Clarkesworld 116

Neil Carke

Es ist selten, dass die einleitenden Worte des Herausgebers der uninteressanteste Teil einer “Clarkesworld” Ausgabe ist. Bei der Nummer 116 ist das der Fall.  Andrew Liptak geht in „Destination: Venus“ nicht nur auf die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Planeten der Liebe ein, sondern listet eine Reihe von Kurzgeschichten und Romanen beginnend lange vor dem Golden Age bis zu Stirlings Hommage  auf, in denen der zweite Planet eine wichtige Rolle spielt. Sein kurzweilig zu lesendes Essay lädt vor allem zu Wiederbegegnungen mit den bekannten, liebenswerten planetaren Romanzen ein. Jason Heller setzt sich nicht zum ersten Mal mit dem Einfluss der Rockmusik auf das Genre, aber auch die Begeisterung bekannter Musiker für phantastische Texte auseinander. In der heutigen Zeit erscheint es befremdlich, wenn jemand aus einer ärmeren Schicht kommend davon spricht, dass kein Kabelfernsehen vorhanden ist, aber in den siebziger Jahren verfügte Jason Heller nur über die Romane der örtlichen Bücherei und das Radio.  Auch wenn in dem obligatorischen Interview die „Transcendent“ Trilogie von James Gunn im Mittelpunkt steht, schafft es Chris Urie, aus einem der letzten literarischen Urgesteine des Genres mehr Informationen nicht nur über die goldenen Zeiten, seine sekundärliterarische Herausgeberschaft und die neue Trilogie herauszuholen. Die Fragen sind sehr gut recherchiert und James Gunn gibt ausführliche Auskunft, so dass Urie auf diesen Antworten aufbauen in die Tiefe gehen kann. Eines der besten Interviews seit Jahren in „Clarkesworld“.    

 Aus der ebenfalls von Gardner Dozois mit herausgegebenen Anthologie „Rouges“ stammt Joe Abercrombies „Tough Times All Over“.  Sie wird in erster Linie seine Fans ansprechen, da sie in einem vertrauten Universum spielt. Der Versuch, Fritz Leiber mit seinen Geschichten um den Mausling zu übertreffen, muss als misslungen angesehen werden. Obwohl die Geschichte den LOCUS Award gewonnen hat, Über vierzig Seiten entwickelt der Autor immerhin 14 sehr unterschiedliche Charaktere, die in der Stadt Sipani sich im Grunde ein altes Kinderspiel liefern, in dem der Plumpsack von einem Schurken zum nächsten Dieb unfreiwillig wechselt. Niemand weiß, was in dem Beutel ist und jeder versucht möglichst viele seiner alten Schulden einzulösen. Die einzelnen Trickdiebstähle sind ohne Frage originell und auch sehr gut beschrieben, aber nach einem kurzweiligen Auftakt hängt diese kurze Novelle im mittleren Abschnitt leider ein wenig durch. Entgegen vielen anderen Fantasywelten sind es natürlich die Frauen, die immer eine Nase vorne haben. Der Humor ist unterhaltsam, weder zynisch noch böse. Aber zusammengefasst wirken einzelne Handlungsabschnitte auf dem Weg zum finalen Ziel zu sehr bemüht und nicht jede Wendung des Plots überrascht nachhaltig. „A Heap of Broken Images“ aus der Feder Sunny Moraine ist nicht nur einmal, sondern durch die Veröffentlichung im „Year´s Best Science Fiction“ Taschenbuch zweimal nachgedruckt worden. Bis zur bittersüßen Pointe ist es eine sehr nachdenklich stimmenden Geschichte . Ein Touristenführer versucht Menschen davon zu überzeugen, mit ihm eine Führung zu unternehmen, während er gleichzeitig mit der Auslöschung seiner Zivilisation durch die Menschen fertig werden muss. Erst im letzten Augenblick wechselt die Autorin ohne zu belehren, ohne offen zu kritisieren und vor allem den Leser zu manipulieren die Perspektive und zeigt die Folgen des Irrsinns auf. Es ist eine ruhige Story, deren Kraft aus einem eher indirekt erzählten Plot kommt.

