Anime-Kritik zu Sword Art Online Alternative: Gun Gale Online

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Mitte 2012 erlangte die Animeserie Sword Art Online zur gleichnamigen Romanreihe weltweite Bekanntheit, so schnell wie kaum ein Anime zuvor. Die Geschichte kommt mit einer Prämisse daher, die so interessant wie klischeebehaftet ist: In naher Zukunft stranden die Spieler eines Virtual-Reality-Rollenspiels in der virtuellen Fantasywelt. Wer stirbt, erleidet auch in der Wirklichkeit durch das Headset den Hirntod. Mit rasanter Action und schöner Szenerie konnte Sword Art Online schnell viele Fans gewinnen, doch Geschichte und Charaktere gelten als größte Schwäche und schlechtes Beispiel für ein generisches Drehbuch. So ist Protagonist Kirito ein unfehlbarer Held, der grundlos ein übermächtiger Auserwählter wird und kaum Schwäche zeigt.

Wesentlich schlimmer sind die weiblichen Rollen in der Geschichte: Kriegerin Asuna wirkt im ersten Moment zwar stark und entschieden, mutiert aber schnell zur Braut an der Seite des Helden, bis sie schließlich in der zweiten Serienhälfte wortwörtlich zur stereotypesten aller Jungfrauen in Nöten mutiert. Zwölf Folgen darf die leicht bekleidete Schülerin in Ketten gelegt in einem übergroßen Vogelkäfig auf ihren Ritter warten. Dazu ist sie natürlich dauerhaft den lüsternen Blicken ihres Geiselnehmers ausgesetzt. Auch der Rest der Nebencharaktere konnte nicht ansatzweise darauf hoffen, den Bechdel-Test zu bestehen. Die Spielerinnen in der Fantasywelt durften in ihren kargen Dialogen nur zum Ausdruck bringen, wie gern sie in Kiritos Harem sind. Im neuen Spinoff mit einem Namen, der einem Albtraum für Suchmaschinen gleicht, Sword Art Online Alternative: Gun Gale Online, verabschiedet sich die Geschichte glücklicherweise von allen bekannten Charakteren und stellt die Rollenbilder um: Die Protagonisten sind fast ausschließlich weiblich. Kann das gut gehen?

Handfeuerwaffen statt Schwert und Lanze

Die Serie folgt der Studentin Karen Koriruimaki, die mit der virtuellen Welt eigentlich nichts am Hut hat. Gleich am Anfang bekommt ihr Charakter durch persönliche Komplexe eine interessante Vielschichtigkeit, die in der Hauptserie undenkbar wäre. Karen ist mit einer Körpergröße von 1,80 Meter bei einer japanischen Durchschnittsgröße von 1,58 Meter sehr groß. Dadurch geht sie schüchtern und unsicher durch das Leben, traut sich kaum, ihre Mitmenschen anzusprechen. Ihre beste Freundin empfiehlt ihr deswegen als "Therapie" den Virtual-Reality-Shooter Gun Gale Online. In dieser brutalen Umgebung, in der ständig Krieg herrscht, kann Karen einen digitalen Charakter spielen und mit 1,20 Meter endlich klein sein. In einer pinken Uniform verliert sie sich in der Onlinewelt und wird als der "pinke Teufel" eine bekannte Spielerin, die für ihre Größe und Schnelligkeit berüchtigt ist.

GGO Pink Devil

Die Charakterentwicklung von Karen ist der erstaunlichste Höhepunkt für eine Serie, die Sword Art Online im Namen trägt. In den vielen Kämpfen, in denen die Protagonistin an ihren Fähigkeiten mit dem Umgang von Waffen feilt, baut sie das Selbstvertrauen auf, das sie braucht, um Freunde zu finden. Eine Frau, die sich durch ihren Körperbau nicht wohlfühlt, knüpft enge und befriedigende Beziehungen zu den Avataren von Spielern der virtuellen Welt. Zugegeben, die Idee eigene Komplexe in einer Umgebung voller Waffengewalt zu kurieren, ist etwas bei den Haaren herbeigezogen. Doch die Freundschaft und Beziehung zwischen Karen und der impulsiven, aber suizidalen Waffennärrin Pitohui wirkt innig und ist spaßig anzusehen. Das Gespann der beiden Rivalen auf dem Schlachtfeld ist interessant, weil die Charaktere eine Tiefe bieten, die in der sonst eher trashig wirkenden Serie erstaunt. Die Idee ist nicht neu, zwei Charaktere mit Ängsten gegenseitig unterstützend wirken zu lassen, aber in Gun Gale Online passiert dies eben mit dem Ziel, der Freundin eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Möge die Bessere gewinnen.

