Einmal richtig fürchten, bitte: Die Kritik zu Hereditary – Das Vermächtnis

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Hereditary Still

Familie Graham geht es eigentlich gut: Mutter Annie (Toni Colette) ist Künstlerin, Vater Steve (Gabriel Byrne) arbeitet als Anwalt, und die Kinder sind gesund. Nur die Großmutter hat die Familie ein bisschen durcheinander gebracht. Nach dem Tod ihrer Mutter merkt Annie, welche Last diese Frau war und beginnt bald, ihre Beziehung zu ihr aufzuarbeiten. Plötzlich passieren aber zunehmend seltsame Dinge, und schließlich droht eine Tragödie, die Familie zu zerreißen.

Direkt mit der ersten Szene verdeutlicht Hereditary – Das Vermächtnis, worum es geht: Grusel durch Atmosphäre. Man sieht das Baumhaus im Garten der Familie Graham, untermalt vom anschwellenden, drohenden, dissonanten Soundtrack. Damit unterstreicht er die zwei der drei Stärken des Films: Kameraarbeit und Ton, die zwei Hauptkomponenten guten Grusels.

Nehmen wir Shining: Von vielen als grandioser Gruselfilm verehrt, funktioniert er hauptsächlich durch seine verstörenden Bilder sowie die stimmungsvolle Musik. Auch The Ring punktet in diesen Bereichen. Gute Voraussetzungen also, dass Hereditary sich in diese Riege der besten Horrorfilme einreihen kann.

Aber ohne die Story wären die schönen Bilder und effektiven Klänge nur Beiwerk. Erzählt wird die Geschichte einer normalen Familie, der etwas Schreckliches widerfährt und die feststellen muss, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Für seine Handlung nimmt sich Hereditary viel Zeit: Mit knapp zwei Stunden Laufzeit gehört er zu den längeren Filmen im Genre, was ungewöhnlich ist. Aber über die meiste Zeit weiß er zu fesseln, denn er zeigt fast minutiös die Brüche in der Familie, und wie nahezu alle immer weiter an ihrem Verstand zu zweifeln beginnen. Dabei begnügt sich der Film meist mit Andeutungen. Was genau hinter den Ereignissen steht, nie wird klar ausgesprochen. Das führt dazu, dass nach dem Film bei genauem Überlegen ein paar Ungereimtheiten übrig bleiben. Im Verlauf fallen diese kleinen Löcher aber nicht weiter auf, da die Grusel-Atmosphäre nahezu alles beherrscht.

Hervorragende Arbeit leistet die Schauspielerriege. Vor allem Toni Colette spielt die langsam in den Wahnsinn abdriftende Mutter Annie Graham ziemlich überzeugend. Dank der guten Schauspielarbeit wirkt die beklemmende Atmosphäre noch dichter, werden die Zweifel am Geschehen größer, und die Spannung der gut geschriebenen Charaktere wird auf das Publikum übertragen.

Die Kamera setzt meist auf ruhige Einstellungen und Schwenks, die aber in spannenden Momenten genug Geschwindigkeit entwickelt, um die Anspannung auf das Publikum zu transportieren. Dabei lassen sich in den Bildern oft Details erkennen, gerne im Hintergrund, die zu einem Gefühl der Beklemmung beitragen, sollten sie nicht direkt gruseln. Speziell im letzten Drittel des Films wird der ganze Bildraum ausgenutzt, um die Vorgänge im Haus der Grahams zu illustrieren.

Die sphärisch-dissonanten Klänge des Soundtracks untermalen das gruselige Geschehen hervorragend und verstärken das durch Story, Kamera und Schauspiel hervorgerufene Gefühl der Spannung. Das funktioniert auch dadurch, dass Komponist Colin Stetson in diesem Genre bisher unbekannte Instrumente wie das Saxophon einsetzt und so Hereditary eine ganz eigene Soundkulisse gibt.

Entgegen manch anderer Horrorfilme bezieht Hereditary seine Schockmomente hauptsächlich aus der Atmosphäre und Anspannung, weniger aus Jumpscares. Die gibt es natürlich auch, und sie werden meisterhaft aufgebaut, so sehr, dass man dazu verleitet werden könnte, den Blick von der Leinwand abzuwenden: Es ist klar, was kommt, es wird nicht gut sein und bitte bitte nicht vergessen zu atmen. So sehr zieht die Spannung vor allem am Finale an, dass es für Zuschauer mit ohnehin angegriffenem Nervenkostüm fast unerträglich werden könnte.

Am Ende von Hereditary ist man wirklich froh, aus dem Kino zu kommen. Einerseits ist man erleichtert, diesen Horrortrip (im positiven Sinn) hinter sich zu haben, andererseits freut man sich, nach langer Zeit mal wieder, einen guten, effektiven und wahrscheinlich zeitlosen Horrorfilm sehen können.

Fazit

Wer okkulte Gruselfilme mag und sich mal wieder richtig früchten möchte, der sollte Hereditary - Das Vermächtnis nicht verpassen. Aber am besten danach in eine warme Decke einwickeln, heißen Kakao trinken und ruhige Musik hören, um sich wieder zu beruhigen.

Hereditary | Official Trailer HD | A24

Hereditary - Das Vermächtnis - Kinotrailer - Deutsch HD - Ab 14.06.2018 im Kino!

Hereditary
Originaltitel:
Hereditary
Kinostart:
14.06.18
Laufzeit:
127 min
Regie:
Ari Aster
Drehbuch:
Ari Aster
Darsteller:
Toni Collette, Zackary McArthur, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd
Eine Familie wird mit ihrer schrecklichen Vergangenheit konfrontiert.

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