Wasser hat Balken

Originaltitel: 
Steamboat Bill, jr.
Land: 
USA
Laufzeit: 
71 min
Regie: 
Charles Reisner
Drehbuch: 
Carl Harbaugh
Darsteller: 
Buster Keaton, Tom McGuire, Ernest Torrence
Kinostart: 
03.09.28

Filmkritik:
von Thomas Harbach (für SF-Radio.net)

Steamboat Bill jr. War die letzte der großen unabhängig produzierten Buster Keaton Komödien. Hatte ihm das Studio schon für The College einen Aufpasser an die Seite gestellt, so fand sich dieses Mal Charles Reisner in der unangenehmen Position, Keatons Kreativität nicht zu behindern und gleichzeitig das Budget zu kontrollieren. Der Film stellt eine interessante Synthese aus The General und The College dar.

Diese These für von Kritikern und dem Publikum mitachteten Film aufzustellen, erscheint provokant. Aber im Mittelpunkt steht ein junger Mann, der die Schule verlassen hat, einen neuen Lebensabschnitt beginnt – dieses Mal nicht auf dem College, sondern unter der harten Führung seines Vaters, der ihn seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hat – und schließlich dank seines Heldenmutes die Liebe seines Lebens heiraten kann. Es fehlt allerdings Keatons zynischer Schlussakt. In Bezug auf „The General“ personifizieren die riesigen Schaufelraddampfer auf dem Mississippi den Süden der Vereinigten Staaten wie kaum ein anderes Sujet. Wie in der ausführlichen Einführung erwähnt wird, wollte Keaton den Film mit einer Überschwemmung und der daraus resultierenden Rettungsaktion beenden. Da im Jahr 1927 der Mississippi über die Ufer getreten ist und zahlreiche Menschen bei diesem Unglück ums Leben gekommen sind, wollte das Studio einen faden Beigeschmack vermeiden und fordert Keaton/ Reisner auf, das Thema zu wechseln. Im Anschluss an den Hauptfilm finden sich Dokumentaraufnahmen dieser Katastrophe. Aus der Flut wird ein Orkan. Diese Änderung des Drehbuchs inklusiv eines enormen technischen Einsatzes kostete die Produktion die unerhörten Mehrkosten von 35.000 Dollar.

Im Vergleich zu einer wichtigen Schlüsselszene aus „the General“ keine vergeudete Geldausgabe, denn insbesondere in den Sturmszenen, die stark improvisiert wirken, kann Buster Keaton sein einzigartiges Talent und vor allem seine Risikoneigung voll ausleben. Es sind diese zwölf Minuten – in den Extras findet sich eine Bild für Bild Analyse dieser Schlüsselsequenz – ohne Zwischentitel, die zu den besten Szenen der Stummfilmzeit gehören. Davor teilt sich der Film im Grunde in eine klassische, fast bodenständige Komödie der Missverständnisse und eine eher seichte, kitschige und für das Melodram so typische Generationenkonflikthandlung. Im ersten Teil des Films kann Keaton neben einer Reihe von visuellen Gags sein nuanciertes ernstes Mienenspiel unter Beweis stellen. Als er als eine Art verzogener Dandy den Zug in der aufstrebenden Dampfbootstadt verlässt, ist sein Vater schockiert.

Mit Oberlippenbärtchen, einem gepunkteten Schlips und vor allem einem für diese Männergesellschaft unpassenden Beret fokussiert er alle möglichen Vorurteile auf seinen Charakter. Der erste Höhepunkt ist eine Szene, in welcher sein verzweifelter Vater ihm einen vernünftigen Hut kaufen möchte. Als er seinen eigenen Hut aufsetzt, zuckt er verschreckt zusammen. Später versucht er seinen Vater aus dem Gefängnis zu befreien. Er hat ein Brot gebacken, in dem sich alle möglichen und unmöglichen Werkzeuge für einen Gefängnisausbruch befinden. Da er sich mit seinem Vater vorher gestritten hat, verzichtet dieser großzügig auf die „Rettung“ durch den missratenen Filius. Verzweifelt versucht Keaton diesen von seinen Absichten zu überzeugen, ohne das der tollpatschige Sheriff zwischen ihnen einen Verdacht schöpft. Wie auch in „The General“ überschreitet der Humor aber auch die Grenzen des guten Geschmacks. Da sich Vater und Sohn noch nicht gesehen haben, versuchen sie sich ohne Foto auf dem Bahnhof zu finden. Der Vater schreitet auf einen nach vorn gebückten Mann zu. Erst als dieser sich aufrichtet, erkennt er einen Farbigen. Die Abscheu ist ihm mitten ins Gesicht geschrieben.

