Anno 2205: Größer, schöner und besser? - Kritik zum Strategiespiel

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Zukunft heißt, global zu denken. Auch Blue Byte übernimmt dieses Motto für seinen jüngsten Serienableger. Dadurch erfüllt der Entwickler auch ein Drittel seiner Permisse für das neue Anno. Das soll nicht weniger als das größte, schönste und beste Anno sein. Aber hat Blue Byte diese Ziele auch erreicht?

Aller Anfang ist gleich        

Stellt euch vor, wie sich euren Augen der Anblick einer Stadt bietet. In dieser Stadt ragen gewaltige Bauten aus Glas und Stahl in den Himmel. Die Bewohner tummeln sich in den Straßen und über ihnen ziehen fliegende Autos ihre Bahnen in den Häuserschluchten. Nach unzähligen Spielstunden nahm die Stadt meines persönlichen Anno-Abenteuers genau dieses Bild an. Doch auch nach so langer Zeit stellte sich nicht mal im Ansatz der Gedanke ans Aufhören ein. Denn selbst nach nunmehr 60 Spielstunden, gibt es in Anno 2205 noch mehr als genug für mich zu tun. Dort könnte doch noch eine Wohnsiedlung entstehen oder? Mist, dann produziere ich aber nicht mehr genug Nahrung. Aber dort passt vielleicht noch eine Farm hin. Aber dann habe ich nicht mehr genug Energie zur Verfügung. Dann muss ich eben noch schnell... Es wird deutlich: In Anno 2205 gibt es immer Arbeit und immer etwas zu optimieren. Das wird aber nicht jedem ausreichen, doch beginnen wir am Anfang. 

Kampagne = Endlosspiel

Am grundlegenden Spielprinzip von Anno ändert sich auch für das Jahr 2205 nichts. Die wohl wichtigste Neuerung ist aber, dass die Kampagne und das Endlosspiel nun ein und das Selbe sind. Als Chef einer großen Firma wird uns die Aufgabe anvertraut, die Voraussetzungen für die Besiedlung des Mondes zu schaffen. Nur dort können wir Fusionsreaktoren bauen, die genügend Energie produzieren, um das weltweite Energieproblem zu lösen. Zu Beginn des Spiels wählen wir nun zwischen drei verschiedenen Startinselwelten, die allesamt von Hand gestaltet sind und nicht mehr zufallsgeneriert werden. Dadurch wirken die Inseln weit natürlicher, als noch in den Vorgängern. Jede dieser Welten wartet mit ihrem eigenen Megaprojekt auf. Im Walbruck-Becken beteiligen wir uns an der Fertigstellung eines riesigen Staudammes. Einmal errichtet, beschert uns dieser Damm einen dicken Energiebonus. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich wieder individuell anpassen. Von der Häufigkeit der Nebenaufgaben bis hin zur Baukostenerstattung bei Abriss eines Gebäudes lässt sich das Spiel justieren. Nur die Anzahl der Mitspieler dürfen wir nicht mehr bestimmten. Die gibt es nämlich schlicht nicht mehr. Besonders die Eroberer unter den Anno-Spielern dürften sich darüber ärgern. In Anno 2205 sind wir, abgesehen von ein paar Auftraggebern, allein auf der Karte. Der Konkurrenzdruck auf den Karten ist dadurch schlicht nicht vorhanden. Die KI der Anno-Mitspieler war zwar noch nie eine Stärke der Serie, ihr Fehlen hinterlässt trotzdem einen faden Beigeschmack. All den Spielern, die sich lieber auf den reinen Aufbaupart konzentriert haben, sollte diese Änderung aber zusagen. Nach Betreten der Spielwelt zeigt sich Anno aber erst einmal wie gewohnt. Ein Kontor, ein Schiff und schon ziehen wir die ersten Wohnsiedlungen hoch. Hier noch eine Farm, um den Nahrungsbedarf zu decken, da noch ein Gezeitenkraftwerk, damit unsere Betriebe mit Energie versorgt sind und dort noch ein Informationszentrum. Schon nach wenigen Minuten steigen unsere Bewohner zur nächsten Zivilisationsstufe auf. Anno 2205 lässt seine Vorgänger auch im Punkto Schnelligkeit zu Spielbeginn hinter sich. Neue Bewohner haben auch neue Bedürfnisse - kennt man ja alles. Neben Obstsäften, Verjüngungskuren und dem Bedürfnis nach Sicherheit, fordern unsere neuen Einwohner auch Neuroimplantate. Das dafür nötige Metall, Molybdän, findet sich aber nur in den arktischen Klimazonen. Spätestens jetzt unterscheidet sich Anno 2205 gravierend von seinen Vorgängern.

