Falsche Mesonen

Paul Alfred Müller

Mit “Falsche Mesonen” legt der Dieter von Reeken nach dem Projekt “Kim Roy- Der Herr der Zukunft” als Gemeinschaftsproduktion von SSI und p-machinery einen weiteren Roman aus dem Nachlass Paul Alfred Müllers vor. Herausgeber Heinz J. Galle geht in seinem ausführlichen Nachwort noch auf die Entstehungsgeschichte des vorliegenden in Afrika spielenden Romans ein.

Unter dem Pseudonym Werner Keyen hat Müller zwischen 1958 und 1959 vier Romane für den Borgmüller- Verlag geschrieben. Dieser  fünfte nicht mehr veröffentlichte Roman basiert wie einige andere der Keyen- Taxte auf Ideen aus der “Sun Koh” Serie. In diesem Fall Ausgabe 79 bis 82, die 1959 ebenfalls als “Der Kaiser von Afrika” in Buchform erschienen sind. Trotzdem hat Paul Alfred Müller den Plot umfangreich überarbeitet und in mehrfacher Hinsicht des Unruhen im sich von der Kolonialherrschaft passiv durch Freigabe der Mutterländer oder aktiv durch verschiedene Aufstände und Putsche befreien Afrika angepasst. Dieter von Reeken spricht in seinem kurzen, einleitenden Vorwort von Paul Alfred Müllers Argumentation auf Boulevardzeitungsniveau sowie die abfälligen Bemerkungen gegenüber Farbigen an sich - dabei dreht Müller in einer interessanten zwischenmenschlichen Wendung das Verhalten der weißen Sklavenhalter einfach um und lässt die Farbigen die natürlich weißen und attraktiven Frauen zwischen den Oberschichten “kreisen - sowie dessen positiver Haltung gegenüber der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Apartheidpolitik in Südafrika an. Schon in seinen ersten “Sun Koh” Romanen hat Müller lange vor der genetischen Reinigung durch die Nazis oder dem Druck der Zensur Vorurteile gegenüber Mitgliedern anderer Rassen integriert, auch wenn er mit dem ehemaligen Boxer und treuen Sun Hoh Helfer einen Farbigen beschrieben hat, der absichtlich mit diesen den Farbigen entgegen gebrachten Klischees spielte. Ohne den Autoren in Schutz zu nehmen, überschreitet Paul Alfred Müller in “Falsche Mesonen” keine Grenze der damaligen Trivialliteratur. Seine Position gegenüber der Apartheid, die vom neuen Kaiser von Afrika subversiv mittels eingeschleuster Truppen aufgelöst und zumindest in der Theorie gegen eine neue Schreckensherrschaft eines am Rande des Wahnsinns entlang taumelnden Diktators ersetzt worden ist, ist fragwürdig. Auf der anderen Seite gehörte Südafrika dank dieser zweifelhaften Politik in einem sehr unruhigen Afrika zu den wirtschaftlich sich in westlicher Hinsicht entwickelnden Ländern. Auch die Äußerungen gegenüber der Entwicklungshilfe müssen relativiert werden, da sie nicht selten den Kern der damals wie heute verfehlten Politik treffen, die weniger Hilfe zur Selbsthilfe gibt als versucht, schlechte Gewissen mittels Geld zu beruhigen. Immer noch aktuell sind die Äußerungen hinsichtlich der vielen kleinen korrupten Staatsherren, die sich zu Lasten des eigenen Volkes die Taschen füllen und dem drang, eine schlechte Regierung durch eine noch schlechtere Herrschaft zu ersetzen. Die Idee, Afrika unter einer Führung zu einen, funktioniert bei Paul Alfred Müller nur kurzzeitig. Erst am Ende spricht er nicht nur die unterschiedlichen Stammesauffassungen an, er entlarvt den potentiellen Überamerikaner als Scharlatan, der aus den Staaten nach Afrika gegangen ist, um seine Machtphantasien - sowohl den Staaten als auch den Frauen und schließlich der ganzen Welt gegenüber - zu befriedigen. Während der politische Hintergrund vielleicht für einen Unterhaltungsroman ausgesprochen pessimistisch , aber aus heutiger Sicht deutlich realistischer als vielleicht in den sechziger Jahren beschrieben worden ist, überzeugt “Falsche Mesonen” trotz eines teilweise belehrenden Tonfalls sowohl auf der utopisch technischen Ebene - hier karikiert Paul Alfred Müller nicht nur das Wettrüsten, das absurde Exzesse erreichte, sondern kritisiert die Wissenschaftler angesichts zahlloser Patente, den Weg des “geringsten Widerstandes” zu gehen - als auch für einen Müller Roman so typisch der persönlichen Ebene.

