Angel Island

Oliver Schütte & Uwe Voehl

Leider haben die beiden Herausgeber Oliver Schütte und Uwe Voehl auf ein Vorwort ihrer „Halloween“ Anthologie verzichtet. Dabei gebe es durchaus Grund, nicht nur den thematischen Hintergrund – Angel Island weit draußen im Meer mit seiner einzigartigen, bizarren, kultischen Bevölkerung – zu erläutern, sondern darauf positiv hinweisen, dass einige der hier versammelten Autoren an der Bastei Akademie sich in einem ein Jahr dauernden Kurs zum Schriftsteller ausbilden lassen. Eine in Deutschland bei Großverlagen momentan einzigartige Einrichtung, die zeigt, dass der Bastei Verlag die Wertschöpfungskette von der Erstellung des literarischen Produkts inklusiv entsprechender Schulung bis zum multimedialen Vermarktung in einer Hand behalten möchte. Der Leser hätte zusätzlich auch das Anrecht, ein wenig mehr über die Entstehung und den Fokus dieser unmittelbar vor und an Halloween spielenden Anthologie zu erfahren. So wirkt das Produkt lieblos zusammengebaut, was es teilweise in seinem Inneren beginnend mit dem schönen, aber auch unpassenden Titelbild Sean Pavones im Kern gar nicht ist.   

 Michael Marcus Thurner eröffnet die thematisch eng zusammengefasste Storysammlung mit einer Führung in die Unterwelt von „Angel Island“ mit „Die Mission des Titus Brown“. Ein angeblicher Exorzist besucht die abgelegen und sich komplett von der Außenwelt isolierende Insel Angel Island. Ihm wird eine junge attraktive Führerin zur Seite gestellt, welcher die Einheimischen mit Misstrauen begegnen, weil sie außerhalb studiert hat. Inhaltlich handelt es sich um eine solide Auftaktgeschichte, die stringent bis zum offenen, natürlich düsteren, auf die Wechselwirkung Halloweens mit der unwissenden Welt hindeutenden Ende eher durch ihre Atmosphäre, ihre grotesken Bilder als durch ihren Inhalt fasziniert. Zu schnell durchschaut der Leser die Absichten Titus Browns, zu schnell werden die an Lovecraft erinnernden Höhlen unter der Inseloberfläche angesteuert, wobei dann Michael Marcus Thurner mit seinen dunklen Dienern, dem skelettierten Mann und schließlich dem Sprung in den an Merritt erinnernden See seiner Phantasie positiv die Zügel gibt.

Um Verluste geht es in verschiedenen Geschichten dieser Sammlung. Malte S. Sembten "Prayer´s Rock" und "Tommyboy" von Hendrik Schmitz zielen dabei in unterschiedliche Richtungen. Zu Beginn scheint Malte S. Sembten wirklich jedes Klischee des Genres absichtlich und ernsthaft ansprechen zu wollen. Erfolgreicher Pulpschriftsteller verliert durch einen tragischen Unfall seine Tochter, zieht sich in die Einsamkeit sprich auf "Angel Island" zurück, um einen ernsthaften tief gehenden Roman zu schreiben. Natürlich erleidet er eine Schreibblockade. Durch einen Zufall wird er auf die seltsame Geschichte des vor der Küste der Insel liegenden Leuchtturms aufmerksam. Die erste Hälfte besteht wie schon angedeutet aus einer Aneinanderreihung von bekannten Szenen mit einem eher oberflächlich charakterisierten Ich- Erzähler. Erst auf dem Leuchtturm selbst beginnt Malte S. Sembten den Plot ein wenig zu drehen und fügt dem vielschichtig interpretierbaren, aber an keiner Stelle wirklich realistisch einzugrenzenden Handlungsstrang einen unvollständigen Rahmen hinzu. Durch die zweite Hälfte ist die längere Story zumindest interessant genug, während der Leser in der ersten Hälfte mehr Informationen über die Insel erhält. "Tommyboy" von Hendrik Schmitz ist deutlich schwächer. Hier geht es um einen jugendlichen Außenseiter, der seine Schwester durch einen vermutlich tragischen Unfall und seine Mutter in eine geistige Isolation verloren hat. Thomas leidet aufgrund seiner ihn bedrängenden Umwelt unter Aggressionen. Gegen Ende löst Schmitz seinen überambitioniert geschriebenen Plot eher mit einem wenig überraschenden Klischee, dass in einer Situation gipfelt, die allerdings nicht wirklich originell ist. Hendrik Schmitz bemüht sich wirklich, seiner Geschichte eine interessante äußere Verpackung zu geben, was nicht notwendig gewesen wäre, wenn sein teilweise gegen Ende überambitioniert erscheinender, aber auch konfuser Plot in sich origineller präsentiert hätte. „Die Masken des Hasses“ aus der Feder Jörg Kleudgens nimmt indirekt das Ende der Auftaktgeschichte genauso auf wie „Tommyboy“. Die Kinder beginnen auf der Insel aggressiver zu werden, je näher der Abend von Halloween kommt. Aus der Perspektive eines Außenseiters, welcher der Aggression in London entfliehend auf die Insel gekommen ist, werden die Ereignisse stimmungsvoll, aber auch mechanisch erzählt. Deutlich konsequenter ist die Planung und die einzelnen Figuren sind auch dreidimensionaler und interessanter gezeichnet worden. Noch eine dritte Geschichte befasst sich mit den Schulkindern an Halloween. Stephan Reinbechers „Der Preis“. Anscheinend übernimmt er Figuren aus „Prayer´s Rock“ und greift auf „Tommboy“ bzw. „Masken des Hasses“ zurück, ohne das sich der Text wirklich einordnen lässt. Der Kauf von Verbandsmaterial in „Prayer´s Rock“ wird aus einer anderen Perspektive begutachtet, die Lehrerin erhält einen Preis und die Situation gerät außer Kontrolle. Das Ende ist pragmatisch wie brachial. Da aber drei teilweise inhaltlich zu wenig unterschiedliche Geschichte in dieser Anthologie versammelt sind, verliert sie ihren Reiz. 

