Das Imperium

Das Imperium, Ann Leckie, Titelbild, Rezension
Ann Leckie

Mit "Das Imperium" schließt Ann Leckie ihre preisgekrönte Trilogie ab. Zumindest vordergründig, denn das ganze Szenario wirkt vordergründig und vor allem rückblickend auf die Originalität des ersten Buches plötzlich stark konstruiert mit einer fast naiv gutartigen Botschaft versehen und wichtigen Themen ausweichend. Das Buch ist in den USA für die HUGO Award und den Locus Award nominiert worden. Das spricht für die durchaus vorhandene Qualität, aber als Ganzes muss sich Ann Leckie an der Qualität des in einem direkten Vergleich weiterhin herausragenden ersten Buches messen lassen. Aber weder der mittlere Band "Die Mission" noch "Das Imperium" erreichen die Qualität des in so vieler Hinsicht originellen und überraschend innovativ geschriebenen ersten Buches "Die Maschinen". Das liegt nicht an den vorhandenen Ambitionen der Autorin, sondern eher in der Tatsache begründet, dass Ann Leckie unverständlich angesichts der Fülle von Ideen, Charakteren und Welten ihr Universum mehr und mehr klein schreiben und auf einen Konflikt der künstlichen Intelligenzen untereinander in Anbetracht ihrer fast sie vermenschlichenden Evolution zu reduzieren beginnt.

Der Plot setzt nur wenige Tage nach dem mittleren Band der Trilogie ein. Es ist unabdingbar, die ersten beiden Bücher gelesen zu haben. Absichtlich hat Ann Leckie ihre Serie wie einen einzigen Roman konzipiert, der keinen Raum zum Quereinsteigen lässt. Zu komplex ist das vor allem in „Die Maschinen“ – der zugänglichsten und gleichzeitig auch bizarrsten Geschichte der Trilogie – vorgestellte Universum angelegt worden. Die einzelnen Charaktere müssen mit den Konsequenzen Ihrer Handlungen fertig werden. Ann Leckie hat mit den Geistertoren und einem neuen, durch die K.I. noch zu erobernden Raum das Szenario in der Theorie erweitert, geht aber bis auf einige Spekulationen auf diese neuen Dimensionen nicht weiter ein.

Viel mehr konzentriert sich auf den Konflikt der künstlichen Intelligenz Anaander Mianaai, die sich ja im Grunde selbst bekämpft, um Kontrolle über das Reich der Radch zu erlangen. Bereichert wird der Regen exotischer Völker um die Presger, welche die Feinde der Menschen gewesen sind. Nur ein Abkommen mit dem Radch hat diesen Vernichtungskrieg gestoppt. Jetzt droht er wieder aufzuflammen, da im zweiten Band der Serie ja der Botschafter der Presger an Bord der Athoek Station getötet worden ist.   

Die im zweiten Buch ausschließlich reagierende Breq muss jetzt einen Plan entwickeln, der vielleicht auf der einen Seite das Ende nicht nur der Athoek Station und all ihrer Bewohner und Besatzungsmitglieder bedeuten könnte, sondern wie es sich für diese Art von Serien gehört, die bestehende fragile Ordnung in ihren Grundfesten erschüttern könnte.

„Das Imperium“ wirkt wie eingangs erwähnt fast sizophren. Auf der einen Seite hat der Leser zum Beispiel mit Anaander Mianaai einen Herrscher kennenlernt, der buchstäblich seinen Körper und seinen Geist so sehr aufsplittern kann, dass eine persönliche Kontroll weiter Teile seiner Reiches auf den einzelnen Planeten möglich erscheint. Mit der Konsequenz, dass es  zu einem im wahrsten Sinne des Wortes inneren Konflikt kommt, als sich einzelne Teile erheben. Obwohl Ann Leckie nicht auf die einzelnen Welten eingeht oder sich mit Beschreibungen hinsichtlich der Dimensionen ihrer Zukunftsvision insbesondere im direkten Vergleich zu anderen Space Opera Autoren deutlich mehr zurückhält, ahnt der Leser, dass sie von einer wirklichen Größe spricht, deren Ausdehnung nur im ersten Roman angedeutet, im letzten fast beschämt reduziert wird.  

