Das Science Fiction Jahr 2019 - Ein Interview und Ausblick

EXKLUSIV

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Das SF Jahr Bücher

Disclaimer:
Johannes Hahn wirkt seit 2015 am Science Fiction Jahr mit und betreut dort seit 2018 die Übersicht über die Science-Fiction-Videospiele.

„Print ist tot“ – so schallt es seit Jahren aus den Marketing- und PR-Firmen, so beklagen es die einschlägigen Verlage. Und in der Tat: Die Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften, von Büchern und Magazinen sinken, die Anzeigenpreise fallen, mit Gedrucktem ist nur schwer Geld zu verdienen.

Das merkte auch das altehrwürdige Science Fiction Jahr. Dieses Jahrbuch erschien seit 1986 jedes Jahr, doch 2019 sollte diese Tradition unterbrochen werden. Nach 2014 gab der Heyne-Verlag das Jahrbuch ab, fortan sollte der Golkonda-Verlag das Jahrbuch herausbringen. Der auf Science-Fiction spezialisierte Verlag machte seine Arbeit auch gut, bis er allerdings finanziell ins Schlingern geriet.

Das traf auch Melanie Wylutzki, die dort ab 2017 das Science Fiction Jahr betreute. Mit ihr, Hardy Kettlitz und Klaus Farin traf sich unser Autor Johannes Hahn in Berlin. In ihrem Gespräch geht es um die Geschichte und die Bedeutung des Science Fiction Jahrs sowie die unternommenen Rettungsbemühungen.

Doch nicht jede und jeder kennt das Jahrbuch. Hardy Kettlitz ist Mitgründer und Chefredakteur der von 1990 bis 2001 in Print und danach bis 2005 in Online-Form erschienen Science-Fiction-Zeitschrift Alien Contact und hat – wie er mit leichtem Stolz in der Stimme sagt – seit 1990 jede Ausgabe des Science Fiction Jahr gelesen. Er versucht zu erklären:
„Das Buch soll das vergangene Jahr betrachten, Dinge, die da erschienen sind: also Filme, Hörspiele, Bücher, Serien, Spiele. Wir versuchen, aus dem Science Fiction Jahr ein Gemisch aus Magazin, fundierten Reportagen, Informationen, Essays, Interviews und Aktuellem zu machen. Dazu gibt es Schwerpunktthemen, die wir wieder eingeführt haben. Die gab es auch schon vorher im Heyne-Verlag.”

Melanie Wylutzki ergänzt: „Für mich ist es auch ein Zeitzeugnis, wie ein Screenshot, was im aktuellen Jahr geschehen ist.“

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Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz mit dem SF Jahr 2019

Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz während der Präsentation des SF Jahres 2019 in der Berliner Buchhandlung Otherland.

Sie versucht auch zu erläutern, welche persönliche Beziehung sie zum Jahrbuch entwickelt hat: „Ich hab das SF-Jahr über Hannes Riffel kennen gelernt, als er zum S.Fischer-Verlag gewechselt ist und Fischer-TOR gegründet hat. Da bin ich dazu gestoßen. Das Science Fiction Jahr ist etwas Einzigartiges, etwas, das es für kein anderes Genre gibt. Ich fand es ziemlich faszinierend, dass solche Projekte existieren und dass sie weiterleben. Mit der Arbeit sind mir das Buch und auch die Leute ans Herz gewachsen. Es ist aber auch ein Prestigeprojekt, das macht man nicht für die Wirtschaftlichkeit. Es ist etwas, über dass sich eine bestimmte Leserschaft wirklich freut. Und das finde ich ganz grandios.“

Science Fiction ist auch Hirnkost

Doch mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Golkonda-Verlags stand die Zukunft des Science Fiction Jahres vor dem Abgrund. Die Kosten für Druck und Produktion konnte Golkonda nicht aufbringen, dabei fehlte nur der Druckauftrag. Alle Beiträge lagen vor und waren größtenteils lektoriert. Wohin nun? Das fragten sich Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz, als klar war, dass das Jahrbuch eine neue Heimat brauchte. Sie überlegten, wälzten Ideen, sahen aber kaum Chancen, das Prestigeprojekt, wie Melanie es beschrieben hat, zu verwirklichen.

Auftritt: Klaus Farin. Der Autor, Lektor und politischer Bildner, wie er sich selbst beschreibt, bot an, das Science Fiction Jahr über seinen eigenen Hirnkost-Verlag herauszubringen: “Ende Oktober 2019 kam die Anfrage, ob wir das übernehmen können. Wir sind ja ein winziger, kleiner, nicht kommerzieller Verlag, die Anfrage war quasi: könnt ihr das Buch machen? Kostet ungefähr 11.000 Euro. Da war klar: das können wir nicht. Aber wir würden gerne. Und dann ging es darum, eine Lösung zu finden für die Fragen: Wie können wir das kurzfristig organisieren, dass auch der Drucker glücklich ist und uns nicht verklagt. Wie können wir Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit gewinnen? Vielleicht darauf aufmerksam machen, dass es das Jahrbuch noch gibt?“

Die Lösung war eine Crowdfunding-Kampagne, die Geld für Druck und Produktion sammeln sollte. Über Startnext und begleitet mittels diverser Social-Media-Kanäle starteten Melanie und Hardy im Dezember 2019 ihre Rettungsaktion des Jahrbuchs. Das Ziel: 15.000 Euro für Druck und Produktion zu sammeln – und so vielleicht auch das nächste Jahrbuch zu finanzieren.

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Hardy Kettlitz und Klaus Farin und das SF Jahr 2019

Hardy Kettlitz und Klaus Farin während der Präsentation des SF Jahres 2019 in der Berliner Buchhandlung Otherland.

