Kritik zu Death Stranding: Postbote der Apokalypse

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Death Stranding

Was haben Norman Reedus, Mads Mikkelsen, Léa Seydoux, Nicolas Winding Refn, Guillermo del Toro und Conan O’Brien gemeinsam? Sie sind alle Figuren im neuen Videospiel-Blockbuster Death Stranding von Hideo Kojima - ein Spiel, von dem vermutet wurde, dass es das Medium neu definiert, und nichts Geringeres will es auch. Dank der skurrilen Trailer malten sich Fans jahrelang Konzepte, Theorien und Hoffnungen, ein unglaublicher Hype, dem Death Stranding nicht gerecht werden kann, egal, wie gut es dann am Ende gefällt. Letzteres ist Kojima deutlich egal - jede Facette des Endprodukts ist nach seinen Wünschen durchdesignt, mit seinen Lieblingsdarstellern bestückt und seinen Lieblingsbands im Hintergrund. Es geht nicht um Spaß, Gefallen oder Prestige: Hier hat ein Mann mit seinem Studio nach dem dramatischen Loslösen von einem großen Konzern mit allen Mitteln - auch finanziell - exakt das geschaffen, was ihm vorschwebt.

Das macht Death Stranding zu einem Meilenstein, noch bevor die Blu-Ray im Laufwerk liegt und der Playstation-Controller beim Hochfahren blau zu blinken beginnt. Ein Künstler mit einer klaren Vision ist bewundernswert - ein Künstler, der dafür ein astronomisches Budget finden kann, erst recht, speziell in der Videospielindustrie, wo finanzielle Absicherung noch schwerer wiegt. Die Wellen des Hypes tragen Kojima wohin er möchte, sein Spiel ist "too big to fail". Untrennbar ist es doch mit seinem Namen verbunden, Fans, die lange Videospiele sonst nicht einmal eines Blickes würdigen, sind bereit ihre gesamte Zeit hinein zu versenken. Denn nach langer Zeit kann man endlich betiteln, was Death Stranding denn jetzt ist: Ein Laufsimulator. Ungewöhnlich und mutig, diese Richtung einzuschlagen, wenn der Markt seit Jahrzehnten mit erfolgreichen Shootern überschwemmt ist. Man kann noch anders mit virtuellen Welten interagieren, als das Fadenkreuz auf sie zu richten und abzudrücken. Das funktioniert anscheinend schon, aber … ist es denn gut?

"Please Mr. Postman look and see - If there's a letter a letter for me"

Die Antwort auf die Frage ist schwer zu beantworten, aber man kann sich annähern. Der Spieler übernimmt die Rolle von Norman Reedus, der auch einen Charakternamen hat, aber in einem Spiel mit Personen wie "Deadman", "Heartman" und - ja, wirklich - "Die-Hardman" ist dieser kaum bemerkenswert. Norman Reedus ist Paketlieferant, geht meist zu Fuß durch ein apokalyptisches Amerika und liefert seine Sendungen aus. Das sind 90 Prozent des Spiels. Stundenlang geht es mit überkomplizierten Systemen, die dem Spieler meist im Weg stehen, durch öde Landschaften. Gut sieht es aus, ja, aber es ist eben nur glorifiziertes Wandern. Der klassische sogenannte Gameplay-Loop, der den Spieler durch Belohnungen bei der Stange halten soll und den Spaß am Spiel aufrechterhält, wird strapaziert. Klar können Straßen und Strukturen mithilfe von virtuellen Likes - eine wenig-subtile Kritik an Social Media - erweitert werden, aber bei jedem zündet das nicht. Kojima möchte klar die Erfahrung als Ganze in den Vordergrund stellen - ohne doppelten Boden, es ist wieder sehr unsubtil davon die Rede, Verbindungen herzustellen.

