in den Roman einfließen, "Attentat auf Universum" lebt von der Möglichkeit, dass die blinde Forschung und die zu naive Nutzung insbesondere atomarer Energien der Menschheit den Untergang beschert. Aufgrund dieser sehr unterschiedlichen Gewichtung sind die beiden Bücher trotz oder vielleicht auch gerade wegen des ähnlichen Grundthemas schwer zu vergleichen.

Die emotional persönlichen Ereignisse der Vergangenheit bedingen auch, dass insbesondere zwei junge und heiratsfähige wie willige Frauen ihre Wurzeln kennenlernen. Die Liebesgeschichte wirken in beiden Romanen insbesondere aus heutiger Sicht ein wenig aufgesetzt, zum Paul Alfred Müller nicht selten bei den männlichen Verehrern auf unterschiedliche Kontraste setzt. Da wären die grundsoliden, aber auch langweiligen "Arbeiter" - dabei spielt es für den Autoren keine Rolle, ob es sich um körperliche oder geistige Arbeit handelt -, die um jeweils den Hausfrauentyp kämpfen und deren Familienplanung im Grunde bis zum Tod durchstrukturiert worden ist. Auf der anderen Seite gibt es die Machos, die Intellektuellen nicht selten aus der Position des Sohns agierenden feschen Männer, denen Paul Alfred Müllers Sympathien gelten, die aber nach anderen Frauen gieren und erst später erkennen, dass die nicht selten sehr attraktiven jungen Frauen in ihrer Nähe nur ihre Unabhängigkeit verlieren müssen, um attraktiv wie formbar zu erscheinen. Über den Frauen steht das absichtlich übertrieben extrapolierte Vaterbild, wobei in beiden Romanen der Vater auf die eine oder andere Art und Weise von seinem Thron steigen muss, um "menschlich" zu werden. Ein weiteres verbindendes Glied ist das klassische Thema von Männerfreundschaft, die an unterschiedlichen Auffassungen - Hohlwelttheorie gegen Kopernikus - zerbricht, um sich zumindest am Ende von "Der große Spiegel" auf einer zwischenmenschlichen Ebene wieder zu finden.

Als Roman ist "Der große Spiegel" deutlich überzeugender. Paul Alfred Müller ist ein Autor, der nicht selten über die Action und weniger reine Dialoge seine Romane vorantreibt. In "Der große Spiegel" wird die Handlung fast ausschließlich über die Dialoge voran getrieben und insbesondere in seiner sprachlich nicht selten improvisierenden und deswegen auch natürlich erscheinenden Art überzeugt diese intellektuelle Diskussion weniger um die Grundidee der Hohlwelt, sondern mehr über das Scheuklappendenken, mit denen insbesondere die ältere Generation aus egoistischen Gründen neue Ideen oder Thesen zu unterdrücken sucht. Am Ende steht nicht unbedingt das Eingeständnis, in seinen eigenen Forschungen Fehler gemacht zu haben- Paul Alfred Müller kann auch keinen bestechenden Beweis für die Idee einer Hohlwelt diesem Roman beifügen, während seine Anklage gegen Kopernikus auf der faktischen "Unbeweisbarkeit" dessen Thesen beruht -, sondern die Idee, einem neuen Denken einfach nur Platz zu machen. Das für achtzig Millionen Dollar auf den unwegsamen Gipfeln des Berner Oberlandes entstandene Observatorium dient bei dieser ausschließlich intellektuellen Auseinandersetzung eher als MacGuffin, um die verschiedenen grundlegenden Probleme eher beiläufig mit möglichen Beweisen in Form von tiefstehenden Aufnahmen durch den Spiegel zu unterlegen.

"Attentat auf Universum" mit seiner utopisch technischen Idee eines bemannten Mondflugs ist auf den ersten Blick handlungstechnisch ohne Frage zugänglicher, zumal Paul Alfred Müller neben der schon angesprochenen Romanze auch eine Kriminalhandlung einbaut.  Wie eine Reihe von anderen Müller Leihbüchern dieser Zeit ist der 1950 veröffentlichte Roman insbesondere im Vergleich zu "Der große Spiegel" teilweise ein wenig unglücklich strukturiert. Die Vorgeschichte mit den persönlichen Verwicklungen, der verschiedenen Thesen und der auch für Müller typisch über die Zeitungen ausgetragenen Diskussionen hinsichtlich der Folgen des Raketenstarts nehmen gut die Hälfte des Romans ein, bevor mit dem Katastrophenflug und dem Streifen der Sonne inklusiv entsprechender Folgen für die Hohlwelt die Actionseite in der zweiten Hälfte dominiert. Hier folgt der Autor unabhängig von dem phantastischen Ideenreichtum eher den Mechanismen des Katastrophenromans/- films, die Irwin Allen gute dreißig Jahre später zu einem Erfolgsrezept macht und bietet die Selbstopferung eines Unschuldigen und damit die Rettung der Menschheit als einzigen gangbaren Ausweg an. Unabhängig vom intellektuellen Gehalt ist "Attentat vom Universum" nach dem proklamatischen Titel ein auch heute noch lesbarer utopisch technischer Roman, der die Strukturen Hans Dominiks ein wenig ironisch auf den Kopf stellt und vor allem den bedingungslosen Fortschrittsglauben für die damalige Zeit fast provokant kontinuierlich hinterfragt. 