Hier geht’s kalt her

Unterschiedliche Klimazonen kannten wir bereits aus Anno 1404. Im neusten Serienteil nehmen diese Zonen aber ihre eigenen Inselwelten in Anspruch. Nach nur einem Mausklick befinden wir uns auf der Übersichtskarte. Dort dürfen wir uns jetzt eine von drei Regionen in der Arktis zu Eigen machen. Also schnell  ausgewählt und rein ins frostige Vergnügen. Die Arktis bietet, neben eigenen Rohstoffen auch eigene Probleme. Dort ist es nämlich nicht gerade warm, um nicht zu sagen - es ist scheiße kalt. Damit unsere Bewohner nicht erfrieren, müssen wir deren Unterkünfte in der Nähe unserer Produktionsstätten bauen. Spätestens hier hebt sich die Trennung von Stadt und Produktionsgebiet auf. Anno 2205 mutiert in der Arktis zum Puzzlespiel und wir müssen gut überlegen, wie wir die Ressourcen Arbeitskräfte, Energie und Logistik managen. Letzteres erhalten wir durch den Bau von Speditionen. Die müssen aber nicht mehr zwingend in der Nähe der Produktionsgebäude stehen. Einflusskreise sind mit Anno 2205 nämlich ad Acta gelegt. Die Spedition könnte also theoretisch auch am anderen Ende der Insel stehen. Energie generieren wir in der Regel über Wind- Wasser- und in der Arktis über Geothermalkraftwerke. Die erzeugen dann auch genug Abwärme in ihrer Umgebung, um dort ein paar Zelte für Arbeitskräfte aufzustellen. Damit sind alle drei Probleme gelöst. Schnell stehen die ersten Fabriken und Zelte und schnell können wir das benötigte Molybdän abbauen. Daraus produzieren wir dann die Neuroimplantate. Jetzt nur noch schnell auf ein Schiff laden und per Handelsroute in den Zielhafen verschiffen - richtig?

Die frostige Arktis stellt uns vor neue Herausforderungen.

Königsdisziplin Ade

Falsch! Anno 2205 verzichtet auf die klassischen Handelsrouten der Vorgänger. Stattdessen landen alle produzierten Waren in einem globalen Lager. Produktionsketten, bei denen wir die Produktion vom Rohmaterial bis zum Endproduckt mitverfolgen können, sind Geschichte. Jeder Betrieb, den wir errichten, liefert seine Waren jetzt automatisch ins globale Warenlager. Die neue Art der Handelsrouten legen wir jetzt über die Übersichtskarte an. Einfach das Gut der Begierde auswählen, Start- und Endregion der Route bestimmten und Menge auswählen. Schon steht die erste Handelsroute. Die Vereinfachung dieses Systems in ein zweischneidiges Schwert. Aus überblickstechnischer Sicht ist diese Änderung ein großer Schritt in die richtige Richtung. Das globale Lager erlaubt uns, schnell und präzise Probleme und Engpässe zu ermitteln. Wir wissen also immer genau wo wir die Stellschraube als nächstes nachziehen müssen. Darüber hinaus können wir uns durch das globale Lager schnell und einfach ausrechnen, wie viele Bewohner wie viel von einer bestimmten Ware benötigen. Das erlaubt ein effektiveres Planen. Diese Änderung dürfte aber all jenen sauer aufstoßen, die das Basteln an den optimalen Handelsrouten, also die eigentliche Königsdisziplin von Anno, lieb gewonnen hatten.

Das Handelroutefenster ist sehr übersichtlich gehalten. Dafür geht aber auch ein großer Teil der Komplexität verloren.