Keaton selbst schreitet eine Reihe von Männern ab, einer ist eindeutig ein orthodoxer Jude, von dem sich Keaton mit dem gleichen Entsetzen abwendet. Natürlich ist es für einen Stummfilm doppelt schwer, diese verzweifelte Suche ohne die drastischen, selbst dem dümmsten Zuschauer bekannten Klischees interessant zu gestalten, aber Keaton/Reisner nutzen diese Simplizität ein wenig zu provozierend aus. In „The General“ hat Keaton seine Verlobte erst gewürgt und dann geküsst, was sie mit übertriebener Zuneigung erwiderte. Die schwierige Balance zwischen Unterhaltung, Provokation und Sensation hat der Schauspieler aus seiner Familie und deren Auftritte als Vaudeville-. Künstler übernommen. Insbesondere der sich unter den Extras von „The Gener“l" befindliche Kurzfilm „Buster Keaton rides again“ zeichnet ein lebhaftes Portrait von Keatons Jugend und späterer Karriere. Während sich der Film in der ersten Hälfte als diese marktschreierische Form der Unterhaltung anlehnt, wird dieser Mythos in der zweiten Hälfte des Films im wahrsten Sinne des Wortes vom Winde verweht.

Vielleicht weil sich Keaton anschließend nicht unbedingt erfolgreich in die Klauen des respektablen Studios MGMs begeben hat, wirken diese Szenen wie eine Befreiung von seinem bisherigen Leben. Mit dem Sturm selbst beginnt der Film ein ungewöhnliches Eigenleben. Viele Szenen werden Zuschauern lange in Erinnerung geblieben sein. Das beginnt mit dem Krankenhaus, das plötzlich wegfliegt und einige Kranke zusammen mit Keaton im Regen stehen bzw. liegen lässt. Eine weitere berühmte Passage ist das Haus, dessen Vorderseite auf Keaton fällt. Dank des Dachfensters wird er nicht verletzt. Diese Szene hat der Schauspieler schon in zwei Kurzfilmen eingesetzt, unter den Bedingungen dieser Produktion mit den insgesamt sechs Flugzeugmotoren, die für ausreichend Wind sorgten, ein lebensgefährliches Unterfangen. Dieser fast surrealistische Sturmflug führt schließlich auch in ein Theater.

So rennt Keaton in eine Leinwand, die eine ruhige Landschaft zeigt, verfängt sich in einem Vorhang und kämpft mit seinem Schatten. In einer anderen Szene enthüllt er den Trick des verschwundenen Mannes, den Magier und Varietekünstler viele Jahre als Höhepunkt ihrer Shows gepriesen haben. Schließlich rettet er am Ende seine Freundin, seinen Vater aus dem versinkenden Gefängnis, den Schwiegervater aus den Trümmern seines gesunkenen Mississippidampfers und schließlich einen Priester, um die abschließende Hochzeit durchführen zu können.

Das Thema des einfachen jungen Mannes, der tollpatschig und im Grunde ziellos durch sein Leben läuft, bis er die richtige Motivation durch die Liebe oder eine Katastrophe oder am besten Beides erhält, zieht sich wie ein roter Faden durch Keatons Werk. Aufmerksame Beobachter sprechen davon, dass sich seine Ideen im Grunde nur auf die visuelle Umsetzung seiner Gags und das inszenieren seiner eigenen Persönlichkeit beschränken, die eigentliche Handlung seiner Filme ist Beiwerk und bleibt nicht selten Stückwerk. In „Steamboat Bill jr.“ wirken diese plottechnischen Versatzstücke besonders uneinheitlich, im Gegensatz zum geradlinigen und vor allem rasant inszenierten „The General“ oder dem zumindest stringenteren „The College“ ist der Anfang des Films nur mäßig interessant. Keaton liefert seinen Zuschauer zu viele bekannte Ideen, ein wenig variiert, auf die besondere Atmosphäre des Südens zugeschnitten, auch wenn der Film augenscheinlich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts spielt und keinen historischen Kontext aufweist. Der Konflikt zwischen den Vätern der sich liebenden jungen Menschen steht dabei im Vordergrund, die größte Schwierigkeit liegt allerdings in der Tatsache begründet, dass die Liebesgeschichte zwischen dem affektierten Keaton und der hübschen Tochter aus gutem Hause – die Schauspielerin war zu diesem Zeitpunkt siebzehn Jahre alt – unrealistisch und aufgesetzt wirkt. Da aus dieser Verbindung kein Funke zum Publikum überspringt, wirken die folgenden Aktionen trotz Keatons zum Teil außerordentlicher und spontaner Körperbetonter Komik aufgesetzt. In den wenigen Momenten, in denen sich die Kamera nicht auf Keaton konzentriert, zerfällt der Film.

