Beteigeuze

Beteigeuze, Titelbild, Rezension
Thomas Le Blanc

Mit dem zweiten Band der Sternenanthologien etabliert Thomas le Blanc in seinem Vorwort die neue Reihe endgültig. „Antares“ war eher eine Art Versuchsballon, um vielleicht auch von der Seite des Verlags den Markt für eine Kurzgeschichtenanthologie nur deutscher Autoren zu testen. Thomas le Blanc sieht als inhaltlichen Schwerpunkt vor allem Kurzgeschichten mit einem breiten thematischen Spektrum inklusiv wie in „Beteigeuze“ sogar den Abdruck eines Hörspiels, keine thematischen Einschränkungen und eine Mischung aus Newcomern sowie etablierten Hasen.

 Mehrere Geschichten beschäftigen sich mit der Idee der Zeitreise bzw. im Falle von Thomas Zieglers Satire „Des Herrn Professor B. wundersame Reise durch die Zeit“ mit den alltäglich erscheinenden Verrücktheiten eines überdrehten Erfinders, der aus einer Badewanne den literarischen Maximen folgend eine Zeitmaschine baut. Rainer Erlers „Ausgeflippt“ – der Titel bezieht sich auf die leider nicht ganz passende Pointe im Epilog – ist eine dieser längeren Storys, deren Thematik einmal zu oft angewandt worden ist. Ein Mann fällt durch die Zeit und landet ausgerechnet in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, wo er als Wehrkraftzersetzer zum Tode verurteilt wird. Auf zwei Handlungsebenen bestehend aus den aufgefundenen Tagebuchaufzeichnungen und der Suche eines Nachfahren den Aufzeichnungen folgend ist die Geschichte solide geschrieben, aber der Funke will trotz aller Bemühungen nicht wirklich überspringen. Es ist schade, dass sehr viel Potential verschenkt wird und die Figuren eher stereotyp eindimensional gezeichnet worden sind. „Der Grund“ von  Bernd Kreimeier ist die letzte Story um das Thema Zeitreise. Er zeigt auf, das die Dinosaurier wie auch viele andere Arten nicht ausgestorben, sondern ausgerottet worden sind. Auch wenn die Idee nicht unbedingt originell oder neu ist, fließt die Geschichte solide und mit spitzfindigen Dialogen ausgestaltet dahin.

 

Ein weiteres Thema sind Träume, virtuelle Realitäten und schließlich an Frühformen der „Matrix“ erinnernde Systeme.  Kai Riedemanns „Barfuss am Strand“ beschäftigt sich mit der Idee der virtuellen Realität. Originell ist, dass er diese Traumwelten zur Heilung von Schwerkranken einsetzt. Da es sich um ein Experiment handelt und die Erkrankten bzw. durch einen Laborunfall Verletzten keine andere Wahl haben, ist der Tenor der Geschichte eher süßsauer. Aber mit wenigen Zügen zeichnet der Autor eine Handvoll origineller Charaktere.

 Eva Maria Mudrichs „Ein Haus am Meer“ nimmt den Gedanken Kai Riedemanns im übertragenen Sinne auf und extrapoliert ihn sehr viel zufrieden stellender. Ein Mann wacht auf. Anscheinend ist er einige Jahre „verschwunden“ gewesen. Seine Freundin arbeitet inzwischen im „Haus am Meer“, das den Schlüssel für dessen Geheimnis darstellt. Interessant ist, dass die Autorin mit der Idee einer virtuellen Realität anders als viele andere Schriftsteller umgeht. Träume sind der Schlüssel und es findet eine tatsächliche Umsetzung der Person statt. Das jemand wiederkehrt ist dabei nicht vorgesehen.

