Das verlorene Eden 3- Magda und Ben

Thomas Thiemeyer

Mit „Magda und Ben“ schließt Thomas Thiemeyer seine Jugendbuchtrilogie um das verlorene Eden zufriedenstellend ab. Während die ersten beiden Romane vom Beginn einer Liebe in Zeiten der sich aufgrund eines Virus abgrundtief hassenden Männer und Frauengesellschaft  berichten, geht Thomas Thiemeyer nicht nur chronologisch einen anderen Weg. Er erzählt stellvertretend am Beispiel von Magda und Ben, wie eine zumindest auf den ersten Blick perfekte Beziehung zwischen jungem Mann und junger Frau durch Kommerzsucht der Pharmakonzerne schließlich zerbricht, zerbrechen muss. Damit legt der Autor die Basis für die dunkle Zukunft, die er in den ersten beiden Romanen der Trilogie ausführlich beschrieben hat. Nicht nur die Grundlage, sondern er gibt dem Leser zusätzlich Orientierungsmöglichkeiten, da er örtlich Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet. Madga und Ben haben sich über 65 Jahre gar nicht zu weit von der Stadt entfernt, in der sie aufgewachsen sind.

Ben liebt Ritterspiele und Madga. Obwohl sie fast noch minderjährig sind, leben sie in der Zweitwohnung von Bens Vater – er arbeitet an einer Klinik in leitender Position – wie ein altes Ehepaar zusammen. Thomas Thiemeyer macht sich ein Vergnügen daraus, gegen die Klischees von den Verantwortungslosen und in den Tag hinein lebenden Jugendlichen anzuschreiben und die beiden als ideales, aber auch stellenweise idealisiertes Liebespaar zu beschreiben. Ihre Freunde entsprechen schon eher den Vorstellungen einiger insbesondere erwachsener Leser. In diese Idylle dringt die Kunde eines geheimnisvollen Virus, der wie die Vogelgrippe sowohl in der Tschechei als auch in den Niederlanden ausbricht, wo er von Forschern gegen die Warnung insbesondere auch der amerikanischen Behörden entwickelt worden ist. Impfungen sollen helfen. Allerdings wird Ben von seinem Vater gewarnt, dass die Folgen unabsehbar sein sollen. Thomas Thiemeyer zeichnet den Ausbruch der Seuche dreidimensional, drastisch und effektiv. Einen klassischen Spannungsbogen kann der Autor für Kenner der Trilogie nicht aufbauen, da die Auswirkungen der Seuche – Männer und Frauen beginnen sich zu hassen und gegenseitig zu töten, ein Zusammenleben im herkömmlichen Sinne wird unmöglich gemacht – bekannt sind. Wie bei einem Puzzle fügt er  elementare Hintergrundinformationen hinzu und schließt den im Auftaktband angefangenen Handlungsbogen um die dort eingeführten Protagonisten Ben und Magda da. Vielleicht orientiert sich Thomas Thiemeyer ein wenig zu sehr an dem im Roman selbstironisch hinterfragten Klischee der Gegensätze, die sich anziehen. Wahrscheinlich ist es auch Zufall, dass insbesondere Magda als Mädchen/ junge Frau einen umfangreicheren „Reifeprozess“ durchlaufen muss,  als Ben, der sich dank seines Hobbies den zukünftigen archaischen Zeiten angepasst hat. Umgekehrt würde die Charakterentwicklung den typischen Klischees entgegenlaufen. Ben ist bodenständig, treu, liebenswert, vielleicht ein wenig naiv. Magda dagegen ist eher ein sich schick kleidendes Modepüppchen – dabei stammt Ben aus dem offensichtlich reicheren Elternhaus -, das einen eigenen Blog betreibt und die Nase außer in der Beziehung zu Ben ein wenig hoch zu tragen scheint. Auf der anderen Seite arbeitet sie in ihrer Freizeit in der Klinik von Bens Vater und ist auf der Station nicht nur äußerst beliebt, sie scheut sich auch nicht, die Schmutzarbeiten zu machen. Thiemeyer bewegt sich ambivalent vorsichtig hinsichtlich ihrer Charakterisierung. Auch wenn die in der Zukunft in Ehren gereifte, ergraute Magda sich selbst in ihrer Jugend als oberflächlich und selbstsüchtig abqualifiziert, versucht Thomas Thiemeyer in der Vergangenheitshandlung dieses Bild schon zu relativieren. Die Unterschiede sind bei genauerem Hinsehen weniger drastisch als angenommen. Der Autor vermeidet es, in der  Gegenwartshandlung mehr zwischengeschlechtliches Konfliktpotential aufzubauen als notwendig. Es geht darum, eine unkonventionelle aber auch reine idealisierte Liebe zu beschreiben, die vom Virus auseinandergebrochen worden ist. Die aber auch in der sich später zurück wandelnden Zukunft wieder zusammengeführt werden kann.  Auch Ben ist in den fast sechzig Jahren gereift, aber Magda gewinnt als Persönlichkeit, wobei sie in der Vergangenheit deutlich präsenter ist als in der Zukunft, welche den zweiten Teil des Romans dominiert.

