Gruselserie 2: Kritik zum Hörspiel Yeti – Kreatur aus dem Himalaya

Wer die 80er Jahre als Kind nicht selbst miterlebt hat und bei Hörspielkassette schnell googeln muss, was das überhaupt noch mal für ein antikes Speichermedium war, der könnte denken, das Hörspiel Label Europa hätte mit der Gruselserie eine neue Horroranthologiereihe auf den Markt gebracht. Es handelt sich dabei aber um die Fortführung der von vielen geliebte Hörspielreihe von Autor H. G. Francis, welche zwischen 1981 und 1982 erschien.

Für die zweite Folge des Serienneustarts wurde mit dem Yeti ein klassisches Monster auswählt, das gut zu all den Vampiren, Werwölfen, Horrorameisen und Mumien passt, welche die Serie in den 80er Jahren bevölkerten. Eine britische Tageszeitung sponsert eine Expedition nach Tibet. Ein fünfköpfiges Team aus Bergsteigern soll dort den legendären Yeti aufspüren und Beweisfotos schießen.

Zu Beginn ihrer Reise durch den verschneiten Himalaya sind die Teilnehmer skeptisch, dort Spuren der sagenumwobenen Kreatur zu entdecken. Doch in der ersten Nacht haben alle fünf eine Vision von tibetischen Mönchen und einer grauenhaften weißen Gestalt, die sie warnt näherzukommen. Während sie am darauffolgenden Abend ihr Lager aufschlagen, hören sie die Hilferufe einer Frau. Als sie ihr zur Hilfe eilen, kommen die fünf dem Ziel ihrer Reise viele näher als gewollt.

"So Kinder, es bleibt noch genügend Zeit, uns Schauergeschichten zu erzählen – kommt weiter!"

Der 2011 verstorbene Francis war durch seine Science-Fiction-Serie Commander Perkins bekannt geworden. Parallel zu der Gruselserie verfasste er auch die ersten Hörspiele der Reihe Jan Tenner. Zum Bedauern vieler Fans war 1982 Schluss mit der Horroranthologieserie aus dem Hause Europa. Francis schrieb weiterhin für die Jugendhörspiele Masters of the Universe sowie einzelnen Folgen für Die drei ???, TKKG oder Fünf Freunde.

Die alten Hörspiele der ursprünglichen Gruselserie wurden zwar 1987 und 1999 neu aufgelegt, aber wirklich Neues gab es nicht zu hören. Man kann allerdings ganz ketzerisch die Frage stellen, ob es in Francis Horrorhörspielen überhaupt viel Neues enthielt? Einige Folgen waren mehr oder weniger stark von filmischen Vorbildern wie Tarantula oder Alien beeinflusst. Aber gerade bei Klassikern wie Dracula und Frankenstein zeigte Francis sein kreatives Potenzial. Er ließ die Figuren immer wieder in der Serie auftreten ließ und löste sich zunehmend von literarischen und filmischen Vorbildern.

"Ich steh kurz vor einen Lagerkoller. Schließlich bin ich nicht zum Campen im Himalaya-Gebirge."

Mit André Minninger besitzt die zweite Folge der Neuauflage einen erfahrenen Autor. "Yeti – Kreatur aus dem Himalaya" ist nicht Minningers erstes Dialogbuch für eine Hörspielproduktion. Er verfasste für das Label schon mehrere Folgen der Jugendserien TKKG und Die drei ???. Außerdem steht ihm Heikedine Körting als Produzentin und Regisseurin zur Seite. Sie ist seit mehreren Jahrzehnten für Die drei ???, Fünf Freunde, TKKG sowie für die ursprüngliche Gruselserie aus den 80er Jahren verantwortlich.

So fiel es ihr sicher nicht schwer für die erste Folge "Polterabend – Nacht des Entsetzens" Andreas Fröhlich (Bob Andrews in Die drei ???) und Sascha Draeger (Tim in TKKG) zu gewinnen. Aber auch die Besetzung von "Yeti – Kreatur aus dem Himalaya" kann sich hören lassen. Als Erzähler der Geschichte fungiert Udo Schenk. Er macht seine Sache generell sehr gut, klingt aber stellenweise zu sehr nach einem fiesen Bösewicht, was sich mit Schenks Tätigkeit als Synchronsprecher von Gary Oldman und Ralph Fiennes erklären lässt.

"Quatsch keine italienischen Opern – Suppe bleibt Suppe!"

