Zwei Welten, ein Gedanke

Rich Cowper

Richard Cowpers 1974 entstandener Roman "Zwei Welten, ein Gedanke" versucht ohne Frage, sich auf Philip K. Dicks metaphysischem Eis zu bewegen und auf der zweiten, realistischen Handlungsebene die Bodenhaftung zu behalten. Dabei agiert der Brite zu überambitioniert, zumal ihm der exzentrische Humor des Amerikaners fehlt. Gleichzeitig ist das Buch aber die Verarbeitung einer Mid Life Crisis, deren Auflösung zu einfach, zu konstruiert erscheint.

 

George Herbert Cringe - sein Vater wollte ihn nach H.G. Wells benennen, hat aber dessen Vornamen durcheinander gebracht - ist Lehrer an einer Gesamtschule, Vater zweier Kinder und der Brotverdiener. Ein durch und durch gewöhnlicher unauffälliger Mittelständler, der in seiner Freizeit an einem Science Fiction Roman arbeitet. Ein großer Teil des vorliegenden Romans besteht aus Teilen des entstehenden Science Fiction Werkes, wobei dem Leser nicht nachhaltig klar ist, ob Cringe diese Seiten erstens wirklich geschrieben hat oder ob sie seiner Tagträumerphantasie entstammen. Zweitens ergeben diese Seiten rückblickend als eigenständiger Roman keinen Sinn. Viel mehr scheint es sich um einen fremdartigen Blick über den Tellerrand in Richtung Erde zu handeln, wobei andere Autoren wie Walter Tevis in "The Man, who fell to Earth" oder Robert A. Heinlein in "Mann in einer fremden Welt" diese Begegnungen nachhaltiger, exotischer und satirischer angelegt haben. Cowper/ Cringe entwickeln für ihre Außerirdischen eigene Begriffe, von denen einer - wie Cowper als Koordinator der ganzen Arbeit im Vorwort zugibt - tatsächlich Heinleins umfangreichen Werk entliehen worden ist. Begriffe alleine reichen nicht, um eine fremde Zivilisation zu beschreiben. Cowpers Ansicht ist klar. Cringes Protagonisten soll es besser, aber nicht gänzlich anders ergehen als ihm selbst. Während Cringe in seiner Phantasie in die Tiefen des Alls und auf eine fremde Kultur schaut, sollen die Außerirdischen den Blick zur Erde richten. Dabei lernt man Chnas und sein Volk so gut wie gar nicht kennen. Um eine Sympathie zum bemitleidenswerten, sich aber selbst im Weg stehenden Cringe schlagen zu können, müssen die Fremden in ihrer Kultur menschlich werden. Diese Vermenschlichung könnte zeigen, wie eingeschränkt die Phantasie des Amateurautoren ist oder das alle intelligenten Lebewesen im All mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. Egal welche Art der Lösung auf der außerirdischen Handlungsebene angeboten wird, sie kann zu wenig überzeugen.  Vieles bleibt an der Oberfläche und die von den angesprochenen fremden, aber leicht zu übersetzenden Begriffen angefüllten Dialoge wirken zu vermenschlicht. Während Dick die Balance zwischen fremd und vertraut meisterlich beherrscht hat, fühlt sich Cowper in dieser angesichts seines umfangreichen, aber sich auf die Erde konzentrienden Werkes in diesen Passagen unwohl.

 

