Mit „The Big Bundle“ feiert Max Allan Collins Nathan Heller sein Debüt in der Reihe Hard Case Crime. Seit fast vierzig Jahren und an die zwanzig Fälle löst die bekannteste Figur des amerikanischen Kriminalautoren Fälle, die in einem Zusammenhang mit historischen Begebenheiten oder ungelösten Kriminalfällen in den USA stehen. Dabei versucht Max Allan Collins nicht nur die bekannten Fakten zusammenzufassen und platziert seinen unorthodoxen, sondern inzwischen auch grundehrlichen Ermittler mitten ins Geschehen, der Autor folgt eigenen Spuren und kommt teilweise auch zu neuen Erkenntnissen. In dieser Hinsicht ist die Auseinandersetzung mit der Entführung des Lindbergh Babys einer der Höhepunkte der Serie. Gleichzeitig auch eine der größten Niederlagen Hellers. So wurmt es ihn, wenn er immer wieder darauf angesprochen wird.
Auch in „The Big Bundle“ geht es um eine Entführung. Der sechs Jahre alte Bobby Greenlease wird von der Schule entführt. Sein Vater ist ein millionenschwerer Autohändler. Die Entführer verlangen 600.000 Dollar, die größte Summe, die bis dahin (1953) für einen Entführten verlangt worden ist. Nathan Heller ist ein Bekannter der Greenlease. Der Vater bittet ihn, bei den zweiten Geldübergabe dabei zu sein. Die erste Geldübergabe ist an der Inkompetenz der Entführer gescheitert. Der Anrufer scheint betrunken zu sein.
Die zweite Geldübergabe gelingt zwar, allerdings wollen die Entführer den Jungen erst einige Tage später freilassen. Aufgrund seines Bekanntheitsgrades bittet ein Mitglied des Mobs aus St. Louis Heller um einen Gefallen. In einer Kleinstadt ist ein betrunkener Mann aufgetaucht, der seine Taxifahrer immer wieder zu seltsamen Touren anheuert. Auch bittet er um einen Mittelsmann, um eine größere Summe Geld aus einem Versicherungsbetrug zu waschen. Heller soll prüfen, ob es sich eventuell um den Entführer handelt. Mit Kindesentführung will selbst der hartgesottene Mob nichts zu tun haben und die Übergabe des Entführers an die örtlichen Behörden könnte die Kleinkriminellen in einem besseren Licht dastehen lassen.
Im ersten Teil des Romans folgen Nathan Heller dem Geld und Max Allan Collins den bekannten Fakten. Nathan Heller übernimmt teilweise die Rolle der Polizei. In der Realität sind Polizisten auf den Entführer aufmerksam geworden, der eine Vielzahl von kleinen Banknoten unters Volk streute und sinnlose Einkäufe machte. In „The Big Bundle“ agiert Nathan Heller als Mittelsmann zum Chicagoer Mob. Nathan Heller war mit Frank Nitti befreundet. Nathan Heller hat sich aber bis auf kleinere Schwächen zu Beginn seiner Karriere als Polizist keine Gesetzesverletzungen erlaubt und wird sowohl von den Verbrechern als auch der Polizei (allerdings mit einem schiefen Auge) als Ehrenmann angesehen, dessen Wort Gewicht hat.
Nathan Heller ist selbst Vater eines sechsjährigen Sohnes. Daher geht ihm der Fall sehr nahe. Max Allan Collins beschreibt ausführlich und spannend die Dynamik des Falls. Ein inkompetenter Entführer, der ständig betrunken ist und anscheinend auch Drogen nimmt, um die inneren Spannungen zu unterdrücken. Es ist ein Balanceakt, um die richtigen Informationen aus dem Entführer herauszubekommen, ohne das Leben des Kindes zu gefährden. Immerhin besteht noch Hoffnung, dass der Junge bei dem ominösen Mittelsmann namens „M“ ist.
Der zweite Teil der Geschichte spielt fünf Jahre später. Nur die Hälfte des Lösegeldes konnte sichergestellt werden. Es gibt drei Theorien. Der Entführer hat das Geld vergraben und konnte sich aufgrund des Alkohols und der Drogen nicht mehr an die Stelle erinnern. Einer der Taxifahrer hat einem lokalen Mitglied des Mobs Bescheid gesagt und der Mob hat das Geld konfisziert. Zwei Polizisten haben in einer in ihren Aussagen fehlenden Stunde die Hälfte des Lösegelds unterschlagen.
Alle drei Szenarien könnten so geschehen sein. Aber alle drei Möglichkeiten rechtfertigen keinen Nathan Heller Krimi, denn Max Allan Collins hat sich immer mit den großen Verbrechen der amerikanischen Geschichte seit den dreißiger Jahren beschäftigt. 5 Jahre später sind es Bobby Kennedy und der mächtige Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa, die Nathan Heller zusammen mit dem im Hintergrund agierenden Greenlease bitten, der Spur des Geldes zu folgen. Die Interessen könnten nicht konträrer sein. Greenlease will nicht, dass jemand von dem Geld profitiert, das er für seinen Sohn bezahlen muss. Bobby Kennedy hofft, einer Spur des Geldes zu Jimmy Hoffa und seinen mächtigen Gewerkschaften folgen zu können, um den ungeliebten Hoffa loszuwerden. Und Hoffa will auf jeden Fall verhindern, dass er mit den fehlenden 300.000 Dollar in Verbindung gebracht wird.
