Brutale Stadt

Originaltitel: 
Città violenta
Land: 
Italien / Frankreich
Laufzeit: 
103 min
Regie: 
Sergio Sollima
Drehbuch: 
Gianfranco Galligarich
Darsteller: 
Charles Bronson, Jill Ireland, Michel Constantin, Telly Savalas
zusätzliche Infos: 
nach dem Roman von Massimo De Rita
Kinostart: 
26.11.70

Sergio Sollima hat in seiner ersten Western Trilogie unterstrichen, daß man sehr gut packende Actionhandlungen und zum damaligen Zeitpunkt grundlegende politische Botschaften – alle sozialistisch angehaucht mit kommunistischen Intentionen versehen – in sehenswerten Filmen verbinden kann. Die Öffentlichkeit verblüffte es darum nicht, dass sich Solima – wie auch Umberto Lenzi oder Sergio Martino – dem Genre des Gangsterfilms mit seiner nächsten Produktion zugewandt hat. Im Jahre 1970 schloss der Italiener die zweijährigen Arbeiten – für Italien eine ungewöhnlich lange Zeit – an der italienisch- französischen Coproduktion „Citta Violenta“ ab. In der Hauptrolle Charles Bronson, 1968 in der Rolle des Mundharmonikas in „Spiel mir das Lied vom Tod“ weltbekannt geworden.


Filmkritik:
von Thomas Harbach

Sergio Sollima hat in seiner ersten Western Trilogie unterstrichen, daß man sehr gut packende Actionhandlungen und zum damaligen Zeitpunkt grundlegende politische Botschaften – alle sozialistisch angehaucht mit kommunistischen Intentionen versehen – in sehenswerten Filmen verbinden kann. Die Öffentlichkeit verblüffte es darum nicht, dass sich Solima – wie auch Umberto Lenzi oder Sergio Martino – dem Genre des Gangsterfilms mit seiner nächsten Produktion zugewandt hat. Im Jahre 1970 schloss der Italiener die zweijährigen Arbeiten – für Italien eine ungewöhnlich lange Zeit – an der italienisch- französischen Coproduktion „Citta Violenta“ ab.

In der Hauptrolle Charles Bronson, 1968 in der Rolle des Mundharmonikas in „Spiel mir das Lied vom Tod“ weltbekannt geworden. Viel eher überraschen Sollimas Motive. Eine geradlinige Handlung, der Kampf eines Professionellen gegen seine einzige Schwäche- eine schöne Frau, der Versuch, aus seinem bisherigen Leben auszubrechen und schließlich seine nihilistische Selbstaufgabe, als er seine einzige Schwäche bekämpft und beseitigt hat. Dieser Film trägt nicht nur die Züge von Jean Pierre Melvilles „Der eiskalte Engel“ – nicht selten wirkt Bronson wie eine südländische Inkarnation des emotionslosen Deloin - , sondern führt die Züge des Profikillersubgenres von Filmen mit Alan Ladd und No- Budgetproduktionen wie „Blast of Silence“ zu einem interessanten vorläufigen Höhepunkt.

Dabei zeigt Sollima eine einzigartige Fähigkeit, seine Geschichte durch Vor – und Rückblenden, durch eine verschachtelte Struktur in erster Linie optisch zu erzählen. Das unterstreicht der Italiener gleich zu Beginn des Films. Sonne, Strand, Palmen, ein teures Boot, Jeff Huston – Charles Bronson – turtelt mit seiner Freundin Vaness Shelton – Ireland in einer zu Beginn nur Körperbetonten Rolle, die ihre schauspielerischen Vorzüge am Ende des Films beweisen kann - auf den Inseln der Bahamas. Sie verlassen ihr Boot und steigen in einen Mietwagen. Huston bemerkt, dass sie verfolgt werden, eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, in der Sollima den James Bond in Bezug auf die Schnitttechnik, die atemberaubenden Stunts – keine Computertricks – und vor allem das Erzeugen von Spannung in nichts nachsteht. Zu diesem Zeitpunkt – ungefähr 15 Minuten in den Film hinein – hat es noch keinen Dialog gegeben, der Zuschauer kennt die einzelnen Protagonisten nicht, kann schwarz oder weiß nicht unterscheide. Die Jagd endet schließlich, als Huston seine Freundin aus dem Wagen aussteigen lässt, seine weitere Fluchtroute von einem grauen Porsche blockiert wird. Er steigt aus dem Wagen, erkennt in seinem Gegenüber einen Bekannten Jerry Coogan. Geht auf diesen Schuss und wird niedergeschossen.

