Die letzte Einheit

John Scalzi

John Scalzis neuer “Roman” „Die letzte Einheit“ ist in Wirklichkeit das ansprechende, aber nicht zufriedenstellende Ergebnis eines gewagten Experiments. Zwischen dem 15. Januar und dem 09. April 2013 hat Scalzi wöchentlich die einzelnen Episoden des vorliegenden Mosaikwerkes als E- Book veröffentlicht. Wenige Wochen nach Erscheinen der letzten Folge hat John Scalzi die dreizehn Teile um eine Kurzgeschichte – der erste Einsatz von Leutnant Harry Wilson – und eine nur bedingt inhaltlich zusammenhänge Episode ergänzt als Taschenbuch veröffentlicht. Inzwischen hat der Amerikaner eine Fortsetzung angekündigt, die auch bitter nötig ist. Die Geschichte der „letzten Einheit“ – im Original heißt die Sammlung passender „The Human Division“, da es in erster Linie um die Interessen der Menschen egal ob noch Terraner oder schon Kolonisten in den Tiefen des Alls geht – endet im Grunde abrupt und wenig zufriedenstellend. Niemand weiß, wer die Verhandlungen zwischen der irdischen Regierung und den ehemaligen Kolonien sabotiert hat, so dass Harry Wilson zusammen mit der jungen und verbal schlagkräftigen Botschafterin aus der abstürzenden Satellitenstation im Erdorbit abspringen musste. Der Sprung von außerhalb der Atmosphäre und die Landung an einem Fallschirm waren schon länger geplant und sollten eine Art sportliche Machtdemonstration der durch Nanoboots aufgemotzten „alten“ Soldaten aus den ersten Romanen der Serie sein. Im Zuge des brutalen und hinterhältigen Angriffs unbekannter Mächte – hier liefern einige der voran gegangenen Episoden komplizierte vielleicht auch paranoide Hinweise – geht diese waghalsige, aber gut beschriebene Action fast unter. Ohne auf die Fragen näher einzugehen beendet Scalzi den Episodenroman auf einer romantisch kitschigen Note und lässt die Leser ratlos zurück.  

Der Rückgriff auf einzelne Geschichte mit zwei Handvoll wiederkehrender Charaktere hat Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört ohne Frage der Drang, jede Woche eine Geschichte zu schreiben und diese mit einer teilweise nuanciert satirischen Pointe zu beenden. Dabei ist der Tonfall der einzelnen Episoden uneinheitlich und reicht von zynisch brutal bis unterhaltsam lustig. Scalzi orientiert sich dabei ohne Frage an den „Meistern“ des Genres wie H. Beam Pieper – Scalzi hat ja dessen „Fuzzy“ Serie fortgesetzt – aber vor allem Keith Laumers „Retief“ Romanen oder Lloyd Biggle Jr., dessen „Monument für ein Genie“ mehrfach zitiert wird. In anderen Folgen finden sich Beispiele aus seiner „Old Man´s War“ Serie, die über die grünhäutigen Supersoldaten hinausreichen und die politische Entzweiung der Erde von den Kolonien nachhaltig unterstreichen. Als einzelne E- Books könnte diese Vorgehensweise erfolgreich sein. Vor allem weil der Autor ohne Frage seinen bislang interessanten Kosmos um einige Aspekte erweitert und dabei den zahllosen Außerirdischen ihre fünf Minuten des Ruhms zugesteht. Einsamer Höhepunkt ist ohne Frage der Bluff gegenüber eine rassistischen Kolonie verbohrter Menschen, welche das eigene Leben nicht wertschätzen, aber um die Reinheit der menschlichen Rasse nach einer genetischen Aufräumaktion fürchten und deswegen klein bei geben.

Der Leser erwartet aber selbst von einem Episodenroman mehr inhaltlichen Gehalt in Bezug auf  die Gesamtkonstruktion.. Im Grunde schreitet der zugrundeliegende Plot mit der Mannschaft der „Clarke“ als sehr loses Verbindungsglied zu wenig nachhaltig voran und nicht jeder der Nebenkriegsschauplätze ist wirklich interessant genug, um in einem Roman und nicht einer Kurzgeschichtensammlung derartig umfangreich gewürdigt zu werden.  Scalzi setzt mit seinen Episoden unmittelbar an das Geschehen von „Die letzte Kolonie“ an.  Die Erde – eine der wackeligen Prämissen der ganzen Serie – war bislang der größte Lieferant für zu verheizende Soldaten. Da in erster Linie auf „ältere“ Menschen zurückgegriffen worden ist, die durch Nanoboots und genetische Veränderungen zu den Supersoldaten geworden sind, stellte das anscheinend kein großes Problem dar. Auch wenn man sich kaum vorstellen mag, das alleine die ältere Generation ausreichend für das „gefährliche“ Universum gewesen ist. Die Kolonialkräfte haben die Erde zwar seit Jahrhunderten vor den Außerirdischen beschützt, sie aber ansonsten unwissend gehalten. Inzwischen haben die Außerirdischen ihre eigene, mit mehr als 400 Mitgliedern inzwischen mächtigste Organisation – das Konklave – gebildet und reichen der Erde die Hand in Freundschaft.     

