Grave Descent

Grave Descent, John Lange, Thomas Harbach, Rezension
John Lange (Michael Crichton)

Wenn am Ende einer der überlebenden Protagonisten dem auf Jamaica lebenden Taucher und Amerikaner McGregor die Bedeutung hinter dem seltsame Schiffnamen „Grave Descent“ erläutert, dann erwacht ein früher Michael Crichton zum Leben. „Grave Descent“ ist der siebente von insgesamt acht John Lange Romanen, die Crichton auch zur Finanzierung seines Studiums nach dem Motto, kurzweilige oberflächliche Spannung zu präsentieren, relativ schnell heruntergeschrieben hat. Im Gegensatz zu einigen anderen John Lange Romanen – bei einer Veröffentlichung hat Crichton für die Neuauflage im Rahmen der Reihe Hard Case Crime ein neues einleitendes und ein die Handlung abschließendes Kapitel verfasst – hat Crichton im Epilog seinem Protagonisten aber zumindest ein Motiv außerhalb der Geldnot geboten, um bei der Stange zu bleiben. Ohne zu viel zu versprechen macht diese Idee rückblickend sogar Sinn. In Crichtons Nachlass ist noch der Piratenroman „Gold“ gefunden worden. Er spielt ebenfalls in dieser insbesondere für Touristen so faszinierenden Region und wenn ein Leser die Beschreibungen der Landschaft sowohl in „Gold“ wie auch „Grave Descent“ vergleicht, dann fällt auf, dass Crichton seinen unterhaltsamen, unterschwellig aber auch manchmal ein wenig belehrenden Tonfall niemals gänzlich zur Seite gepackt hat. Das ist nicht negativ gemeint, da insbesondere die Entwicklung von überzeugenden dreidimensionalen Charakteren selten zu den Stärken seiner langen, erfolgreichen und vor allem von Ideen per se ausgezeichneten Karriere gehört hat. Crichton lebt vor allem auf, wenn er dynamisch actionorientiert schreiben und seine geschundenen Protagonisten in Bewegung halten kann. Vieles scheint er in der John Lange Schule des Schreibens gelernt zu haben, denn „Grace Descent“ zeichnet nicht nur ein hohes Tempo aus, sondern ist eine Bühne von Schauspielern. Jeder spielt hier seine Rolle. Selbst die Polizei setzt auf die Selbstheilungskräfte McGregors, der ihnen durch eine 48 Stunden Frist – offiziell ist er im Gefängnis – die Arbeit abnehmen soll. Es gibt keine klassischen Helden, aber mit einer Mischung aus exotischem Abenteuer und handfester krimineller Energie hat Crichton ein lesenswertes Garn erschaffen.

Es ist auch ein typischer Roman der siebziger Jahre, in denen das Verbrechen immer internationaler geworden ist, wobei insbesondere der Anhang mit den Nazis und ihren aus Afrika gestohlenen Schätzen ein wenig zu abgehoben erscheint. Mit dieser unnötigen Erklärung schindet der Autor einige Seiten, aber es spielt keine echte Rolle, da die Wurzeln allen Übels die  alten Familien sind. Der Taucher McGregor ist mehr oder weniger abgebrannt. Ihn sucht der Versicherungsvertreter Wayne auf. Er soll zu einer gerade gesunkenen Jacht tauchen, um dort nach der Unglücksursache zu suchen. Das Schiff soll einem reichen Industriellen gehören. Auf der Überführung von Europa ist es mit der Freundin des Mannes an Bord gesunken. Bei seinen ersten Gesprächen mit der Crew stellt McGregor einige Ungereimtheiten fest. Crichton bemüht sich umfänglich, den Plot entsprechend zu entwickeln und McGregor bei der Stange zu halten. Das ist auch notwendig. Sollte er trotz der zahlreichen Lunten an einer Stelle abbrechen, dann gäbe es keinen Plot mehr. Die Geschichten scheinen genauso wenig die der Versicherungsvertreter zu stimmen. Als er die Jacht dann auch noch vor dem Haus schwimmen sieht, weiß er, dass die ganze Geschichte gelogen ist. Bevor er wieder aufbrechen kann, wird das Schiff vor seinen Augen versenkt.