Die erste Hälfte des Buches ist eine tragische Kriminalgeschichte. Nathan Heller agiert bei der Entführung auf Augenhöhe und ahnt - wie der Leser - schnell, dass ein Kleinkrimineller weit über seinen intellektuellen Fähigkeiten einen Plan umsetzen sucht, für den es Profis braucht. Die tragischen Erkenntnisse kommen am Ende des Abschnitts geballt und werden mit einer erdrückenden Offenheit präsentiert. Die historische Vorlage hat Max Allan Collins sehr gut umgesetzt und so weit man den sekundär literarischen Texten entnehmen kann, ist auch die Zeichnung vor allem des Entführers ausgesprochen gut gelungen. Ein Alkoholiker, ein Drogenkranker, immer auf der Suche nach dem letzten großen Ding.
Lange Zeit wirkte der zweite Teil der Geschichte - er spielt fünf Jahre später - gesetzter, fast langweiliger. Der Druck, den Jungen lebend zu finden, ist aus der Geschichte heraus. Nathan Heller folgt kalten Spuren, befragt die gleichen Leute wie damals und kommt mit seinen Erkenntnissen nicht weit. Dabei ist der Kreis der Tatverdächtigen sehr eng gefasst. Es geht in erster Linie um die Hintermänner.
Die Action kommt unvermittelt. Ein potentieller Zeuge wird vor Hellers Augen erschossen. Er soll sein Hotel verlassen. Er wird betäubt und entführt. Und auf diesen letzten Seiten fallen die Puzzlestücke fast tragisch zusammen. Ein perfekter Plan, ausgeführt von einem Narren. Mit fatalen Folgen für eine ganze Reihe von Leuten. Die meisten Gangster wollen das Blutgeld nicht anfassen. Eine Menge Zehner und Zwanziger fallen auf und werden unmittelbar in einen Zusammenhang mit dem Greenlease Lösegeld gestellt. Alle haben eigene Kinder, aber es ist vor allem die Furcht, gegenüber den Behörden eine Grenze zu überschreiten, nachdem sich der Mob in seiner Nische eingenistet hat und einige Polizisten einfach wegschauen. Eine Entführung ist ein anderes Thema und der Druck der Öffentlichkeit ist viel stärker.
Auch wenn Nathan Heller einen Schritt vor dem Leser - diese benötigt ein rührseliges Geständnis - die einzelnen Puzzlestücke zusammengesetzt und die Mittelsmänner erkannt hat, endet der Fall nicht mit den klassisch klischeehaften Verhaftungen oder gar Schusswechseln. Nathan Heller weiß inzwischen, dass er von Anfang an benutzt worden ist. Von einer dritten Seite. Nathan Heller weiß auch, dass die verschwundene Lösegeld Summe niemanden “glücklich” gemacht hat. In dieser Hinsicht hat sich der Wunsch Greenleases erfüllt. Im Epilog beschreibt Max Allan Collins durch sein Alter Ego Nathan Heller, was aus den die Handlung überlebenden Personen geworden ist. Auf der einen Seite ist dieses Ende pragmatisch und sachlich, auf der anderen Seite macht es die tragischen Protagonisten des Dramas - dabei spielt es keine Rolle, ob sie aktiv oder passiv ins Geschehen hineingezogen worden sind - noch einmal lebendiger.
Die Nathan Heller Krimis sind selten Actionlastig. Vielmehr fügen sich Geschichte und Fiktion zu einer faszinierenden Einheit zusammen. Souverän führt ein älterer Nathan Heller durch die einzelnen Ereignisse. Nur im Epilog greift er ein wenig voran und deutet eine weitere Begegnung mit zwei sehr wichtigen historischen Persönlichkeiten an. Die Zeichnung der Figuren beginnend mit dem dogmatischen, aber nicht distanzierten oder “eiskalten” Nathan Heller ist dreidimensional. Max Allan Collins gelingt es, seine Protagonisten und Antagonisten mit wenigen Charakterzügen lebendig und vor allem auch erinnerungswürdig zu machen. Sie müssen nicht sympathisch sein. Das sind die wenigsten Charaktere in einem Heller Roman. Manchmal am Rande des Klischees mit der geschäftstüchtigen Prostituierten mit einem bedingt schlechten Gewissen oder den Mob Gangstern, die so etwas wie Ehre abseits der normalen Verbrechen in sich tragen. Aber immer überzeugend und vor allem sehr gut an ihre Zeit angepasst.
Aus heutiger Sicht ist die Entführung Bobby Greenleaves von der Zeit vergessen worden. In den fünfziger Jahren nicht nur wegen der enorm hohen Lösegeld Summe, an der sich eine Reihe von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens selbstlos beteiligt haben, sondern auch an dem tragischen Verlauf in jedermanns Munde. Die Stärke der Nathan Heller Krimis liegt in der weit über die bekannten Fakten hinausgehenden Aufarbeitung dieser Fälle. Max Allan Collins spekuliert. Aber aufgrund seiner umfangreichen Recherchen verfügt er über ein Netz und den sprichwörtlichen doppelten Boden, auf dem er seine Thesen aufbaut. Das macht die Serie zu einer lebendigen Geschichte mit einem sich stetig weiterentwickelnden Nathan Heller im Mittelpunkt, der seine persönlichen Fehler wie einen immer größer werdenden Rucksack immer bei sich trägt.
- Herausgeber : Titan Books Ltd (24. Januar 2023)
- Sprache : Englisch
- Gebundene Ausgabe : 300 Seiten
- ISBN-10 : 1789098521
- ISBN-13 : 978-1789098525