Sehr viel besser ist die realistische Handlungsebene. Cringe hat seit langer Zeit ein Auge auf die junge Aushilfslehrerin geworfen zu haben, die seinen scheuen Avancen auch nicht ablehnend gegenüber steht. Cringe kommt mit seiner teilweise ein wenig frigiden Frau genauso wenig zu recht als das er einen Zugang zu seinen Kindern findet. Sein Beruf lastet ihn nicht aus. Cowper beschreibt der Lehrerberuf aber auch besonders langweilig. Ewige Außenseiter im Vergleich zu den sich durchs Leben feiernden Teenagern. Als ihn die Aushilfslehrerin zu seinem Abend mit Science Fiction Filmen einlädt, der aufgrund eines Stromausfalls in der Kneipe endet, verändert sich sein Leben in doppelter Hinsicht. Er trifft in der Kneipe seine eigene Tochter mit ihrem neuen Freund, die Verständnis für Cringe aufbringt und seine Frau kommt hinter eine seiner Notlügen. Cowper beschreibt die Sorgen, Probleme, Ängste und Begehrlichkeiten eines Mannes in aus seiner Sicht besten Jahren ohne Kitsch oder Pathos. Cringe wehrt sich - ein komödiantisches Element - sehr lange gegen die eher implizierten Einflüsse seiner Kollegin. Als er schließlich nachgibt, kann er nicht mit ihr schlafen. Der Betrug wiegt zu sehr auf seinem Gewissen.  Vielleicht übertreibt Cowper in der "Heiligsprechung" seines Protagonisten ein wenig zu sehr. Auch gegen Ende, wenn Cringe nach den verschiedenen Erlebnissen, die teilweise als Auswirkungen einer Gehirnblutung abqualifiziert werden, plötzlich seine Frau mehrmals im Krankenhaus und vom Krankenbett begehrt, überspannt der Autor den Bogen. Der nicht vollzogene Ehebruch wird unter den Teppich gekehrt und Cringe sieht im Kreis seiner ihn liebenden Frau einer neuen Zukunft ohne phantastische Phantasien entgegnet. Mit der Rückkehr in die immer noch graue Realität beendet Cringe auch seinen Abstecher als Schriftsteller. Warum beides nicht funktioniert, beantwortet Cowper an keiner Stelle seines Romans.

Ebenso unfair ist es ohne Frage, die Ehefrau über weite Strecken des Buches derartig blass zu beschreiben und die junge, aparte, intelligente, offenherzige und erotisch nicht prüde Aushilfslehrerin so offensiv zu beschreiben. Das wirkt manipulierend und Cowper erreicht in der ersten Hälfte des trotzdem kurzweilig zu lesenden Romans seine Ziele. Cowper gibt Cringe absichtlich die umgekehrten Vornamen H.G. Wells, der in der zweiten Hälfte seiner langen Karriere pointierte Gesellschaftssatiren auf die gehobene Mittelschicht geschrieben hat und in Bezug auf Frauen auch kein Kostverächter gewesen ist. Ein Satirepotential kann der Autor angesichts der Durchschnittlichkeit des britischen Mittelstandes in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht heben. Auf der anderen Seite amüsiert sich Cringe mit seinen Freunden und seinen Studenten bei reichlich Alkohol in den urigen Kneipen sehr gut. Hier vergisst er sein graues Alltagsleben und philosophiert angeheitert über Gott und die Welt. Diese Beschreibungen wirken relativ simpel, geben dem Roman aber in wichtigen Abschnitten eine ungewöhnliche Natürlichkeit und Wärme.

Cowper verzichtet auf jegliche Actionszenen. Beide Handlungsebenen fließen ruhig nebeneinander her. Eine der größten Schwächen ist, dass Cringes „Roman“ am Ende nur ein Auswuchs seines Gehirntumors gewesen sein könnte. Wo ist der Unterschiede zu jedem anderen Autoren, der seine Phantasie zu Papier bringt? Es gibt kein Übergreifen der literarischen Phantasieebene in die Realität, keine Wahnvorstellungen oder Verwirrungen. Cringe wacht aus seiner niedergeschriebenen „Welt“ immer wieder rechtzeitig auf und muss sich den Problemen ausschließlich und ohne Hilfe selbst stellen. Cowper versucht hier eine Pointe aufzubauen, die der Leser im vorliegenden Text an keiner Stelle im Vergleich zu Dick oder Vonnegut nachvollziehen kann.         

 

 Der deutsche Titel „Zwei Welten, ein Gedanke“ ist deutlich pointierter und ironischer gefärbt als Cowpers Original „Worlds Apart“, denn die Fremden sind zumindest in diesem Buch wie die Nachbarn der so typisch britischen Durchschnittsbürger. Ein wenig farblos und furchtbar harmlos, wobei die Beschreibungen des britischen Alltagslebens und die Sorgen von Männern im mittleren Alter sehr lebendig und zeitlos niedergeschrieben worden sind. 

  • Broschiert
  • Verlag: Goldmann Wilhelm GmbH (April 1979)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 344223204X
  • ISBN-13: 978-3442232048
  • 160 Seiten