Die Beschützer 1: Ära der Helden

Martin Kay

Superhelden in Romanform oder Heftromanform sind ein schwieriges Problem. In den klassischen Medien wie Comics oder Filmen können ihre übernatürlichen Fähigkeiten und heroischen Taten besser visualisiert worden. Superhelden in Deutschland, wobei nicht auch im historischen Kontext von deutschen Superhelden geschrieben werden soll, ist ein noch schwierigeres Thema. Es ist eben ein Unterschied, ob die Heldin von den imposanten Hochhäusern in New York abfliegt oder Spiderman sich zwischen den endlosen Schluchten der Wolkenkratzer entlang schwingt als wenn das Parkplatz eines Rewes der Ausgangspunkt der Vigilanten ist. Martin Kay hat sich in seinem Auftaktband der neuen monatlichen Reihe „Die Beschützer“ sehr viel Mühe gegeben, trotz der bekannten Hintergründe und der Schwierigkeit, das Teambuilding meistens in Kombination mit einem möglichst mächtigen wie exotischen Antagonisten gut zu beschreiben. In seinen Neo Techno Thrillern hat Martin Kay bewiesen, dass er ein Actionautor ist. Und so ragen auch die zahlreichen Actionszenen beginnend mit der Festnahme der Bankräuber im Prolog durch eine neue auftauchende Vigilanten namens Sin Claire – und nicht Sinclair, wie in John Sinclair – aus dem geradlinig geschriebenen Roman heraus. Schlaglichtartig werden die Aktionen dieser neuen Superheldin – nachts Vigilanten, tagsüber Mutter eines nicht unklugen Kindes, natürlich allein erziehend und mit einem Vollzeitjob zum Überleben gesegnet – werden, denen mit dem Prätorianer ein exzentrischer, antiquiert wirkender natürlich brutaler Antagonist in der zweiten Hälfte des Buches gegenüber gestellt wird.

Aber Sin Claire ist natürlich nicht alleine. Mehr Menschen verfügen über unterschiedliche Fähigkeiten , die von Martin Kay insbesondere hinsichtlich des inflationierten Superheldenuniversums teilweise sehr originell entwickelt worden sind. Da ist „Facette“, die gleichzeitig an unterschiedlichen Orten erscheinen kann. Passend verweist sie auf die Textzeile eines nicht so bekannten Liedes. Oder die beiden Krankenschwestern, die mit ihren Heilfähigkeiten unterstützend agieren können. Mit seiner Rüstung und seinem brutalen Vorgehen wirkt alleine der Antagonist wie aus der Zeit gefallen. Wie es sich für moderne Superheldenteams gehört, bildet sich auch eine Mannschaft hinter den Helden, die vor allem „Die Beschützer“ als eine Art Polizeiteam neben den überforderten Ordnungskräften sieht und wie bei den „X-Men“ sie effektiv einsetzen möchte. Stoff genug für die nächsten Folgen dieser Serie.

Martin Kay orientiert sich zwar an den bunten Comicvorlagen vor allem der Gegenwart und weniger der Kirby Ära mit den sehr überdimensionalen Superhelden und entsprechenden Antagonisten, fokussiert sich aber positiv gesprochen auf eine moderne Version der seit Jahrzehnten populären und jetzt wieder fortgesetzten „Wild Cards“ Mosaikromane sowie der allgegenwärtigen „Heroes“ Serie. Seine Protagonisten kennen sich wie der Autor im fiktiven Superheldenmilieu aus. Da wird über die Fähigkeiten der einzelnen Figuren diskutiert und wenn eine Vigilantentruppe bestehend aus einem deutschen „Batman & Robin“ bzw. „Cat Woman“ Team angedacht wird, dann sind die Querverweise absichtlich gesetzt und gut platziert. Auch die Idee, das ein Meteoritenregen zumindest bei einigen der potentiellen Superhelden die Fähigkeiten hat entstehen lassen, erinnert mehr an „Wild Cards“, wo es allerdings ein außerirdisches Virus mit fatalen Folgen war. 

Der Autor versucht sich allerdings an zu wenigen Stellen mit Humor, so dass die grundlegende Handlung teilweise entweder unfreiwillig ein wenig zu oberflächlich voller Klamauk ist – siehe hier der Auftakt, der zwischen Spannung und Komik nicht richtig ausbalanciert erscheint – sowie den zu ernsten, zu stark konstruierten Dialogen. Immer wieder versucht sich Martin Kay an Flapsigkeit oder Doppeldeutigkeit, der Autor fühlt sich aber nicht abschließend wohl mit dieser Prämisse. Etwas Lockerheit hätte vor allem dem Auftaktband an den Prolog anschließend gut getan, wobei inhaltlich der Autor ohne Frage positiv auch neue Wege geht. Ganz bewusst geht er vor allem hinsichtlich der Superhelden Sin Claire – sie kann sich mit ihrem neuen Leben auch noch nicht ganz anfreunden – über die normalen Aspekte hinaus und arbeitet den Widerspruch zwischen verantwortungsvoller Mutter und mit stetig wachsenden Fähigkeiten ausgestatteter super Superheldin überzeugend heraus.