Death Stranding Laufen

Diese Verbindungen, das wird schnell klar, sind mühselig - schwer wieder aufbauen. Damit ist die Botschaft klar eine Ergänzung von Kojimas Visison der Gesellschaft und des Internets, die seit Metal Gear Solid 2 irgendwie Realität geworden ist. Selbst die Trump-Präsidentschaft konnte ihn vor 2015 erreichen, auch wenn er die Simpsons als echter Cineast wahrscheinlich nicht gesehen hat. Dann darf man die Frage stellen, ob so ein Konzept, so eine Aktionskunst in Form eines Spiels Respekt vor dem Spieler haben sollte. Denn nicht nur kann der Konsum von Death Stranding über lange Strecken einfach nur langweilig sein, sondern auch langwierig. Der Titel hat etwa zehn Stunden an Zwischensequenzen. Um die letzte zu erreichen, wandert Norman Reedus sicherlich hundert Stunden über den Bildschirm. Botschaften in Form einer Spielerfahrung sind ein nettes Gimmick, was definitiv funktioniert: "Der Weg ist das Ziel" et cetera. Aber geht das nicht auch kürzer? Nach einigen Stunden haben die Meisten wohl verstanden, was Kojima über den Brillenrand hinaus zeigen möchte. Alles danach ist Rauschen.

"Just to be the man who walked a thousand miles"

"Aber-", schreiben einige Spieler sicherlich gerade in die Kommentarsektion, "Ob das Laufen gefällt, ist doch nebensächlich, Kojima ist ja bekannt für seine guten Geschichten!" Recht hast du, lieber "SolidSnakeFan69", so sei kurz zusammengefasst, worum es überhaupt geht. Großteile der Population wurden von einem Ereignis namens Death Stranding ausgelöscht. Die Welt der Lebenden und der Toten wurde plötzlich verbunden, und diese Toten machen Amerika als sogenannte BTs (Beached Things - ja, das Motiv ist gewohnt unsubtil) unsicher. Norman Reedus muss also Pakete von Stadt zu Stadt liefern, um die Verbindungen wortwörtlich wiederherzustellen (Subtilität!). Möglich ist das durch eine Art Internet, was nur Sam liefern kann. Zusätzlich gibt es noch eine übernatürliche Terroristenorganisation mit Atombomben, die verschollene Präsidentin und Mads Mikkelsen, wie er den Spieler aus der Ego-Perspektive in seinen Armen schaukelt - ja, das kommt so vor und nein, diese Seite wurde (noch) nicht vom Postillon aufgekauft.

Und es stimmt wirklich, die zahlreichen Zwischensequenzen sind gewohnt hervorragend inszeniert und die Details einzigartig. Auch die komischen Charaktere sind spannend - Nicolas Winding Refn oder Heartman lebt in Intervallen von 21 Minuten, weil ihm dann das Herz stehen bleibt. Es gibt viele Aspekte der Handlung, die politisch brandheiß und aktuell sind: Präsidentschaft, Klimaschutz, Internet, Vaterschaft, Sexualität und viel mehr. Leider lenkt das auch nicht davon ab, dass das Drehbuch für Kojima sehr beliebig ist. Auch doppelte Böden fehlen komplett, Charaktere sprechen aus, was gerade gemeint ist, damit ja kein Spieler nachdenken muss. Das Fass läuft dann endgültig über, wenn ein Charakter direkt anspricht, er habe in einem Gegenstand eine Metapher mitgebracht. Doch die Geschichte kann nicht wie in einem Metal Gear Solid das Spiel tragen - dafür fehlt ihr solides Gameplay. Andersherum ist das ähnlich. Schwer zu trennen ist die Essenz der beiden Elemente, und wenn für den Spieler eines nicht mehr funktioniert, geben beide auf.

Death Stranding Fragile

Fazit

In einer Frage nach den zwiegespaltenen Kritiken zu Death Stranding sagt Kojima, es sei für manche Spieler schwierig, etwas anderes als Shooter zu spielen. Doch auch in Death Stranding wird spätestens bei den Bosskämpfen geschossen. Das platte Böse muss der Spieler kriegerisch bekämpfen, denn Laufen funktioniert dagegen nicht. Und das ist der Punkt, an dem das Spiel in sich zusammenfällt. Laufen ist für die Erfahrung, für das Wiederverbinden integriert worden. Das japanische Genie wirft dieses Element aber dann weg, wenn es sie nicht mehr benötigt, weil sie gerade nicht in das Puzzle passt. Kämpfe und Wanderschuhe - das kann auch ein Hideo Kojima nicht mehr verbinden (subtil!).

Death Stranding ist für die Playstation 4 erhältlich.

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zusätzlicher Bildnachweis: 
© Sony

Death Stranding – E3 2016 Reveal Trailer | PS4

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