Die Spur

Die Spur, Richard Laymon, Thomas Harbach, Rezension
Richard Laymon

“Die Spur” (im Original “No Sanctuary“) ist der erste Roman, der nach Richard Laymons zu frühem Tod von seinem literarischen Nachlassverwalter Dean Koontz im Jahre 2001 publiziert worden ist.  Richard Laymons umfangreiches Gesamtwerk zerfällt qualitativ in klar zu unterscheidende Teile. Auch wenn Kritiker immer davon sprechen, dass der Splatterpunk immer wieder die gleichen Themen aufgegriffen und nur variiert hat, überzeugen seine frühen Arbeiten deutlich mehr als seine späteren Romane. Vor allem zeigt sich in den teilweise hastig niedergeschriebenen Büchern, dass es ihm weniger um rote Fäden oder vor allem Abschlüsse der Plots gegangen ist. Richard Laymon gehört wie teilweise auch Stephen King zu den Autoren, die sich von der Dynamik der von ihnen entwickelten Plots buchstäblich mitreißen lassen, sie aber nicht nachhaltig genug abschließen können. Vor allem die Epiloge stellen nicht immer zufrieden, so dass in erster Linie der Aufbau und die Positionierung der einzelnen „Opfer“ aus der subjektiven Perspektive des Täters eine wichtige Rolle spielt. Leider ist „Die Spur“  in dieser Hinsicht anders aufgebaut. Es ist müßig zu diskutieren, ob Richard Laymon wie bei einigen anderen, deutlich gelungeneren Büchern aus seiner Feder eine neue, ambitioniertere Richtung einschlagen wollte oder er nicht die Brechstange gefunden hat, um die Handlung in Gang zu setzen. Auf jeden Fall passiert bis zur Hälfte des vorliegenden Buches in Bezug auf die vor Laymons Werk so bestimmende Gewalt herzlich wenig. Ein stärkerer, sich auf seine Protagonisten konzentrierender Autor hätte aus dieser Prämisse sehr viel mehr machen können. So erfordert „Die Spur“ sehr viel Geduld. Am Ende belohnt Laymon ohne Frage seine Leser mit einem soliden Finish und vor allem einem überzeugenden, von ihm auch konzentriert geschriebenen Ende, aber es ist ein weiter Weg.

 Rick hat sich schweren Herzens entschlossen, mit seinem natürlich heißen Freundin Bert (Bertha) campen zu gehen. In seiner Jugend ist seine Stiefmutter bei einer Campingexpedition vergewaltigt und schließlich sogar ermordet worden. Richard Laymon baut die berechtigte Paranoia in Rick sehr gut auf. Während bei vielen seiner Romane die Gefahren buchstäblich aus dem Nichts kommen und seine Figuren unvorbereitet treffen, kann sich Rick relativ schnell in diese bislang theoretische, in einem Laymon Roman aber immer konkrete Gefahr hereinsteigen. Wenn Rick und Berta dann auch noch auf zwei natürlich ebenfalls sehr attraktive Camper namens Andrea und Bonnie treffen, schwinden seine Ängste zu Gunsten einer kontinuierlichen sexuellen Erregung. 

Es ist der zweite Handlungsbogen, welcher schließlich zur Katastrophe führt. Gillian O Neill ist eine verwöhnte junge Frau aus einem sehr guten Elternhaus mit einem seltsamen Hobby. Sie bricht liebend gerne in leerstehende Häuser ein und macht sich in der Abwesenheit der Besitzer buchstäblich breit. Natürlich sucht sie sich das falsche Haus aus. Während sie es auf einen Mann aktiv abgesehen hat, hat sie sich das Haus eines Serienmörders ausgesucht, der am liebsten Frauen entführt, missbraucht und ihre Leichen in den Wälder verscharrt, in denen sich natürlich Rick, Bert, Andrea und Bonnie aufhalten. Die Konfrontation ist unausweichlich. 