Hinsichtlich der inneren Strukturen, der Entwicklung der unterschiedlichen Charaktere und vor allem dem nachhaltigeren Spannungsaufbau ist allerdings "Der große Spiegel" eher der Roman, in dem Paul Alfred Müller dem Leser die von ihm geschätzte Hohlwelttheorie weniger manipulierend als argumentierend vorstellen kann. Die Vereinigung dieser beiden so unterschiedlichen Romane, die in einem Abstand von wenigen Monaten vollendet worden sind, in einer Sammlung muss expliziert gelobt werden, zumal Hans J. Galle und Dieter von Reeken in ihren begleitenden Worten die Intention des Autoren noch einmal herausarbeiten.   

  Die anderen beiden um das Jahr 1950 veröffentlichten Romane haben ebenfalls eine Gemeinsamkeit. Sowohl in "Strahl aus dem Kosmos" als auch "Humus" geht es um die Nutzung bzw. Intensivierung natürlicher Grundlagen, um im ersten Schritt die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Der zweite, eher konsequente Schritt ist, dass böse Menschen - von Nationen ist der Autor zumindest vor dem fiktiven Hintergrund der "Humus" Geschichte nur noch einen kleinen Schritt entfernt - diese gut gemeinten Erfindungen/b Entwicklungen wieder in beiden Romanen Einzelner als Grundlage für Waffen mißbrauchen. Während "Humus" eine Idee aus der "Sun Koh" Reihe extrapoliert, wirkt "Strahl aus dem Kosmos" angesichts der zahlreichen Hinweise auf den wenige Jahre vorher zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieg sehr viel intensiver, handlungstechnisch auch kompakter und trotz der in beiden Romanen doppelten ein wenig antiquiert erscheinenden Romanzen auch zeitloser. 

Wie "Der große Spiegel" spielt die Handlung von "Strahl aus dem Kosmos" vor dem Hintergrund der Schweizer Alpen. In Deutschland und einer kleinen, eher abfällig behandelten Stadt in Frankreich spielen sich Katastrophen ab. Anscheinend experimentiert jemand mit einer neuartigen atomaren Waffe, die mit ungeheurer Zerstörungsenergie allerdings erstaunlich punktuell vorgehen kann. Es verdichten sich die Hinweise, dass diese Experimente nicht im besiegten Deutschland stattfinden, sondern von der nahen Schweiz aus gesteuert werden. Neben einem frisch verpflichteten neuen Assistenten untersucht ein Amerikaner im Auftrag eines reichen Unternehmers die Vorgänge und stößt auf seine eigene private Vergangenheit. Die Grundidee entspricht ohne Frage weniger dem neusten technischen Stand, sondern die wissenschaftlichen Daten geschickt extrapoliert hat. Kosmische Strahlen - hier liefert Freder van Holk keine ausreichende Erklärung in einem Zusammenhang mit seiner Hohlwelttheorie, welche diese Energiequelle einschränken könnte - sollen auf die Erde umgeleitet und dort in Elektrizität verwandelt werden. Die Grundidee ist überzeugend und wird auch dreidimensional dem Leser vermittelt. Hinzu kommt vor allem zu Beginn eine gute Einleitung in den Roman. Wie schwer es Paul Alfred Müller allerdings gefallen ist, insbesondere den Mittelteil zu strukturieren, erkennt der Leser beim Blick auf das für einen Zukunftsroman nicht nur ungewöhnliche Personenverzeichnis, sondern die kurzen lakonischen Bemerkungen, mit denen er seine Figuren manchmal gegen alle Spannung agierend charakterisiert hat. Das Ende des Plots ist wieder nicht nur melodramatisch, sondern angesichts des zu langen und unnötig komplizierten statt komplexen Mittelteils zu abrupt. Nicht nur in diesem Buch hat der Leser das Gefühl, als verspüre der Autor Erleichterung, wenn er einen Band abgeliefert hat. Epiloge kommen höchstens in Form von ein oder zwei Absätzen vor. Die lange Zeit dramaturgisch gut vorbereiteten Höhepunkte verpuffen. Auf der anderen Seite als außergewöhnlicher Faktor vieler seiner Romane durchbricht der Autor aber auch die Distanz zu Leser und schildert die letzten, dramatischen Augenblicke immer aus der subjektiven Perspektive seiner Charaktere und stellt sich quasi zu ihnen. Sowohl in "Attentat auf Universum" als auch "Strahl aus dem Kosmos" ist das überdeutlich zu spüren, zumal der Autor die Handlung auch in den einzelnen Kapiteln mit fast übertrieben erscheinenden Zwischenüberschriften voranzutreiben scheint. 