Die Verfolger beginnen inzwischen aufgekommen den Wagen Hustons in Brand zu schissen, der Zuschauer blickt mit Vanessa Shelton einen Augenblick zurück. Und sieht gar nichts mehr. Huston ist verschwunden. Während Coogan und Shelton vom Tatort fliehen, erschießt Huston in einem Duell die drei Männer, die ihn verfolgen. Hier greift Sollima in der Inszenierung auf seine Western zurück, der Wagen könnte stellvertretend für einen Planwagen stehen, die beiden Parteien nutzen jede Deckungsmöglichkeit, um sich rücksichtslos gegenseitig zu töten. Huston gewinnt schwer verletzt, wacht im Krankenhausgefängnis wieder auf und wird verhaftet. Seine Organisation macht ihm ein Angebot, wieder in deren Dienste zurückzukehren, er lehnt ab. Im Gefängnis teilt er sich die Zelle mit zwei scheinbar amerikanischen Mitgefangenen.

Sollima nutzt diese unerklärliche Szene, um zum einen Bronsons Emotionslosigkeit zu unterstreichen – eine giftige Spinne bedroht nicht nur einen Mitgefangenen, Bronson lässt sie über den eigenen Körper laufen - , zum anderen aber durch geschickte Rückblenden dem Zuschauer mehr Informationen über die einzelnen Protagonisten dieses Dramas – Bronson auf der einen Seite, Ireland mit einem zwielichtigen Anwalt, ihrem neuen Freund Coogan und schließlich einem Gangsterboss – Telly Savalas in einer eher unterdurchschnittlichen Rolle, in welcher er mehr auf die typischen Klischees des arroganten, nach gesellschaftlicher Anerkennung strebenden Mafiosi zurückgreift als eine wirklich Bedrohung darzustellen – in Form von geschickten Rückblenden zu erhalten. Bronson wird entlassen, kehrt in die Staaten zurück und beginnt seinen Rachefeldzug immer unter der Prämisse, dass Vanesse Shelton seine größte Schwäche darstellt. Diese nutzt die Loyalität der Männer ihres Umfeldes geschickt aus, um ein großes Geschäft mit vollem Körpereinsatz durchziehen.

Sollimas Film lebt trotz einer geradlinigen Handlung von seinen beiden Hauptdarstellern. Charles Bronson als der eiskalte, arrogante Killer mit einer Schwäche für Ireland, ein Planer, der seine Attentate sehr sorgfältig vorbereitet, ein Scharfschütze und trotzdem keine unsympathische, sondern eher eine tragische Figur. Im Film tötet er – bis auf den Onkel des Anwalts, eine herrliche Gegenlichtaufnahme, in der Bronson einen braunen Ledermantel trägt, die größte Verbeugung vor Leones Meisterwerk – nur Charaktere, die es noch mehr verdient haben zu Sterben als er selbst. Mit dieser Vorgehensweise distanziert Sollima seinen einsamen Rächer – in diesem Film rächt er sich für Unrecht, dass an ihm begangen worden ist, in seinen späteren Filmen wird das Motiv immer die Rache für andere Menschen sein – von seinem Umfeld. Ireland ist ein schillerndes Wesen, eine außergewöhnlich – für die damalige Zeit – hübsche Frau mit einem sportlichen Körper, den der Zuschauer mehr als einmal bewundern kann, eine in ihre Loyalität flexible Frau, welche die Rolle der Schutzbedürftigen bis zum Schluss in Perfektion spielen kann. Ob ihr Plan von Beginn an wirklich so komplex und kompliziert angelegt worden ist, steht auf einem anderen Blatt. Wie im italienischen Giallo oder den später von Umberto Lenzi und Sergio Martino perfektionierten Polizistenfilmen fragt dieser Aufbau nicht unbedingt nach einem logischen, nach einer nachvollziehbaren Konstrukt, der Weg ist das Ziel und diesen Weg beherrscht Sollima in diesem im Mittelteil ruhiger inszenierten Thriller sehr gut.

