Erster Eindruck: Comic-Kritik zu Radius 1: Rebellion

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Radius Comic

Wer sich für Popkultur begeistert, hat aktuell eigentlich nur ein echtes Problem: Was lese, schaue, höre oder spiele ich wann? Das momentane Angebot ist wirklich extrem groß, aber ganz ehrlich: Das ist eindeutig mehr Segen als Fluch! Gemeint sind hier jedoch nicht ausschließlich Serien, Videospiele und Filme, sondern auch Comics. Letztgenannte können zwar weiterhin bei Weitem nicht mit der Popularität des erstgenannten Trios mithalten, profitieren aber dennoch ebenfalls sehr von dem derzeitigen Boom. Nie zuvor erschienen - in regelmäßigen Abständen - derart viele Comics in Deutschland. Den Großteil machen selbstverständlich die Hefte von Marvel und DC aus. Doch finden inzwischen ebenfalls immer mehr Indie-Titel den Weg in die Händlerregale, und von dort sicherlich auch in die Hände (potenzieller) Käufer. In den USA gelten vor allem Image, Dark Horse oder das eigentlich zu DC gehörende Vertigo (das bald durch das DC Black Label abgelöst werden wird) seit vielen Jahren als Heimat ungewöhnlicherer Storys.

Im Zentrum dieser Rezension steht mit Radius 1: Rebellion ein Werk, das man wunderbar einem dieser Verlage zuordnen könnte. Ein Blick auf das Cover verrät allerdings bereits, dass es sich hierbei um eine deutsche Arbeit handelt, was das Ganze nur umso erfreulicher macht. Schließlich herrscht - ähnlich wie bei Serien oder Filmen - auch bei Comics noch immer das Vorurteil vor, dass die hiesigen Künstler und Autoren ihren Kollegen aus den Vereinigten Staaten nur bedingt das Wasser reichen könnten. Fakt ist, dass in Europa andere Nationen wie Frankreich, Belgien, England oder auch Italien eine viel größere Comic-Tradition haben als Deutschland. Deshalb ist die entsprechende Szene hierzulande logischerweise wesentlich überschaubarer. Seit einigen Jahren tut sich jedoch etwas, und immer mehr Kreativen gelingt es, sich einen Namen zu machen. Einen, den man in Zukunft hoffentlich noch sehr häufig hören wird, ist der von Katrin Gal.

Willkommen in einer düster-schönen Welt, …

Ob Dialoge, Figurendesign oder Farbgebung, jedes einzelne Panel geht auf diese junge Frau zurück, und das spürt man auch. Der von ihr erdachte Radius-Kosmos macht von Beginn an den Eindruck, riesig zu sein und für den geneigten Leser noch jede Menge Überraschendes bereitzuhalten. Die Geschichte beginnt mit einem verhältnismäßig langen Prolog. So erfährt man direkt sehr viel über die Vergangenheit dieser Welt und ihrer Bewohner. Es geht um ein "Wir gegen die“, um Machterhalt, Misstrauen, Hass, Resignation und Gewaltbereitschaft, kurz: Diese Version der Zukunft ist geprägt von einer emotionalen Kälte. Dazu passt ein “Landschaftsbild“, das von hochentwickelter Technik und einer andauernden Dunkelheit bestimmt wird; “dystopisch“ ist ein Begriff, der mittlerweile beinahe inflationär verwendet wird, nur: Nach einem Paradies sieht das Setting einfach nicht aus, weshalb er hier ohne Frage seine Daseinsberechtigung hat.

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Es hätte natürlich ebenfalls die Möglichkeit gegeben, all diese Informationen erst nach und nach einzustreuen und zunächst die gegenwärtige Situation näher zu beleuchten, die gebürtige Hessin mit dem Künstlernamen Radacs hat sich aber offenbar bewusst dagegen entschieden. Zweifellos kann es auch riskant sein, sein Publikum mit besagten Informationen zu Land und Leuten, die man im selben Moment erst kennenlernt, zu überhäufen, weil derart viel neuer Input schließlich erst einmal verarbeitet werden will. Andererseits kann jeder auf jeder Seite so lange verharren, wie er möchte, im schlimmsten Fall blättert man kurz zurück, und letztlich kann diese etwaige Verwirrung ohnehin etwas sehr Positives sein. Auf diese Weise gewinnt der Handlungsschauplatz nämlich an Größe und Bedeutung. Nach wenigen Seiten gibt es theoretisch schon mehrere Anknüpfungspunkte für potenzielle Spin-offs, und zwar für durchaus vielversprechende. Und nicht nur inhaltlich weiß der Band zu überzeugen, sondern insbesondere auch optisch. Radius hat nämlich eine sehr eigene und unverwechselbare Bildsprache. Klar, die - auch von der dafür Verantwortlichen - angesprochenen Cyberpunk- und Anime-Einflüsse sind unverkennbar, allerdings wirkt das Dargebotene dennoch sehr originär - einmal aufgrund der bereits erwähnten Komplexität des Erzählten, hauptsächlich jedoch aufgrund der Liebe zum Detail.

