Clarkesworld 139

Clarkesworld 139, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

Neben Neil Clarkes Aussicht auf seine nächsten Projekte ragt das Interview mit Vandana Singh aus der “Clarkesworld” Ausgabe 139 heraus. Als Freizeitautorin spricht sie von den Schwierigkeiten, einen Ganztagsjob mit der Arbeit vor allem an längeren Arbeiten zu kombinieren und gibt einen guten Einblick in ihre Projekte.

Aletha Kontis führt eine Art roten Essayfaden fort. Es wirkt positiv wie ein Lehrplan für junge Autoren mit einem Schwerpunkt, überzeugende Charaktere zu entwickeln und ihnen Persönlichkeiten zu schenken. Vor allem für einige Romanautoren eine Art Pflichtlektüre. Hinzu kommt, dass Lucas Rosa mit seiner These, dass wissenschaftliche Durchbrüche Inspiration für Science Ficction Autoren sein könnten, im Grunde die Fackel aufnimmt und handlungstechnisch hinter die Kulissen schaut.

Die 139. Ausgabe von „Clarkesworld“ hat keine ausgesprochen langen Novelleten anzubieten, sondern neben den beiden obligatorischen Nachdrucken fünf eher kürzere bis mittellange Geschichten.

Ian McHughs „The Baby Eaters“ ist einer der beiden Nachdrucke. Die Erzählerin trifft auf Mitglieder der fremden Rasse der krithkinee und dadurch auf ein Alien namens Meychezhek. Der Autor versucht eine fremde Kultur zu entwickeln, bleibt aber oberflächlich. Hinzu kommt, dass die Pointe der Geschichte sich im Titel widerspiegelt, so dass keine echte Spannung aufgebaut werden kann. Dabei ist die Grundidee dieser auch in „The Year´s Best“ nachgedruckten Story nicht einmal schlecht. Es sind die Menschen, welche die Intention und vor allem auch die Sitten/ Gebräuche der Fremden missverstehen und dadurch auf der emotionalen Ebene eine Katastrophe auslösen, während die Aliens vor allem eindimensional und funktional bleiben. Ein Gesamtblick in deren Kultur wird dem Leser verwehrt, so dass vor allem einzelne Aspekte der Handlung nicht eindrucksvoll erscheinen, um die Schwächen vor allem im zweiten Abschnitt der Story auszugleichen.

Der zweite Nachdruck stellt eine intellektuelle Herausforderung dar. Kathe Koja und Carter Scholz haben beginnend mit dem Titel „KIT: Some Assembly Required“ ihren Spaß mit dem Leser. Christopher Marlowe ist der Ansicht, man hat ihn als künstliche Intelligenz im 21. Jahrhundert animiert. Die zahlreichen Anspielungen auf einen bestimmten Marlowe machen ohne Frage den größten Teils des Reizes dieser Geschichte aus. Leider auch im Grunde den einzigen Reiz, denn die beiden Autoren haben sich derartig in ihren Stoff verliebt, das sie vergessen, einen Bogen zum Plot zu schlagen. Auch abschließend erfährt der Leser keine nachhaltigen Fakten, so dass die berechtigte Frage offen bleibt, ob es sich erstens um das Zeit versetzte Original handelt und vielleicht zusätzlich eine künstliche Intelligenz. Es ist schade, dass das durchaus vorhandene Potential abschließend nicht genützt wird. So bleibt „KIT: Some Assemply Required“ seinem Titel treu. Die Kurzgeschichte braucht noch einige Drehungen an der Autorenbasis, um wirklich zu funktionieren. 

 Rich Larson präsentiert nicht nur mit „Carouseling“ eine interessante Idee – ein Linkwear in der Kleidung verbindet zwei Wissenschaftler, die auf den jeweils entgegen gesetzten Seiten der Welt arbeiten - , sondern vor allem auch eine überzeugende von den dreidimensional gezeichneten Charakteren dominierte Liebesgeschichte. Dabei gleitet der Autor nicht in den Bereich des Kitsches ab, sondern versucht die kleinen Alltäglichkeiten, die Gemeinsamkeiten und das unsichtbare, liebende miteinander verbindende emotionale Band überzeugend zu zeichnen.