 Neben den beiden sehr unterschiedlichen Nachdrucken verfügt die Mai Ausgabe „Clarkesworld“ wieder über fünf neue Storys. Der Auftakt „Left Behind“ von Cat Rambo verfügt wie John Scazlys Veteranenkrieg über eine interessante Ausgangsprämisse. Ältere Menschen werden angeheuert, um unter anderem wegen ihrer inneren Ruhe Raumschiffe durch die Tiefe des Alls zu steuern. Dabei wird anscheinend immer eine Kopie der Protagonisten Shi als Begleitern mit auf die Reise geschickt. Die Pointe dreht diese Prämisse auf den Kopf. Cat Rambo schafft es authentisch die Sehnsucht nach einem Neuanfang und die Angst vor der zukünftigen Arbeitslosigkeit in einer zerfallenen Zivilisation sehr gut zu beschreiben. Auf der negativen Seite versucht die Autorin zu viele Informationen in zu wenig Text unterzubringen und baut die immer wieder betonte Prämisse Shis Verlangen nach einem eigenen Körper zu wenig aus, als dass das nicht unbedingt überraschende Ende beim Leser auf einen fruchtbaren Boden fällt.  Auch Robert Reeds „The Universal Museum of Sagacity“ unterhält auf eine sehr verquere Art und Weise. Der Ich- Erzähler erfährt von seiner Mutter, das sein Vater schon einmal verheiratet gewesen ist. Es gibt nur vergilbte Fotos von der Weihnachtsfeier aus den sechziger Jahren. Da die Menschheit sich inzwischen technologisch weiter entwickelt hat, setzt er einen der modernsten Quantencomputer daran, weitere Fotos dieser geheimnisvollen, angeblichen in der Türkei ums Leben gekommenen Frau und Künstlerin zu beschaffen. Nur kennen Computer keine Grenzen, was zu einer abenteuerlichen Theorie führt, die eher im Bereich der „X – Akten“ angesiedelt werden sollte. Anfänglich faszinierend und vor allem geheimnisvoll geschrieben driftet die Story mehr und mehr in den Bereich klassischer Science Fiction mit virtuellen Elementen ab, wobei das Geheimnis hinter dem Verschwinden im Grunde wenig Sinn macht. Auch die Idee, dass mittels bestimmter Maschinen der Mensch schon von seinem sechsten Lebensjahr an irgendwie geformt/ manipuliert und aus der Distanz seziert wird, erscheint eher paranoid als logisch nachvollziehbar in diese Geschichte eingebaut. Aber als Ideenautor provoziert Robert Reed immer wieder seine Leser, so dass auch die vorliegende Geschichte mit ihrer Mischung aus Mystik/ Phantastik und Science Fiction Elementen zumindest kurzweilig auf einem leichten, vom Autoren aber absichtlich kompliziert gemachten Niveau unterhält. Die kürzeste Story der Sammlung ist „Breathe“ von Cassandra Khaw. Wie bei vielen ihrer anderen Arbeiten versucht sie eine einfache Handlung – eine Mission in die Tiefen des Meers geht schief – mit ihrer ausdrucksvollen, sehr intimen „Sprache“ für den Leser greifbarer zu machen.  Die klaustrophobischen Gefühle eng komprimiert in einem Text, der im Grunde keine phantastischen Elemente benötigt, werden nachhaltig genug herausgearbeitet. Das Drängen, den Verlust nicht nur das Sauerstoffs, sondern auch des Verstandes baut sie in immer intensiver, immer  kürzer werdende Sätze bis zum eher offenen Finale ein.

Richard Larson schafft es dagegen, in seiner kurzen Novelle „Jonas and the Fox“ bekannte Elemente zu etwas nicht unbedingt gänzlich neuen, aber lesenswerten zu verarbeiten. Dabei wird der Hintergrund – irgendwo in der Galaxis findet eine Revolution – durch die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder zueinander definiert. Es gibt ein kleines Raumschiff, das dem gesuchten Onkel zumindest die Chance gibt, dem Häschern zu entkommen und den Planeten zu verlassen. Das Schiff wurde in einem abgelegenen Sumpf gefunden. Richard Larson arbeitet die verschiedenen Interessen der Familienmitglieder sehr gut heraus und mit seinem empathischen, ein wenig melancholisch patriotischen, aber niemals kitschigen und von gut geschriebenen Dialogen getragenen Stil entwickelt er genau die richtige Atmosphäre für diese in erster Linie aus den zwischenmenschlichen Komponenten her Spannung aufbauenden Geschichte.

 Aus dem Chinesischen übersetzt ist „Away from Home“ von Luo Longxiang eine sehr lange Geschichte. In der anschließenden Autorenvorstellung wird darauf hingewiesen, dass der Autor mit seinem nicht unfangreichen, aber philosophisch gehaltvollen Werk immer wieder die Stellung des Menschen in einem großen Universum untersucht hat. Auch „Away from Home“ gehört zu dieser Art von Geschichten, wobei selbst für chinesische Verhältnisse es weniger um politische oder soziale Systeme geht, sondern den Kampf des Menschen gegen die Unwillen des Universums. Und trotzdem ist es die mit Abstand schwächste Geschichte dieser Ausgabe. Die Ideen sind vorhanden. Die Menschen haben sich gigantische Raumschiffe aus Asteroiden gebaut. Dabei ist der Vater des Erzählers ums Leben gekommen, um sie als Generationenraumschiff in die Tiefen des Alls zu schicken. Auf der einen Seite halten sie die Gravitationswellen eines Neutronensterns aus, auf der anderen Seite zerstören Meteoriten große Teile der Flotte, ohne das die Raumschiffe ausweichen können. Stilistisch auch in der Übersetzung ausgesprochen schwerfällig mit der Neigung, die Probleme nicht aus sich heraus zu entwickeln, sondern immer wieder den langsamen Plot zu unterbrechen, um mittels belehrender Informationen einen Hintergrund zu entwickeln, leidet die ganze Geschichte unter einer fehlenden Struktur und inneren Widersprüchen. Das die handelnden Charaktere zusätzlich ausgesprochen distanziert gezeichnet worden sind und damit die fehlende Sympathie zwischen Akteur sowie dem Leser sich negativ auf das eher profane Ende auswirkt, ist ein weiterer Aspekt. Es ist eine der schwächsten chinesischen Science Fiction Geschichten der letzten „Clarkesworld“ Ausgaben, obwohl die Intentionen des Autoren klar zu erkennen sind. Er hat nur kein Werkzeug gefunden, um sie in die richtigen sprachlichen Bilder zu fassen.

 Die Mai Ausgabe von „Clarkesworld“ wirkt eher wie eine Sommernummer. Einige der Geschichten sind ansprechend und unterhaltsam, während insbesondere zwei längere Texte  - der Nachdruck aus „Rogue“ von Joe Abercrombie als auch leider „Away from Home“ – zu schwach sind, um von den kürzeren, deutlich interessanteren Storys der Ausgabe ausgeglichen zu werden. Selbst das Titelbild dieser Nummer wirkt eher ambivalent als interessant.    

www.clarkesworldmagazine.com

E- Book, 120 Seiten