Wenn der Regisseur am Ende seines Films aufzeigt, dass die Stadt – stellvertretend für die moderne Gesellschaft – so brutal geworden ist, dass Gier und Hass reine Emotionen wie Liebe und Hoffnung gänzlich überdecken, passt diese nihilistische Botschaft in das bisherige Werk des Italieners. Jeglichem überbordenden Konsum skeptisch gegenüber eingestellt mit offener Sympathie für die kommunistische Partei entlarvt er die Fassade aus Reichtum und Macht als leere Hülle, die von einem einzigen Mann vernichtet werden kann. Am Ende seines persönlichen Rachefeldszugs steht für Bronson eine absolute Leere, schon vorher hat er zumindest angedeutet, dass ihm das Töten für das Syndikat nicht mehr liegt, das seine eiserne Fassade zu bröckeln beginnt und einer seiner Mithäftlinge weißt ihn auch direkt darauf hin, dass er aussteigen sollte.

Es ist erstaunlich, wie viel die Mithäftlinge über diese im Grunde als Ziffer charakterisierte Persönlichkeit wissen, der Zuschauer kann sich nicht vorstellen, dass Huston es ihnen erzählt hat, so verschlossen tritt er zu Beginn des Films auf. Und es dürfte nicht sein erster Gefängnisaufenthalt gewesen sein. Als er seinen letzten persönlichen Auftrag erledigt hat – eine sehr gute Schnitttechnik, Sollima zeigt das Geschehen aus der Perspektive der Opfer, die verzweifelt den Killer auf einem der gegenüberliegenden Dächer suchen – flieht er nicht mehr, er hat keine weiteren Ziele mehr, sondern wartet auf dem Dach des Hauses mit dem Gewehr auf dem Schoß auf die Polizei. Sein Gewissen hat die Kontrolle übernommen, er weiß, dass ihn niemand mehr nach seinen Taten, nach der Verletzung der ungeschriebenen Familiengesetze mehr anstellen wird, dass er für den Rest seines Lebens wie ein Tier gehetzt wird, darum will er es beenden. Für Selbstmord ist er zu stolz, also provoziert er einen jungen Polizisten zum finalen Schuss.

Mit den brechenden Augen Bronsons schließt Sollima seine persönliche Tragödie ab. Zumindest vorläufig ist die Ordnung wieder hergestellt, könnten Recht und Gesetz wieder regieren. Aber hinter diesem falschen Happy- End steht Sollimas Befürchtung, dass es sich um keinen Einzelfall handelt. Nicht umsonst schenkt er in seiner Betrachtung Telly Savalas die besten Dialoge, in einer Fahrt durch die Stadt beschwert er sich über die Geschäftsführer, die Herren in den Anzügen, denen er erst Arbeit gegeben hat, die aber auf ihn herabsehen, die ihn verachten. Zwanzig Jahre später wird sich herausstellen, dass diese Herren in den dunklen Anzügen im Grunde genauso skrupellos und egoistisch ihre Firmen ausplündern werden wie es „einfache“ Gangster wie Savalas noch mit Handarbeit erledigen.

Sollimas Kritik am Kapitalismus ist eindeutig, alles nur brüchige Fassaden, eine neue Spielwiese von moralisch verkommenen Menschen. Allerdings unterliegt er auch dessen Faszination, mit fast kindlicher Verspieltheit zeigt er den Luxus – teure Yachten, extravagante Automobilrennen mit reichen Playboys als Fahrer, exzellent und mit Überfluss ausgestatte Villen -, sein Kontrast zwischen der Armut der Bahamas – die Verfolgsjagd zu Beginn des Films führt durch die ärmsten Regionen der Insel genau wie durch die atemberaubende Landschaft – und dem Luxus in New Orleans wird nicht als kritisches Handlungselement fortgeführt, sondern einfach nur plakativ inszeniert und unkommentiert im Raume stehen gelassen.