Für sich die Frage zu beantworten, wie viel Wert man auf stilistische Feinheiten legt, ist eine völlig unterschätzte Entscheidung, die jeder Künstler zu treffen hat, und das immer wieder aufs Neue. Wie viel Bedeutung misst man den Hintergründen bei, wie viel den Outfits der Charaktere, den Waffen, den Gesichtern und wie viel den Frisuren? Denn in jedem dieser Fälle ist ein "Viel!“ gleichbedeutend mit mehr Zeit, die man pro Panel veranschlagen muss. Im Falle von Radius spricht das fertige Produkt zweifelsohne für sich. Und wenn man bedenkt, dass es vor dieser komplett überarbeiteten, aktuellen Fassung schon eine gab, die Katrin Gal einst im Selbstverlag veröffentlicht hatte, erhält man eine Ahnung davon, wie wichtig es ihr offenbar war, dass ihr erster, von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommener Comic in der in ihren Augen bestmöglichen Version erscheint. Das Albenformat und das hochwertige Papier tragen zudem entscheidend dazu bei, dass jedes Einzelbild optimal zur Geltung kommt - in diesem Zusammenhang sollte ebenfalls die sehr stimmige Kolorierung erwähnt werden.

… in der es kein Schwarz oder Weiß gibt

Die Farbgebung der Schauplätze ist ein entscheidender Faktor, wenn es um das Kreieren der oben bereits angedeuteten Atmosphäre geht. Es werden interessanterweise viele, zum Teil auch eher seltener im großen Stile eingesetzte Farben wie Violett oder Türkis genutzt, dennoch erscheint dadurch keine Person oder Szenerie freundlicher. Im Grunde wird dem Rezipienten auf keiner der 96 Seiten eine durch und durch positive Figur vorgestellt. Von dem anfänglichen Erzähler, der ebenfalls Teil der Handlung ist, wird zudem fast ausschließlich der Rücken gezeigt. Dies hat zur Folge, dass man dem Geschehen wie auch den Akteuren zunächst sehr distanziert gegenübersteht, was gut ist. Ohne ein zeitiges Sympathisieren mit (potenziellen) Pro- oder Antagonisten fällt es einem leichter, das Gesehene deutlich zügiger zu verarbeiten, zu verstehen respektive zu hinterfragen. Dieses Nicht-Wissen macht den Leser im Prinzip zu einem von ihnen, was die Lektüre wiederum nur noch spannender macht, als sie es ohnehin schon ist.

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Konflikte wie der zwischen Nova, der Heimat der herrschenden Elite, und den Rebellen aus Avon, wo die arbeitende Bevölkerung des Planeten zuhause ist, überzeugen in erster Linie dann, wenn es - im übertragenen Sinne - nur scheinbar Schwarz und Weiß gibt, und es genau genommen vielmehr die Grautöne sind, die dominieren. Am Ende des ersten Teils dieser Tetralogie weiß man nicht nur, dass innerhalb der unterschiedlichen Lager nicht immer an einem Strang gezogen wird, sondern ebenso, dass womöglich eine völlig neue Partei in Zukunft den Status quo gehörig verändern könnte. Dass Gal, die hauptberuflich als Illustratorin und Konzeptkünstlerin für Videospiele arbeitet, sich dazu entschlossen hat, in ihrem Erstlingswerk vornehmlich das aus Nova stammende Hellhound-Einsatzkommando bei einer nicht gerade unkomplizierten Mission zu begleiten, ist ebenfalls sehr mutig.

Man könnte ihr deswegen schließlich leicht vorwerfen, dass man zunächst im Eiltempo enorm viel über dieses Universum erfährt, so gesehen aber recht wenig geschieht - und es sich bei den im Zentrum des Geschehens Stehenden um Personen handelt, zu denen man längst noch nicht genug erfahren hat, um in irgendeiner Form direkt emotional investiert zu sein. Wer dies tut, verkennt allerdings, dass in vielen Nebensätzen bereits Andeutungen enthalten sind, durch die klar wird, dass sich in diesem Auftaktband weitaus mehr ereignet, als es zunächst den Anschein hat. Es spricht in jedem Fall einiges dafür, dass der von der aufstrebenden Autorin eingeschlagene Weg mit jeder Fortsetzung nur noch durchdachter erscheinen wird.

Fazit

Mit ihrem Debütcomic setzt eine junge Künstlerin ein erstes Ausrufezeichen, beweist (gerade auch den Look betreffend) eine eigene Handschrift und liefert mehr als einen Grund, um sich auf kommende Veröffentlichungen von ihr zu freuen. Vornehmlich jenen, denen nach etwas Abwechslung ist, sei daher Radius 1: Rebellion empfohlen

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Splitter

Radius - Comictrailer

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