Crowdfunding soll aber nicht die Zukunft sein, da sind sich alle einig. Klaus Farin erläutert:
„Die Notlösung mit dem neuen Verlag und dem Crowdfunding ist auch eine Chance, die hohe Aufmerksamkeit und das größere Interesse zu nutzen, um das Jahrbuch weiterzuentwickeln und neu zu gestalten. Eine Idee ist, Schwerpunkte zu gewichten, mehr Leute, andere Leute zu erreichen, ein breiteres Spektrum zu erfassen.“

Mehr als Wild-West im Weltraum

Es geht Klaus Farin aber nicht darum, nur die Fans zufrieden zu stellen. Für ihn ist Science Fiction ein hoch politisches und gesellschaftskritisches Genre, mehr noch als der Krimi, und damit habe Science Fiction uns als Gesellschaft viel zu sagen. Dieses Genre sei mehr als Wild-West im Weltraum, fügt er grinsend hinzu. Daher gehe es ihm auch darum, auch außerhalb des Science-Fiction-Fandoms Menschen anzusprechen.

Ein wichtiger Teil davon sind die bereits erwähnten Schwerpunktthemen. Für 2019 sollte das Schwerpunktthema Trans- und Posthumanismus heißen. Das Jahrbuch solle über solche Themen nicht nur informieren, sondern erfülle zusätzlich eine Zeitzeugenaufgabe und alle Mitmachenden verstehenden ihr Projekt auch als Diskussionsbeitrag. Hardy Kettlitz ergänzt: „In dieser Form ist zum Beispiel das Thema Transhumanismus nicht diskutiert worden. Klar, es gab akademische Abhandlungen, aber da gibt es keinen Unterhaltungswert. Und ein Artikel im Jahrbuch hat diesen Unterhaltungswert und dazu einen Informationsgehalt.“

Aber fast wäre das alles umsonst gewesen. Denn die Crowdfunding-Kampagne verlief zwar recht gut, am Ende fehlten aber fast noch ein paar hundert Euro. Doch am 19. Januar erreichte die rettende Nachricht Melanie, Hardy und Klaus: Das Science Fiction Jahr 2019 war finanziert.

Auf die Frage, ob sich Klaus Farin als Retter des Jahrbuchs sieht, schweigt dieser und presst die Lippen aufeinander. Hardy lacht und wirft ihm die Arme um die Schultern: „Ja, auf jeden Fall!“ bestätigen er und Melanie. „Das müssen wir jetzt sagen, das darf er nicht sagen.“ Klaus Farin hätte ihnen sogar auf doppelte Weise geholfen: Zum einen mit einem neuen Verlag, zum anderen mit der Idee zum Crowdfunding. Melanie erinnert sich: „Das hätten wir uns nie getraut. Wir haben kurz darüber nachgedacht, nachdem klar war, dass Golkonda das Science Fiction Jahr nicht herausbringen kann, aber wir haben gesagt, das schaffen wir niemals mehr in diesem Jahr.“

Für Klaus Farin ist das Jahrbuch auch eine Herzensangelegenheit als Verleger: „Das war für mich auch ein Anlass, mehr Science Fiction zu machen, mich mehr zu trauen und mehr da rein zu gehen. Das ist für mich ein bisschen back to the roots, weil ich neben Punk schon in den Siebzigern in der SF unterwegs war.“

Auch in Zukunft Zukunftsliteratur

Das Science Fiction Jahrbuch 2019 erschien dann schließlich im Februar 2020. Die größere Aufmerksamkeit führte dazu, dass das Jahrbuch alten Fans ins Gedächtnis gerufen wurde und sich ein paar neue Leserinnen und Leser dafür interessiert haben. Das lässt Klaus Farin positiv in die Zukunft schauen: „Das Science Fiction Jahr wird ja hochgradig von ehrenamtlichem Engagement getragen, das macht es ja erst möglich. Genau wie der Hirnkost-Verlag, ich mache das ja auch ehrenamtlich. Aber nur so funktioniert‘s. Mit dem, was wir jetzt im Buchhandel verkaufen und schön wären so 300 bis 400 Abonnenten – damit finanziert es sich. Und das kriegen wir hin.“

Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz freuen sich beide darauf, dass es weitergeht. Die ersten Texte für das Jahrbuch 2020 sind bereits im Lektorat. Das Thema für die kommende Ausgabe soll Gender und Diversity sein. Ob man sich da schon auf heiße Diskussionen eingestellt hat?

Hardy winkt ab. „Minimal“, sagt er grinsend, ein paar Leute hätten sich beschwert. „Aber das muss so sein. Aufklärung muss weh tun!“ wirft Klaus Farin ein und fährt fort: “Schließlich geht es ja nicht darum, Wellness-Oasen für Fans zu schaffen. Wie zukunftsfähig sind Fans eigentlich, die Zukunftsliteratur lesen? Inwieweit nehmen die Fans die Inhalte ernst? Das ist eigentlich eine spannende Diskussion.“

Hardy lacht: „Das ist aber ein ganz anderes Thema, du!“

Auch Melanie freut sich auf den Schwerpunkt und die Reaktionen darauf: „Ich bin gespannt, was da auf uns zukommt!“

Und ist das nicht die Quintessenz der Science Fiction?

Das Science Fiction Jahrbuch 2020 soll im Oktober 2020 erscheinen. Seit Februar 2020 ist das Science Fiction Jahrbuch 2019 im gut sortierten Buchhandel sowie über die Webseite des Hirnkost-Verlags erhältlich.

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