Sun Koh 7 "Das schwere Wasser"

Paul Alfred Müller

Mit dem vorliegenden siebenten Sammelband werden die Heftromane 100 bis 116 inklusiv des Nachdrucks der zweiten und dritten Auflage des Heftes 27 angeboten. Mit diesen Nachdrucken zeigen die Herausgeber der Reihe Dieter von Reeken und Heinz J. Galle überdeutlich, wie sehr die nationalsozialistische Zensur Paul Alfred Müller neben der mehrfach angesprochenen, fragwürdigen Schere im Kopf zwang, seine Romane für die Neuauflage umzuschreiben und damit ideologisch zu begradigen. Die Qualität des präsentierten Materials von der Druckqualität über die Bilder bis zu den teilweise in den Texten als Fußnote eingebauten begleitenden Kommentaren ist für diese Edition wieder gewohnt hoch und zeigt, mit welcher Akribie Galle und Dieter von Reeken im Grunde eine ultimative Neuausgabe dieser signifikant für die deutschsprachige phantastische Literatur wichtigen Heftromanserie vorantreiben.

 Der neunundneunzigste Roman "Die Schlinge" bildete den Abschluss des sechsten "Sun Koh" Sammelbandes. Die Handlung wird aber in den ersten drei ursprünglich als Heftromane veröffentlichten Abenteuern "Der entführte Gefangene", "Diplomaten und Verbrecher" sowie "Jack Dudle hat Erfolg" fortgesetzt. Die technische Erfindung ist die "Erschaffung" von Elektrizität durch das Auflösen von Salz in Wasser.  Ohne in die genauen Details zu gehen nutzt Paul Alfred Müller diese Prämisse - inklusiv der gestohlenen Formeln und dem Mord an dem Erfinder -, um anfänglich nur einen spannenden Krimi und später in San Franzisko, der Heimat der verschiedenen insbesondere aus dem asiatischen Raum agierenden Geheimdienste , ein Agentenabenteuer zu konzipieren, das gut unterhält und in diesen Verlauf die Erfindung im Grunde immer unwichtiger wird. In "Die Schlinge" trat "Sun Koh" erst am Ende des Abenteuers auf, als ein Unschuldiger unter Mordverdacht verhaftet worden ist. In "Der entführte Gefangene" versucht der Erbe von Atlantis diesen Mann aus dem Gefängnis zu holen, in dem er kriminaltechnisch solide vorgehend andere Verdächtige sucht. "Diplomaten und Verbrecher" ist ein insbesondere in politischer Hinsicht differenzierter Roman, da erstens Paul Alfred Müller auf die damaligen Verbündete wie insbesondere Japan Rücksicht nehmen muss, während die typischen Feindbilder wie Großbritannien und Russland bloß gestellt werden können. Im Abschlussband führt der Autor sogar eine weitere Figur Jack Dudle ein, die wie es sich für diese Heftromanserie gehört handlungstechnisch nicht unbedingt benötigt wird. Sie sorgt für die Ablenkung während des rasanten Finales, das auch im Vergleich zu einigen anderen Mehrteilern dieser Serie nicht nur zufriedenstellend, sondern gut ausbalanciert abgeschlossen wird.    

Mit dem nächsten Vierteiler "Die schwarze Schnur", "Das zerbrechende Haus", "Minen unter Ophir" und "Flucht aus dem Sklavental" wandelt Paul Alfred Müller wieder überdeutlich auf Karl Mays Spuren. Mit Abessien im Osten Afrikas verfügt der Autor über eine idealen, vielleicht sogar durch die Entnahme von nicht immer korrekten Informationen aus diversen Sekundärwerken dieser Zeit idealisierten Hintergrund, vor dem eine so typisch deutsche Geschichte spielt. Politisch warnt er zwar die Herrscher vor der Bedrohung durch die Italiener -sie marschierten in der Realität kurze Zeit später tatsächlich dort ein - und Großbritannien, das Feindbild vor Ort sind aber die Japaner. Neben der etwas verqueren Weltansicht, das alleine die Produktionskosten die industrielle Weltherrschaft erst durch die Japaner, jetzt durch die Chinesen bedeuten, ist seine Agitation der späteren Bündnispartners sehr nahe am Rassismus. Auch wenn dieser Sammelband wenige rassistische Entgleisungen gegenüber Farbigen und Juden enthält, ist die Abrechnung mit den Asiaten im Allgemeinen und den hinterhältigen, opportunistischen Japanern erstaunlich insbesondere für diese Zeit. Die Deutschen werden als treue Vertragspartner idealisiert, wobei wie bei Karl May Paul Alfred Müller auch sehr geschickt voller Sendungsbewusstsein und natürlich in dieser Hinsicht auch die Jugend manipulierend vorgeht. Im ersten Band "Die schwarze Schnur" überbringt Sun Koh einem jungen, für den deutschen Geheimdienst tätigen Mann die Nachricht, dass sein Vater nicht vor Jahren verstorben ist. Stattdessen lebt er in der vor der Außenwelt verschlossenen Bergregion Abessiens, die je nach Abschnitt dieses Mehrteilers die Nachkommen der Atlanter beherbergt und mit der legendären Stadt Ophir die Spuren einer weiteren Hochkultur als Beigabe zu der rasanten Actionhandlung präsentiert.

