Polizei greift ein

Originaltitel: 
Pickup on South Street
Land: 
USA
Laufzeit: 
79 min
Regie: 
Samuel Fuller
Drehbuch: 
Samuel Fuller
Darsteller: 
Richard Widmark, Jean Peters, Thelma Ritter
Kinostart: 
11.12.53

Der Taschendieb Skip stiehlt in der New Yorker Subway eine Damenhandtasche mit brisantem Inhalt: Ein Mikrofilm, der eine Formel für die Herstellung von Atomwaffen enthält. Deren eigentliche Besitzerin Candy wurde von ihrem kriminellen "Freund" Joey ohne ihr Wissen als Kurier der heißen Ware eingesetzt. Eine erbarmungslose Hetzjagd beginnt, als Skip und Candy zwischen die Fronten einer mordenden Gangsterbande und der Polizei geraten.


Inhalt & Filmkritik:
von Thomas Harbach

Der amerikanische Regisseur Samuel Fuller (1912-1997) verpackte seine politischen Ansichten in ein berüchtigt brutales Action-Kino und bot auch mit seinem unabhängigen Auftreten immer wieder Angriffsflächen. Fuller begann mit 17 zunächst als Polizeireporter in New York zu arbeiten, im Zweiten Weltkrieg war er als hochdekorierter Frontsoldat in Afrika und Europa eingesetzt - Erfahrungen, die als prägend für sein Werk gelten. Sie bilden auch die Grundlage für zwei seiner größten Filme: "Park Row" (1952), ein Tribut an die New Yorker "Zeitungsstraße", und der nach Fullers First Infantry Division benannte Kriegsfilm "The Big Red One" (1980).
Mit 26 drehte Fuller seinen ersten Billigfilm "I Shot Jesse James" (1949), der von der "New York Times" als "erster psychologischer Western für Erwachsene" hervorgehoben wurde. Sein dritter Streifen "The Steel Helmet" von 1950 war ein Kassenerfolg, weil er der erste über den gerade begonnenen Korea-Krieg war, aber umstritten, weil keine Helden und kein Patriotismus sichtbar wurden. Immer wieder kehrt er neben seinen Kriegsfilmen zu den Menschen auf der dunklen Seite des amerikanischen Traums – Prostituierte, Kleinkriminelle – zurück. Mit seiner kontinuierlichen Provokation reizt er allerdings auch das Establishment und wird mit seinem Alterswerk in Hollywood nicht mehr glücklich. Insbesondere in Frankreich, aber auch in Deutschland mit einem TATORT Krimi inszeniert er vom Ansatz her kritische, aber nicht mehr packende Filme. Wie viele andere harte Männer Hollywoods – siehe Sam Peckinpah – wird erst nach seinem Tod sein oft proletarisches Werk die Beachtung finden, die es verdient.

„Polizei greift ein“ ist ein guter Vertreter des späteren klassischen Film Noirs, der vor allem durch eine sorgfältig konstruierte Story und seine formale Finesse überzeugt.
Mit einem Griff hinein in die Zufälle des Lebens eröffnet Fuller den Film mit einer alltäglichen Szene. Die genaue Ordnung der Blicke dreier Menschen in der U-Bahn erschließt sich zunächst nicht. Es wirkt wie ein Klischee, zwei Männer beobachten eine hübsche junge Frau. Alt und jung vereinigen sich mit ihren Blicken. Aus dem Hintergrund wird diese Dreierkonstellation durch Richard Widmark gesprengt, er agiert, während die – wie sich später herausstellt – Geheimpolizei passiv bleibt und von der Realität der Straße überfordert ist. Darum ist der deutsche Titel „Polizei greift ein“ eine ironische Übertreibung, der Originaltitel „Pick Up on South Street“ beschreibt einen in den Großstädten alltäglichen Vorgang, der sich schnell mit rasender Eigengeschwindigkeit zu einer Tragödie ausweitet.
Die Kamera arbeitet präzise, aber ausschließlich zur Exposition, gibt das, was sie zeigt, dem weiteren Geschehen zur Klärung auf. Fuller verzichtet auf großartige Sets – wären im Budgets sowieso nicht enthalten – und zeigt neorealistisch einen anscheinend normalen Morgen an einem gewöhnlichen Alltag.

Drei der vier hier versammelten Menschen, deren Wege zufällig zusammengekommen, werden sich im Folgenden umkreisen, schlagen, erpressen, lieben, verfolgen, belauern. Die Stärke des Films liegt nicht in der eher patriotischen Stimmungsmache, die gute Demokraten zeigt und die bösen Kommunisten mit ihrer Spionage – das alles bezieht sich auf das Original, in der ebenfalls vorhandenen alten deutschen Tonspur hat es der deutsche Zuschauer nur mit künstlichem Rauschgift zu tun – verteufelt, sondern Fuller zeigt Menschen aus der Unterschicht – Diebe, Betrüger und schließlich Hostessen -, denen es zuerst um die einmalige Chance geht, eine ungewöhnlich große Summe Geld zu verdienen. Als der erste Kreis – Du wollst nicht töten – durchbrochen wird, tritt das Geld zumindest für einen Augenblick in den Hintergrund und die Bestrafung der Täter und nicht der Schutz der Nation erscheinen wichtiger. Alleine mit dieser fast zynischen Charakterisierung der Motive seiner Figuren spielt Fuller gegen den Zeitgeist und den in Korea tobenden Krieg zwischen den Roten und den „Guten“.

