Stadt der Vergessenen

Stadt der Vergessenen, Titelbild
Stephen Blackmoore

Der deutsche Titel von “City of the Lost“ ist mit „Stadt der Verlorenen“ nicht ganz glücklich gewählt. Stephen Blackmoore wollte einen klassischen harten Film Noir Thriller verfassen, der mit übernatürlichen Elementen einer heute eher als Kultklassiker zu bezeichnenden Fernsehserie huldigt. Wie in Mannix geht es dem Autoren darum, einen im Grunde unbesiegbaren „Helden“ zu etablieren, der egal was ihm passiert, am Ende immer gewinnt und dabei die nicht immer klassischen oder klischeehaften Fälle löst. Die Position des unbesiegbaren Helden dreht er einfach um, in dem aus seinem Joe Sunday einfach einen Zombie auf der Suche nach dem eher typischen MacGuffin macht. Im Vergleich zu den klischeehaften Zombie Storys folgt Blackmoore eher der Wellington Linie, in dem er seine Untoten im Grunde menschlich macht. Die Unterschiede sind anfänglich rudimentär. Dadurch hat er auf der einen Seite mehr Möglichkeiten, den realistischen Hintergrund mit einer phantastischen Handlung zu mischen, auf der anderen Seite gibt er den Untoten mit der Suche nach einem bestimmten Artefakt auch eine Mission und kann dadurch vor allem seinen Plot deutlich besser für einen Erstling zusammenhalten.  Mit Joe Sunday verschiebt der Autor aber noch ein weiteres Element des Film Noir, in dem er einen Kleinganoven und nicht wie bei Mannix oder anderen Serien einen Detektiv, einen Schnüffler oder eine Art Held in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Joe Sunday ist ein Geldeintreiber. Einer der ganz harten, aber nicht sadistischen Sorte. Er betreibt seinen Job motiviert, aber nicht enthusiastisch. Folter gehört für ihn zur Tagesordnung und wenn er zum Feuerzeug oder dem Bolzenschneider greift, dann ist das handwerkliche Kunst. Sunday hat einen sehr langen Atem. Blackmoore definiert seinen Antihelden in erster Linie über dessen Handlungen. Für den ganzen Roman positiv verzichtet er darauf, einen aus der Art gefallenen Gestrauchelten zu definieren, der am Ende des Buches seinen Weg zurück zu den Guten findet. Die Beschreibung ist eher rudimentär, auf der anderen Seite aber auch für eine Serie sträflich oberflächlich. In der deutschen Übersetzung fehlt vor allem auch das Gefühl für die Stimmung des Film Noir, des Hardboiled Detektiv Romans, den Blackmoore neben den Anspielungen auf Mannix zu etablieren sucht. Diese Orientierungslosigkeit macht es dem Leser nicht leicht, in die Handlung einzutauchen. Das liegt weniger an mangelnden Informationen oder fehlenden Fakten, sondern an Blackmoore fehlender Erfahrung, ein Szenario dreidimensional zu öffnen.   Als Sunday schließlich als falscher Mann am falschen Ort natürlich zur falschen Zeit umgebracht wird, nimmt der Plot deutlich an Fahrt auf. Sunday wäre schon ein typisches Monster, das im Grunde niemand wirklich wieder beleben möchte. Warum wird allerdings zu wenig erklärt, da im Gegensatz zu zum Beispiel Stephen Kings „Pet Sematary“ die Veränderungen der Grundpersönlichkeit nicht weiter extrapoliert werden. Wenn aus einem Gewaltverbrecher, aber keinem grundlegenden Monster – da gibt es andere Beispiele in der Literatur – schließlich eine perverse Persönlichkeit werden würde, dann könnte der Leser diese fehlende Akzeptanz noch verstehen, aber hier wirkt die Ermordung Sundays und dessen Erwecken eher als notwendiges Konstrukt, um den Plot in Gang zu bringen. Zumal auch hier einige Klischees eingebaut worden sind. Im Hintergrund agiert Sundays Boss und die Mission fast aller lebender Toten auf der Suche nach dem angesprochenen Artefakt wird relativ schnell umrissen.