Zum Erfolg durch Modulares Denken

Sobald die Neuroimplantate in unserer Hauptstadt eingetroffen sind, können wir uns dort weiter die Zeit vertreiben. Ein paar zusätzliche Wohnhäuser sorgen dafür, dass die Kosten für unsere, teils sehr kostenintensiven, Produktionsstätten gedeckt bleiben. Mehr Einwohner bedeutet aber auch mehr Nachfrage nach Gütern.  Ab der zweiten Zivilisationsstufe wartet Anno mit einer weiteren Neuerung auf uns. In den Vorgängern konnten wir beispielsweise den Nahrungsmangel bekämpfen, indem wir neue Produktionsstätten aus dem Boden gestampft haben. Das wäre auch in Anno 2205 eine Option. Eine weitaus sinnvollere Möglichkeit stellen aber die neuen Module dar, die wir an unsere bereits vorhandenen Betriebe andocken können. Dadurch erhören wir die Produktionsmenge, senken die Logistik- oder Arbeitskräftekosten oder verringern den Energiebedarf. Wie viele von diesen Modulen wir an ein Gebäude schrauben dürfen, variiert. Außerdem benötigen wir für ihren Bau die sogenannten Seltenen Ressourcen, die wir nicht selbst produzieren können. Diesem Defizit können wir entweder bei freien Händlern, durch Nebenquests oder auf dem Schlachtfeld Herr werden.

Stellt euch vor, es wäre Krieg und keine will hin

Stichwort Schlachtfeld: Auch hier wartet das Spiel mit einer Neuerung auf. Wer in Anno 2205 Gefechte zur See austragen will, muss dafür jetzt ebenfalls auf eine von zwei separaten Karten wechseln. In diesen sogenannten Konfliktzonen werden mal für die Kampagne relevante, mal unbedeutende Aufträge generiert. Eines haben sie aber alle gemeinsam – sie sind nicht sonderlich spannend oder anspruchsvoll. Oft geht es lediglich darum, belagerte Handelsschiffe zu befreien, Kontrollpunkte zu erobern oder große Schlachtkreuzer zu versenken – Standard eben. Der einzige Anspruch liegt darin, unsere Flotte von A nach B zu befehligen und dabei möglichst gekonnt, mit unseren Spezialfähigkeiten umzugehen. Nach einer absolvierten Mission dürfen wir unsere Flotte aufrüsten. Aber auch hier sucht man die Spannung und den Spaß vergeblich. Mehr als den Upgrade-Button zu drücken, gibt es da nämlich nicht zu tun. Sollten wir mal ein Schiff verlieren, ist das auch nicht weiter schlimm. Zur nächsten Mission ist unsere Flotte wieder voll einsatzbereit. Schade, denn wenigstens den Flottenbau in einer unserer Regionen hätten wir uns gewünscht. Hier vergibt der Entwickler für unsere Begriffe Chancen. Kämpfe waren zwar noch nie das Aushängeschild der Anno-Serie, sie gehörten aber eben doch irgendwie dazu. Durch die Entkopplung vom Rest des Spiels wirken sie nun irgendwie fehl am Platz. Natürlich macht es das erste und zweite Mal noch Spaß, besonders, da die Gefechte einfach sehr schick in Szene gesetzt sind. Die Kampfeinsätze verkommen aber schnell zur Fleißübung. Gute Nachricht: Lediglich einen der Einsätze müssen wir spielen. Alle anderen können wir links liegen lassen und unser Ziel auch erreichen, indem als pazifistischer Bauherr im Rang mit unserer Firma aufsteigt.

Die Seeschlachten machen optisch durchaus eine gute Figur. Leider aber auch nicht viel mehr.

Ein „kleiner“ Schritt für die Menschheit

Unsere Firma auszuweiten, ist auch zwingend notwendig. Der Weg zum Mond ist schließlich sehr kostenintensiv. Aber nach vier bis sechs Spielstunden dürfen wir die dritte Region in Besitz nehmen. Der Mond stellt uns seinerseits vor neue Herausforderungen und Probleme. Dort oben dürfen wir nur in Kratern bauen und jedes unserer Gebäude muss in der Nähe eines Schildgenerators stehen, um es von Asteroideneinschlägen zu bewahren. Das ist prinzipiell erstmal gar nicht so schwer, wären da nicht die gewaltigen Kosten. Eine funktionierende Mondbasis lohnt sich aber trotz ihres Geldhungers. Nach etwa acht bis zehn Spielstunden dürfen wir unseren ersten Fusionsreaktor bauen. Um das Teil zum Laufen zu bekommen, benötigen wir aber Deuterium, das wir wiederum nur in der Arktis abbauen können. Haben wir die benötigten Ressourcen aber erstmal zum Mond befördert, produzieren unsere Fusionskraftwerke Unmengen an Energie. Soviel, dass wir die Kraftwerke auf der Erde abreisen und den Bauplatz anderweitig nutzen können.