 Wie schon angedeutet basiert "Humus" auf einer Idee, die Paul Alfred Müller in "Die flüssige Pest" (Sun Koh 61) auf kleinerer Ebene als Wettstreit zweier Wissenschaftler allerdings mit den gleichen fatalen Folgen entwickelt hat. Spaltpilze könnten mit Hilfe von künstlichem Regen den Boden fruchtbar machen. Im Überfluss könnten sie als Waffe allerdings jegliche organische Materie in Humus verwandeln und damit die Welt förmlich ersticken.  Für den Roman hat Müller die fiktiven Teilstaaten Uruyana und Parayana erfunden, wobei die Namensähnlichkeit eher zufällig ist. Heinz J. Galle erläuert, dass Müller sich auf das geteilte Deutschland bezogen und den Politikern Ähnlichkeit zu Konrad Adenauer (der uruyanische Staatskanzler Esteban) sowie Otto Grotewohl/ Walter Ulbricht (Paolo Gasset und Emilio Orviz) mit dem "großen Pilon" im Hintergrund als Inkarnation Stalins gegeben hat. Der Humus Virus soll der Atombombengefahr entsprechen. Zumindest hinsichtlich des Virus ist diese Idee ein wenig abwegig, aber die Grundlagen eines Gleichgewichts der Kräfte werden mehrfach aus einer originellen Perspektive angesprochen. Die Grundidee und Entwicklung dieser Erfindung sind von Müller gut beschrieben worden. Der Roman krankt eher auf seiner emotionalen Ebene, wo der Autor zu sehr auf Seiten der "Helden" als auch der "Schurken" in die Klischeekiste greift und den nicht in dieser vorgestellten Form für einen ganzen Roman ausreichenden Plot unnötig auswalzt. Als Satire und Warnung vor der Politik des Kalten Krieges fehlt dem Buch die inhaltliche Schärfe. Manch pointierter Dialog ist nicht ausreichend, zumal die Grundidee einer friedlichen Nutzung einer den Menschen helfenden Idee durch das Eingreifen dritter, positiv zu sehender Kräfte relativiert wird. Auch vom stilistischen Aufbau her hat der Leser das Gefühl, als behandele Müller diesen ansonsten vielschichtigen und hinsichtlich seiner Figuren überdurchschnittlich ambitionierten Roman eher wie eine Auftragsarbeit, die schnell abgewickelt werden muss. 

Zusammengefasst geben die vier gesammelten Paul Alfred Müller Romane dem anfänglich interessierten Leser die kompakte Möglichkeit mit der Ergänzung einiger Auszüge aus Müllers "Welt von Morgen" Beiträgen - in denen er die wissenschaftlichen Prämissen genauso extrapolierte wie den Lesern zum Beispiel Hans Dominik vorzustellen -  den Autoren und sein vielschichtiges Werk kennenzulernen. Der Leser sollte sich nicht von auf den ersten Blick absurden Ideen wie der Hohlwelttheorie abschrecken lassen. Paul Alfred Müller beschreibt diese Idee mit einer mit Sendungsbewusstsein durchdrungenen wissenschaftlichen Ausschlussmethode - solange es keine Beweise für Kopernikus gibt, die anfassbar sind, darf jeder glauben, was er will  - und fängt sein Publikum geschickt ein. "Der große Spiegel" und "Attentat auf Universum" beweisen in der Gegenüberstellung, wie unterschiedlich das gleiche Thema behandelt werden kann. "Strahl aus dem Kosmos" und "Humus" sind eher Warnungen, die von Individuen in der Isolation ihrer privaten Forschungseinrichtungen entwickelten Ideen nicht zu militarisieren. Dank Müllers stilistischer Eigenheiten mit einer fast gehetzt erscheinenden immer vordergründig aufs Tempo drückenden Erzählstruktur, wechselnden Perspektiven und der Subjektivität des Geschehens fasziniert und unterhält noch zwei Generationen nach der Erstveröffentlichung dieser Leihbücher und fast drei Generationen nach der "Sun Koh" sehr prächtig.   

 

Sammelband 2. Der Sammelband enthält die Romane Der große Spiegel (1949), Attentat auf Universum (1949/1955), Strahl aus dem Kosmos (1950) und Humus (1952).
Broschüre, 441 Seiten (15 x 22 cm, zweispaltig gesetzt wie SUN KOH), 18 Abbildungen, 2 Anhänge (u. a. Dokumentation von Heinz J. Galle)
27,50 € — ISBN 978-3-940679-87-1