Auf dieser Mission wird Sunday schließlich vom Jäger zum Gejagten, wobei ihm seine bisherigen Fähigkeiten natürlich überdurchschnittlich gut zu Hilfe kommen. Natürlich gibt es auch eine entsprechende Deadline, mit welcher Blackmoore auf der einen Seite Spannung zu erzeugen sucht, während er auf der anderen Seite als erster Teil eine Serie dieser Aufbau unnötig ist. Um Sunday herum hat der Autor eine Reihe von exzentrischen, aber nicht uninteressanten Figuren etabliert. Da wäre ein junger Bruja, der sich mit dem Barkeeper gut versteht. Nur ist der Barkeeper ein Dämon und damit gleichzeitig für die Versuchung als auch die alkoholische Verköstigung zuständig. Blackmoore umschifft in dieser Hinsicht erstaunlich viele Klischees und versucht den Dämonen hinter der Theke eher als Stichwortgeber zu etablieren, was für die nächsten Romane wahrscheinlich relevanter ist als den vorliegenden Debütroman. Der alte Mann ebenfalls auf der Suche nach dem Stein – und das seit mehreren hundert Jahren – ist nicht unbedingt ein adäquater Antagonist. Viel mehr hätte Blackmoore mit ein wenig mehr Ruhe seinem ansonsten oberflächlich rasanten Buch einen entsprechenden Hintergrund geben können. So wirkt diese „Vorgeschichte“ eher pragmatisch und nicht immer ausreichend gut in die laufende Handlung eingebaut. Mit dem Nazi Arzt aus den Pulpfilmen der dreißiger Jahre rückt der Autor seine in einem fiktiven Los Angeles spielende Geschichte zu nah an die „Realität“ heran und verschenkt einiges an Potential. Zumal Blackmoore diesem Handlungsbogen nicht eine wirklich originelle Idee abgewinnen kann. Ebenfalls exotisch scheint der Handlanger mit dem kleinen Zwerg zu sein. Die Waffe des Zwerges sind seine messerscharfen Zähne, wobei diese Idee leider zu sehr an einige Exzesse aus der Roger Moore/ James Bond Ära erinnert und den spekulativen Realismus gänzlich zur Seite schiebt. Aus dieser Konstellation macht der Autor deutlich mehr, auch wenn Sunday an keiner Stelle der Handlung so sehr in Gefahr gerät, das der Leser um ihn bangen muss. Hier folgt der Plot zu sehr dem „Mannix“ Effekt.  Egal wie stark die Herausforderung ist, Sunday wird wie Mannix überlegen. Die hübsche, nicht vertrauenswürdige Frau schließt den Kreis der potentiellen Verdächtigen/ interessierten zufriedenstellend bis gut ab.  Nicht nur auf die Femme Fatale zurückgreifend versucht Blackmoore sie ambivalent zu beschreiben und aktiv in das Geschehen einzubinden.  Was Blackmoore aber von vielen Autoren positiv unterscheidet ist, dass seine eher grauen Protagonisten oder Antagonisten nicht immer menschlich sein müssen, um „menschlich“ in beiden Richtungen zu agieren. An einigen Stellen entfernt sich Blackmoore sehr positiv von den Vorgaben des Genres – sowohl Hardboiled als auch Zombie -, um dann abschließend als Schwäche eines typischen Erstlings Kompromisse einzugehen. So zerfällt Sunday anfänglich nicht und könnte als Zombie weiterleben. Nur braucht er später den Stein, um nicht vorzeitig sterben und damit auch wieder zerfallen zu müssen. Dieser Bogenschlag wirkt bemüht.

Neben den angesprochenen, von Blackmoore widerwillig, aber später spürbar bedienten Klischees und dem fehlenden, nachhaltigen Handlungsaufbau ragen aber die zahlreichen, nicht immer angenehmen Actionszenen aus dem Handlungsaufbau positiv heraus. Wie Wellington und damit auch mit Abstrichen Pitts „World War Z“ bemüht sich der Autor, als erstes einmal einen rasanten Actionroman weniger mit flotten Sprüchen, als originellen, teilweise brutalen Szenen zu schreiben, dessen Hintergrund dann nach und nach in die laufende Handlung eingebaut wird.  Auch wenn der Plot den Leser anfänglich gleich packt, wirkt der Lesefluss teilweise durch Blackmoores Versuch, zu viele nebensächliche Informationen gleich zu Beginn zu präsentieren eher gehemmt und die deutsche, zu sperrige und vor allem die Atmosphäre unterminierende Übersetzung im Vergleich zu den Originalen erschwert es deutlich, in diese Welt einzusteigen. Die Balance aus Bekannten und „Neuem“ stellt vor allem für einen Erstling zufrieden und mit dem Antihelden Sunday verfügt Blackmoore über eine Figur mit sehr viel Potential, das er aber in nuancierter und „freier“ von erkennbaren Vorlagen gestalteten Fortsetzungen noch teilweise heben muss.                  

 

  
ÜbersetzungThomas Schichtel
Seiten288
EAN9783404207886
Sprachedeutsch
erschienen beiLübbe
Erscheinungsdatum15.05.2015
UrsprungstitelCity of the Lost
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