Schatten

Originaltitel: 
Shadows
Land: 
USA
Laufzeit: 
81 min
Regie: 
John Cassavetes
Drehbuch: 
John Cassavetes
Darsteller: 
Ben Carruthers, Lelia Goldoni, Hugh Hurd
zusätzliche Infos: 
FSK 16
Kinostart: 
27.10.61

Koch Medias Veröffentlichung einer „John Cassavetes“ Collection orientiert sich ein wenig am amerikanischen Vorbild. Die ehrenwerte Criterion- Reihe legte eine Box mit insgesamt fünf Filmen des oft als Vater des amerikanischen unabhängigen Kinos titulierten John Cassavetes vor. Drei dieser fünf Filme – „Schatten“, „Gesichter“ und „Ein Frau unter Einfluss“ – finden sich in einer Box wieder, die anderen beiden Filme „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ und „Die erste Vorstellung“ erscheinen mit den Extras der Criterion Box als gesonderte Einzelveröffentlichungen.


Filmkritik:
von Thomas Harbach

Koch Medias Veröffentlichung einer „John Cassavetes“ Collection orientiert sich ein wenig am amerikanischen Vorbild. Die ehrenwerte Criterion- Reihe legte eine Box mit insgesamt fünf Filmen des oft als Vater des amerikanischen unabhängigen Kinos titulierten John Cassavetes vor. Drei dieser fünf Filme – „Schatten“, „Gesichter“ und „Ein Frau unter Einfluss“ – finden sich in einer Box wieder, die anderen beiden Filme „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ und „Die erste Vorstellung“ erscheinen mit den Extras der Criterion Box als gesonderte Einzelveröffentlichungen.

Auch wenn die Zusammenstellung der Filme in den Staaten einiges an Stirnrunzeln hervorrief – so fehlen der hervorragende „Husbands“ genauso wie „Minnie and Moskowitz“ – ergibt sie einen Sinn. Bei allen fünf Filmen hatte der filmbesessene John Cassavetes die komplette Kontrolle über seine Filme. Bei einigen anderen seiner Produktion befand sich der Regisseur in der Halbwelt zwischen Studioproduktion und Independent Kino. Auch wenn man Cassavetes freie Hand und ein risikoloses Budget von unter einer Millionen Dollar überlassen hat, fehlt ihnen der manische Drang, Realismus in reinster Form abzubilden und keine Geschichte zu erzählen. Bei den anderen Produktionen reicht – wie Sascha Westphal in seinem sehr guten Artikel für das Booklet beschreibt – bis zur allerdings auf Inhalt begrenzten Provokation seines Publikums.

Nachdem „Die erste Vorstellung“ von den Premierenbesuchern nach der Erstaufführung bejubelt worden ist, schnitt Cassavetes das Ende noch einmal radikal um, weil ihm diese Reaktion zu befremdlich vorgekommen ist. Auch wenn Westphal diese drastische Maßnahme, welche schließlich auch zum vollkommenen Misserfolg des Films beigetragen hat, nicht weiter kommentiert, ist es nur ein Merkmal eines Exzentrikers. Dabei muss man das Werk dieses begnadeten Schauspielers – immer wieder hat er sich das Geld für seine persönlichen Filme durch die Übernahme von Rollen in Fremdproduktionen verdient – kritisch beleuchten. Zwei Filme dieser Sammlung sind drastisch von ihm bearbeitet worden. „Faces“ hat er wie einige andere Filme von einer vier Stundenfassung auf knappe zwei gekürzt, während der erste Film „Shadows“ bei der Erstaufführung in einem New Yorker Kino durchgefallen hat. Also beschloss er, den Film noch einmal zu schneiden und einige Szenen mit den Schauspielern und Freunden nachzudrehen. In diesem Fall hat er ihn von knappen sechzig Minuten auf die Laufzeit von 79 Minuten verlängert, die fragmentarische Struktur entschärft und im Gegensatz zu seinen anderen Filmen das narrative Element verstärkt.

Wie eng das amerikanische unabhängige Kino mit dem französischen Vorbild verbunden ist, zeigt nicht nur Cassavetes Anlehnung an das Frivole, die scheinbar sorgenfreie Lebe-den-Tag Einstellung eines Godards oder in Grundzügen eines Louis Malle. Vergleicht ein aufmerksamer Zuschauer insbesondere Malles Film „Die Liebenden“ und seinen später entstandenen „Das Irrlicht“, dann bilden diese beiden sehr unterschiedlichen Meilensteine des französischen Films zusammen mit „Shadows“ eine interessante Trilogie, in dessen Mittelpunkt die Irrungen der Liebe – „Shadows“ und „Die Liebenden“ – sowie der berufliche Misserfolg – „Das Irrlicht“ und „Shadows“ – stehen. Ganz bewusst konzentriert sich John Cassavetes in seinem Portrait der Boheme zusätzlich auf Außenseiter… Farbige.