 Der Auftakt des Romans entspricht manchem Klischee, aber Richard Laymon kann aus diesen bekannten Versatzstücken im Grunde das meiste machen. Sie versteckt sich unter dem Bett, als ein Einbrecher sich in ihrer Wohnung befindet. Diesen Auftakt könnte Laymon mit seiner verdrehten Protagonistin O´Neill spiegeln, die als Frau allerdings mit anderen Absichten ja auch in die Häuser eindringt. Leider fehlt dem Autoren in dieser Hinsicht das Fingerspitzengefühl, um diese Doppelungen auch spannungstechnisch effektiv einzusetzen. Nach dem soliden, für Laymon so typisch dynamischen Auftakt verliert er ein wenig den roten Faden, in dem er auf zu vielen Hochzeiten zu gleich zu spielen beginnt. Rick steigert sich zu sehr in den Phantasien von im Wald campenden Vergewaltigern. Wenn schließlich die abschließende Bedrohung nicht nur von einer Seite kommt, sondern überambitioniert sich aus zwei Ecken manifestiert, hat der Leser zu viele falsche Spuren gelesen, um wirklich nachhaltig noch beeindruckt oder gar eingeschüchtert zu sein. Die Gespräche zwischen Beth und Rick, nicht selten endend in allerdings erotisch geschriebenen Sexszenen, sind zu oberflächlich und wirken zu gestelzt,  um überzeugen zu können. Auch springt der Funke nicht wirklich über. Richard Laymon kann vor allem bodenständige, nicht dumme und dreidimensionale Frauen beschreiben, die sich nicht selten mit einer Mischung aus Instinkt und Bauernschläue gegen körperlich überlegene Gegner durchsetzen können. Dabei wirken sie weniger wie Superheldinnen, sondern zeigen auch ihre Ängste. Aber sie lassen sich von den Bedrohungen einschüchtern, niemals im Vergleich zu vielen anderen sadistischen Horrorsplatterbüchern brechen. Diese Stärken vermisst man vor allem im ersten Teil der Handlung. Es gibt weder starke Frauen noch überzeugende Männer. Bert hätte dieser Anker sein können, aber da sie ausschließlich aus der Perspektive des paranoiden wie winselnden Freundes inklusiv ausreichend Hinweise auf ihre Brüste beschrieben wird, springt der Funke nicht über. Warum die beiden überhaupt befreundet sind, erschließt sich dem Leser nicht, da Laymon vergessen hat, Rick vor dem Ausflug als vielleicht normalen jungen Mann mit einem schrecklichen Erlebnis in der Vergangenheit zu beschreiben. Auch die Beziehung zwischen Gillian und ihrer neuen Flamme Jerry wirkt aufgesetzt. Sie ist ein Adrenalinjunkie, während Jerry zu eindimensional ist. Vor allem nimmt dieser Handlungsbogen zu viel Raum ein, während die Zuführung zu den anderen Campern im Walde zu offensichtlich ist.

 Anstatt dann sich auf einen überzeugenden, vielleicht klischeehaften, aber dreidimensionalen Antagonisten, einer schwierig zu verteidigenden Umgebung und einem finalen direkten Showdown zu konzentrieren, führt Laymon zusätzlich und überflüssig eine Art Ablenkung mit dem Waldmenschen Angus ein.  Angus wirkt wie ein Fremdkörper im Handlungsbogen, da sein Auftritt zu wenig vorbereitet wird. Laymon ist überzeugend, wenn er weit in den verdrehten Geist seines Psychopathen eindringt. Die Romane, die sich mit menschlichen Abgründen und weniger übernatürlichen Monstern auseinandersetzen, gehören ohne Frage zu seinen stärksten, vielschichtigsten Arbeiten. Dabei braucht die grundlegende Handlung nicht einmal besonders originell zu sein. Es reicht eine Abfolge von Actionszenen in Kombination mit einer soliden, überzeugenden Zeichnung der Figuren.  Am Ende finden sich mehr potentielle Psychokiller und Vergewaltiger im Wald als das ganze Buch Opfer hat. Da Laymon keine Parodien auf das Horror Genre schreiben kann, wirkt die Handlung trotz der spät, vielleicht zu spät einsetzenden Dynamik überdreht und unrealistisch. Es fehlt der Humor und irgendwann nach dem fast immer stereotyp gleichen Auftreten der Massenmörder auch das Interesse.

  Zusammengefasst setzt sich „Die Spur“ aus zu vielen bekannten Versatzstücken aus Laymons umfangreichen Werk mit zu schwachen Charakteren und dem angesprochenen Hang zum Übertreibung während der letzten fünfzig Seiten zusammen. In diesem Handlungsabschnitt wäre weniger mehr gewesen und vor allem hätte er auch die inneren Spannungen zwischen den einzelnen Figuren ausbauen müssen, um die auf den ersten Blick vorhandene Dynamik zu forcieren und das Schicksal der nur wenigen Normalen für den Leser greifbarer zu machen. In der vorhandenen Konzeption ist „Die Spur“ eines der schwächsten Laymon Bücher. Traurig ist, dass es sich um die erste Veröffentlichung nach seinem viel zu früheren Tod gehandelt hat.

 

  • Taschenbuch: 480 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (8. September 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453676467
  • ISBN-13: 978-3453676466
  • Originaltitel: No Sanctuary
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