Das ergibt in der Welt, dem gleichnamigen Onlinespiel Gun Gale Online, sogar überraschend viel Sinn. Das Videospiel wurde aus der zweiten Staffel Sword Art Online übernommen, in der Kirito die Welt der Schusswaffen mit einem Lichtschwert aufgemischt hat. Das war sogar noch blöder als es klingt, aber glücklicherweise tauchen die alten Charaktere nicht mehr auf. Wer in Gun Gale Online stirbt, muss Jahre nach den Vorfällen in Sword Art Online nicht mehr mit tödlichen Konsequenzen in der echten Welt rechnen. Die Technik ist offenbar geflickt worden, und die Öffentlichkeit hat die Hunderten Toten wohl einfach verdrängt - und mit ihr die Angst vor Onlinespielen.

In der Handlung tritt Karen gegen ihre Mitspieler in einem Battle Royale an, einem Spielmodus, der in der Realität mit Spielen wie Fortnite und PUBG aktuell Mengen an Geld scheffelt, die selbst die Einnahmen von Avengers: Infinity War klein aussehen lassen. Eine kurze Erklärung für alle, denen diese Namen nichts sagen: Die Spieler treten in kleinen Gruppen oder einzeln auf einem großen Gelände gegeneinander an. Sieger ist, wer am Ende noch steht, alles, was dazwischen passiert, hängt im Wesentlichen von den Strategien der Teams ab. Nachdem Karen das erste Turnier dank ihrer kleinen, virtuellen Statur und ungeläufigen Taktiken gewinnt, dreht sich die Serie um die zweite Runde. Pitohui ist fasziniert von der eigenen Sterblichkeit und möchte sich im Falle einer Niederlage umbringen. Karen möchte das verhindern und schließt einen grotesken Pakt. Kann die Studentin Pitohui im Battle Royale niederstrecken, sieht diese vom Suizid ab.

GGO Showdown

Trash geht auch unterhaltsam

Wer jetzt gleichermaßen schockiert und auf den Arm genommen fühlt, hat das Prinzip des Animes verstanden. Es geht um Action in einem Computerspiel in einer Fernsehserie, und das Drehbuch macht sich nicht die größte Mühe die Handlung glaubhaft abzufedern. Die Aufhänger sind albern bis schlecht und dienen nur zur Überleitung eines Szenarios zum nächsten. Es muss nicht alles Sinn ergeben, wenn in einem hitzigen Feuergefecht die Regeln vom getroffenen Charakter nochmal langsam für alle erklärt werden. Die Strategien werden spektakulär beschrieben, implodieren aber schnell, wenn die Szene nicht zur Beschreibung passt und alle irgendwie aufeinander zulaufen, als wären sie in einer Schlacht in Mittelerde und nicht auf einem simulierten Kriegsgebiet mit Sturmgewehren in den Händen.

Die Gefechte funktionieren dann am Besten, wenn man sich als Zuschauer zurücklehnt und die schön inszenierten Bilder als Popcornkino genießt. Vielleicht ergibt ja deswegen so wenig Sinn, weil es ein Videospiel ist und der eine Charakter einfach ein frustrierter Teenager ist. Somit könnte Gun Gale Online unabsichtlich eine beeindruckend realistische Darstellung eines echten Mehrspieler-Videospiels sein. Immerhin ist das alles gut in einen handgezeichneten Stil verpackt worden, der mit tollen Zeitlupensequenzen klassische Szenen wie aus Matrix zeigt. Die Stärke der Charaktere wird außerdem nochmal von der japanischen Besetzung untermalt. Die Synchronsprecher bieten eine hohe Bandbreite an Stimmlagen für die echte und die digitale Welt, in der die Tonhöhe stets an den Avatar angepasst wird. Das gipfelt im letzten Akt in absurden Situationen, die grandios von Yoko Hisaka und Tomori Kusunoki eingesprochen wurden.

Fazit

Man könnte Sword Art Online Alternative: Gun Gale Online schnell als ein hirntotes Sequel abstempeln, und in so manchen erzählerischen Belangen wäre das gar nicht so falsch. Doch tut man dem Anime unrecht, wenn man die tollen Charaktere einfach übersieht und die Quasi-Umsetzung eines aktuellen Gaming-Phänomens ignoriert. Wer zwölf kurze Episoden auf eine gewisse Logik hinter der Handlung verzichten kann, bekommt ein rundum besseres Sword Art Online - und diese Imitation haben viele andere Serien vergeblich versucht.

Sword Art Online Alternative: Gun Gale Online gibt es im Stream auf Wakanim zu sehen.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© KEIICHI SIGSAWA/KADOKAWA CORPORATION AMW/GGO Project

Sword Art Online Alternative: Gun Gale Online Trailer 2

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