Spectre

Originaltitel: 
Spectre
Regie: 
Sam Mendes
Drehbuch: 
Neal Purvis, Robert Wade, John Logan
Darsteller: 
Daniel Craig, Christoph Waltz, Lea Seydoux, Monica Bellucci, Dave Bautista, Ralph Fiennes, Ben Whishaw, Naomi Harris
Kinostart: 
05.11.15

Der Titel des 24. Bond-Streifen, Spectre, ist der Name einer kriminellen Geheimorganisation, der für "SPecial Executive for Counter-intelligence, Terrorism, Revenge and Extortion" steht. Spectre spielte u.a. in klassischen Bond-Filmen Man lebt nur zweimal (1967), Im Auftrag ihrer Majestät (1969) oder Diamantenfieber (1971) eine Rolle. Dessen Chef Ernst Stavro Blofeld, mit Narbe im Gesicht und Angora-Katze auf dem Schoß, wurde zum Inbegriff des Filmbösewichts und war die Vorlage für Dr. Evil der Austin-Powers-Filme.

Skyfall hat das Franchise in neue kommerzielle Sphären katapultiert und weltweit 1,1 Milliarden US-Dollar eingenommen. Das hat kein anderer Teil auch nur ansatzweise geschafft. Auch die beiden Oscars für den besten Titelsong (gesungen von Adele) und den besten Tonschnitt machen die ganze Sache nicht einfacher - die Erwartungen an Spectre sind gewaltig.

Aus diesem Grund setzt das Filmstudio MGM erneut auf Skyfall-Regisseur Sam Mendez und Autor John Logan. Für Hauptdarsteller Daniel Craig ist es nach Casino Royale (2006), Ein Quantum Trost (2008) und Skyfall (2012) das vierte Mal sein, dass er den Geheimagenten und Frauenversteher darstellt. In wiederkehrenden Rollen sind Ralph Fiennes (M), Naomie Harris (Moneypenny), Rory Kinnear (Bill Tanner) und Ben Whishaw (Q) zu sehen. Gedreht wird u.a. in Österreich, Rom und Marokko.

Die Produzenten legen besonderes Augenmerk auf die Rolle des Handlangers namens Hinx. Die rechte Hand des Oberschurken soll ikonischen Vorgängern wie Beißer (Moonraker), Oddjob (Goldfinger) oder Red Grant (Liebesgrüße aus Moskau) in nichts nachstehen.


Kritik:

Von Christian Lukas. Vor dem Start eines Spielfilmes in den hiesigen Kinos, wird er, dies ist sicher bekannt, Vertretern der Presse vorab gezeigt. So natürlich auch der neue Bond. Bevor sich der Vorhang zur Pressevorführung in Düsseldorf öffnete, bat die sehr nette junge Pressebetreuerin die anwesenden Journalisten um einen großen Gefallen: Bitte, sagte sie, spoilern Sie ihre Leser nicht.
Diesen Gefallen zu erfüllen, er fällt nicht schwer, denn: Es gibt nichts zu spoilern. Spectre ist nämlich eine einzige große Enttäuschung, ein Bond vom Reißbrett, der Größe mit Getöse verwechselt.

Sicher, er beginnt spektakulär. Die ersten Minuten – eine einzige Plansequenz ohne einen einzigen sichtbaren Schnitt. Ein Meisterwerk der Kameraführung und der Montage. Wir erleben Bond auf einem Fest in Mexico Stadt. Weder erfahren wir den Sinn noch den Zweck seines Aufenthaltes. Und wir sind nicht wenig erstaunt, wenn Bond, ohne Ankündigung, aus einer Kamera eine Waffe bastelt – mit dem einzigen Zweck als Attentäter einen Menschen zu töten. Was sich aus dieser Situation entwickelt, das ist grandios und der einzige Moment in diesem Film, der wirklich hängen bleibt.
Etwas später erfahren wir dann auch, was Bond getrieben hat. Jener Moment der Erkenntnis ist auch jener Augenblick, der den Bogen zu den Vorgängerfilmen schlägt. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass all diese Filme zusammenhängen sollen. Das Problem ist nur: Jeder auch nur ein bisschen im Bond-Universum gebildete Zuschauer weiß, was Spectre als Name bedeutet. Wenn also Daniel Craig alias Bond nun auf Spectres Fährte stößt, mag das, was nun folgt, für junge Zuschauer, die noch nie Namen wie Connery oder Moore gehört haben, und außer Craig (und vielleicht noch Brosnan) keine anderen Bonds kennen, wirklich überraschend sein. Als Zuschauer jenseits der 30 jedoch stellt sich Fassungslosigkeit ein. Das kann doch nicht alles so unfassbar simpel verlaufen – wie es verläuft. So überraschungsfrei, so simpel?

