A Diet of Treacle

A Diet of Treacle, Lawrence Block, Hardcase Crime
Lawrence Block

Nach mehr als fünfzig Jahren hat Hard Case Crime den ursprünglich unter einem Pseudonym veröffentlichten Roman Lawrence Block mit einem die beste Szene des Buches darstellenden Titelbild im Rahmen seiner „Hard Case Crime“ Serie neu veröffentlicht. Es ist im Gegensatz zu vielen anderen Lawrence Block Veröffentlichungen dieser Reihe kein klassischer  Krimi, keine Grifter Geschichte, sondern der Plot gehört eher in den mahnenden Bereich der Jugendkriminalität Literatur, in welcher naive junge Mädchen wie Anita aus einer erkennbaren Mittelschicht sich in die falschen Freunde verlieben und mittelbar kriminell werden.

Der Plot spielt in den fünfziger Jahren und in der Welt der New Yorker Kleinkriminellen in Form von Drogenhändlern.  Für Anita – sie erinnert ein wenig an Lewis Carrolls Alice auf dem Weg in ihr persönliches Wunderland mehrere S Bahnstationen entfernt – ist Greenwich Village eine neue Welt. Eine neue elitäre, aber noch nicht intellektuelle von Studenten getriebene Elite bildet sich heraus.  Drogensüchtige und Beatsters als Vorläufer der modernen Yuppies leben Seite an Seite. In einer Kneipe trifft sie auf Joe. 

Joe ist ein klassischer Verlierer, der typisch für diese Art von Literatur auf den letzten Metern belehrend das Übernehmen von Verantwortung lernt und schließlich keiner glorreichen, aber zumindest einer perspektivischen Zukunft entgegen sieht. Bis dahin ist der nicht unattraktive Joe im Grunde ein Träumer, der keine Motivation fürs Leben aufbringt.  Sein Studium ist buchstäblich auf Seite 45 einer Pflichtlektüre stecken geblieben.  Joe lebt vom Verkauf sanfter Drogen wie Marihuana.  Joe verliebt sich relativ schnell in Anita, die unbedingt aus dem Haus ihrer Großmutter ausziehen  möchte.

Interessant ist, dass die naive Anita zwar auf der einen Seite etwas erleben möchte und sich in Joe verliebt, sie aber auf der anderen Seite die häuslichen Tugenden mitbringt und später in einer der dramatischen Szenen nach einer erlittenen Misshandlung und  Vergewaltigung sich nach einer eigenen kleinen Mietwohnung, einem Job und schließlich einem Ehemann mit einem geregelten Einkommen sehnt.  Diese Übergänge sind bei  Lawrence Block immer fließend.   

Der Dritte im Bund ist Shank. Er ist schon zwei Schritte weiter im kriminellen Milieu als Joe. Er ist deutlich aktiver als Drogendealer und geht entschlossener vor. Er  ist gewalttätiger und ein Opportunist, der gerne erst Joe und später Anita ausnutzen möchte.  Vor allem ist Shank der örtlichen Polizei ein Dorn im Auge, die mit einer Mischung aus aggressiver Prävention und hartem Durchgreifen auf der Straße die ausufernde Drogenkriminalität in den Griff zu bekommen sucht. 

Kaum träumt Shank und der  von ihm abhängige Joe vom großen Geld durch den Verkauf härterer Drogen greift der örtliche Sergeant ein und will Shank verhaften.  Dieser tötet den Polizisten und gemeinsam beschließen die drei, aus New York zu fliehen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Lawrence Block Romanen nimmt sich der Autor sehr viel Zeit, bevor die Action einsetzt. Shanks psychopatische Gefährlichkeit ist von Beginn an spürbar und dass er sehr leicht zum Messer greift wird mehrfach betont. Aber mit dem vor allem auch Anita in Gefahr bringenden Angriff auf den  Polizisten und später einem brutalen Überfall zeigt sich, dass Shank eine tickende Zeitbombe ist, der rücksichtslos seinen eigenen Weg geht. Es ist fast eine moralisierende Ironie, dass der  Kontaktmann in Chicago Shank, Anita und Joe aus einem bestimmten Grund  nicht mehr helfen kann und das  Shanks darauf aufbauende pragmatische wie emotionslose Lösung ihres Problems diese Zweckgemeinschaft endgültig sprengt.