    James McGregor ist kein unbeschriebenes Blatt, aber wie es sich für diese Machounterhaltungsliteratur gehört, ist er einer der „Guten“ in diesem Nest aus Krokodilen. Er weiß, dass eine Falle auf ihn wartet. Er weiß aber nicht, welche Art der Falle. Für ihn ist es ein perfides Spiel, möglichst viele Informationen von der Gegenseite zu erhalten, um sich ein abschließendes Urteil zu erlauben. Auf der anderen Seite muss die Gegenseite bestehend nicht nur aus dem Versicherungsvertreter, sondern auch einer hübschen Frau mit einem Hang zu exotischen wie gefährlichen Tieren und einem halbseidenen Geschäftsmann in seiner Villa aus nicht weiter geklärten Gründen auf ihn Rücksicht nehmen. Der komplizierte und teilweise oberflächlich geplante Coup dahinter kann nicht der abschließende Grund sein. Wenn man nur die Gegenseite – die Männer hinter den Männern – täuschen will, dann macht man zu viele Fehler. Es ist nicht notwendig, einen Zeugen wie den Taucher McGregor anzulocken und dann wieder zu töten. Das hätte auch ohne ihn funktioniert. Auch die Idee, den Safe aus dem Schiff zu bergen, macht nur wenig Sinn, wenn man das Schiff auch ohne Safe an einer anderen Stellen hätte sinken lassen, wo es keine Chance auf Bergung gegeben hätte.  Auch hätte das Schiff diskret die Hoheitsgewässer Jamaicas durchlaufen und schließlich wieder abdrehen können, ohne dass jemand es gemerkt hätte. Der Plot ist zu kompliziert angelegt, um angesichts des auf den ersten Blick Missverhältnisses zwischen einer Geldwäsche, einem Versicherungsbetrug und einer wertvollen Ladung mit diesem Maximierungsgewinnverhältnis funktionieren zu können. Das Geld wird ja nicht wirklich gewaschen, sondern das Schiff wird durch die Versenkung quasi in Versicherungsgeld umgetauscht, wobei das eigentliche Gut weiterhin nicht auf den Schwarzmärkten verwertbar ist. Ohne sollte der Epilog stimmen, so haben die Schurken sehr viel Wind um im Grunde nichts gemacht. Da helfen auch die  umständlichen Erklärungen nichts. Crichton hat sich ein wenig mit den Geldwäschern beschäftigt, kann aber diese Informationen im Vergleich zu den ansonsten solide recherchierten historischen oder geographischen Exkursionen nicht effektiv genug anbringen. Es scheint unwahrscheinlich, dass ein gescheiterter, vielleicht sogar arrogant selbstverliebter Mann so weit geht, um ein geschäftliches Ziel zu erreichen und mit seinem persönlichen „Vermögen“ zu vermischen. Dazu fehlt ein gemeiner Hintergrund, den Crichton bei einer sorgfältigeren Ausarbeitung des Plots über das Rudimentäre hinaus ohne Frage hätte anbieten können und vielleicht rückblickend auch müssen. 

Während die Skizzierung der handelnden Personen eher einfach ist und nicht selten unterschiedliche Klischees abgedeckt werden, hat Crichton eine Reihe von exotischen Abenteuerklischees aneinander gereiht und arbeitet diese in rascher Folge ab. Neben den verschiedenen Tauchgängen nahe am Riff in gefährlichen, natürlich von Haien versuchten Wasser findet der Leser ohne chronologische Abfolge das Aussetzen McGregors in Krokodilcountry; eine Kneipenschlägerei; das Ausschalten von vier- fünf Handlangern, die schwer bewaffnet die losen Enden arrogant und sich selbst überschätzend abschneiden wollen; zwei Femme Fatales und schließlich das finale Feuergefecht, das ein wenig zu theatralisch erscheint und McGregor die zweite Chance eröffnet. Dabei wird der Protagonist mehrfach verletzt. Crichton hat seine Figur als eine Art James Bond ohne Lizenz zum Töten angelegt, der absichtlich auf das falsche Spiel seiner Partner eingeht. Wenn er nachts davor gewarnt wird, das man beim Tauchen auch ums Leben kommen kann, dann überspannt der Amerikaner aber seinen erzähltechnischen Bogen, so dass er unglaubwürdig erscheint und seinem Roman ein wenig das hohe Tempo nimmt. Auch die potentielle Gegenseite präsentiert sich eher opportunistisch als ambitioniert.

„Grave Descent“ erfüllt alle Voraussetzungen einer kurzweiligen Lektüre. Exotischer Hintergrund, pragmatische, nicht unsympathische, aber auch nicht nachhaltig genug herausgearbeitete Protagonisten und schließlich einen Plot, der aufgrund der Komplexität gegen alle Logik für sich sprechen muss. Kurzweilige Lektüre, wie man sie heute nur noch selten bekommt. Im Gegensatz zu einigen anderen John Lange Büchern ist der Roman mehrfach in den letzten Jahrzehnten nachgedruckt und sogar für einen EDGAR – der Preis der Mystery Autoren - nominiert worden. Auch in Deutschland erschien das Buch unter dem Titel „Mordtaucher vor Jamaica“ in den siebziger Jahren.       

 

Hardcase Crime, 204 Seiten

October 2013
ISBN: 978-1-78329-124-3
Cover art by Gregory Manchess

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