Nach dem Attentat von Mexico City werden also die Fäden zusammengeführt, die die anderen Craig-Bonds gelegt haben. Fäden, die leider kein strammes Spinnennetz nach dem Zusammenführen ergeben, sondern ein schlabberndes, löchriges Fischernetz, in dem sich vielleicht Flipper verfangen kann, durch das Heringe jedoch munter hindurch schwimmen.

Die Reise geht von London nach Rom. Dort trifft Bond die Witwe des zu Beginn eliminierten Finsterlings, er bekommt einen Tipp (die Ehe war nicht glücklich und Bond weiß halt, wie man mit schönen Witwen verhandelt), er findet eine Gesellschaft ziemlich fieser Mega-Verschwörer, es folgt eine schöne Autoverfolgungsjagd durch Rom, inklusive nächtlicher Postkartenbilder vom Petersdom, doch kommt in diesen Momenten niemals das Gefühl der Gefahr auf. Natürlich wissen wir, dass Bond nicht nach 30 Minuten Spielzeit das Zeitliche segnen wird. Würde dies passieren, wäre dies tatsächlich eine Überraschung, die zu spoilern gemein wäre. Aber da der Film schlichtweg frei von Überraschungen bleibt, ist es kein Spoiler zu verraten: Bond trifft irgendwann eine schöne, junge Französin (im Fachjargon Bondgirl genannt), die mehr über die finsteren Verschwörer weiß und dann...
Passiert eigentlich nichts. Zusammen reisen Bond und Bondgirl durch die Welt und dann ist der Film nach endlosen 148 Minuten aus und vorbei.

Oh, es kracht und knirscht zwischendurch gewaltig. Verfolgungsjagden durch Alpentäler folgen Prügeleien in Zügen (wo sich Bond durch drei Abteile prügelt, in denen außer den Prügelparteien niemand sitzt – selbst die Küche ist unbesetzt)! Irgendwann dann folgt der Auftritt Christoph Waltz’. Der spielt den Finsterling (das ist kein Spoiler, sondern wurde schon vor Monaten kolportiert und ist in jedem Trailer zu sehen).
Tja, und sonst? Gibt es eigentlich so etwas wie eine echte Handlung?

Wenn man gnädig gestimmt ist, ja. Bond ist auf der Suche nach einer Gruppe böser Jungs und nach sich selbst. Nach einem Geheimnis seiner eigenen Vergangenheit, das aus seiner Familie heraus resultiert. Und, auch dies ist kein Spoiler: Der Film löst dieses Geheimnis auch auf. Allerdings mehr als halbgar. Spectre bietet einen kleinen Blick in Bonds Vergangenheit, der jedoch sehr, sehr oberflächlich bleibt. Und aus dieser Vergangenheit gibt es dann auch einen Bezug zu der Organisation, die dem Film den Titel gibt. Nur diese Verbindung (hier wird jetzt nicht gespoilert) bewegt sich auf einem Niveau übelster, ja fast schon unverschämter Küchenpsychologie. Es hat, so viel Spoiler darf sein, mit Waltz’ Figur zu tun und es ist Waltz hoch anzurechnen, dass er, wenn er diese Hintergründe offenbart, dies mit oscarwürdigem Verve spielt und nicht vor Lachen in Tränen ausbricht. Abgesehen davon erfahren wir, die Zuschauer, nichts über Spectre: außer, dass es ein machtgeiler Verein ist. Hurra, welche Überraschung. War das zu verraten jetzt ein Spoiler?

Wenn Skyfall ein Fünf-Gänge-Menü auf Zelluloid darstellt, ist Spectre eine kalte Frikadelle, die auf den Boden gefallen ist und dann mit Krümeln aufs Brötchen zurückgelegt wurde.