Während Sun Koh im ersten Band den Stein ins Rolle bringt, besteht der zweite Roman "Das zerbrechende Haus" ohne die politischen Exkurse aus dem typischen und leider auch statischen Beiwerk der Entführung des Nebenhelden, der anschließenden Befreiung und der Begegnung mit den gütigen Mächtigen, die sich mit sanftem Druck dem deutschen Westen zu öffnen suchen. Dabei sind besonders die deutschen "Helden" - ohne Sun Kohs opportunistisch hilfreich Hand in mehrfacher Hinsicht - genauso gesichtslos gezeichnet wie die nicht selten im Hintergrund mit eigenen Plänen agierenden Japaner. Erst in "Minen unter Ophir" mit der geheimnisvollen Stadt und dem nach deutschen Vorbild inklusiv eines so klischeehaften eindimensional gezeichneten farbigen Sklaven portraitierten Forscher nimmt der Plot nicht nur wieder Fahrt auf, sondern die doppelte Verbindung zum Atlantis Mythos ist ein interessanter Aspekt des Heftromans. Nach einer fast endlos erscheinenden Durststrecke konzentriert sich Paul Alfred Müller wieder auf die Grundidee seiner Serie. Geschickt stellt er die verschiedenen, in den dreißiger Jahren teilweise aktuellen Thesen von unterschiedlichen Hochkulturen und ihrem jeweiligen Fall gegenüber, während Sun Koh im Hintergrund angesichts der eigenen Geschichte milde lächelt. Im abschließenden Roman wird die Handlung wieder von der Action mehr bestimmt. Ohne Frage liegt die Abwechselung im Vergleich zur Suche nach einer mehrfach gestohlenen Erfindung im Kennenlernen eines fernen, isolierten Landes mit einer wechselhaften Geschichte und Bezügen zu den deutschen Aussiedlern. Trotz einiger Klischees unterhält der Stoff durch die nicht mehr realen, aber phantastisch ausgearbeiteten Beschreibungen sowie einem etwas zurückgenommenen, deutlich erwachsener agierenden Hal Marvin.     

Aus den längeren Zyklen ragt „Schwere Wasser“ nicht nur als einzelner Roman, sondern aufgrund der etwas einfachen Struktur heraus. Anscheinend hat Paul Alfred Müller wie Heinz Galle in seinem Nachwort festhält die Presse und die Entdeckung des Wassers sehr gut verfolgt, um sie als Mordwerkzeug in diesem kurzweiligen Band einzusetzen. Die Versatzstücke aus perfiden Erpressungen und einhergehend entsprechenden Morden erinnern stark und vielleicht weniger zufällig als gedacht an die frühen „Fantomas“ Romane in Kombination mit einer modernen wissenschaftlichen Entdeckung, wobei die eigentliche Auflösung zu simpel erscheint und sich der bis dahin rücksichtslos, aber intelligent agierende Erpresser und Mörder in seinem eigenen Netz aus Neugierde fangen soll. Das erscheint unglaubwürdig. Ansonsten findet sich nur noch ein weiterer Einzelroman in dieser Sammlerausgabe: „Der Gefühlsender“. In verschiedenen Variationen hat Paul Alfred Müller die Idee einer Maschine, welche die Menschen auf einer emotionalen Ebene manipuliert, schon mehrfach durchgespielt. Nach dem absichtlich episodenartigen Auftakt ist der Mittelteil interessant geschrieben, wobei das Ende mit Sun Koh als Käufer dieser Idee, für welche die Menschen noch nicht reif sind, stark konstruiert erscheint.