Natürlich fordert eine Katastrophe diese Beziehung heraus und die Verzweifelung, mit welcher der Wissenschaftler seiner Freundin gegen die Zeit und vor allem auch gegen jede Logik oder Chance auf Erfolg zu Hilfe eilt, trägt fatalistische Züge, ohne das die abschließende Tragödie unglaubwürdig erscheint oder auch nur zu stark konstruiert daherkommt. Gleich mit dem ersten Moment zieht Rich Larson  die Leser in seinen Bann und entwickelt ein ausgesprochen hohes Tempo.

 Eleanna Castroianni „Without Exile“ hat als Grundlage ein aktuelles Thema. Das Schicksal von Flüchtlingen innerhalb eines galaktischen Imperiums. Die Protagonisten kann sich nicht mehr an ihren Heimatplaneten erinnern und als die Anwältin wieder einer Mutter mit ihrem Kind auf der Flucht hilflos begegnet, versucht sie die dem Leser so vertrauten Mühlen der emotionslosen Justiz zumindest ein wenig zu biegen. Mit einem offenen Rahmen, dessen Sinn sich dem Leser erst beim Abschluss der Geschichte erschließt, verfügt der Plot über eine sehr direkte Beziehung zum Leser. Auf Augenhöhe erfährt er zwar alle Informationen, kann sie aber in die chaotischen wie futuristischen Welt noch nicht richtig einordnen. Vor allem, weil die Protagonistin selbst lange Zeit nicht über ihr Schicksal bestimmen kann und eher wie eine Getriebene erscheint, die sich vordergründig in ihrer neuen Heimat assimiliert hat, aber hintergründig ruhe- wie wurzellos erscheint, weil die Erinnerungen an ihre Vergangenheit fragmentarisch sind und sie nicht erkennen kann, ob es sich um Wahrheit oder Lügen handelt. 

 „Violets on the Tongue“ reiht sich in die Reihe von Geschichten ein, in denen die Vergangenheit einen langen Schatten auf die Gegenwart wirft und in welcher sich die Charaktere mit ihren individuellen Schicksalen auseinandersetzen müssen. Nin Harris baut aber noch eine weitere Idee in den Plot ein. Während  „Without Exile“ vor einem exotischen, intergalaktischen Hintergrund spielt, geht es in dieser Story um die Idee, dass die Menschheit die Erde verlassen musste und dabei eine eher ambivalent beschriebene Überintelligenz des Planeten Sesen verletzt hat. Nin Harris nimmt sich für eine Kurzgeschichte sehr viel Zeit, einen Hintergrund zu entwickeln, der wirklich exotisch und fremdartig ist. Die Wurzeln der Protagonistin Eshe liegen in verschiedenen irdischen Kulturen, so dass sie prädestiniert ist, sich mit dieser Überintelligenz zu vereinigen und vielleicht dadurch den Anfang eines gegenseitigen Verständnisses und darüber hinaus eines möglichen Heilungsprozess zu setzen. Auch wenn das zugrunde liegende Thema der Kolonisierung einer fremden Welt nicht unbedingt originell ist – es findet sich in dieser „Clarkesworld“ Ausgabe auch noch eine „First Contact“ Story -, gelingt es Nin Harris, einen wirklich exotisch fremden Hintergrund zu entwickeln, welcher die Menschen vor die ultimative, aber nicht aggressive oder gewalttätige Herausforderung stellt, sich dieser Überintelligenz anzuschließen und den Planeten die Menschen im positiven Sinne zu assimilieren. Dabei wird auf die üblichen Klischees des Subgenres verzichtet und über den ausführlich beschriebenen Planeten als Ausgangsbasis zerlegt Nin Harris alle so typischen Klischees des Genres, um einen semioptimistischen Ausblick zu geben.