Als Abschluss der Trilogie konzentriert Thomas Thiemeyer einen wichtigen Teil des Geschehens zwar auf „Madga und Ben“, er führt auch Gwen und Logan sowie im Hintergrund David und Juna wieder zusammen. Da das Spektrum des vorliegenden Romans deutlich breiter als bei den ersten beiden Trilogieteilen ist, kommt die Liebesgeschichte ein wenig zu kurz. Auf der anderen positiven Seite kann Thomas Thiemeyer auf die Phase des Kennenlernens gegen die Stammessitten und Regeln verzichten.

Die Nebenfiguren werden solide beschrieben. Hier greift Thomas Thiemeyer nicht nur auf seine bisherigen Vorarbeiten in den ersten beiden Teilen der Trilogie zurück, sondern lässt Logans Vater aus seiner Lethargie erwachen. Mit dem Sohn des Statthalters wird ein ausreichend schmieriger, feiger und hinterhältiger Antagonist präsentiert, dessen grausames Schicksal nur konsequent ist, aber auch zahlreiche Klischees bedient.  In diese Kerbe fällt auch die Idee, dass Männer sich jedes Mittels bedienen, um an der brüchigen Macht zu bleiben, während die Frauen die reiferen Anführerinnen sind. Insbesondere im vorliegenden Abschlussband bedient sich Thomas Thiemeyer hinsichtlich des Geschlechterkonfliktes unabhängig von den individuellen Liebesgeschichten manchem Klischee und in Kombination mit den teilweise zu konstruiert erscheinenden Schurken hätte ein wenig mehr inhaltliche Originalität dem Roman gut getan.

Handlungstechnisch dominieren zwei Actionabschnitte den Roman. In der Gegenwart das Ausbrechen der Seuche, das der Autor mittels Gewaltausbrüchen bei alltäglichen Situationen – hier sei die Sequenz auf den Zehnmetersprungturm expliziert hingewiesen -, sowie in der Zukunft die Entscheidungsschlacht zwischen den die alte Stadt verteidigenden Männern und den entschlossen die Männerplage in den Griff zu bekommenden Frauen. Ohne in Sadismus zu verfallen, beschreibt Thomas Thiemeyer die Kämpfe erbarmungslos und realistisch. Der Leser fühlt sich manchmal an einen Fantasy- Romane erinnert. Dabei schließt sich der Kreis zur Auftaktsequenz mit den mittelalterlichen Spielen, an denen Ben teilnimmt und die selbst das Fernsehen anlockt. Überzogen und handlungstechnisch im Grunde kaum integriert wirken die unter der Siedlung der Männer lebenden Bleichen mit ihrer an Insektoidehierarchien erinnernden Königin. Sie wirken in dem ansonsten eher realistisch extrapolierten Szenario wie Auswüchse aus dem „Maddrax“ Universum. Zwar bemüht sich der Autor ihre Entstehung für den Leser nachvollziehbar zu beschreiben in die Handlung selbst kann er sie wenig integrieren. Die Opferung von Logans Bruder und Vater dient eher als Seitenfüller, um das Zusammenarbeiten von Logan und Gwen während der langen Kampfsequenz zu beschreiben.   

Ohne Frage ist der vorliegende Band ein zufriedenstellender Abschluss einer auf einer futuristischen „Romeo und Julia“ Legende basierenden Saga. Der Leser fragt sich vielleicht, wie das Virus nach sechzig Jahre allmählich verschwinden kann, während es ja vorher die Menschen innerhalb von wenigen Tagen und dann über Jahrzehnte entzweit hat. Hier vermisst man genauere Informationen. Die beiden unterschiedlichen Kulturen – martialisch männlich und emotional gemeinschaftlich weiblich – sind gut beschrieben worden, wobei Thomas Thiemeyer die offensichtliche Homosexualität in beiden Lagern vorsichtig relativierend beschreibt. Wie schon angesprochen überzeugen in allen drei Romanen die Liebespaare, wobei der Autor nach dem sich aus dem ersten Band mit umgekehrten Vorzeichen spielenden Szenario im Mittelteil der Trilogie den Plot umgedreht und eine sich entzweiende Liebe für „Magda und Ben“ in den Mittelpunkt der Handlung gestellt hat. In einigen Szenen – das gilt für alle drei Romane der Serie – macht es sich der Autor ein wenig zu einfach, um vordergründig Spannung zu erzeugen, die hintergründig fast die Charakterentwicklung negiert. Zusammengefasst aber stellt „Das verbotene Eden“ eine unterhaltsame, empfehlenswerte Arbeit da, die vielleicht junge Mädchen mehr ansprechen wird als die technokratisch orientierten Jungen, zumal über alle drei Bände gesehen, die Männer im Allgemeinen mit Ausnahme der in Punkto Mut, Entschlossenheit oder Emotionen latent überzeichneten Helden deutlich schlechter weg genommen als die nicht immer zimperlichen oder manchmal zickigen Frauen.             

 

 

Hardcover, Knaur HC
01.08.2013, 448 S.
ISBN: 978-3-426-65328-9