Clarkesworld 127

Clarkesworld 127, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

Während Herausgeber Neil Clarke noch immer mit seiner neuen „Freizeit“ als freiberuflicher Magazineditor umzugehen lernt, liefert Kelley Robson mit „Being James Tiptree jr.“ eines der kraftvollsten Essays der letzten Jahre ab. Zusammen mit ihrer Ehefrau lernt sie die Vorurteile – ich lese nur Science Fiction von Männern – aus eigener Hand kennen und beginnt über James Tiptree jr. zu schreiben, das große Enigma der SF der siebziger Jahre. Provozierend und provokant, einfühlsam und informativ wird sie Anhänger der Autorin nicht unbedingt ansprechen, aber sie zeigt überdeutlich auf, das die Geschlechtergrenzen immer noch nicht gefallen sind. Das wissenschaftliche Essay handelt von den verschiedenen Sinneseindrücken auch auf unterschiedlichen Welten unter der Extrapolation der dortigen klimatischen und atmosphärischen Verhältnisse. Chris Urie rundet den sekundärliterarischen Teil mit einem Interview ab, das er mit Ada Palmer geführt hat. Ada Palmer gehört zu der Riege der Fantasy und Science Fiction Autoren, die sich noch ins Rampenlicht der Massen schreiben müssen, aber schon jetzt über einen auch durch Preisnominierungen guten Ruf verfügen. Die Fragen werden ausführlich beantwortet und gehen im Vergleich zu vielen der letzten Gespräche über ihre aktuellen Veröffentlichungen weit hinaus. Sie enden schließlich beim Komponieren von Musik und stellen uns vor allem eine vielseitig interessierte Frau vor. 

 Die beiden Nachdrucke stammen aus den Feder von Michael Swanwick und Adam Roberts. Swanwick philosophiert in der kürzeren der beiden Geschichten „Ancient Engines“ über die relative wie absolute Unsterblichkeit – von Androiden oder Maschinen. Die Zwiegespräche genau wie die Eitelkeit der Maschinen erscheint menschlich. Sie schweifen in ihren Gedanken durch die Jahrtausende bis zum Ende des Universums. Sie suchen nach Möglichkeiten, der Zeit ein technisches Schnippchen zu schlagen. Swanwick präsentiert aber keine Auflösung, sondern eine fast melancholische Erkenntnis, das zumindest in einem Punkt die Zeit immer die Menschen oder Maschinen einholen wird. Ihr Geist scheint im Gegensatz zu den immer perfektionierter gestalteten Körpern für die Ewigkeit gemacht worden zu sein. Eine fast fatalistische Erkenntnis.

 Wenn am Ende von Adam Roberts Novelle „Thing and Sick“ der Ich- Erzähler zugeben muss, dass er bis dahin – der Plot spielt Mitte der achtziger Jahre – niemals John Carpenters „The Thing“ gesehen hat, dann wirkt diese Erkenntnis vor allem für die mediensüchtigen Konsumenten der Gegenwart unglaubwürdig. Aber sie passt zu dem Ende, das weniger einer klassischen Science Fiction Geschichten oder John W. Campbells „Who goes there“ entspricht, sondern seine Wurzeln bei H.P. Lovecraft und den großen Alten findet. Zwei Forscher leisten für SETI ihren Dienst auf einer abgeschiedenen Basis in der Antarktis. Obwohl sie charakterlich unterschiedlich sind – Kant und Frank Herbert seien hier genannt – verstehen sie sich gut, bis auf einer Langeweile heraus einer der beiden dem Ich- Erzähler einen seiner ankommenden Briefe abkauft. Er beginnt hinsichtlich des Absenders Paranoia zu entwickeln und versucht das Schriftstück wieder in seinen Besitz zu bringen. Es könnte sich ja um den Abschiedsbrief seiner Freundin handeln. Parallel baut der Andere im Geheimen an einer speziellen Kontakteinrichtung, mit der endlich in der endlosen Nacht in der Antarktis der Durchbruch bei ihren Forschungen geschehen soll.

Adam Roberts steigert das Tempo kontinuierlich. Auch wenn die intime Ich- Erzähler Perspektive suggeriert, dass der Erzähler überleben muss, wirkt die anfänglich nur groteske Handlung mehr und mehr beklemmend, bis es schließlich nicht nur zum im Grunde fast obligatorischen Mordversuch kommt, sondern tatsächlich ein seltsamer Kontakt zustande kommt. Positiv ist, dass Adam Roberts durch seinen Protagonisten keine Antworten liefert. Es kann sich tatsächlich um eine Begegnung der dritten Art handeln oder nur die Halluzination eines schwerkranken, vergiften Mannes draußen im Eis sein. Beide Möglichkeiten werden mit „Fakten“ unterminiert, wobei der Weg zu dieser finalen Konfrontation deutlich interessanter ist als schließlich auf ambivalente Auflösung inklusiv eines dunklen, für Lovecrafts Fiction so typischen Ausblicks.       