Die Hauptrollen der Bergsteiger werden von Till Demtröder (Stimme von Carth Onasi in Star Wars: Knights of the Old Republic), Marek Harloff (Hörspiel Die Fabrik), Marek Erhardt (Der Sandmann), Achim Buch (Synchronstimme von Jiang Wen in Rogue One) und Nico König (Stimme von Rhys in Fallout 4) gespielt. Alle Fünf machen ihre Sache großartig, allerdings sind ihre Stimmen sehr ähnlich, und nur König als Italiener Giuseppe lässt sich schnell aus der Menge heraus hören – was nicht so sehr an seiner markanten Stimme liegt, sondern an den vielen Italien-Klischees, mit denen seine Rolle behaftet ist.

Zu den fünf Sprechern gesellt sich später Henrike Fehrs (Rote Rosen) als Trixie, die sicherlich das Beste aus ihrer Figur heraus holt, dabei aber ebenfalls sehr im Klischee gefangen bleibt. In weiteren kleineren Rollen sind Michael Lott (Mark Brandis: Weltraumpartisanen), Rüdiger Schulzki (ab Folge 183 Onkel Titus in Die drei ???), Merete Brettschneider (Marie Grevenbroich in Die drei !!!), Stefan Brönneke (Synchronstimme von Zach Galifianakis) und Herbert Tennigkeit (Stimme von Skeletor in der Zeichentrickserie He-Man) zu hören.

"Glauben wir wirklich an die Existenz dieses sagenumwobenen Yetis?"

Bei der großen Fanbasis der alten Gruselserie ist Europa ein gewisses Risiko eingegangen, die Reihe nach 37 Jahren fortzusetzen, auch wenn der 80er-Retro-Trend noch nicht vorbei ist. Die Käufer der neuen Folgen werden sich überwiegenden aus den Hörern von damals rekrutieren. Sie verbinden mit den Hörspielen schaurig-schöne Kindheitserinnerungen, werden als Erwachsene aber trotz der nostalgischen Erinnerungen auf einem anderen Niveau unterhalten werden wollen.

Für wen ist nun die Neuauflage der Gruselserie produziert? Für Kinder, wie die Folgen aus den 80er Jahren, oder für die heute erwachsenen Fans von damals? Zunächst ist "Yeti – Kreatur aus dem Himalaya" kein wirkliches Horrorhörspiel. Es baut die Spannung sehr gut auf, ist aber insgesamt eher eine klassische Abenteuergeschichte mit Bergsteigern und einen bedrohlichem Monster. Dies wird auch an der musikalischen Untermalung deutlich, welche munter zwischen elektronischen, orientalischen, klassischen und jazzigen Melodien wechselt.

Als Kind waren die alten H. G. Francis Geschichten oft so gruselig, dass man beim Hören lieber das Licht anließ, den alten Teddy zur Unterstützung hervor holte und die Bettdecke bei Gefahr über den Kopf zog. Wenn man sie heute wieder hört, (sind alle als Streaming und Download verfügbar) fällt der Gruselfaktor doch wesentlich geringer aus.

Genauso verhält es sich mit "Yeti – Kreatur aus dem Himalaya": Kinder werden die Spannung zum Teil kaum aushalten können, während abgebrühte Horrorfans bei der doch recht blutleeren Geschichte nur müde gähnen. Wer allerdings in Nostalgie schwelgen will und Freude an klassischen Abenteuergeschichten hat, kommt bei der zweiten Folge der neuen Gruselserie voll auf seine Kosten.

"Wenn das eine Falle ist?" „Dann feuere ich auf alles, was sich uns in den Weg stellt."

Ein Wort muss man noch zu der Frauenfigur in dem Hörspiel verlieren. Die Wurzeln der Gruselserie stammen aus dem 80er Jahren – allerdings gab es seitdem Fortschritte in der Frauenemanzipation. Trixie ist im Hörspiel die einzige Figur, die bei Gefahr immer hysterisch herum kreischt und von den Männern gerettet werden muss.

Das ist erstens nicht mehr zeitgemäß und zweitens auch extrem nervig anzuhören. Es wäre ein Leichtes gewesen, dies zu ändern und eine weibliche Bergsteigerin einzubauen. Vielleicht sollte man sich bei Europa mal bewusst machen, dass selbst bei TKKG die Zeiten vorbei sind, als Tim Gaby erklärt, dass die Verbrecherjagd für sie zu gefährlich ist.

Fazit

André Minninger und Heikedine Körting haben ein sehr gutes Abenteuerhörspiel mit leichtem Gruselfaktor abgeliefert. Genau deswegen fügt es sich gut in die alten Folgen von H. G. Francis ein. Um aus der Masse der Gruselhörspielereihen wie Geister-Schocker, Dreamland-Grusel oder Gespenster-Krimi herauszustechen, ist aber noch Luft nach oben – besonders bei den Frauenfiguren. Anfang Mai erscheint mit "Moskitos – Anflug der Killer-Insekten" die dritte Folge der neuen Gruselserie.

Die Gruselserie ist zurück! - Im Studio mit Heikedine Körting

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