Viele haben sowohl im Titel als auch die Darstellung von Tag und Nacht eine Diskussion der ethnischen Rassenfrage hinein interpretiert. Um allen Klischees auszuweichen, provoziert der Autor/Regisseur sein Publikum, in dem er diese Abgrenzung, diesen offen vorhandenen Rassismus nicht aus der Perspektive der weißen Bevölkerung New Yorks untersucht, sondern einen Farbigen diese Mauer aufbauen lässt. Der junge Tony hat eine Nacht mit Lelia verbracht, ohne wirklich zu wissen, dass diese hellhäutige junge Frau negroide Züge trägt. Ihn stört es auch nicht. Das sexuelle Abenteuer erfüllt weder seine noch ihre Erwartungen, es gibt keine Aussprache. Als Tony sie in ihrer Wohnung in der Nähe des Broadways abliefert, trifft er auf ihre beiden Brüder Hugh und Ben. Ben lebt in den Tag hinein, sieht sich als großer Musiker, ist aber nur ein Taugenichts. Er ist einen Stich dunkler, zieht unentwegt mit seinen weißen Freunden unbehelligt durch die Stadt.

Der älteste Bruder Hugh möchte als Sänger arbeiten, findet aber nur einfache Jobs. Er weist Tony von der Tür mit einer Autorität ab, die er nur in Bezug auf seine junge Schwester hat, beruflich ist sein Abstieg vorgezeichnet. Das liegt weniger an seinem Manager als an einem Dickkopf. Nicht selten hat der Zuschauer das Gefühl, als verfolge er einen farbigen John Cassavetes durch ein berufliches Nirvana. Die beruflichen Angebote entsprechen nicht seinen Vorstellungen, er muss sie allerdings annehmen, um Überleben zu können. John Cassavetes wird später ähnliche Angebote im Bereich der Schauspielerei annehmen, um seine eigenen Projekte finanzieren zu können. Das ständige Pendeln zwischen Kommerz und Kunst drückt sich in seinem Erstlingsfilm noch sehr verhalten aus. Obwohl Tony bislang nichts von Lelia schwarzer Abstammung ahnt, wird sein Ego weniger von diesem „Fehlgriff“ getrübt als der Tatsache, dass ihm ein Schwarzer die Tür weist.

So plötzlich diese rassistische Phase im Film ausbricht, so schnell verschwindet sie wieder. John Cassavetes bemüht sich, sie als etwas Alltägliches darzustellen, über das sich nicht nachzudenken lohnt. Wie auch die Protagonisten nicht darüber nachdenken. Am nächsten Morgen liegt Lelia rauchend, betrübt in ihrem Bett. Ihre beiden Brüder streiten sich um das Badezimmer. Sie beginnt zu lächeln, am Abend wird von einer Party gesprochen, der Ärger vom Vortag ist vergessen. Am Ende des Films wird der Rassismus noch einmal ausbrechen, wenn die weißen Jungs Ben und seine Freunde verprügeln. Dabei beantwortet Cassavetes die Frage nicht, ob sie die Prügel als Farbige erhalten oder weil sie die falschen Frauen angemacht haben. Der Zuschauer soll sich seine eigene Meinung bilden. Wie bei im Grunde allen Fragen dieses Films. Der Betrachter muss sich in die einzelnen Protagonisten im wahrsten Sinne des Wortes hineinarbeiten, ansonsten bleibt der Film ein verwirrendes und schnell langweilendes Spektakel einer sich langweilenden Jugendgeneration in der zwanglosen Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den wilden Sechziger Jahren.

Der weiße Mann steht für die alten Werte, den Snobismus. Lelia versuchte über Tony zu Gang zur Literatur zu finden, zu einer neutralen Kunst, welche nur am Werk betrachtet scheinbar zwischen den einzelnen Rassen nicht unterscheidet. Ihre Brüder fühlen sich zum Jazz hingezogen, zur im Grunde freiesten Kunst. Diese Musikrichtung entspricht auch der Improvisationswut John Cassavates. Wenn er aber am Ende seines Films davon spricht, dass das Werk auf freier Improvisation basiert, verrückt er gezielt den Fokus seiner Intention und stellt den Film als Idee und nicht als harte Arbeit dar.

Dabei hat er schon Jahre vor der Veröffentlichung dieser zweiten Fassung damit begonnen, einzelne Szenen mit seinen Freunden vom Theater einzustudieren, die Dialoge niedergeschrieben und bewusst versucht, das Geplante als Innovatives anzudienen. Er lehnt sich eher am modernen Off- Broadwaytheater New Yorks an, das die Strukturen des klassischen Theater regelrecht zu zertrümmern suchte und in seiner Experimentierfreude sein Publikum nicht nur regelmäßig schockierte, sondern verschreckte. So verfügt auch „Shadows“ über keine gängige Struktur, keinen Anfang und kein Ende.

