Das Ende des Regenbogens

Das Ende des Regenbogens, Vernor Vinge, Titelbild
Vernor Vinge

Vernor Vinge gehört zu den Science Fiction Autoren, deren Reihe von Auszeichnungen den Betrachter eher zum Staunen bringen. Für „Rainbow´s End“ ist er nicht nur mit dem LOCUS Award ausgezeichnet worden, er hat seinen dritten HUGO für diesen Roman erhalten. Die beiden anderen HUGOs hat er für kürzere Texte erhalten.  Einer dieser beiden HUGOs ging an die Novelle „Fast Times at Faormont High“, die wiederum - um den Kreis zu schließen  - in der gleichen nahen Zukunft mit einer rasant extrapolierten Kommunikationstechnologie spielt wie der endlich auf deutsch vorliegende Roman „Das Ende des Regenbogens“. Es ist nicht wichtig, die Novelle zu erst gelesen zu haben,es geht vor allem um die soziologische Extrapolation gegenwärtiger Strömungen. Mit "True Names" hat Vernor Vinge schon 1981 im Grunde nicht nur das Cyberpunk Genre gegründet, sondern vor allem zum ersten Mal im Rahmen der Science Fiction das Konzept des Cyberspace mit Leben erfüllt. Im vorliegenden Roman geht es um die Konfrontation einer inzwischen interaktiven Gesellschaft und den „Alten“, die passend in einem Altersheim leben, das gleichzeitig auch der Titel des Romans ist.

Vernor Vinge spricht in seinen Roman sehr viele Themen an. Auf den ersten Blick scheint er Anleihen bei H.G. Wellls und Robert A. Heinlein zu nehmen.  Sein Schläfer ist Robert Gu, früher ein weltbekannter, aber nicht unbedingt weltberühmter Poet. Ein Mann des geschriebenen Wortes. Dieses Bild ist wichtig, wenn Vernor Vinge hinsichtlich der konsequenten Extrapolation seiner digitalisierten Gesellschaft einen direkten Vergleich zu Bradburys „Fahrenheit 451“ schlägt, nur dass bei Vinge die Bücher vor ihrer Vernichtung aktiv wie lieblos digitalisiert werden. Robert Gu ist zu Lebzeiten an Alzheimer erkrankt. Ein wenig ambivalent und vor allem konstruiert erscheint, dass er beinahe an Alzheimer gestorben wäre. Revolutionäre Behandlungsmethoden, die entsprechend kostspielig sind, bringen ihn knapp zwanzig Jahre und mehrere kleinere soziale Revolutionen später wieder ins Leben zurück.  Inzwischen  ist nicht nur Alzheimer heilbar, sein Körper ist entsprechend verjüngt worden. 

Eine Ausgangslage, die vor allem Robert A. Heinlein in seiner Geschichte „Eine Tür in die Zukunft“ sogar perfekt auf den Punkt gebracht hat. Robert Gu erhält eine zweite Chance. Ein zweites, neues Leben. Aber wie bei Heinlein bis auf das ein wenig konstruierte Ende bedeutet diese zweite Chance auch eine Herausforderung. In mehrfacher Hinsicht. Der charakterlich schon während seiner ersten Lebenszeit nicht einfache Gu geht anfänglich wieder zur Schule, wobei er trotz seiner Jugendlichkeit aus der neuen jüngeren Generation natürlich eher negativ herausragt.    

In einer interessanten, emotional wahrscheinlich notwendigen Wendung hat der nivcht unbedingt sympathische Protagonist  zwar wieder einen jugendlichen Körper und einen wachen Geist, er hat aber eine wichtige Fähigkeit verloren. Wie Alzheimer hat ihn auch die Regeneration der Fähigkeit beraubt, als Poet die Worte zu bändigen und entsprechende Lyrik zu verfassen.  Vernor Vinge setzt noch einen zynischen Aspekt hinzu. In dieser informationstechnisch sterilen Welt interessieren sich allerhöchstens einige Stundeten hinsichtlich ihrer Abschlussarbeiten für seine Werke.  Auch hier zeigt sich die doppelte Ironie der ganzen Geschichte. Vernor Vinges Zukunftswelt misst die Bedeutung vor allem an der Fähigkeit, es in „rote Daten“ zu zerlegen und daraus wieder etwas Anderes zu machen.

Damit unterscheidet sich die Geschichte zum Beispiel von Peter F. Hamiltons Romanen, in denen ebenfalls ein nicht sympathischer Protagonist nach schwerer Krankheit in der "Zukunft" wieder erwacht und wie Lazarus Long vor allem seinen Trieben nachgeht. Vernor Vinges Figur wird im Laufe der umfangreichen Handlung konsequent emotionalisiert und damit menschlicher, zugänglicher, wenn auch weiterhin aus einer für den Leser akzeptablen Distanz.