Geschickt isoliert Lawrence Block Shank von Joe und Anita, um nicht alle Figuren gleichermaßen ins Verderben stürzen zu lassen.  Vor allem hat Lawrence Block von Beginn an eine eher neutrale Haltung gegenüber seinen Figuren. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass sie ihm gleichgültig sind. Viel  mehr schildert er ihren moralischen wie kriminellen Verfall ohne zu belehren, zu  manipulieren und andere Wege aufzuzeigen. 

Wie verführerisch dieses Leben sein kann zeigt sich an Shanks freiem Leben. Anfänglich verkauft er nur so viele Drogen, dass er gut davon leben kann. Joe wird ausgehalten. Es reicht buchstäblich für  Wein, williges Weib und Partys in der immer weiter wachsenden Gemeinde.  Dabei ist Shank nicht dumm, sondern er will auf die leichte Art und Weise Geld verdienen.  Einen Teil seiner Gewinne versteckt er auf einem Bankkonto. Wie es sich für einen derartigen Roman gehört, haben die Banken am Wochenende geschlossen und er kann nicht auf sein Geld zurückgreifen. 

Joe ist noch  schlimmer.  Er kann sich gar nicht von alleine aufraffen. Er  wird von Shank ausgehalten, verkauft ab und zu einige Drogen.  Joe ist im Grunde ein unentschlossener, dummer Junge.  Lawrence Block  lässt die Frage offen, ob er am Ende wirklich nachhaltig etwas aus der Angelegenheit gelernt hat.  Einen ersten Schritt mit Anita an seiner Seite  macht er.

Während der Psychopath Shank eine griffige, nicht sympathische, aber interessante Figur ist, erscheint Joe eher als Chiffre.  Es stellt sich auch die Frage, wie sich Anita wirklich in einen derartig langweiligen phlegmatischen Typen verlieben kann. Interessant ist, dass Joe vor allem während der Flucht mehr und mehr der Realität  durch das  kontinuierliche Lesen von Pulpromanen entflieht.

 Anita entspricht dem anfänglich jungfräulichen, naiven,  in der Isolation ihrer Großmutter aufgewachsenen Mädchen, das  sich buchstäblich nach den romantischen Abenteuern sehnt, welche viele Zeitschriften und Bücher versprechen. Während sie sich immer mehr der erdrückenden Realität auch mit einer Ein-Zimmer-Wohnung - mit Shank zusammenlebend - stellt, entflieht Joe mehr und mehr dieser von ihm mitverantworteten Realität  in die Geschichte, denen Anita entwachsen ist. 

Vor allem das  Leben als Süchtiger und Drogendealer beschreibt Lawrence Block  in der atmosphärisch stimmigen dynamischen ersten Hälfte sehr überzeugend, in denen er versucht, diese heute als Vorläufer der Hippie Kultur zu bezeichnende Gesellschaft ungewöhnlich lebendig, für einen Pulp Autoren natürlich freizügig bis an die Grenze der Zensur mit ihren Anzüglichkeiten, ihrem im Grunde oberflächlichen Lebensgefühl und den tönernen  Füßen zu beschreiben. Dieses Vorhaben ist ihm auf jeden Fall gelungen, so dass „A Diet of Treacle“ nicht Lawrence Blocks bester Thriller, aber sein ungewöhnlichstes Portrait einer verrohenden Jugend mit Hoffnungsschimmer ist.     

  • Series: Hard Case Crime (Book 39)
  • Mass Market Paperback: 208 pages
  • Publisher: Hard Case Crime (March 29, 2011)
  • Language: English
  • ISBN-10: 0857683047
  • ISBN-13: 978-0857683045
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