 Die letzte diesem Subgenre zuzuordnende Story ist Peter Schattschneiders „Liebe ist nur ein Molekül“. Sie erinnert am ehesten an eine Mischung aus dem später entstandenen „Strange Days“ mit dem Verkauf von lizenzierten Erlebnissen auf einer emotionalen Ebene. Der Erzähler arbeitet für einen dieser Konzerne. Aufgrund seines exzellenten Gedächtnisses ist er prädestiniert für derartige Abenteuersimulationen, bis er einmal seinen Blocker vergisst und teilweise aus Habgier eine verhängnisvolle Kette in Gang setzt. Spannend geschrieben in Form einer verbalen Überlieferung entwickelt sich die Geschichte zu einem kurzweiligen Beziehungskrimi mit einer Science Fiction Variante.

 Irgendwo zwischen virtuellen Realitäten und Science Fiction steht Reinmar Cunis „Vatersyndrom“ fest. Es wird ein Raumflug zum Mars in allen Einzelheiten beschrieben. Allerdings scheint der Erzähler unter einem Vaterkomplex zu leiden. Die Pointe schnürt den bisherigen Handlungsbogen förmlich ab und wirkt aufgesetzt. Es ist die erste Hälfte mit den technischen Beschreibungen und einmal interessanten dynamischen Auftakt, welche die Story lesenswert machen.

 Ilona Boddens „Des Kaisers neue Gedanken“ ist eine der eher wie eine Fabel erscheinenden Geschichte um eine Science Fiction Thematik mit einem moralischen Hammer am Ende. Eine seltsame Erfindung wird gemacht, die ein Königreich ablehnt, während das andere sie gerne einsetzt. Am Ende gehen beide Reiche daran zugrunde. Der Plot entwickelt sich bis auf den ein wenig exzentrischen Anfang um den nicht minder exzentrischen Erfinder und seine geplagte Frau in bekannten Bahnen und bietet nur wenige Überraschungen.

 Günther Zettls „Hauptsache, er ist gesund“  ist eine dieser in den achtziger Jahren populären Postdoomsday Geschichten, in denen nach dem Atomkrieg die Überlebenden versuchen, in den Trümmern eine Zivilisation aufzubauen. In Form eines Briefes/ Berichtes geschrieben wird ein Schulfreund über die Ereignisse der letzten Jahre unterrichtet. Über die vielen mutierten Kinder und schließlich mehrfach betonend, dass das eigene Kind gesund ist. Natürlich hat die Geschichte einen kleinen dunklen Hacken. Stilistisch distanziert, fast zu sachlich und nicht unbedingt in sich originell ist Günther Zettls Text ein Ausdruck des damaligen Zeitgeists. Die Angst vor der Bombe ist nicht weniger geworden, allerdings sind die heutigen Visionen deutlich brutaler und nihilistischer.

 Heinz J. Galles „Alpha und Omega“ ist eine dieser typischen Pointengeschichten. In drei Episoden aufgebaut zeigt es die Entwicklung aus biblischen Zeiten bis in die Postdoomsday Zivilisation, wobei eine Idee sich wie ein roter Faden durchzieht. Kompakt geschrieben ohne eine überzeugende Charakterentwicklung steuert der Autor unterlegt mit eigenen Erinnerungen an die Kriegsnächte im Zweiten Weltkrieg direkt auf die abschließende Pointe zu. 

 Neben diesen beiden unterschiedlichen Beispielen Post Doomsday Storys reihen sich noch der fiktionalisierte Auszug aus einem Sachbuch von Kurt Blüchel „Der Krieg der Tauben“ und der nachgedruckte „Klassiker“ „Am Ende der Zukunft“ von Jesco von Puttkamers in diese Thematik ein. Kurt Blüchel folgt ein wenig der Idee des Failsafe Plots mit dem freiwilligen Angebot der Amerikaner, die eigene Hauptstadt zerstören zu lassen, weil von Tauben- Kurt Blüchel erläutert diese Idee sehr eindrucksvoll – gesteuerte amerikanische Jets eine Atombombe über Moskau abgeworfen haben. Auch wenn das ganze aus einem Sachbuch stammende Kapitel durchaus auch als dunkle SF Geschichte durchgehen könnte, wirkt es zu konzentriert und zu fokussiert, um über die angestrebte schockierende Wirkung hinaus unterhalten zu können. Jesco von Puttkamers „Am Ende der Zukunft“ aus dem Jahre 1956 zielt in eine vergleichbare Richtung. Während ein Raumschiff mit Kosmonauten in Richtung Mars unterwegs ist, kommt es auf der Erde zu einem sehr kurzen vernichtenden Atomschlag. Es ist das „Ende der Zukunft“, wie es den Raumfahrern bei ihrer Rückkehr drastisch vor Augen geführt wird.