In Skyfall durften wir Javier Bardem in der Rolle des Raoul Silva erleben, jenes Agenten, der an M Rache nehmen will dafür, dass sie ihn fallen gelassen hat. Dabei ist Silva ein trauriger Charakter. Er ist böse, rachsüchtig, brutal. Und doch ist er ein Verzweifelter, ein ehemals treuer Agent ihrer Majestät, der nach seiner Enttarnung aufrecht und freiwillig in den Tod gehen wollte, um seine Geheimnisse zu schützen. Es ist seine Tragik, seinen Suizidversuch überlebt zu haben, denn so musste er erleben, wie jene, für die er ohne zu zögen sein Leben hingab (beziehungsweise gegeben hätte) ihn eiskalt fallenließen.

Silva ist im Rückblick betrachtet ein Spiegelbild von Bonds Seele. Was, wenn auch sein Kampf eines Tages damit endet, dass die, für die er alles geben würde, ihn fallen lassen?

Oh, diese Idee wird im neuen Bond sogar aufgenommen. Eine neue Geheimdienstzentrale soll eingerichtet werden. Neun Länder, die ihre Informationen austauschen, angeführt von einem britischen Karrierebeamten, der ein neues Zeitalter vertritt, das die Menschen schützen will, indem es die Demokratie überwindet. Der neue M (Ralph Fiennes wurde am Ende von Skyfall ja in diese Rolle eingeführt), ein alter Kalter-Kriegs-Kämpfer, ist in diesem System ein Modell fürs Museum, ebenso wie seine Doppel-Null-Agenten dies sind.

Darin steckt eine reizvolle Geschichte. Was, wenn die, die unsere Freiheit opfern, dies nicht für Geld und Dividenden tun, wie Verschwörungstheoretiker ihnen immer unterstellen, sondern – weil sie wirklich glauben, damit die Menschen vor dem Bösen zu schützen? Oh, was hätte man aus dieser Idee daraus machen können? Allein – hat Regisseur Sam Mendes nichts aus dieser Idee gemacht!
Es wurde kolportiert, Craig habe Mendes persönlich (fast schon auf Knien) gebeten, diesen Film zu inszenieren. Einen Film, den Mendes wohl nicht hat machen wollen. Ob es stimmt? Es ist eine Theorie, die sich zumindest nicht von der Hand weisen lässt. Wo in Skyfall zwischen all der Action eine Flut von Gefühlen auf die Zuschauer niederprasseln, setzt Mendes in Spectre Einzelszenen aneinander: kalt, emotionslos.

Die Krux dieses vierten Craig-Bonds besteht vermutlich darin, dass es niemals wirklich einen großen Plan gegeben hat. Casino Royal war ein Reboot. Krachend, cool, emotional, traurig. Bond wurde neu definiert; Craig, nach seiner Verpflichtung zunächst umstritten, führte Bond ins 21. Jahrhundert und die Kritiker verstummten. Tatsächlich öffnete dieser erste Film ein Törchen für eine große Geschichte, die dann aber in Ein Quantum Trost nicht zünden wollte. Ein Quantum Trost ist nicht so schlecht, wie er oft geredet wird – wenn man ihn als einen Übergangsfilm zwischen Casino Royal und Skyfall betrachtet. Wenn Casino Royal den Motor gezündet hat, musste Ein Quantum Trost ihn einfahren, damit Skyfall schließlich Gas geben konnte. Skyfall versprach den Zuschauern, dass dieser Bond endgültig und unwiderruflich nichts mehr mit den Moore-Dalton-Brosnan-Bonds gemeinsam haben würde, jenen Filmen, in denen Bond in Film A gegen Finsterling X und Film B gegen Finsterling Y ins Feld ziehen musste, ohne einen erwähnenswerten Überbau. Nein, dieser Bond würde der Harry Potter des Agentenuniversums. Oder zumindest Die Tribute von Panem. Nur ist Spectre eben nicht die grandiose Fortsetzung Skyfalls, sondern, um in der Motorenmataphorik zu bleiben, ein Kolbenfresser.
Lieblos, überraschungsfrei, frei von Dramatik und Emotionen.