Die Sturmsequenz gehört trotz der unglaublichen logistischen und technischen Bestandteile alleine dem Mann ohne Lächeln. Wie eine Furie eilt er von Aktion zu Aktion, lässt dem Zuschauer nicht den Raum zum Atmen und unterstreicht, dass er einer der besten Komiker dieser Epoche gewesen ist. Die Kombination aus einer dramatischen Situation und seinen in ihrer Absurdität zum Lachen zwingenden Ideen ist noch heute absolut empfehlenswert. Die einzige Erklärung für sein Scheitern beim Publikum lässt sich im aufkommenden Tonfilm erklären. Auch wenn Keaton eine angenehme Stimme hat – siehe unter anderem die Extras auf der Doppel- DVD „The General“ – lebt er von seiner Aktion und seinem impulsiven Charakter. Die ersten Tonfilme verfügten nur über statisch, fest über den Schauspielern installierte Mikrophone. Das Kino ist durch die frühe Entwicklung des Tonfilms in Punkte Inszenierung und vor allem bewegliche Kamera einen ganzen Schritt zurückgegangen, um den Schauspielern Stimmen zu schenken. Ein Stil, der nicht in Keatons Werk und vor allem die Art seiner Komödie passt. So verabschiedet sich Buster Keaton in diesen letzten zwölf Minuten seines letzten großen eigenständigen Films nicht nur mit einem Feuerwerk von Ideen, sondern vor allem mit der in seinem Wesen fest verankerten Art der Komödie. Als fünfjähriger Junge hat ihn sein Vater ins Publikum geworfen, in „Steamboat Bill jr.“ lässt er sich von einem Jahrhundertsturm ins Publikum pusten. Der Film ist eine gute Mischung aus den Höhen und Tiefen seines Werks. Zu den Höhepunkten gehört neben der Sturmsequenz der Auftakt.

Verwechselungskomödie per se gehörte zu seinen ruhigen Spezialitäten, den Leuten einen Spiegel vors Gesicht zu halten. Manchmal wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, auch seinen Elan und seine Dickköpfigkeit ein wenig zu bremsen, aber Buster Keaton konnte und kann auf der Leinwand sein Publikum nicht mit dummen oder primitiven Witzen, sowie Beleidigungen unterhalten, sondern mit seinem Charakter. So unscheinbar und gewöhnlich seine Figuren ihre Filme auch begannen, der Zuschauer konnte sich immer sehr schnell mit ihnen identifizieren und vor allem mit ihnen sympathisieren. Manchmal überforderte Keaton seine Mitmenschen mit Filmen wie „The General“ und phasenweise auch „Steamboat Bill jr“, diese Mischung aus Komik und Ernsthaftigkeit wird erst in den folgenden Generationen sein Publikum finden. Von der technischen Seite allerdings reiht sich der Film in die wirklich sehr gut digitalisierten anderen drei Werke dieser kleinen Buster Keaton Werkschau ein.

