Kritik zu Trüberbrook: Die Rätsel sind nicht, was sie scheinen

Es ist das Jahr 1967. Studenten bewegen, freiheitliche Werte sind wichtiger denn je. Doch im abgelegenen Luftkurort Trüberbrook in der deutschen Provinz kriegt davon niemand etwas mit. Der junge amerikanische Physiker Hans Tannhauser nutzt die Ruhe und die Landluft, um ein Papier über Quantenphysik zu beenden. Zusammen mit der Paläoanthropologin Gretchen Lemke stößt er auf dem deutschen Lande aber schnell auf Kultstätten, eine mysteriöse Gesellschaft und ein Geheimnis, dass die Welt verändern könnte. Doch hat sich die Prämisse für das neue Point & Click-Adventure Trüberbrook wirklich so zugetragen, oder hat sich unser Autor hier einen kleinen Scherz erlaubt? Haben Sie richtig gelegen? Konnten Sie die Wahrheit von der Lüge unterscheiden? Ist die klischeegeladene Einleitung dieses Artikels wirklich kreativ genug, um ein echtes Videospiel zu beschreiben?

Das deutsche Entwicklerstudio, die Bildundtonfabrik (btf), war mit dieser Vision jedenfalls nicht allein und hat per Crowdfunding viele Fans von klassischen Abenteuern mobilisieren können. Wem die btf jetzt irgendwie bekannt vorkommt: Es handelt sich eigentlich vorrangig um die TV-Produktionsfirma hinter dem Neo Magazin Royale von Satiriker Jan Böhmermann. Kritikern sei gesagt: Humor und Selbstreferenzen der Sendung müssen draußen bleiben, nur einige Stimmen werden von dem Team eingesprochen. Generell muss der Humor Platz machen für eine Mischung aus Heimatfilm, Twin Peaks und Akte X. Doch das Alleinstellungsmerkmal ist nicht die Geschichte. Es sind die Kulissen, die das Spiel besonders machen. Richtig gehört, Trüberbrook sieht nicht durch eine Grafikengine bezaubernd aus, sondern durch eine handgemachte Kulisse, in der sich die Figuren dank Computer frei bewegen.

“(Adventure games) exist in our dreams, and memories, and in Germany.” - Tim Schafer

Die Grafik aus Dioramen bringt auf den ersten Blick frischen Wind in die deutsche Videospielszene, die letzte große Bastion von klassischen Adventures. Gut, das mag etwas pathetisch klingen, doch selbst Genre-Legende Tim Schafer hat dies erkannt: “(Adventure games) exist in our dreams, and memories, and in Germany.” Die kleinen Pappkulissen wurden durch komplexe Bildabmessungen ins Spiel übertragen, nur Figuren und Effekte sind CGI. So entsteht eine optische Erfahrung, die an Stop-Motion-Filme wie Wallace & Gromit erinnert. Eine starke Atmosphäre ist eigentlich beste Voraussetzung für ein nettes Adventure, doch Trüberbrook hat einige Startschwierigkeiten. Die Rätselstrukturen sind stark vereinfacht, ein Großteil der Lösungen kann der Spieler quasi blind erledigen. Das Interface nimmt das Denken ab, echte Herausforderungen kommen viel zu spät in der etwa vier- bis fünfstündigen Laufzeit.

trüberbrook fest

Kann man also die Hoffnung in die simple, aber interessante Prämisse stecken? Twin Peaks in einem deutschen Kaff hört sich sehr selbsterklärend an, kommt jedoch mit einigen Problemen daher. Protagonist Tannhauser reist mit einem VW-Bus von Berlin nach Trüberbrook und nimmt seine Gedanken mit einem Tonbandgerät auf, adressiert an seine Assistentin Beverly. Eine offensichtliche, aber auch einfallslose Anspielung an Agent Cooper aus David Lynchs Kultserie. Doch statt nun viel Zeit mit urigen Dorfbewohner zu verbringen und die Stadt zu erkunden, wird Protagonist Tannhauser gleich zu Beginn in ein Abenteuer gerissen. Ohne Vorwarnung, ohne richtige Etablierung der Gegend. Das ist tragisch, denn so kommt der Charme des Spiels nur im langen, letzten Akt zum tragen. Die Mysterien werden schnell gesät, aber ohne einen fruchtbaren Boden aus urdeutscher Normalität, kommen sie nicht zum Blühen.

Viele Ambitionen mit einer eher halbherzigen Umsetzung, Diane

Vorbilder wie Twin Peaks brauchen nämlich dringend Kontext und Normalität, um wie vorgesehen zu funktionieren. Es ist wenig überzeugend, wie die von Nora Tschirner vertonte Gretchen Lemke plötzlich für bloße Fantasien erhebliche Risiken eingehen möchte und der Wissenschaftler Tannhauser sich nach dem Diebstahl seiner Arbeit auf eigene Faust aufmacht. Aus dem Nichts gibt es nun auch die mysteriöse Millenium-Kooperative und ein altes Sanatorium steht auf dem Berg über dem Dorf, wie sollte es auch anders sein. Trüberbrook hätte vielleicht nicht sofort all seine Ambitionen erfüllen wollen, sondern sich Zeit lassen sollen, die Themen zu erforschen. Irgendwie bietet das Spiel aber trotzdem genug Unterhaltungswert, um weiterzumachen. Doch im Hinterkopf bleibt stets die Erwartung an das Trüberbrook, das hätte sein können.

Auch die Figuren bleiben leider etwas hinter den Erwartungen zurück. Die meisten Charaktere sind gut geschrieben, wirken und reden sogar wie echte Personen oder eben Archetypen. Aber auch hier fehlt das Plus Ultra, denn es geht über die bekannten Klischees und Eigenarten nicht hinaus. Ein verrückter Wissenschaftler wird von Jan Böhmermann gut ausgefüllt, bleibt aber eben nur einer von dutzenden verrückten Wissenschaftlern, die jährlich in Unterhaltungsmedien dargestellt werden. In einem Adventure erwartet der Spieler schrullige Typen und schillernde Gestalten, die einen Eindruck hinterlassen - dass diese gerade in der überspielten Reproduktion eines altdeutschen Kaffs beinahe ganz ausbleiben, verwundert. So tritt schon zu Beginn des ersten Kapitels ein seniler Freiherr mit Pickelhaube auf, die Requisite bleibt aber abgesehen von seiner geistigen Gesundheit sein einziger, hervorstechender Charakterzug.

Fazit

Trüberbrook ist keine Revolution für das deutsche Point-&-Click-Adventure. Die Stärke ist ganz klar eine neuartige grafische Umsetzung dank handgemachter Umgebungen, der Rest bleibt im besten Falle Genre-Standard. Für Neueinsteiger könnten die Themen zu lauwarm und aufgebraucht sein und für Fortgeschrittene sind die Rätsel zu simpel. Der Produktionswert ist beeindruckend, doch es reicht eben nicht für den erhofften Kultstatus. Als erster Gehversuch der btf ist Trüberbook ein lobenswertes Experiment, aber verpasste Chancen bei Geschichte, Charakteren und Gameplay blockieren den Weg, “mehr” zu sein.

Trüberbook ist ab heute für den PC, Mac und Linux erhältlich. Versionen für Nintendo Switch, Xbox und Playstation erscheinen am Sonntag, 17. April.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© btf

Trüberbrook - Launch Trailer (DE)

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