Wahrscheinlich ist es für Ann Leckie einfacher gewesen, mit dem Planeten Athoek und der im Orbit befindlichen Station über einen entsprechenden Mikrokosmos zu verfügen, in dem sich wie bei einem Schmelztiegel diese intergalaktischen Dramen auf einen sehr kleinen Raum abspielen konnten. In diesen allerdings auch perfektionierten Mikrokosmos hat sie alle wichtigen Themen des ersten Buches wie Rassismus, Klassenkampf, Imperialismus oder Tyrannei integriert. Mit der Erkenntnis, dass Anaanders geheimer Krieg gar nicht so geheim ist und das Reich in seine einzelnen Bestandteile zu sprengen droht, hat diese Minimierung einen interessanten vorläufigen Höhepunkt erreicht, dem im letzten Buch trotz der plötzlich wieder größeren kosmopolitischen Themen entgegen gesteuert wird, um das Szenario wieder breiter und die potentiellen Lösungen allumfassender zu machen. 

Hier liegt die größte  Schwäche des vorliegenden Buches.  Athoek und die Raumstation werden mehr und mehr zu einer Art Metapher, mit welcher die Autorin alles im Grunde erschlagen möchte. Diese Vorgehensweise funktioniert nicht wirklich, da insbesondere dem Leser auch glaubwürdig vermittelt werden muss, dass alle Ereignisse, alle Handlungen exemplarisch im Kleinen ablaufend auch auf das ganze Universum übertragen werden können und dort die gleichen Folgen hinterlassen. 

Inhaltlich ist die Autorin dann zusätzlich bereit, eine Art Kompromiss zu schließen. Der Krieg zwischen den einzelnen Teilen Anaanders wird eher nur gestreift. Immer wieder wird nicht nur darüber gesprochen oder kommuniziert, der Handlungsarm wird nicht vorangetrieben und scheint angesichts des Auftauchens der neuen, wieder mystischen Außerirdischen in den Hintergrund zu treten.  

Auf der „persönlichen“ Ebene schließt Ann Leckie positiv mit sehr viel Tee eine ebenfalls redudante Entwicklung ab. Im ersten Buch suchte Breq in erster Linie Rache in Kombination mit einer Positionierung hinsichtlich ihrer neuen Identität. Im mittleren Band der Trilogie musste sie sich mit anderen Menschen abgeben und wie ein Politiker eine Basis finden. Ihre persönliche Evolution schließt mit dem Rückschritt aus tausenden von „Körpern“ bzw. besser Komponenten zu einer künstlichen Intelligenz ab, die in einem Körper lebt und als Kapitän verantwortlich nicht nur für ihr Raumschiff, sondern vor allem auch für ihre Crew. Auch wenn ihre Vermenschlichung – diese Idee spielt hinsichtlich des Endes eine gewichtige, aber wie erwähnt nicht überzeugend herausgearbeitete Rolle -   ein wenig zu schematisch verläuft, wirkt sie zu perfekt. Vielleicht hätte ein wenig mehr Hintergrund in diesem Fall dem Roman gut getan, aber der Bogenschlag von einer künstlichen Intelligenz zu einem im Kern „künstlichen“, aber emotional natürlich agierenden „Menschen“ braucht mehr als die hier entwickelten Wendungen. Das Thema ist grundsätzlich in der Science Fiction nicht neu. Einer der letzten Romane, der sich mit diesen Ideen allerdings auf einer deutlich intimeren Ebene auseinandergesetzt hat, ist „Mr. Sapien träumt vom Menschsein“. Breq träumt nicht davon, ein Mensch zu sein, unbewusst agiert sie aber menschlicher, warmherziger und emotionaler als alle natürlich geborenen Wesen in diesem stellenweise wie ein belehrendes Kammerspiel wirkenden Drama.