Das Bild ist sehr gut, die Hell- Dunkelpassagen wirken überzeugend, es finden sich keine nennenswerte Risse oder Bildaussetzer im Film. Die Untertitelung ist sehr gut, nicht so pointiert oder scharfzüngig wie die gut zu lesenden Originalzwischentitel, aber angemessen. Die Filmmusik unterstützt die Bilder deutlich besser als es zum Beispiel bei „The College“ der Fall gewesen ist und reicht an die gute Leistung von „The General“ heran. Alle vier Soundtracks – eigentlich fünf, denn „The General“ wird mit zwei Musiktonspuren ausgeliefert – sind in den neunziger Jahren anlässlich der Restaurierung und Wiederaufführung der zum Teil als verschollen bzw. zerfallen geltenden Filme neu geschrieben und eingespielt worden. Wie bei den anderen DVDs sind die Extras länger als die Hauptfilme. Sie sind eine gute Mischung aus Information – in diesem Fall das Dokumentarmaterial der 1927 stattgefundenen Überschwemmung – und erweiterter Keaton Werkschau. Neben der angesprochenen, aber eher einem Audiokommentar entsprechenden „Bild-für-Bild“- Analyse der Sturmsequenz finden sich Ausschnitte aus den Kurzfilmen „Back Stage“ – in diesem fällt der Hausrahmen auf Keatons Partner Fatty Arbuckle – und „One Week“. In dieser fast surrealistischen Komödie baut Keaton seiner Frau und sich ein Haus nach der Baukastenmethode und scheitert schließlich grandios, als sich das Gebäude beim ersten Sturm als überdimensionales Karussell herausstellt. Ein letzter kleiner Ausschnitt beschäftigt sich Keatons Arbeiten an „The Cameraman“, seinem ersten Film für MGM. Bei den Außendreharbeiten in New York wurde der Komiker sofort auf der Straße erkennt, so dass ein spontanes Arbeiten so gut wie unmöglich gewesen ist.

Neben drei Trailern zu auf dem Mississippi spielenden Filmen bildet die Dokumentation „The River“ aus dem Jahr 1937 den Hauptteil der Extras. Mit diesem Lehrfilm sollten der Bevölkerung die staatlichen Programme zur Förderung des großen Tals nach den verheerenden Flutkatastrophen und vor allem dem ökologischen Selbstmord erläutert werden. Neben historischen Fakten stellt der atemberaubend fotografierte Film ein nicht zu unterschätzendes, wenn auch manchmal arg an Propaganda erinnerndes Zeitdokument dar. Durchaus geschickt in einer kritischen, aber optimistischen Note mündet unterstreicht er die Faszination und die Gefahr des Lebens an dem großen Fluss. Ergänzt wird dieser Beitrag durch „The Mississippi River Flood of 1927“, hier wird nicht nur auf die letzte Flut eingegangen, sondern auf die sich stetig häufenden Überschwemmungen und der kontinuierlichen Zerstörung eines der landwirtschaftlich wertvollsten Gebiete der Vereinigten Staaten. Auf einer etwas heiteren Note schließt die DVD. „Down South“ (1931) ist das dreiste Plagiat des Walt Disney Zeichentrickfilm „Steamboat Willie“, der sicherlich einige Inspiration von Keatons Film erhalten hat. Im Gegensatz zu Keatons Film feiern die beiden Zeichentrickfilme insbesondere die majestätischen Raddampfer und die Erhabenheit, über diesen schier endlosen Fluss dahinzugleiten. Wie alle anderen DVDs dieser kleinen Buster Keaton Reihe ist auch das Ergänzungsmaterial sehr sorgfältig aufbereitet und wird in einem für die Vorlagen guten Zustand präsentiert. An die Qualität des Hauptfilms reichen sie allerdings nicht heran.

Um noch einmal kurz auf diesen zurückzukommen, für viele gehört „Steamboat Bill jr.“ Zu den besten Komödien der Stummfilmzeit und wenn man das begleitende Material sich genauer ansieht, erkennt man, welch schmalen Grad zwischen der Abbildung der echten Katastrophen und seiner komödiantischen Inszenierung Keaton gegangen ist. Insbesondere in der Sturmsequenz mit dem auf der Seite liegenden Haus finden sich deckungsgleiche Nachbildungen zu der echten Katastrophe. Ob die Menschen kurz nach einer weiteren Flut mit vielen hundert Toten darüber lachen konnten oder wollten, steht auf einem anderen Blatt. Das Erstaunliche an seinem Film allerdings ist das Fehlen eines klassischen Motivs: das Rennen der großen Raddampfer, sie treten nur zu Beginn des Films – und hier auch nur am Rande – und eher beiläufig bei der letzten Rettungstat in Erscheinung. Warum Keaton nach der Eisenbahn diese erhabenen Schiffsriesen nicht auf die Schippe genommen hat, ist eine Frage, mit der sich diese Präsentation überhaupt nicht auseinandersetzt und vielleicht liegt hier ein gewisses Manko des Hauptfilms. Aus heutiger Sicht als letzte wirklich freie Komödie Keatons liegt eine gewisse Melancholie über dem Film. Trotz aller Schwächen eine der zeitlosen Komödien des Anarchisten Keaton.

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