Fast klaustrophobisch wirkt allerdings Sollimas Entscheidung, fast alles aus Hustons Perspektive zu zeigen, so offenbart sich der verschachtelte Plot ausschließlich auf Augenhöhe mit dem Zuschauer, ein nicht zu unterschätzendes Spannungsmoment. Außerdem vertraut Sollima auf klassische Elemente des amerikanischen Thrillers: so erinnert die Autoverfolgungsjagd zu Beginn des Films nicht nur zufällig an Steve McQueens „Bullitt“ und nimmt ähnliche Exzesse in Werken wie „French Connection“ und dem italienischen Polizeifilm vorweg. Eine weitere Hommage an Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ findet sich in der Mitte des Films. Huston hat Vanessa wieder gefunden, jagt mit ihr durch die Straßen New Orleans, um sie einzuschüchtern, schleppt sie in eine Lagerhalle und will sie vergewaltigen. Gestört wird er durch vier Hafenarbeiter, die einen aus ihrer Mitte brutal zusammenschlagen. Aus Bronsons stoischem Gesicht lässt sich ablesen, dass er das gleiche am liebsten mit seiner Geliebten, seinem schwachen Punkt machen würde. Henry Fonda führt zumindest die Vergewaltigung Claudia Cardinals in „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu Ende, im Gegensatz zu Vanessa unterliegt sie dann seinem brutalen charismatischen Wesen. Der Nihilismus des Bronsons Charakters erinnert nicht nur an Jean Pierre Melvilles Gangsterepen, sondern an die später beginnend mit „The Getaway“ verfilmten Romane Jim Thompsons. Dazu kommt aber eine gewisse, nicht zu leugnende Eleganz in der Inszenierung und die internationale Exotik klassischer Jetset- Orte im Vergleich zu den oft düsteren, armseligen Arbeitergegenden des klassischen Film Noirs. Wie im Film Noir scheitert der „Held“ allerdings in dem Augenblick, in dem er Emotionen zulässt. Dieses klassische Motiv ist genauso zeitlos wie klischeehaft für das Gangsterkino. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen der sechziger und siebziger Jahre ist „Brutale Stadt“ in Ehren ergraut, Sollima variiert die Geschwindigkeit der Handlung sehr geschickt – eine Autoverfolgung zu Beginn, gegen Ende eines Verfolgung zu Fuß, dazwischen mit dem Anschlag während des Autorennens eine Sequenz voller Spannung, atmosphärisch hervorragend inszeniert sind die actionorientierten Höhepunkt, dazwischen pointierte, zynische Dialoge -, allerdings muss der Zuschauer sich immer vor Augen halten, einen Film aus der Vor CGI Ära mit echten Stunts und ohne Nachbearbeitung anzusehen.

Koch Media hat den Film in einer beeindruckenden Weise restauriert und digitalisiert. Im rechten Format wiedergegeben wirken die Farbe überzeugend natürlich, wie gut die Wiedergabe ist, erkennt der Zuschauer an einer Szene: im Vordergrund Vanessa – man kann jede Pore auf ihrem schönen Gesicht sehen – und im Mittelgrund ihr schmieriger Anwalt, die Tiefe dieses Bildes wird sehr gut wiedergegeben. Der Ton ist in Zweikanaldolby, da der Stereoton bei vielen italienischen Filmen dieser Zeit noch in den Kinderschuhen gesteckt hat, ein akzeptabler Kompromiss im Vergleich zu einer reinen Monowiedergabe. Die beigefügte englische Fassung ist gekürzt worden, darum hat Koch die entsprechenden Passagen untertitelt. Der englisch wie deutsche Trailer sind von unterschiedlicher Qualität.

Der Englischsprachige ist von deutlich besserer Qualität als das deutsche Gegenstück. Wolfgang Luley berichtet in dem vierseitigen Booklet über das Genre der Berufskillerfilme – eher oberflächlich-, über die Stellung des Films in Sollimas Werk – wobei er auf die vordergründig unpolitische Inszenierung nicht eingeht – und dessen Karriere. Schön ist die Reproduktion des italienischen Kinoplakates als Titelbild sowie auf der DVD eine sehenswerte Bildergalerie. Wie bei „Sandokan“ ist allerdings das halbstündige Interview mit Sergio Sollima der Höhepunkt der Extras. Sollima berichtet, wie er das Projekt in erster Linie wegen der Möglichkeit, in Amerika zu drehen, übernommen hat. Ob irgendwelche gravierenden Veränderungen zwischen dem ersten aus seiner Sicht schlechten Drehbuch und späteren Fassungen vorgenommen worden sind, extrapoliert er nicht weiter. Er geht auf die drei Hauptdarsteller ein, erzählt von der planerischen Logistik und den Originalschauplätzen.

Es ist erstaunlich, wie viel Sollima nach mehr als fünfunddreißig Jahren nach weiß, er ist eine großartige Persönlichkeit, ein Geschichtenerzähler auf der Leinwand wie auch im persönlichen Gespräch. Zusammen mit der einprägsamen Filmmusik und vor allem gut ausgewählten Filmausschnitten ein runder Abschluss einer empfehlenswerten DVD Veröffentlichung.

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