Der folgende Dreiteiler bestehend aus den Romanen „Die verlorene Karawane“, „Die klopfenden Geister“ und Schließlich „Die brennenden Tempel“ spielt zwar teilweise am Nordrand der Wüste Gobi und es geht um ein gigantisches Ölvorkommen, da wie in Karl Mays „Der Ölprinz“ angeblich sogar die Luft verpesten soll, so reichhaltig fließt es direkt aus der Erde, aber als stringente Handlung gehört diese Such- und Rettungsaktion zu den schwächsten, in diesem Sammelband zusammengefassten Abenteuern. Auf dem Flug nach Tokio rettet Sun Koh einen Mann vor dem Verdursten in der Wüste, der an einer erfolgreichen Expedition zu diesen ominösen Quellen teilgenommen hat. Nur geritten die Männer in Gefangenschaft einer strengen religiösen Gruppe, die auch Frauen versklaven und wenn sie Witwen werden, vor der Öffentlichkeit einsperren. Die Nebenhandlung soll dem Leser diese Kultur näherbringen. Allerdings beschränkt sich die Beschreibung dieses Volkes eher auf eine Aneinanderreihung von Klischees und wenn Paul Alfred Müller sie am Ende dieser Episode grausam bestraft und im Grunde durch das in Brand geratene Öl vernichtet, dann bleibt ein fader Beigeschmack zurück. Der eigentliche Plot besteht aus diversen Gefangennahmen und Befreiungsaktionen, wobei wie Heinz J. Galle überdeutlich anmerkt, Hal mehr und mehr in Abwesenheit des „Herrn“ – ein Bezeichnung Sun Kohs, die schon früher aus heutiger Sicht ein fragwürdiges Bild eines Mitglieds der zukünftigen, auf Atlantis herrschenden „Herrenrasse“ widerspiegelt – das Kommando übernimmt und den ihm körperlich, an Lebenserfahrung und zumindest Instinkt überlegenen farbigen Nimba mehr und mehr auf eine arrogante, überhebliche Art und Weise herumkommandiert. Wie in vielen der global spielenden, immer von den technischen Romanen unabhängigen Abenteuerstoffen gibt es ein oder zwei Identifikationsfiguren für die Leser, welche die exotischen Landschaften und die nicht immer bekannten Kulturen quasi vermittelnd vorstellen. Mit einer jungen, entschlossenen Frau, die schließlich die Liebe wieder entdeckt, ist es eine der wenigen dreidimensional gezeichneten weiblichen Figuren der Serie. 

Neu Guinea ist das nächste Ziel der „Weltreise“ in Sachen Abenteuer. Im Zweitteiler „Explosion an Bagger 7“ und „Volk unter Tage“ beschreibt Paul Alfred Müller nach einem von Sun Kohs Maschine verursachten Flugzeugabsturz den kontinuierlichen Diebstahl von Gold aus einer der Minen auf Neu Guinea sowie im fast bizarr erscheinenden zweiten Band „Volk unter Tage“ Nachkommen der Lemurianer. So finden sich in diesem siebenten Sammelband zwei eher obskure Thesen zu den Nachkommen der Atlanter wie auch Lemuria, wobei diese beiden untergegangenen Kontinente nicht selten auch unabhängig von der Perry Rhodan Serie, die wahrscheinlich durch Walter Ernstings Begeisterung für Sun Koh diese Facette wieder aufgenommen hat, als einer bezeichnet werden. Die kleinwüchsigen, aber weißhäutigen Einwohner Neu Guineas spielen um die Zukunft der Insel und vor allem die Freiheit von Sun Koh sowie seinem kleinen Team eine Partie Schach. Diese Idee eines Wettstreits mit unterschiedlichen Mitteln um die Freiheit ist nicht unbedingt neu. Selbst Karl May hat gerne mit seinen Ich- Erzählern sowohl in den Amerika Abenteuern als auch dem Orientzyklus auf diese Plot Komponente zurückgegriffen. Unabhängig von diesem bekannten Versatzstücke ist der zweite und abschließende Teil dieser „Sun Koh“ Episode aber nicht nur wegen der eingestreuten Hintergrundinformationen und weniger wegen der ethischen Spekulationen lesenswert und ein exzentrischer Höhepunkt dieses Sammelbandes.