Egal welches Thema Paul Alfred Müller in seinen Arbeiten angreift, die emotional “familiäre” Handlungsebene spielt positiv wie teilweise allerdings auch angesichts des begrenzten Romanumfangs negativ eine wichtige, eine elementare Rolle. Über Einzelschicksale definiert der Autor schließlich das Schicksal der Welt und damit auch seinen Handlungsverlauf. Interessanterweise greift Müller auf ein Grundmotiv aus Alexandre Dumas “Der Graf von Monte Christo” zurück, in dem er einen “Unschuldigen” nach Erlandung unbegrenzter Geldmittel Rache an den Tätern nehmen lässt.        

Der Wissenschaftler Phil Kane experimentiert mit Halbleitern. Aus ihnen möchte man die Mesonen quasi als Ersatz für die Atomspaltung wahrscheinlich zu friedlichen Nutzung und Lösung aller Energieprobleme extrahieren. Bei einer Explosion kommt Kane ums Leben. Kane Assistent Dudley Walsh verfeindet sich mit Vernon Kane, der Anspruch auf die Erfindungen erhebt. Zwischen den beiden Männern steht auch eine Frau. Als Vernon Kane von zwei angeheuerten schwarzen Killern ermordet werden soll, während sich Dudley Walsh dem farbigen Diktator Mobumba verdingt, eskaliert der Familienkonflikt. Vernon Kane überlebt den Anschlag und verliebt sich in seine Pflegerin, die plötzlich aus seinem Leben verschwindet. Ihm gelingt es, die meisten Erfindungen seines Bruders zu patentieren und aus dem Vermögen zieht er die Mittel für seine Rache nicht nur an Walsh, sondern auch den Frauen ab, die aus seiner Sicht Mitantwortung für den Tod seines Bruders haben. Die Rachegeschichte folgt wie schon angesprochen den Grundzügen Alexandre Dumas. Vernon Kane hat seine Identität gelöscht und rächt sich quasi von jenseits des Grabes. Den Todgeweihten - dabei sterben diese Menschen weniger direkt durch seine Hand, sondern durch die Urängste, die Kane perfide aber intelligent herauf beschwört - enthüllt er erst im letzten Augenblick seine Identität. Er verliert jegliche Kontrolle über seine Gefühle und wird zu einem einsamen Menschen, der schließlich auch die ihn liebende Frau fort stößt, nachdem er sie erst mehrere Jahre gesucht und schließlich in einer unschuldigen Verbindung mit seinem Erzfeind wieder gefunden hat. Vielleicht wirkt die Rachegeschichte ein wenig konstruiert und die Auflösung quasi in einem isolierten Raum in Mobumbas Palast eher unwahrscheinlich, aber als Handlungsstrang gibt sich Paul Alfred Müller sehr viel Mühe, die Verbitterung im Schatten eines nie ganz aufgeklärten Unfalls genauso darzustellen wie die Gier nach den Millionen, die eine zwielichtige politische Figur den opportunistischen, zwischen den Zeilen vaterlosen Wissenschaftlern bereit ist, zu bezahlen. Die Zeichnung der einzelnen Charaktere durch Paul Alfred Müller ist rein opportunistisch. Er verweigert ihnen an entscheidenden Stellen die notwendige Tiefe, auch wenn die Frauen nicht selten den Klischees der Trivialliteratur mit dem Blick auf den potentielle treuen Ehefrauen und Mütter künftiger Generationen entsprechen. Die Antagonisten ordnen sich bis auf den zwielichtigen Mobumba den Plot unter. Beim Herrscher über Afrika teilt Paul Alfred Müller die Charakterisierung interessanterweise auf. Während er einige Taten des Herrschers wie das egoistische Vorgehen gegen die Apartheid oder die Machtdemonstrationen gegen die hilflose Erste Welt wohlwollend beschreibt, reduziert er die Figur schließlich wieder auf den typischen Despoten, der als Vorgriff auf Psychopathen wie Idi Amin zu verstehen ist. In dieser Hinsicht wirkt sein Roman beklemmend. Auch das Afrikabild, das Paul Alfred Müler zeichnet, ist sehr viel differenzierter als man es von einem reinen Unterhaltungsroman erwarten darf. Zwischen der die Handlung dominierenden Rachegeschichte beschreibt Paul Alfred Müller einen Kontinent in einem intellektuell die Herrschenden überfordernden Wandel. Allerdings macht es sich der Autor auch ein wenig zu.leicht, in dem er eher in Richtung des fehlenden Gewissens und Intellekts denn einer mangelnden Ausbildung  argumentiert. Heinz J. Galle führt in seinem umfangreichen Nachwort noch repräsentative Beispiele der Entwicklung Afrikas in den sechziger Jahren auf.