 A.J. Fitzwater fügt mit „Logistics“ eine Weltuntergangsgeschichte dieser Ausgabe hinzu. Eine Krankheit hat die meisten Menschen getötet. Enfys ist eine der wenigen Überlebenden und der Leser folgt ihrer Reise über die fast gänzlich entvölkerte Erde mit ihren so typischen Gefahren und Herausforderungen. Enfys ist im Grunde eine „normale“ Frau und nicht selten relativiert sie das Katastrophenszenario mit einfachen, aber so passenden Bemerkungen, welche den Leser immer wieder in einigen Fällen auch sehr hart auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Es ist nicht leicht, im Angesicht einer derartigen Katastrophe auch ein wenig optimistisch zu bleiben, aber im Laufe ihrer Reise schafft es Enfys immer wieder, ein wenig Hoffnung auszustrahlen. Dabei wird die Figur nicht zu sehr in den Mittelpunkt gestellt und dieses Segenbringen gehört nicht zum originären Teil der Geschichte, sondern wirkt auf der Quest eher wie Beiwerk, das dem Leser mehr auffällt als der Protagonistin.

 Die längste Geschichte ist „The Wings of Earth“ von Jiang Bo. Der chinesische Astronaut Xiaoyu arbeitet mit seinem amerikanischen Kollegen Max im All, als plötzlich aus dem Nichts heraus ein fremdes Raumschiff über die Erde erscheint. Die verschiedenen Regierungen auf der Erde sind überfordert und die beiden Astronauten sollen Botschafter der Erde spielen, obwohl sie weder die interessant beschriebenen Fremden verstehen noch wirklich für diese Aufgabe „ausgebildet“ worden sind. Jiang Bo nimmt sich sehr viel Zeit, vor allem die Reaktionen der hilflosen wie überforderten Politiker zu beschreiben, welche sich im Grunde richtig um den Ausbau gigantischer Sonnenkollektoren im All – sie geben der Story den Titel – kümmern als mögliche Kontaktszenarien mit Aliens durchzuspielen. Die aufgestellten Thesen wirken ein wenig zu sehr belehrend und auch wenn Jiang Bos Intention klar ist, konzentriert er sich in dieser ersten Phase seiner Geschichte weniger auf den Plot als folgt seinen im Grunde nur theoretisierenden Argumentationen.

 Diese chinesische Schwäche auch gegenüber den technologisch überlegenen Amerikanern als Pionier der Sonnenkollektoren und treibende Kraft hinter dem Unternehmen versucht Jiang Bo auszugleichen, in dem der chinesische Astronaut von den Fremden eingeladen wird, den ersten richtigen Kontakt herzustellen.  Neben der Botschaft, das die Menschheit zusammenarbeiten und sich nicht bekriegen soll, scheint der Autor zu implizieren, dass es jederzeit zu einem Kontakt mit den Fremden kommen kann, da die Menschen im erdnahen Raum eine technologische Stufe erreicht haben, welche Aufmerksamkeit erweckt. Diese Botschaft wirkt ein wenig zu optimistisch und der abschließende Kontakt erscheint angesichts der aufgebauten Prämisse ernüchternd, aber bis dahin hat der Autor einen soliden Plot unterminiert dank aktueller politischer Themen entwickelt, welcher dem „First Contact“ Genre vielleicht keine neuen Impulse schenken wird, der aber zufrieden stellend unterhält.

 „Clarkesworld“ 139 ist eine in mehrfacher Hinsicht interessante Ausgabe. Auf bekannten Themen wie Post Doomsday oder First Contact bauen die Autoren ungewöhnliche, mindestens unterhaltsame, aber zutiefst humanistische Geschichten auf, welche aus der Masse ähnlich gelagerter Texte herausragen. Zum zweiten Mal in Folge sind es wieder die Originalgeschichten und nicht mehr die Nachdrucke, die qualitativ mehr überzeugen.     

  • Taschenbuch: 146 Seiten
  • Verlag: Wyrm Publishing (6. April 2018)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 1890464988
  • ISBN-13: 978-1890464981