Zu den besten Texten gehört „Katharsis“ von Sunny Meury. Der örtliche Priester bestraft die Sünder. In diesem Fall die junge Kaitlyn, die abgetrieben hat. Der Leser ahnt schon, in welche Richtung die Handlung geht, aber die vielen perversen Ideen und die subtil immer bedrohlicher, abartiger werdenden Atmosphäre sind sehr gut strukturiert worden und fesseln den Lesern bis zum allerdings nicht nur an Lovecraft erinnernden Ende, sondern dem offenen Epilog.

Die eigentliche Abschlussgeschichte „Die Mauern von Ronwick Abbey“ von Jürgen Scheiven sollte den Zyklus um Angel Island zu Ende bringen. Das ist mit dem zu offenen Ende nicht der Fall. Die Atmosphäre ist stimmig und die mögliche Verführung des Priesters unter der falschen Prämisse, die Gemeinde retten zu können, effektiv und überzeugend beschrieben, aber im letzten Drittel des Textes kann Scheiven vor allem den ganzen Zyklus nicht zu Ende bringen. Der Leser erwartet bei einer thematisch gegliederten Anthologie, die regional eingegrenzt spielt, dass der Erwachen des Bösen in der Auftaktstory auch am Ende in einer Form abgeschlossen wird. Ansonsten machen die sich allerdings eher im Kreis drehenden Mittelgeschichten keinen Sinn.  Stilistisch zufrieden stellend mit gut gezeichneten Figuren  ragt der Text trotz des Endes aus der Masse der Storys heraus.

 Aus dem Schema „Angel Island“ bricht Grita Graus mit „Banshees weinen nicht“ förmlich aus. Die Autorin kann sich zwar nicht entscheiden, ob ihr Text eine Parodie oder eine ernst gemeinte Hommage auf die Monsterfilme eben in Kombination mit dem „Angel Island“ Hintergrundplot ist, aber harmlose rotpelzige Werwölfe genau wie Hexen, die nur an Halloween schutzlos sind, einem Geschichten erzählenden Bruder und einem Blinddarm kann der Leser nur mögen. Ein wenig warmherziger, humorvoller, intimer und trotzdem spannend wirkt der Text wie ein Fremdkörper in den sich eher an Lovecraft dunkle Mythen orientierenden Texten und ragt vielleicht deswegen auch deutlich aus der Menge heraus.

Zusammengefasst ist Angel Island“ eine solide Anthologie. Als Plattform angehender Autoren in Kombination mit einigen erfahrenen, aber nicht unbedingt in Hochform schreibenden Autoren des Genres ideal, um sich zu profilieren. Schade ist, dass die beiden Herausgeber die thematische Verbundenheit der Angel Island Texte mit einer besseren redaktionellen Arbeit nicht intensiver herausgearbeitet haben und sich zu viele der Texte um das gleiche Thema drehen. Vielleicht können die Herausgeber bei der nächsten Halloween Anthologie diese Schwächen noch ausmerzen, dann könnte sich eine neue Horrorkurzgeschichtenreihe ohne Frage etablieren.   

 

  • Taschenbuch: 352 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch); Auflage: Aufl. 2014 (8. Oktober 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 340417075X
  • ISBN-13: 978-3404170753
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