Cassavates bemüht sich, fragmentarisch Einblicke in das Leben einer sozialen Unterschicht zu geben, ohne ihren Überlebenskampf als wirklich Tragödie darzustellen oder nihilistisch soziale Veränderungen zu propagieren. Seine Charaktere leben in dieser seltsamen Halbwelt aus Illusion und Realität, erhoffen sich eine Verbesserung ihrer Lebensqualität dank ihrer Fähigkeiten, sind außerstande, wirkliche Kompromisse einzugehen und fühlen sich doch wohl. Nur am Ende seines Films präsentiert John Cassavetes selbst für seine Verhältnisse eine Art Plot. Die Happiness Boys – wie sich Bens Freunde nennen – auf ihrer Jagd nach jungen ledigen Frauen werden von weißen Jungs verprügelt. Lelia findet trotz ihrer Zickigkeit einen Mann – einen Farbigen – zum Tanzen und eine Schulter zum Anlehnen, Hugh und sein Manager verlassen die Stadt, um in Chicago zumindest für eine Woche Arbeit zu haben. Das Leben geht weiter… der Broadway bleibt eine Illusion.

Das Original von „Shadows“ ist inzwischen nicht mehr aufführbar. Zu sehr hat der Zahn der Zeit das mit einer leichten 16 mm Kamera gedrehte Filmmaterial zersetzt. Die Restauration dieses insbesondere von der technischen Seite her erstaunlich selbstsicher improvisierten und somit inszenierten Films zeigt wahre Wunder. Auch die deutsche Ausgabe von Koch kann von der technischen Seite her restlos überzeugen. Sehr wichtig für das unabhängige Kino als sozialkritischer Nachfolger des Film Noir ist die Darstellung der verschiedenen Grautöne. Während das Hollywoodkino in Cinemascope und Technicolour die Massen in die Kinosäle rief, bemühte sich das unabhängige Kino, Stimmungen in schwarzweiß einzufangen. Der Farbfilm ist verpönt gewesen, außerdem reichte in den meisten Fällen das Geld nicht aus, um teuren Farbbild zu kaufen. Der Bassist Charles Mingus hat einen schönen, sentimental angehauchten Soundtrack für den Film geschrieben.

Ganz bewusst hat John Cassavetes an den Originaldrehplätzen mit versteckter Kamera gedreht. Wenn Hugh durch die Central Station rennt oder seiner kleinen Schwester vor den Schließfächern einen Rat gibt, dann wirkt es nicht nur authentisch, es ist authentisch. Und dieser Realismus verdeckt die schauspielerischen Defizite der in erster Linie Theaterschauspieler. Ihnen fehlt nicht selten die Fähigkeit, ein nuanciertes, verstecktes Minenspiel aufzusetzen. Wenn dann auch noch Hughs Managers mit einer schrillen Stimme synchronisiert wird, wird die mühevoll aufgebaute Atmosphäre eines improvisierten Films gänzlich zerstört. Trotzdem gelingt es John Cassavates überzeugend, das Bild eines Alltags in der selbst erklärten Boheme New Yorks einzufangen, ein seltsam dokumentarisch wirkender Film, der um keinen guten, oft passenden Dialog verlegen ist. Außerdem nimmt das Werk Züge seines späteren künstlerischen Erfolgfilms „Die erste Nacht“ vorweg.

Insbesondere die Szenen hinter der Bühne wirken überzeugend. Cassavetes verfolgt mit erbarmungsloser Kamera Hughs im Ansatz verzweifelte Bemühen, irgendwelche untalentierten Mädchen für eine Bühnenshow mit einem lustigen Witz anzusagen. Mädchen, die in seinen Augen nicht über das Talent verfügen, das er hat. Hugh wirkt dabei weniger arrogant als verzweifelt. Hier gelingt es dem Regisseur wirklich, den Zuschauer von seiner Intention eines zufälligen Portraits einer zufällig ausgewählten Gruppe von Menschen in einer zufälligen Nacht im Schatten des Broadways zu überzeugen, hier beginnt sein Film über die Charaktere hinaus zu leben und dieses Eigenleben ist auch heute noch faszinierend. Es sind die kleinen Gesten, welche die Aufmerksamkeit des Publikums fordern und erfordern. Nicht alles ist perfekt an diesem Film, er fordert von seinen Zuschauern nicht nur Geduld, sondern im Grunde die Akzeptanz bestimmter Prämissen und eines Zeitgeists, den es wahrscheinlich schon damals eher als Illusion denn als Lebenszweck gegeben hat.


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