Das grobe Handlungsgerüst bilden die Abenteuer der "Clarke" Besatzung um Harry Wilson, den Diplomaten Hart Schmidt oder die Botschafterin Ode Abumwe. Sie könnten auch als Helden einer Fernsehserie dienen. Sie decken eine Verschwörung auf, die in einem Attentat auf die beiden zu einem geheimen Treffpunkt fliegenden Raumschiffe der Verhandlungsparteien endet. Sie verlieren ihr Schiff und müssen auf einem alten Seelenverkäufer Kolonistentechnik gegen hochmoderne Entwicklungen tauschen oder sich auf diplomatischen Missionen mit gefressenen Hunden und verschwundenen Königen herumschlagen. Scalzi macht allerdings den Fehler, im Gegensatz zu einer Fernsehserie seine Figuren sehr viel unnötigen Ballast erläutern zu lassen. Da jede Folge ebenfalls wie eine fortlaufende Serie mit einer Pointe enden muss, wirkt die Konstruktion einiger Episoden eher schwerfällig. Diese Wiederholungen - als zweiwöchentliche E-Book Serie noch akzeptabel - hätten gestraft werden müssen. Das weitere Problem dieser einzelnen Folgen ist, dass sie in dieser geballten Form unrealistisch erscheinen und die fortlaufende Charakterentwicklung insbesondere im Vergleich zu einem komplexeren Roman leidet. Das nicht jede Folge funktioniert und die „Deus Ex Machina“ Lösungen sehr stark an die zahllosen „Star Trek“ Variationen erinnern, sei nur am Rande erwähnt.  Auf der anderen Seite hätte die komplexe Problematik - die Kolonien können und wollen hinter vorgehaltender Hand nicht ohne die Erde; die Außerirdischen gehen ohne echte Überzeugung auf die Wiege der Menschheit zu und die Gefahr eines Krieges zwischen zwei der drei Koalitionen wird immer größer - sehr viel intensiver und zufriedenstellender in einem Roman mit durchaus drei oder vier Handlungsebenen - wie von den Episoden abgedeckt - erzählt werden können. Immer wenn insbesondere die politischen Hintergründe relevanter werden, lässt Scalzi seinem eigenen Spannungsbogen mit einer zu humorvollen, zu oberflächlichen Geschichte in mehrfacher Hinsicht die Luft raus.  

Um die „Clarke“ Geschichten herum hat der Autor eine Reihe von Episoden platziert, die wie unfertige Stories wirken. Dabei wechseln sich Scalzis Stärken – Military Science Fiction mit einem menschlichen Unterton – und Schwächen – ambivalente Charakterisierung – sehr stark ab. Einige der Kurzgeschichten beginnen und enden im Nichts, so dass alleine das Wiedersehen mit in den Romanen spärlich genutzten Charakteren und Situationen die Lektüre lohnt.

Zusammengefasst muss sich Scalzi den Vorwurf gefallen lassen, das sein Experiment in der vorliegenden Buchform seine kommerziellste und damit auch am wenigsten befriedigende Arbeit gewesen ist. In einer Fernsehserie erwartet oder befürchtet der Zuschauer den Staffel übergreifenden Cliffhanger, in einem auf den ersten Blick nicht zu einer fortlaufenden Serie gehörenden Buch wird er eher überrascht und trotz der am Ende dramaturgisch besten Episode auch enttäuscht. Ein Gesamtfazit lässt sich erst ziehen, die die mehrfach angekündigte Fortsetzung auf dem Markt ist, aber in der vorliegenden Form ist „Die letzte Einheit“ – der Titel ist auch falsch, da die „Clarke“ nach der Ermordung aller wichtigen Diplomaten zwar als diplomatisches B- Team, aber nicht als letzte militärische Einheit gesehen wird – noch ein oberflächlich unterhaltsamer Torso. 

Originaltitel: The Human Division
Originalverlag: Tor Books
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

Deutsche Erstausgabe

Taschenbuch, Broschur, 624 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-31516-7