Wer heute anspruchsvolles Erzählfernsehen gewöhnt ist – von Game of Thrones über Utopia bis zu Fargo, kann ob der Mutlosigkeit, mit der Spectre die Geschichte Bonds auf der Suche nach sich selbst erzählt, nur staunen. Spectre präsentiert Stereotype statt Charaktere, brav folgt er einer ABC-Dramaturgie (wir gehen von A nach B nach C), statt mutig Brüche in Kauf zu nehmen und seine Zuschauer zu fordern – wie Skyfall dies tat, bleibt alles belanglos-simpel.

Am Ende des Abspanns steht, Bond wird zurückkehren. Nach Spectre kann man dies als Drohung verstehen und es wird verständlich, warum Craig nach vier Filmen allen Anschein nach aussteigen will. Ohne zu spoilern (mal wieder): Immerhin gelingt Spectre das kleine Kunststück, die Craig-Reihe halbwegs ehrenvoll zu beenden und trotzdem die Türen für einen fünften Craig offen zu lassen. Da Craig nun allerdings zu den Schauspielern gehört, die nicht mehr für die Miete arbeiten gehen müssen, sondern sich den Luxus erlauben dürfen das zu machen, worauf sie Lust haben, darf man seine Ausstiegspläne wohl ernst nehmen. Da er bei Spectre als Co-Produzent aufgeführt wird, wird er an diesem Film so viel Geld verdienen, dass er mit Ausstiegsdrohungen schlichtweg nicht drohen muss, um seine Gagen zu erhöhen. Nein, er scheint es ernst zu meinen, worauf ja die offen ausgetragenen Nachfolge-Spekulationen hindeuten.

In diesem Zusammenhang kam es unlängst zu einem Skandälchen, als der aktuelle Bond-Romanautor Anthony Horowitz den als Kandidaten gehandelten Idris Elba als ungeeignet bezeichnete. Sofort wurde Horowitz Rassismus vorgeworfen, dabei hielt er Elba nur für zu „street“, was bedeutet – Elba ist ein Schauspieler, der harte Kerle spielen kann, der Kanten hat, der aber nicht geeignet erscheint, einen englischen Gentleman darzustellen.

Nun kennt kaum jemand die Figur Bonds besser als Anthony Horowitz, ihm zu widersprechen, wirkt fast vermessen. Dennoch könnte Anthony Horowitz hier gewaltig irren. Schon Connery galt als schwierige Besetzung aufgrund seines schottischen Akzents, dennoch prägt er bis heute das Bild des klassischen Agenten. Er konnte ein Gentleman sein – und ein eiskalter Killer. Mit dieser Darstellung hat er Maßstäbe gesetzt. Wer erinnert sich an den Akzent?

Und so ist Elba aufgrund seiner Herkunft – der Vater stammt aus Sierra Leone, die Mutter aus Ghana – auf den ersten Augenblick vielleicht nicht die klassische Reinkarnation eines englischen Agenten mit der Nummer 007. Aber wir leben im verdammten 21. Jahrhundert. Klar wird es Leute geben, die auch im 21. Jahrhundert ihren Rassismus nicht ablegen können und ob eines Idris-Elba-Bonds aufschreien würden. Doch soll man auf diese Leute Rücksicht nehmen? Vor allem, wenn der Darsteller ein geiler Typ wie Elba ist und im Gegensatz zu Connery auch noch perfekt shakespeareskes Bühnenenglisch zu sprechen versteht?

Dieser Bond wird nicht floppen, auch wenn statt eines Drehbuchs ein Kompromiss in Auftrag gegeben wurde. Was juckt es das Publikum, was ein kleiner Provinzrezensent hier schreibt? Am Ende wird er eine Fantastilliarde an den Kinokassen machen und alle Beteiligten dürfen sich zufrieden auf die Schultern klopfen. Allein: wer ein bisschen Ahnung von Charakter- und Drehbuchentwicklung hat, weiß, dass sich Bond mit diesem Film narrativ in eine Sackgasse bewegt hat. Das Türchen für einen fünften Craig-Teil mag ja offen sein. Doch wenn das Ergebnis „Spectre – Jetzt noch beliebiger“ wird, darf man sie auch einfach offen stehen lassen.

Wir bedanken uns bei Journalist, Autor und Profilnörgler Christian Lukas für die Filmkritik.

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