Ein schmaler Grat zwischen Detailverliebtheit und Nachlässigkeit - Spoiler-Kritik zu Stephen Kings Es

SPOILER

bill-skarsgard-als-pennywise.jpg

Bill Skarsgard als Pennywise in Stephen Kings Es

Einen spoilerfreien Blick auf Stephen Kings Es haben wir in einer früheren Kritik bereits geworfen. Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte also lieber erst einmal diese Version lesen. In unserem zweiten Blick auf die Neuinterpretation nehmen wir auf Spoiler nämlich keine Rücksicht. 

Wer mit der TV-Mini-Serie des umfangreichen Werks von Stephen King vertraut ist, wird sich zu Beginn der Inszenierung durch Andy Muschietti vermutlich um Jahre zurückversetzt fühlen, so sehr ähneln sich die Szenen. Sogar die Kameraführung erinnert an die Version aus dem Jahr 1990. Und dennoch wird bereits zu Beginn deutlich, dass der neue Ansatz wesentlich detailverliebter ist. So greift das Drehbuch Dialoge aus dem Buch auf, die vorher fehlten, und für den nötigen Feinschliff sorgen. Deshalb wirkt der anfangs skeptische Georgie, der nicht mit Fremden reden darf, gleich viel vertrauensseliger, wenn Pennywise den Zirkus beschreibt mit all den Verlockungen, denen Kinder schlecht widerstehen können. Und reduziert hier den letztendlich fatalen Griff zum Papierboot nicht auf die zu erwartenden Enttäuschung des älteren Bruders aufgrund des Verlusts der MS Georgie. Bereits hier legen Drehbuch und Regie den Grundstein dafür, warum diese Umsetzung stimmiger und nicht so unbeholfen wie ihr Vorgänger wirkt.

Comic-Clown trifft auf Sharknado

Dennoch zeigt bereits der Anfang, dass es Änderungen, Abweichungen und Ergänzungen gibt, die unnötig erscheinen, und den positiv Eindruck immer etwas trüben. Sowohl Buch als auch Erstverfilmung lassen offen, in was Pennywise sich letztendlich verwandelt. Muschietti setzt hier auf maximal billig wirkendes CGI, wenn Pennywise Georgie den Arm abbeißt - der eigentlich furchteinflößende Clown wirkt hier wie eine schlampig gezeichnete Comicfigur. Und wenn dann noch der jetzt einarmige Georgie versucht, seinem Schicksal zu entkommen, dabei aber an eine Szene aus Sharknado erinnert, ist der eigentlich grauenhafte Auftakt der Geschichte unfreiwillig komisch. Ein ebenfalls etwas unglücklicher Kniff ist es, der Familie Denbrough das letztendliche Grauen zu ersparen und Bill in dem Glauben und - wie sich schließlich herausstellt - Wunschdenken zurückzulassen, dass sein kleiner Bruder verschwunden ist. Augenscheinlich soll diese Abweichung dazu dienen, Bills Motive nachvollziehbarer zu machen. Leider aber wirkt die Entscheidung etwas simpel und halbgar, da die Suche nach Georgie Bills primäres Ziel ist. Dies mag nicht so recht zu der eigentlichen Charakterisierung durch King passen, der den Anführer der Verlierer als nachdenklichen, etwas reiferen Jungen beschrieben hat.

es-verlierer-neibolt-street.jpg

Der Klub der Verlierer in der Neibolt Street

Vom Farmer zum Sheriff - die steile Karriere des Oscar Bowers

Generell wandert Stephen Kings Es zum Teil auf einem sehr schmalen Grat zwischen liebevoller Umsetzung der Buchvorlage und kleinen, aber ärgerlichen Abweichungen. Da achtet Muschietti darauf, aus Beverly eine Linkshänderin zu machen, wenn sie sich in Bens Jahrbuch einträgt, gleichzeitig erscheint Ben der Bibliothekarin gegenüber unhöflich und barsch. Dabei hat King für diese Figur Wert darauf gelegt, sie gerade Erwachsenen gegenüber als höflichen und umgänglichen Jungen darzustellen. Henrys Vater Oscar ist in den Büchern ein ehemaliger Marine, der eine schlecht gehende Farm betreibt. Im Film ist er aus unerfindlichen Gründen der Sheriff von Derry.

Gar nicht nachvollziehbar ist die Veränderung der Hintergrundgeschichte von Mike und Stan. Aus Mike wird eine Vollwaise gemacht, damit er eine hochtraumatische Geschichte über den Tod seiner Eltern erzählen kann. Dabei ist gerade die Farm der Hanlons ein wichtiger Punkt in Kings Geschichte, sind es doch die Hanlons, die den puren Hass der Bowers' auf sich ziehen. Schade ist außerdem, dass die Rolle der Recherche zur Geschichte Derrys in der Neuversion Ben zufällt, da sie eigentlich eine schöne Andeutung auf den Bibliothekar Mike in Kapitel 2 gewesen wäre. Somit verkommt Mike für Kapitel 1 zu einer Figur, mit der das Drehbuch anscheinend nicht wirklich etwas anzufangen wusste.