Abgeschlossen wird der Sammelband „Das schwere Wasser“ durch drei der vier Romanteile eines interessanten Bindegliedes zwischen unter dem Meer liegenden Hochzivilisationen sowie der modernen Technik. Dabei scheint der Autor auf einen Roman von Walter Horst „Der versunkene Erdteil“ aus dem Jahre 1928 sich bezogen zu haben, wie Heinz Galle in seinem in dieser Hinsicht ausführlichen Nachwort herausarbeitet. Ein modernes U- Boot verschwindet in „Notboje auf dem Ozean“. Angeblich liegt es nur in einhundert Meter Tiefe, später wird es aber viele Meilen entfernt aus mehr als zweitausend Meter Tiefe – ein technisches Ding der Unmöglichkeit – nach oben gespült. Sun Koh macht sich wie auch einige andere Interessenten auf die Suche nach dem Boot in „Pyramide unter Wasser“, bevor er im dritten und letzten Heftroman „Harry Shurman funkt“ die Zeichen auf dieser Pyramide als eine Nachricht seiner atlantischen Vorfahren identifizieren kann. Paul Alfred Müller treibt den nicht uninteressanten Plot wieder durch Zeitungsmeldungen und Dialoge voran, wobei er auf drei Handlungsebenen arbeitet. Um den Mehrteiler abschließend beurteilen zu können, muss auf den folgenden „Sun Koh“ Sammelband zurück gegriffen werden, aber als wie schon eingangs erwähnt gute Mischung zwischen technologischer Spannung und den nach langer Zeit in Bezug auf den Gesamtplot herauf beschworenen Mythen eine unterhaltsame Geschichte, in welcher wieder die Amerikaner heimlich eines ihrer modernsten U- Boote verlieren und damit indirekt als Rüstungstreiber gebrandmarkt werden. Aber Müllers Spekulationen gehen noch bis zu einer Art Super U-Boot weiter, das nicht nur in Tiefen über dreitausend Metern eindringen kann, sondern die damalige Technik der Diesel bzw. Erdöl betriebenen Motoren - das Öl kommt vom Meeresgrund - in Kombinationen mit Batterien zu einem autarken Träger U Boot extrapoliert, das den Flair von Jules Vernes "Nautilus" endgültig abschüttelt und vor allem den modernen Atom U- Booten der Nachkriegszeit auf eine sepktakuläre Art und Weise vorgreift. 

Auch wenn viele exotische Schauplätze rund um die Welt besucht werden und Sun Koh einige handfeste Abenteuer inklusiv der effektiven Nutzung verschiedener Erfindungen erleben darf, erreicht der siebenten Sammelband unabhängig von der glänzenden Ausstattung, dem interessanten Nachwort und den zahllosen Abbildungen nicht die Qualität und vor allem Faszination des letzten Sammelbandes. Um die Nummer einhundert herum wirkt Paul Alfred Müller sowohl in der vorliegenden „Sun Koh“ Reihe als auch den „Jan Mayen“ Bänden ein wenig ausgeschrieben und greift nicht selten auf Handlungsabläufe zurück, die er schon im Verlaufe der bisherigen Hefte wenig variiert angewandt hat. Hinzu kommt, das die grundlegende Handlung – immerhin will Sun Koh, das Atlantis in diesem letzten Drittel der Serie aus den Fluten emporsteigt und der Menschheit leider neuen Lebensraum anbietet – nicht voran getrieben wird und sich alles zu sehr in zu vielen kleinen Episoden abspielt, die in sich geschlossen überzeugen, aber in Hinblick auf die ganze Serie eher wie die Quadratur des Kreises erscheinen. Bedenklich ist, dass Hal Marvin mehr und mehr vom arroganten Schnösel zu einer Art Miniarier wird, der Nimba herum kommandiert und teilweise schikaniert. Sun Koh tritt in einigen der vorliegenden Romane positiv für die Glaubwürdigkeit in den Hintergrund, so dass sich nicht immer wirklich dreidimensionale Nebenfiguren entwickeln können. Die technischen Aspekte stehen nicht so stark im Vordergrund – nur zwei allerdings stereotype Romane bieten „neue“ Ideen an und das gigantische Unterseeboot ist bislang ausschließlich als passiver Schauplatz eingesetzt worden – während die exotischen Abenteuer an eine Mischung aus Haggard, Robert Kraft und mehrfach dank des allerdings nicht religiös getriebenen Sendungsbewusstseins der Charaktere an Karl May erinnern.           

 

Band 7: Das schwere Wasser (Hefte 100–116, Nachauflage der Nr. 27 als Anhang, 495 S., 56 Abb.) — 27,50 € — ISBN 978-3-940679-84-0, Verlag Dieter von Reeken
Inhalt: 100 Der entführte Gefangene | 101 Diplomaten und Verbrecher | 102 Jack Dudle hat Erfolg | 103 Die schwarze Schnur | 104 Das zerbrechende Haus | 105 Minen unter Ophir | 106 Flucht aus dem Sklavental | 107 Das schwere Wasser | 108 Die verlorene Karawane | 109 Die klopfenden Geister | 110 Die brennenden Tempel | 111 Explosion an Bagger sieben | 112 Volk unter Tag | 113 Der Gefühlssender | 114 Notboje auf dem Ozean | 115 Pyramide unter Wasser | 116 Harry Shurman funkt

Anhang 1: Die sprechende Schleuse (Neufassung des Heftes 27 ab der 2. Auflage)
Anhang 2: Dokumentation zu den Sun-Koh-Heften 100–116
Anhang 3: Sun-Koh-Heft-Titelverzeichnis 1–150
Anhang 4: Sun-Koh-Leihbuch-Titelverzeichnis 1–37
Anhang 5: Sun-Koh-Taschenbuch-Titelverzeichnis 1–37