In der zweiten Hälfte des Romans erhöht Martin Kay deutlich das Tempo. Ein erster Einsatz der nicht sonderlich gut aufeinander abgestimmten Truppe geht furchtbar schief. Bedingt Schuldige kommen ums Leben und das Team droht zu zerfallen, bevor es eigentlich als „Die Beschützer“ überhaupt gestartet hat. Diese emotionalen Zwangslagen versucht der Autor herauszuarbeiten, macht es sich aber angesichts der anschließenden und den Roman abschließenden zweiten Mission inklusiv der Befreiung entführter Angehöriger zu leicht. Es wäre sinnvoller gewesen, dieses erste Scheitern ausführlich zu behandeln und damit nicht den obligatorischen Gesetzen des Subgenres zu folgen, sondern durchaus detailliert und vor allem emotional überzeugend einen anderen Weg zu gehen. Vieles wird überspringen und die Entwicklung der Figuren kommt zum Halt.

Eine weitere sehr deutlich erkennbare Schwäche dieses Debütbandes ist die Kraft hinter dem Prätorianer und seinen plötzlich aus dem Nichts heraus eilenden Helfer. Ohne zu viel zu verraten wirkt diese Idee in einer modernen Geschichte fast absurd und widersprüchlich. Die Entstehung der Superhelden auf der ganzen Welt ist nachvollziehbar, aber das sogar ein mystisches Wesen entstehen könnte oder vielleicht lange Zeit im Hintergrund/ Untergrund gelebt haben könnte, erscheint zu oberflächlich konstruiert. Die zweite Auseinandersetzung ist intensiver und brutaler. Da vor allem die „Beschützer“ aber durch ein hartes Training – eine der humorvollen und gelungenen Episoden des ganzen Romans – gegangen sind, können sie zumindest einen Pyrrhussieg nach Hause bringen, der Lust auf mehr macht.

Wie einige andere amerikanische Comicheldenserien – siehe „Damage Control“ – geht es in einem der beiden Epiloge um die Folgen einer Superheldenepidemie. Einmal für die Massenmedien beginnend mit den explodierenden Auflagen der Superheldencomics, aber auch für den Rechtsstart, der plötzlich eher widerwillig an seiner Seite mächtige Wesen findet, die von ihm nicht zu kontrollieren sind. Auch diese Situation bürgt ausreichend Potential für die nächsten Abenteuer. Zumindest im Epilog deutet Martin Kay auf der einen Seite einen Weg an, auf der anderen Seite macht er es wieder wichtigen Köpfen der Truppe zu leicht, aus einer rechtlich zumindest fragwürdigen Situation zu entkommen.

„Die Beschützer“ versucht leider in einem noch zu engen Comickorsettrahmen neue Wege zu gehen und vor allem vor dem Hintergrund einer in Deutschland spielenden Handlung sich absichtlich von den amerikanischen Comics abzuheben und sie trotzdem nicht aus den Augen zu verlieren. Die Charakterisierung der Figuren wirkt mit dem Fortschreiten der Handlung überzeugender und der Leser empfindet sogar Sympathie für die sich quasi mittels Eigeninitiative anfänglich entwickelnden Beschützer. Manchmal fehlen die entsprechenden Querverweise, denn zu sehr hat sich die Comicheldenkultur – es gibt auch einen Hinweis auf die weiterhin in den Kinos laufende DC und Marvel Filmwelle -  in der Gegenwart etabliert, als das nur so wenig überschwappen sollte. Ein großes Problem könnte wie im vorliegenden Roman mit der Befreiung der Opfer in den eingeschränkten Themen liegen, die bei vielen „normalen“ Comicserien nach einer überschaubaren Zeit Abnutzungserscheinungen verursachen. In diesem ersten Abenteuer werden die originellen Exkurse – von persönlichen Schicksalen bis zur angesprochnen politischen Zwittersituation – nicht ausreichend genutzt, um vor allem mit einer deutlich ruhig erzählten Handlungsführung die Stärken Martin Kays Serie noch deutlich herauszuarbeiten und sich damit vom gegenwärtigen Massenprodukt „Superhelden“ abzuheben. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Fortsetzungen entwickeln. Zusammengefasst ist das Debüt von „Die Beschützer“ unabhängig von Martin Kays manchmal zu gleich bleibenden, zu wenig variablen und dialogtechnisch manchmal ein wenig steif erscheinenden Stil ein originelles Debüt, das weniger den eingefleischten Comicfans als Anhängern phantastischer Literatur im Allgemeinen empfohlen werden kann.

Atlantis Verlag

Titelbild: Allan J. Stark
A5 Paperback. ca. 240 Seiten, ISBN 978-3-86402-346-0.