Der Mond ist die dritte Region in Anno 2205 und bietet neue Herausforderungen.

Der Kreislauf des Annoholikers

Und so zieht sich der Anno-Kreislauf weiter durch die nächsten Spielstunden. Wir verschiffen Diamanten aus der gemäßigten Klimazone in die Arktis, die dort für die Herstellung von Quantencomputern benötigt werden. Dann verschiffen wir die Quantencomputer wieder in unsere Hauptstadt und so weiter. Durch die Befriedigung der Luxusbedürfnisse schalten wir wiederum neue Gebäude frei und wieder beginnt das Puzzeln in der Stadt. So spinnt Anno 2205 ein Netz, das uns durchaus für vierzig Stunden an den Rechner bannt, komplett ohne Leerlauf. Doch spätestens dann haben wir auch das letzte der 70 Gebäude gebaut und produzieren die letzte der rund 40 Waren. Zwar hat man die Möglichkeit drei Regionen in der Arktis, drei in den gemäßigten Klimazonen und drei auf dem Mond vollzubauen, dafür gibt es aber neben den eingangs erwähnten Großprojekten keinen Anreiz. Jetzt hängt es stark vom persönlichen Ziel ab, ob Anno noch weiter motivieren kann. Wie zu Beginn erwähnt, wird es nicht jedem reichen, alles vollzubauen und zu optimieren. Hier könnte doch aber die Story Abhilfe schaffen oder?

Da wäre mehr drin gewesen

Machen wir´s kurz: Nein! Denn der Inhalt ist einfach zu dünn. Dazu kommt, dass das Erzählte einfach unglaubwürdig erscheint. Die Geschichte spricht von einem Wettrennen zum Mond. Nur leider ist ein Wettrennen ohne Gegner eher ein Spaziergang. Die anderen Firmenleiter legen uns weder Steine in den Weg noch behindern sie uns anderweitig. Im Gegenteil: Sie helfen uns sogar, indem sie uns ihre Regionen verkaufen und Aufträge geben, damit wir noch größer werden können. Die 29 Storymissionen bleiben einfach wie auch die Charaktere von Anno 2205 Profillos. Sie sind wenig mehr als ein Tutorial. Schade, denn das Szenario hätte durchaus mehr hergeben und sei es nur eine bessere Inszenierung. Zwischensequenzen, wie bei unserem ersten Flug zum Mond, bleiben nämlich die Ausnahme.

So schön ist das schönste Anno

Dafür bietet das Spiel selbst einen Ausgleich zur mageren Inszenierung der Kampagne. Anno 2205 sieht einfach hervorragend aus. Die Produktionsbetriebe sind mit unglaublich viel Liebe zum Detail gestaltet. Es macht einfach Spaß, seiner Stadt zuzusehen und die Einwohner zu beobachten. Grafisch ist das Spiel auf dem neusten Stand und erfüllt somit auch den zweiten Teil seiner Prämisse, das schönste Anno zu sein.

Fazit

Aber ist es nun das beste Anno? Hier werden sich die Geister scheiden. Die Eroberer unter den  Anno-Spielern müssen einige Abstriche im Vergleich zu den Vorgängern in Kauf nehmen und werden mit dem neusten Teil nicht glücklich werden. Dafür sind die Kampfeinsätze zu abwechslungslos und eintönig gehalten. Und die Bauherren? Bei ihnen hängt es davon ab, was sie sich von Anno erwartet. Wer in Ruhe ein gewaltiges Imperium aufbauen und aus jedem Fleck der Karte ein Gebäude stampfen will, der hat in Anno 2205 gleich neun Mal die Gelegenheit dazu. Dementsprechend viel Spaß wird er haben und dementsprechend viel Zeit, kann er auch in dem Spiel verbringen. Wer neben dem Aufbaupart auch gerne an der Wirtschaft getüftelt hat, wird im neusten Serienteil nicht völlig enttäuscht, muss aber auf viel Arbeit verzichten, die noch in den Vorgängern enthalten war. Ob das neue Anno das beste Anno für Euch ist, hängt also davon ab, welche Art von Annoholiker Ihr seid.

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