Kritik zu Kingdom Come: Deliverance - Der Kampf um Böhmische Dörfer

Kingdom Come: Deliverance

Kingdom Come: Deliverance

Wer aufregende Tätigkeiten lieber hinter dem Monitor erleben möchte, ist bei Videospiel-Simulatoren genau richtig. Mit dem Kampfjet die Schallmauer durchbrechen, geht auch ohne Schwindel und vom Sofa aus! Mit dem Lastkraftwagen durch die ganze Welt touren, ohne sich ein Stück zu bewegen? Kein Problem! Auf einer ganz neuen Ebene wagt sich nun der tschechische Entwickler Warhorse Studios an eine Simulation heran. Mit dem Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance will man eine realistische Mittelaltersimulation geschaffen haben.

In einer offenen Welt sollen die Spieler Kämpfe gegen andere Ritter absolvieren, jagen und mit zwielichtigen Gestalten feilschen. Von der Konkurrenz hebt den Titel die Abwesenheit von Magie, Drachen und anderen Fabelwesen ab. Doch ist das Mittelalter in modernen Erzählungen so einfach vom Märchen zu trennen? Und wichtiger: Macht eine authentische Erfahrung im 15. Jahrhundert überhaupt Spaß? Frustrierend wäre es doch, wenn man als stolzer Recke mit zarten 19 Jahren an einer Lungenentzündung stirbt.

Das tschechische Studio steht also vor der Herausforderung, den Balanceakt zwischen selbst auferlegter, geschichtlicher Genauigkeit und Spielspaß zu finden. Sollte das gelingen, steht einem Durchbruch im von Fantasy regierten Rollenspiel-Genre nichts mehr im Wege. Denn oft wirkt Kingdom Come: Deliverance gerade aufgrund der Abwesenheit von Phantastik ironischerweise ein wenig magisch.

Schlachten in Böhmen

Der dunkle Ritter im finsteren Mittelalter

Die Geschichte setzt in einem kleinen Dorf Böhmens im Jahr 1404 an. Der Protagonist Henry ist ein bemerkenswert normaler junger Mann, der seine Tage damit verbringt, seinem Vater beim Schmieden zu helfen und seiner Liebsten den Hof zu machen. Aus heiterem Himmel wird sein Heimatdorf jedoch von einem verfeindeten Adeligen abgebrannt und jeder seiner Liebsten umgebracht.

Henry nimmt diese eher generische Origin-Story zum Anlass, der Batman des Mittelalters zu werden und Rache zu schwören. Danach folgen viele weitere Wendungen um Könige, Herzöge und Ritter, die der Spieler aber wahrscheinlich für ein paar Dutzend Stunden ignoriert. Henry kann jetzt schließlich relativ frei viele Hektar Böhmens erkunden und dabei tun, was man als frischer Waise im Mittelalter so gemacht hat. Also Reichtum ansammeln, Aufträge von jedem Bürger des Landes annehmen, Alchemie meistern, kämpfen und die Herrscher des Landes kennenlernen.

Wie in anderen Open-World-Spielen ist die Auswahl an Aktivitäten sehr reichhaltig. Wer möchte, kann auch nur der Geschichte folgen, würde dabei aber die Höhepunkte des Spiels verpassen. Der Handlungsstrang verliert sich schnell und kann sich nicht mit einem vergleichbaren Drehbuch wie bei etwa Game of Thrones messen. Gerade die Charaktere sind zwar erfreulich rau und eben teilweise auch ungebildet, bleiben aber auch sehr blass.

Gut, dass es in Form von Nebenquests viele kurzweilige Geschichten zu erleben gibt, die mit unterschiedlichen Ansätzen für Abwechslung sorgen. Mal spielt Henry den Nachtwächter, mal den Detektiv. Von einer Prügelei mit einem Priester geht es auf die Jagd mit dem hochnäsigen Balg eines Adeligen zu einem Angriff gegen Raubritter. Diese Aufgaben lassen sich erfreulicherweise auf zahlreiche Arten lösen.

In finsteren Zeiten funktionierte mit stumpfer Gewalt natürlich Vieles, als der Großteil des Pöbels noch an eine flache Erde geglaubt haben, aber warum nicht mal lesen lernen? Mit der neu erlernten Fähigkeit lassen sich in Manuskripten Hinweise finden, die wieder einen anderen Lösungsweg zulassen. Eine silberne Zunge und goldene Groschen helfen dann wiederum an anderen Stellen weiter.

Wild und Getier in Böhmen

Von Bugs, Mechaniken und gar bezauberndem Design

Ein Spiel mit so vielen Möglichkeiten und einer solchen Größe ist natürlich nicht einfach zu stemmen für ein kleines Entwicklerstudio wie Warhorse (mit etwa 60 Angestellten). Das macht sich zur Veröffentlichung auch schnell bemerkbar: Neben Kritik an der historischen Authentizität und Vorstellungen des Gründers wimmelt es in Kingdom Come: Deliverance nur so vor Bugs. An jeder Ecke begegnen dem Spieler kleine und größere Fehler, böse Zungen behaupten, die Entwickler haben sich am großen Projekt schlicht verhoben.

Bugs sind für Genrekenner sicher nicht ungewöhnlich, in diesem Spiel dank Mechaniken, die Immersion erzeugen sollen, aber umso ärgerlicher. Einer der größeren Makel ist das Speichersystem: Der Fortschritt kann nur selten festgehalten werden, etwa beim Ruhen in einem Bett. Das kann fatal sein. Ein Beispiel: In mehreren Spielstunden hat Henry mühselig lesen gelernt, endlos lange Dialoge bewältigt, sein Inventar sortiert und beim Händler einen guten Preis für Beute vom Vortag gekriegt. Plötzlich schleicht sich ein Spielfehler ein, die Aufgabe kann nicht mehr absolviert werden, oder das Spiel stürzt einfach ab. Weil die vielen Stunden Spielzeit an einem einzigen Tag absolviert wurden, ist der gesamte Fortschritt verloren. Ein Speichersystem, was Spieler nur lehren sollte, mit ihren Fehlern zu leben, straft dank dem Gamedesign und Bugs selbst die Härtesten ab.

Die eigenen Ansprüche an Realismus führen dazu noch zu einigen frustigen Mechaniken, wie dem unausgegorenen Schwierigkeitsgrad in Kämpfen, die die Geduld auf die Probe stellen können. Vieles ist wesentlich komplizierter als es sein müsste und durchbricht so eher die Darstellung des Mittelalters im Spiel. Das mag Kritik auf hohem Niveau sein, aber insgesamt hätte das Studio seine eigenen Ziele nicht so ernst nehmen sollen, gerade in Berücksichtigung der eigenen Größe. Neue Patches, die einige Fehler ausmerzen sollen, werden in den nächsten Wochen erwartet - ob das Spiel danach besser dasteht oder nicht, bleibt abzuwarten.

Fazit

Wer Zeit und Nerven investiert, wird in Kingdom Come: Deliverance mit reichhaltigen Erfahrungen in einer schönen, mittelalterlichen Welt belohnt. Gerade Liebhaber der Elder-Scrolls-Reihe kommen definitiv auf ihre Kosten. Momentan wird das Spiel noch von einigen Bugs geplagt und auch die angepriesene Authentizität bleibt auf der Strecke. Mit ein wenig Arbeit wartet hinter den Spielfehlern aber eine spaßige Erfahrung, die sich mit der Fantastik der Konkurrenz messen kann.

Kingdom Come: Deliverance ist für die Playstation 4, Xbox One und den PC erhältlich.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Deep Silver

Kingdom Come: Deliverance - Launch Trailer [DE]

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