In utopisch technischer Hinsicht sind die Mesonen als Allzweckmittel eher eine Art MacGuffin. Sie ermöglichen es dem Schattenrächer Vernon Kane dank umfangreicher Patente und einem entschlossenen Partner, seinen Schatz von Monte Christo anzusammeln, während die fehlende Handhabung dieser unkontrollierbaren Elemente andere Wissenschaftler als Scharlatane entlarvt. Paul Alfred Müller folgt in dieser Hinsicht einer These, die er immer wieder aufgreift. Der Intellekt besiegt das sinnlos von den Mächtigen herausgeschmissene Geld an Forscher, die über keine Phantasie verfügen. Die Auflösung ist für einen gegenwärtigen Leser angesichts der Ereignisse in Ländern wie dem Irak weniger überraschend als es in den sechziger Jahren gewesen ist. Sie reiht sich in den Größenwahn der Diktatoren dieser Welt ein.

Obwohl die rassistischen  Zwischentöne in den erzählerischen Passagen und nicht den einzelnen Charakteren zuzuordnen Dialogen unübersehbar sind, bleiben sie auf einem harmlosen, die Klischee weiter tragenden Niveau. Viel mehr ist “Falsche Mesonen” nicht nur ein wieder aufgrund der Entwicklungen insbesondere im Nahen Osten aktueller Roman, sondern zeigt nachdrücklich und der trotz der im Vergleich zu anderen in dieser Zeit veröffentlichten Paul Alfred Müller Romanen wenigen Schwächen dessen Fähigkeit, vor dem Hintergrund eines utopisch technischen Stoffes ein menschliches Drama voller Missverständnisse und Emotionen zu erzählen, das vielleicht ein wenig steif und konstruiert erscheint, aber trotzdem auch heute noch insbesondere in Bezug auf das berühmtere Vorbild noch überzeugen und gut unterhalten kann. 

Die wieder sehr liebevolle Aufmachung inklusiv des reichhaltig illustrierten Nachworts schließen eine überfällige Erstausgabe dieses zu Unrecht bislang nicht veröffentlichten Romans sehr gut ab.     

Erstveröffentlichung aus dem Nachlass
Broschüre, 158 Seiten, 18 Abbildungen, mit einem Nachwort von Heinz J. Galle
ISBN 978-3-940679-77-2