Breq mit ihrer inzwischen deutlich kanalisierten Wut ragt deutlich aus der Masse der Figuren weiterhin eckig, kantig heraus. Da sie die meisten aktiven Handlungen für sich verbuchen kann und der Leser den entsprechenden Reaktionen folgt, steht sie im Mittelpunkt aller drei Romane.

Es  ist schade, dass die Autorin die Qualität der anderen Figuren nicht auf einem ähnlich hohen Niveau gehalten hat.  Seivarden leidet weiterhin unter einigen persönlichen „Problemen“ und diese verwundbare, weiche Seite macht sie zu einer der zugänglichsten Figuren des ganzen Romans, auch wenn der Übercharakter Breq sie immer wieder als Persönlichkeit zu erdrücken droht. Dagegen ist die ebenfalls suchende Tisarwat entwicklungstechnisch eher einem Rückschritt unterworfen. Wie bei den verschiedenen Inkarnationen der einzelnen Raumschiffe benötigt Tisarwat Raum nach außen, um sich zu entfalten. Die Fokussierung auf ein fast intimes Drama nimmt diesen Nebenfiguren so viel wichtigen Handlungsraum, das sie unscheinbar werden.

„Das Imperium“ ist grundsätzlich kein schlechtes Buch. Es werden nur die falschen Erwartungen geweckt. Auf der einen Seite in technischer Hinsicht ist es der Abschluss einer Trilogie, die herausfordernd, originell und vor allem ehrgeizig vor bekannten Prämissen ein fremdartiges Universum entwickelnd begonnen hat. Die Auszeichnungen sind alle verdient gewesen. Auf der anderen Seite hat Ann Leckie mit der Rachegeschichte auch viel richtig gemacht, denn der wichtige rote Faden hat die vielen auseinanderstrebenden Ideen des Buches im übertragenen Sinne aneinander gekettet. Diese feste Band fehlte dem zweiten Roman der Trilogie, während der abschließende „Das Imperium“ es gar nicht versucht, den Kosmos wirklich abzurunden. Nur die Ankündigung, die nicht beantworteten Fragen in weiteren, wieder inhaltlich nach außen strebenden Büchern noch einmal aufzugreifen, kann die eher ambivalente Qualität des vorliegenden Abschlussbuches als Ganzes glätten.

Es ist erstaunlich für eine Science Fiction Serie, dass sie grundlegende Ideen zwar aufgreift, sie aber nicht extrapoliert, sondern fast schüchtern verinnerlicht. In manchen Punkten steht sich die Autorin vor allem im letzten Buch im Wege und verzichtet auf die originelle Schärfe des Auftaktbandes. Sie sucht in einem Missverhältnis zum zugrundeliegenden inhaltlichen Tempo ein nur auf den ersten Blick zufriedenstellendes, viel zu theoretisches Ende und übersieht eine Reihe von deutlich interessanteren, nicht mehr aufgegriffenen Kriegsschauplätzen.

Zusammengefasst ist die ganze Serie trotzdem einer der herausragenden Arbeiten des 21. Jahrhunderts, deren Potential in weiteren Büchern – nicht unbedingt klassischen Fortsetzungen – gehoben werden sollte, um die zahllosen offenen sehr variablen Punkte zufriedenstellend abzuarbeiten und ihren im Großen und Ganzen dreidimensionalen Charakteren ein wenig wenigstens inneren Frieden zu schenken.  

 

  • Taschenbuch: 448 Seiten
  • Übersetzung: Bernhard Kempen
  • Verlag: Heyne Verlag (13. März 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317262
  • ISBN-13: 978-3453317260
  • Originaltitel: Ancillary Mercy (Imperial Radch 3)