Und diesem Transformationsprozess erliegen schließlich auch weitere von Vernor Vinges Charakteren direkt durch Gus Erwachen und indirekte durch deren Reaktionen auf einen "Fremdkörper" hinsichtlich des Generationenkonfliktes innerhalb einer sich immer wieder verändernden modernen Erste Welt Gesellschaft. Vielleicht schaffe der Autor es nicht immer emotional überzeugend, diesen inneren Zwiespalt in seinen Figuren deutlich auszudrücken und manches wirkt zu technisch, zu distanziert, aber er bemüht sich, eine Welt zu zeichnen, die dem arroganten wie narzisstisch veranlagten Robert Gu immer Fremdbleiben wird. Dabei ist er nicht alleine. Er ist nicht der einzige alte Mensch, der durch diesen Verjüngungsprozess „gelaufen“ ist. Er trifft selbst auf Menschen, die nicht das Geld hatten, sich noch einmal jung zu machen. Er reagiert wenig verständnisvoll auf seine Umgebung, was ihn als Figur nicht nur zu einem uneinsichtigen Helden macht, sondern den Leser auch absichtlich von ihm distanziert. Alleine seine Enkelin im Gegensatz zu seinem eher angewiderten Sohn versucht eine emotionale Basis zu dem schwierigen, aber niemals überzeichneten Robert Gu zu finden.

Einen handlungstechnischen Kompromiss stellt der weitere Verlauf des zugrundeliegenden Plots da. Robert Gu erhält das verführerische, aber wieder wenig medizinisch begründete Angebot, seine dichterischen Fähigkeiten zurück zu erhalten, wenn er sich von einem geheimnisvollen Individuum kontaktieren läßt. Dieser im Hintergrund agierende Mann wird ihn fast folgerichtig und vorhersehbar in ein Komplott hineinziehen, dessen Auswirkungen viel größer sind als sich die beiden so unterschiedlichen Menschen - Gu und sein Mittler in Form eines Literaturstudenten-  vorstellen können.

Dieses Verschwörungselement ist ein allerdings  überzeugend vorgetragenes Zugeständnis dem Leser gegenüber. Viele von Vernor Vinges besten Arbeiten beginnend mit „True Names“  überzeugen durch die hintergrundtechnische Entwicklung ihrer Zukunftswelt. Gleich zu Beginn in einer Art Prolog zeigt Vinge die Auswirkung von suggestiver Reklame. Sein Roman ist in einer Zeit nach 09/11 entstanden und die beginnende Paranoia der Regierungen zeigt sich im Einklang mit einer durch die Bildung eines interaktiven „Gruppenbewusstseins“ hilflos. Die künstlichen Intelligenzen sind noch nicht entstanden, aber durch eine im Kopf befindliche interaktive Datenzufuhr sind seine „Menschen“ in einem ständigen Kontakt nicht nur untereinander, sondern auch mit den Computernetzen. Sie haben auch eine eigene Sprache entwickelt. Dieses allgegenwärtige Kommunizieren auf Ebenen, welche für außenstehende Dritte nicht mehr erreichbar oder auch nur verständlich sind, beschreibt der Autor ausdrucksstark vor allem in den ersten Kapiteln nach Robert Gus Erwachen. Vernor Vinge glaubt sowieso, dass seine Menschen ihre Welt hintergrundtechnisch quasi abgehoben von der Realität so für sich gestalten können, dass sie aus ihrem virtuellen Traum oder für Menschen wie Robert Gu Alptraum nicht mehr zu erwachen brauchen. Die Regierung können – obwohl es auf den ersten Blick leichter erscheint- die Gedanken und damit auch die Handlungen der Menschen nicht mehr kontrollieren oder auch nur regulieren. Durch das implizierte Stehlen von Persönlichkeiten, durch Piggyback Methoden könnten alle Menschen zu Tätern, zu Terroristen werden. Die neuen, immer wieder angesprochenen aggressiven Methoden der Werbeindustrie erscheinen dagegen harmlos.

Aber Vinge verteufelt diese technologische Entwicklung nicht. Auch wenn einige Ansätze aus Filmen wie „Matrix“ stammen könnten, zeigt Vinge nur bewusst und sehr plakativ auf, welche Irrwege die vom Menschen präferierte Technik am Ende nehmen kann und wie sehr sie eher beiläufig die Individualität ausschaltet. Man stelle  sich eine Facebook/Twitter/ What´s App Welt um das Tausendfache extrapoliert vor. Zu den Stärken des vorliegenden Romans gehört vor allem das Aufeinandertreffen dieser Widersprüche. Vinge beurteilt oder verurteilt nicht, er zeigt zum Schrecken der Leser nur diese Wege auf.

Technologisch sind alle seine längeren Arbeiten minutiös aus der Sicht eines promovierten Wissenschaftlers mit literarischen Fähigkeiten überzeugend herausgearbeitet worden. Wie der Kanadier Robert Sawyer gehört er in dieser Hinsicht zu den stillen Stars des Genres.  Hinzu kommen die stillen Zwischentöne, in denen Vinge in einer durch das Netz unendlich erscheinenden Welt immer wieder darauf hinweist, dass ein Menschenleben einzigartig wie im Grunde vergänglich ist. Es geht darum, den Augenblick zu ergreifen und glücklich zu werden. Eine Erkenntnis, die in dieser sterilen Welt Robert Gu zu spät begreift und damit an seinem eigenen fast kranken Ehrgeiz scheitert. Was „Das Ende des Regenbogens“ – der Titel bezieht sich sowohl auf die Menschen als auch eine soziale Entwicklung – aus der Masse herausragen lässt, ist die Freiheit, die Vinge durch seine vielen Ideen den Lesern im Gegensatz zu seinen Protagonist auf dem Weg zu einer eigenen Erkenntnis schenkt.     

  • Taschenbuch: 450 Seiten
  • Verlag: Cross Cult (26. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3959811446
  • ISBN-13: 978-3959811446