In seinem Film ist noch viel deutlicher als sonst alles nur noch Verhandlungssache. Der Plot ist hier nicht so furchtbar wichtig: Da geht es um einen Taschendieb namens Skip McCoy (Richard Widmark), der dem Flittchen Candy (Jean Peters) in der U-Bahn die Geldbörse klaut - ohne zu ahnen, dass das Portemonnaie wichtige Pläne der amerikanischen Regierung in Form eines Mikrofilms enthält. Die Pläne waren auf dem Weg zu einigen umtriebigen Kommunisten. Die Herrschaften wollen den Film natürlich zurück; die Polizei ist auch bald hinter Skip her. Bei Hitchcock wäre das jetzt Stoff für eine Verfolgungsjagd durch die Stadt oder wahlweise das ganze Land. Bei Fuller bleibt Skip, Schlitzohr, das er ist, aber einfach, wo es ist: In seiner schäbigen Hütte am East River, wo das kalte Wasser des Flusses den Kühlschrank ersetzt. Und da wartet er. Nach und nach besuchen sie ihn alle. Die Polizei, die ihm aber den Diebstahl nicht nachweisen kann - und wieder abziehen muss. Candy, die den Schurken Skip sehr anziehend findet, aber sich nicht zwischen den Fronten entscheiden kann - wohl auch, weil sie trotz ihrer moralischen Bedenken eine gewisse Loyalität dem Mann gegenüber empfindet, der sie aus der Gosse geholt und jetzt mit diesem Auftrag in Gefahr gebracht hat.
Was folgt, ist ein bizarres Hin und her der Loyalitäten, die immer wieder eingekauft werden: Die Straßenhändlerin Moe verrät Skip - weil der Preis stimmt, nicht, weil sie ein böser Mensch wäre. Im Gegenteil: Die alte Dame ist die gütigste, warmherzigste Figur des ganzen Films. Dafür bezahlt sie zum Ende des zweiten Aktes teuer. Sie vermittelt Skip und damit auch dem Zuschauer die immer noch auf der Straße herrschende Moral. Es gibt bei krummen Geschäften eine Grenze, kein Mord, kein Rauschgift. Auch wenn Moes Rede ein wenig zu moralisch daherkommt, wirkt sie überzeugend und fast mütterlich. Ihre letzte Tat besteht in dem Nichtverkauf von wichtigen Informationen, einfach nur, weil der potentielle Auftraggeber der falsche Mann zu sein scheint. - wie sie souverän ihren Ehrenkodex formuliert. "You'd sell anybody for buttons", meint da einer zu ihr. "Yeah", antwortet sie. "But not to you."


Allein schon Thelma Ritters Darstellung wegen ist „Pickup on South Street“ ein Juwel: Wie sie Abends müde in ihr Zimmer zurückkommt; wie sie die Sinnlosigkeit ihres Lebens beschreibt, wie müde sie ausgerechnet an dem Tag wirkt, an dem sie erkennt, dass sie ihre persönlichen Grenzen überschritten hat. ZU Beginn handelt sie mit einem der Polizisten um wichtige Informationen, alles verpackt in übliche Handelsware, die sich als Kombination verkauft. Wahrscheinlich um ihr eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen, für sie hilft sie weniger der Polizei als das sie für Geld einen unabänderlichen Vorgang verkürzt. So ist das Leben, eine Reihe von Abfolgen und Vorgängen, an denen irgendwo und irgendwann jemand profitiert.

Das Zentrum von "Pickup on South Street" sind folglich zwei Großaufnahmen von Küssen: Candy küsst Skip, die Züge verschleiert, die Linien, die sonst so klar sind, verschwimmen zum Ineinander der Züge. Liebe kreuzt und quert die Scheidungen, die die Welt der Figuren bestimmen – und bringt alle Beteiligten erst recht in Todesgefahr. Alles auf einmal kann es nicht geben: Leben, die Frau und das Geld. Candy, von Nüchternheit weit entfernt, trifft die vernünftige Wahl der Leidenschaft und fällt Skip in den Arm, der weitermachen will wie bisher und dessen Grenzen sie kennen gelernt hat. Auch wenn Widmark den harten Einzelgänger mit einer zynischen, fast nihilistischen Haltung darstellt, kann er sich seiner inneren Einsamkeit nicht erwehren und verfällt schließlich Candy, einer sehr hübschen, auch nicht unbedingt dummen, aber charakterlich nicht gefestigten jungen Frau, die aus der Gosse zumindest in die Scheinwelt des Kleinverbrechens aufgestiegen ist. Jean Peters weiß um ihre erotische Wirkung und spielt sie in verschiedenen Situationen bis an die Grenze des damals erlaubten aus. Wenn sie aus dem Bad kommt, um ihre Freund zu empfangen und gleichzeitig Zeit zu gewinnen, dann wirkt jede Bewegung nuanciert und geplant. Wenn sie auf der anderen Seite schwer verletzt im Krankenhaus liegt und von Widmark nur auf eine kleine Geste der Sympathie hofft, wirkt sie wie ein verlassenes Kind. Widmarks eindrucksvollste Szene besteht darin, Moes Sarg wieder von einem Transportschiff bei Nacht abzuholen, um ihr auf eigene Kosten zumindest ein anständiges Begräbnis zu geben. Obwohl sie Widmark verraten hat.