 Von den neuen Geschichten ist Vajra Chandrasekers „Left of Bang: Preemptive Self- Actualization for Autonomous Systems“ trotz des längsten Titels die Kürzeste. Es geht um eine sich selbst entwickelnde künstliche Intelligenz allerdings in einem Androidenkörper, die von außen manipuliert beginnt, erst die Konkurrenz und schließlich auch die Finanziers des Projektes zu töten. Leider ist weder die Idee neu noch überzeugt die distanzierte, zu kompakte und dadurch eher pragmatisch erscheinende Umsetzung dieser Geschichte. Der Stil ist zu gleich, das Tempo zu gleich bleibend und originelle Ansätze bleiben leider auf der Strecke.  Auch „Conglomerate“ von Robert Brice setzt sich mit der Idee der künstlichen Massenintelligenz auseinander. Eine Weltraumexpedition in die Tiefen des Alls lebt von den verschiedenen an Bord befindlichen künstlichen Persönlichkeiten, die sich je nach Bedarf zusammenschließen. Das Chaos entwickelt sich, als ein anders denkender Teil dieses Konglomerats ausgeschlossen werden soll. Wie Chandrasekers sehr kurze Story muss sich der Leser auf diese exzentrische Perspektive einlassen, um im Text aufzugehen. Viele Ideen erscheinen zu komprimiert, zu sehr zusammengefasst präsentiert und der Plot verläuft im Grunde zu offen im Nichts, um wirklich überzeugen zu können.

„Some Remarks on the Strategy of the Common Octopus“ aus der Feder Bogi Takacs hätte ein Höhepunkt dieser Ausgabe sein können. Vom den Plot sehr gut zusammenfassenden Titel an wird der Mensch im Allgemeinen vor allem in einer Art Sardinendose die Tiefsee untersuchend von den fremdelnden Tintenfüßen untersucht. Eine Kontaktaufnahme – kein Flosseln – ist schwierig bis unmöglich. Anscheinend hat eine globale Katastrophe oder zumindest eine Art Krieg stattgefunden, der die Menschen reduziert hat. So stellt sich die Frage, ob diese Expedition in die Tiefe des Meeres nur wissenschaftlicher Natur ist oder neue Lebensräume gesucht werden sollen und müssen. Viele Fragen bleiben in dieser phasenweise kurzweilig humorvollen Geschichte offen, so dass Titel mit den Anmerkungen vielleicht auch Programm ist.

Die drei kurzen Beiträge setzen sich mit den Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten der Kommunikation innerhalb geschlossener Systeme mit dem Konglomerat, das schließlich erstaunlich menschlich handelt, auseinander. Im Kern sind die künstlichen Intelligenzen nur Extrapolationen des von Fehlern geprägten menschlichen Lebens. Alleine die Tintenfische mögen in ihrer verzweifelten Suche, eine Basis zum Menschen zu finden, in der charakterisieren Form zu überzeugen.   

 Zwischen der längsten Novelle dieser Ausgabe und den kürzeren Texten steht der chinesische Beitrag: „The Robot Who Liked to Tell Tall Tales“ von Fei Dao. Es handelt sich wieder um eine Art Parabel. In einer fernen Zukunft ist der Sohn des amtierenden Herrschers als notorischer Lügner bekannt geworden. Trotzdem wird er irgendwann die Macht übernehmen. Die Dynastie schickt Roboter aus, welche nicht nur die Galaxis erkunden sollen, sondern vor allem Geschichten sammeln. Der mechanische Protagonist hört den Menschen mit ihren übertriebenen Geschichten zu und beginnt selbst, Legenden zu spinnen. Stilistisch eher getragen, ein wenig distanziert wie es sich für Märchen oder Fabeln gehört entwickelt sich gegen Ende ein kurzweiliger Plot, der allerdings sehr stark auf die obligatorische Pointe zusteuert. Im Gegensatz zu den teilweise selbstironischen Texten seiner chinesischen Kollegen wirken Fei Daos in „Clarkesworld“ abgedruckte Storys immer getragener, bemühter und irgendwie auch die Vergangenheit mit einer potentiellen Zukunft verbindend weniger systemkritisch, sondern abstrakt.

 Juliette Wade ist Anthropologin und Linguistin. Vielleicht wirkt deshalb ihre Novelle „Sunwake, in the Land of Teeth“ so ungewöhnlich lebendig. Sie beschreibt eine fremde und doch dem Leser mit den verschiedenen Konflikten, Intrigen und Kriegen vertraute Kultur. Diese Außerirdischen treffen auf ihrer Welt schließlich auf Menschen. Positiv ist, dass die Autorin nicht gleich zu einem klassischen Mensch- Außerirdischer Konflikt umschwenkt, sondern vor allem die Interaktion innerhalb der vor allem hinsichtlich der Gestik und Mimik fremden Gesellschaft konsequent weiterentwickelt. Inhaltlich hat sie aber das kleine Problem, dass sie schließlich doch wieder menscheln muss, um den zugrunde liegenden Interessenkonflikt mit dem bekannten Krieg als Vater allen Fortschritts und kontinuierliche Quelle der Bereicherung konsequent bis zum Ende fortzuschreiben.

Der ausführlich entwickelte Hintergrund verlangt ein wenig Geduld vom Leser. Die einzelnen Versatzstücke schieben sich erst nach und nach zusammen, aber wie erwähnt ist es die minutiös entwickelte Kultur, welche die inhaltlich eher rückblickend bekannte Plotstruktur der Novelle ausgleicht.

 Die April 2017 Ausgabe von „Clarkesworld“ setzt auf Kommunikation. Beginnend mit dem Vorwort von Neil Clarke fügen sich die insgesamt sieben Geschichten und Novellen thematisch geschickt in dieses wahrscheinlich eher zufällig gewählte Konzept ein. Wieder sind es allerdings die beiden Nachdrucke, die aus den Texten herausragen, während vor allem die sehr kurzen Storys inhaltlich zu viele Flanken offen lassen, um nachdrücklich überzeugen zu können.  

  • Taschenbuch: 152 Seiten
  • Verlag: Wyrm Publishing (10. April 2017)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 1890464848
  • ISBN-13: 978-1890464844