Aus Stans liebevollem Vater ist ein strenger Rabbi geworden, der seinem Sohn Furcht einflößt - durch seine Erwartungshaltung und ein Bild in seinem Büro, das eine frappierende Ähnlichkeit zu der Hauptfigur aus Muschiettis erster, großer Regiearbeit aufweist. Die Dame mit dem verzerrten Gesicht und der Flöte sieht schlichtweg aus wie Mama. Allerdings ist ihr Gruselfaktor durch die bessere Inszenierung wesentlich höher als der von Mama.

pennywise-bill-skarsgard.jpg

Bill Skarsgard als Pennywise in Stephen Kings Es

Zur Heilung einer Coulrophobie denkbar ungeeignet

Hier zeigt sich auch, dass Muschietti anders an die Umsetzung herangegangen ist. Bereits in Mama bewies er, dass er nervenzerfetzende Spannung aufbauen kann. In Stephen Kings Es gelingt ihm das in Perfektion. Wenn die Kinder von Es in seinen verschiedenen Inkarnationen verfolgt werden, ist die Spannung als Zuschauer fast nicht auszuhalten. So verfehlt Pennywise im Keller Bill nur um Millimeter, Ben wird durch das Archiv der Bibliothek gejagt, während Eddie dem Aussätzigen näher kommt, als ihm lieb ist.

Unterstützt wird der Regisseur hier definitiv von Bill Skarsgård, der sichtlich Spaß an der Inkarnation des Bösen hat. Die Jungdarsteller haben ihn das erste Mal für die Szene mit dem Diaprojektor als Pennywise zu Gesicht bekommen und berichten, dass sie alle Angst vor ihm hatten. Skarsgård gibt sich den Facetten hin, die Tim Currys Version nur angerissen hat. Der Darsteller betreibt ein unberechenbares Spiel zwischen Wahnsinn und dem puren Bösen, das seine Figur verkörpert. Gerade dies bringt ihn näher an die Romanvorlage und erinnert den einen oder anderen vielleicht daran, warum einem Clowns höchst suspekt sein können.

Und wenn der Zuschauer gerade nicht vor Spannung in seinen Kinosessel gedrückt wird, erzählt Stephen Kings Es eine wunderbar dargestellte Geschichte über das Erwachsenwerden mit stimmig besetzten Jungdarstellern. Besonders Sophia Lillis spielt das Mädchen, das gerade zur jungen Frau wird, bemerkenswert leicht, sodass sogar die Flirterei mit dem älteren Mr. Keene nicht ins Absurde abrutscht. Die berüchtigte Kinder-Orgie aus der Romanvorlage findet sich in der Verfilmung in gewisser Weise wieder, wenn auch nicht explizit. Wenn Beverly sich nach einem erneuten Zwischenfall mit ihrem Vater wie ihm Wahn die Haare abschneidet - sie will nicht mehr sein kleines Mädchen sein -, ist dies vom Effekt her nicht sehr viel anders als die Szene am Ende des Buches.

Fazit

Mit der Neuverfilmung von Andy Muschietti ist deutlich geworden, dass Stephen Kings Es gut umgesetzt werden kann, wenn man sich auf die wesentlichen Elemente der Geschichte konzentriert. Buch-Puristen werden die Details lieben und über die Abweichungen die Stirn runzeln - und sie werden verstehen, dass die Vorlage Kings niemals bis ins letzte Detail filmisch dargestellt werden kann. Dies hat Stephen Kings Es aber auch nicht nötig. Denn wie die meisten Geschichten Kings erzählt das Werk nicht nur eine Horrorgeschichte, sondern in erster Linie eine Geschichte über die Freundschaft und das Erwachsenwerden. Genau dies hat Andy Muschietti mit seinem hervorragenden Ensemble vortrefflich in Szene gesetzt. Damit bleibt die Vorfreude auf September 2019 - dann soll Kapitel 2 in den Kinos starten.

ES - Official Trailer Deutsch HD German (2017)

Regeln für Kommentare:

1. Seid nett zueinander.
2. Bleibt beim Thema.
3. Herabwürdigende, verletzende oder respektlose Kommentare werden gelöscht.

SPOILER immer mit Spoilertag: <spoiler>Vader ist Lukes Vater</spoiler>

Beiträge von Spammern und Stänkerern werden gelöscht.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren.
Ein Konto zu erstellen ist einfach und unkompliziert. Hier geht's zur Anmeldung.