„Pickup on South Street“ bleibt außerdem im Gedächtnis als ein Film ungeheurer Enge auf einer emotionalen und auch handlungstechnischen Ebene, die nicht nur durch die atemlose Handlung in Parallelmontage zustande kommt. Fuller schießt fast alle Szenen mit sehr vielen Großaufnahmen, die extrem eng gebaut sind. Jean Peters kommt er oft sogar so nahe, dass man die Poren ihrer Haut sehen kann. Das wirkt bei einer schönen Frau manchmal hässlich, als wenn Fuller damit ausdrücken will, dass nur die inneren Werte zählen und alles andere eine Maske ist.

Die Kamera rast hektisch von Halbtotalten oder Halbnahen immer wieder zu Closeups, aufdringlich, reißerisch, aber vor allem drohend und einengend. Es ist die ganz ausgezeichnete Schwarz-Weiss-Fotografie, die dem Film eine wunderbare atmosphärische Dichte verschafft. Die vielen Nachtszenen, aber auch ungewöhnlichen Tagszenen bieten immer wieder Gelegenheit für die genretypischen Schatteneffekte.
Wie gut der Regisseur seine Schauspieler ausgesucht hat, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß Thelma Ritter für ihre Rolle zu Recht eine ihrer insgesamt sechs (!) Oscar-Nominierungen als beste Nebendarstellerin erhielt.
„Polizei greift ein“ mag kein großer Film sein und ihm fehlt trotz der nihilistischen Tendenzen die letzte Prise Tragik, die ein Meisterwerk auszeichnen würde. Dazu kommt ein eher aufgesetztes Happy End für zumindest zwei der handelnden Protagonisten und die Struktur des Plots ist an einigen Stellen zu stark konstruiert und wirkt nicht immer fließend.

Dennoch ist das ein ganz und gar mitreißender und in Bezug auf die Aufnahme ungemein realistischer Film mit einer kritischen Note insbesondere der Obrigkeit und der Polizei gegenüber, wie er einem reißerischen hard boiled-Roman aus der Feder Jim Thompsons oder David Goodies – als einen der letzten Filme wird Fuller mit „Straße ohne Wiederkehr“ einen Goodies Roman verfilmen und eine ähnlich tragische Geschichte inszenieren - entsprungen sein könnte. Alle Zutaten – von den zwielichtigen Personen bis zu den schummrigen Lokalitäten, in denen sie ihr Dasein fristen – sind vorhanden und werden von Fuller, dem Meister des soliden, kernigen Genrefilms, gekonnt eingesetzt und verdichtet. Die formale Brillanz kommt dem Film dabei zu Gute und verkommt nie zur Ausstellung handwerklicher Fertigkeiten: Schon die erste wichtige Szene – der Handtaschendiebstahl – wird fulminant allein über die visuelle Komponente als ein Montagespiel mit interessierten Blicken unterschiedlicher Parteien und erzählenden Detailaufnahmen inszeniert. Gleichzeitig etabliert Fuller hier schon über wenige Schnitte das wesentliche Grundgerüst der personellen Figuration und deutet das folgende Vexierspiel – wem ist zu trauen? Wem nicht? – bereits an: Mit sicherer Hand inszeniertes Genrekino der alten Garde wie es sein muss.

Qualitativ wirkt die DVD der Koch Media überzeugend. Zwar hätte man sich über etwas ausführlicheres Bonusmaterial gewiss gefreut: Außer einer Bildergalerie und Trailern zu anderen Veröffentlichungen des Hauses wurde nichts beigefügt. Dafür erweist sich das Bild trotz des Alters des Films als voll überzeugend. Der Ton hingegen macht sich der Referenz kaum verdächtig: Hier muss man sich mit dem Alter entsprechenden Klang zufrieden geben. Etwas schade sind die mangelnden Untertitel: Gerade wegen der verfälschten deutschen Synchronisation wären hier für des Englischen weniger mächtigen Zuschauer erhellende Untertitel von Interesse gewesen. Es empfiehlt sich allerdings, die beiden Tonspuren zu vergleichen. Außerdem hat Koch Media eine Szene wieder eingefügt, die wegen ihrer Brutalität gegenüber Frauen geschnitten worden ist. Sie ist untertitelt.
Alles in allem für Freunde kernig inszenierter, nicht unbedingt nostalgisch verklärter Unterhaltung aus der düsteren Welt des Film Noir dennoch eine wichtige Veröffentlichung, die zusammen mit „Vierzig Gewehre“ einen der kritischen Geister des amerikanischen Kinos in seinen Anfängen zeigt.

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