 Jörg Weigand nimmt in „Pepes Welt“ diesen Handlungsbogen wieder auf. Ein alter blinder Mann erzählt von den Zeiten, als es noch kein totalitäres System gegeben hat und Pepe als Astronaut zum Mars geflogen ist. Die Obrigkeit versucht ihn mundtot zu machen. Das Ergebnis ist vorhersehbar. Effektiv, kurzweilig und pointiert ist Jörg Weigands Story trotzdem ein guter Gegenentwurf zu von Puttkamers über eine Generation älterer Geschichte. 

 Zu den besten Texten der Sammlung gehört „Drei Farben hat die Hölle“ von Jürgen Andreas. Eine perfekte Konsumgesellschaft, in welcher die „Angestellten“ nur von den eigenen Konzernen kaufen dürfen. Abweichler werden mit dem Tod bestraft. Als ein gemeinsames Produkt herauskommt, drohen die Grenzen zu verschwimmen. Aber die „Konzerne“ haben auch hier eine perfide Antwort. Am Ende führt der Autor eine weitere Handlungsebene ein. Sie wirkt trotz der durchdachten Struktur ein wenig zu ambitioniert, als wenn erst die Ausgangslage entwickelt worden ist, um nachträglich diese Idee einzuführen. Aber insbesondere die erste Hälfte liest sich auch heute noch ausgesprochen unterhaltsam.

 Dieter Hasselblatt rundet „Beteigeuze“ mit seinem Hörspiel „Modelle Kirke, Leistbär, Heisenberg usw.“ ab. Wie Thomas le Blanc in seinem Vorwort vermerkt hat, ist es ein intellektuelles, herausforderndes Spiel, das der Autor mit vor allem seinen Hörern treibt. Die Lektüre ermöglicht es, seinen Gedankenspielen besser zu folgen. Sie beinhaltet aber auch den Nachteil, das vieles durch die geschriebenen Dialoge ein wenig sperriger erscheint als wenn es gesprochen wird. Dieter Hasselblatt spielt mit klassischen und damit auch klischeehaften Ideen des Genres, ohne sie wirklich weiter zu entwickeln. Vieles bleibt eine Spieltheorie, die in dieser Form weniger mitreißt oder provoziert als die Fakten „einfriert“. Es empfiehlt sich, Text und Hörspiel zu gleich zu goutieren. Entsprechende Pausen zu machen und dann die verschiedenen, teilweise sich überschneidenden Ideen textlich nachzubearbeiten, um die Intention des Autoren gänzlich zu erkennen.

 „Beteigeuze“ ist auch heute fast vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung eine thematisch breite Sammlung mit den angesprochenen „Schwerpunkten“ Zeitreisen, Post Doomsday und schließlich virtuelle Realitäten in verschiedenen Formen, wobei insbesondere der letzte Themenbereich vor allem aus einer Zeit vor einer Verbreitung des Internets und den virtuellen Welten auch heute noch fasziniert. 

Herausgeber: Thomas Le Blanc, Herbert W. Franke & Peter Wilfert
Verlag/Jahr/Seiten: Goldmann / 1981 - 224 Seiten
Reihe: Goldmann Science Fiction 23385 - Sternenanthologie Band 2
ISBN: 3-442-23385-2     ISBN13: 978-3-442-23385-4