Clarkesworld 141

Neil Clarke (Hrsg.)

Auch wenn der Sommer meistens leichtere Kost sein soll, präsentiert sich „Clarkesworld“ 141 mit einer Reihe sehr dunkler, nachdenklich stimmender Geschichten. Beginnend mit einem ergreifenden Nachruf auf den langjährigen Mitarbeiter Gardner Dozois setzt Herausgeber eine Reihe von ergänden Höhepunkten. Chris Urie interviewt zum ersten Mal seit Jahren keinen Autoren, sondern einen aus Mexiko stammenden Illustrator. Dadurch ist auch der politische Bogen sehr viel breiter gespannt. John Picacio erweist sich als angenehmer Gesprächspartner, der sehr ausführlich antwortet. Im wissenschaftlichen Beitrag geht es um die möglichen Folgen der Lebensbedingungen anderer Welt und eines längeren Aufenthalts auf den menschlichen Körper, während in der Kolumne „Another Word“ einfach die Zukunft mal humorvoll selbst ironisch relativiert wird.

 Zwei Kurzgeschichten bilden die Nachdrucksparte. In einer seiner letzten Arbeiten hat Gardner Dozois zwei thematisch konträre, aber zutiefst humanistische Geschichten herausgesucht.

 Elizabeth Bear präsentiert in „The Deeps of the Sky“ eine fremde Atmosphäre, die sich vor allem durch die vertrauten Handlungen definiert. In der Atmosphäre eines Gasplaneten nutzen die Einheimischen Flugschirme, um sich fortzubewegen. Die Menschen sind nicht wohl gelitten. Natürlich muss einer dieser Eindringlinge gerettet werden und natürlich bewegen sich im Kleinen, im Persönlichen diese Fremden ein wenig aufeinander zu, ohne die Vorurteile und gegenseitigen Antipathien zu überwinden. Die Story lebt von der vor allem zu Beginn entwickelten Atmosphäre, während die Autorin sehr viel als Status Quo etabliert und zu wenig über den Plot entwickeln lässt.

 „Meridian“ von Karin Lowachee ist eine fast klassische Waisenhausgeschichte. Ein kleiner Junge wird zu einer Ziehfamilie gestickt. Seine Eltern sind Opfer eines Piratenüberfalls in den Out Rim Bereichen der bewohnten Galaxis geworden. Der Junge kann sich schwer anpassen und wird von einer Pflegefamilie zur nächsten geschickt. Am Ende entdeckt er durch einen Zufall ein vertrautes Gesicht. In dem Moment, in dem sich der Handlungsbogen entwickeln soll, hört der Plot allerdings auf und der Leser wird in einer zu offenes Ende entlassen. Es ist schade, dass die Autorin nach einer sehr guten Eröffnung den roten Faden zu verlieren scheint.  

 Zwei Novellen und drei Kurzgeschichten erscheinen zum ersten Mal. Steve Rasnic Tem macht den Auftakt der Ausgabe mit „A Space of One´Own“. Die Idee wird einigen Lesern aus einer bestimmten „Star Trek“ Serie mit Captain Kirk bekannt vorkommen. Die Welt ist derartig überbevölkert, dass die Menschen nur noch stehen können. Die menschliche Existenz erinnert an einen Bienenschwarm, wobei die künstlichen Intelligenzen alles koordinieren. Den Alltag Cedrics verfolgt der Leser mit wachsendem Entsetzen. Steve Rasnic Tem verzichtet allerdings auf belehrende Elemente und beschreibt die für den Leser im Grunde unerträgliche Situation ausgesprochen sachlich. Es werden keine Antworten präsentiert, der Plot absichtlich auf ein Stillleben reduziert, so dass der Leser mit dieser Situation zurückbleibt und sich selbst mehr und mehr Gedanken macht.

 Zweimal stehen die Hinterlassenschaften der Erde im Mittelpunkt der Geschichte. Im kürzesten Beitrag der Ausgabe „Heron of Earth“ von Vajra Chandrasekera besucht eine Art Superintelligenz auf ihrer das Universum besuchenden Mission die Erde. Inzwischen gibt es keine Spuren menschlichen Daseins mehr und die Welt ist so umgebaut worden, als wenn sie niemals Menschen getragen hat. Stilistisch sehr ansprechend fließen Vergangenheit und aus Sicht des Lesers Zukunft so zusammen, dass sie eine Einheit bilden und er die einzelnen Handlungen mit den entsprechenden Konsequenzen sehr gut verfolgen kann. Dabei konzentriert sich die Autorin mehr auf Stimmungen und Implikationen. Es fällt dem Leser schwer, zwischen den Zeilen zu lesen, so dass viel zu viele Fragen offen bleiben.

 In „Vault“ von D.A. Xiaolin Spires verfolgt der Leser die Arbeit Chenguangs, die in einer unbestimmten Zukunft Planeten kartographiert, zwischen denen Straßen „verlegt“, d.h. geplant werden sollen. Es handelt sich um eine Welt, die Spuren eines ökologischen Desasters aufweist. Der Leser ahnt viel schneller als die Protagonistin, dass es sich um die Erde handeln muss. Vor allem lebt die Geschichte von den Hintergrundbeschreibungen. Der Planet ist als Erde erkennbar, auch wenn eine exotische Atmosphäre aufgebaut wird. Vor allem die Wechselwirkung zwischen den Empfindungen der Fremden angesichts der Erkenntnis, dass die wunderschöne Nature willentlich von den Menschen zerstört worden ist, stellt das Herz dieser interessanten, ebenfalls provozierenden, aber keine Antworten darstellenden Geschichte da. Dabei stellt die langsam wachsende Verbindung zwischen ihrem Missionspartner Lucas und ihr Selbst sogar das schwächste Glied der ganzen Story dar.  

 Dora Klindzic feiert mit „The Cosonaut´s Caretaker“ ein gelungenes Debüt als Kurzgeschichtenautorin. In ihrer Novelle streift sie verschiedene Facetten des Genres beginnend mit dem Schicksal eines Mannes, der fast alle in seinem Leben verloren hat. Seine Frau, seinen Sohn, seine militärische Karriere und schließlich sogar sein Bein. An Bord eines Patrouillenschiffes in der Unendlichkeit versucht er sich nicht nur an seinen Erinnerungen, sondern dem wenigen stolz zusammenzuhalten, der ihn Zeit seines Lebens auszeichnet. Diese Charakterisierung könnte immer am Rande des Klischees sein, aber der Autorin gelingt es in den stimmungsvollen, fast an eine tragisch gotische Novelle erinnernden Eingangsszenen den Protagonisten trotzdem dreidimensional und originell zu beschreiben. Seine Vorgesetzen zwingen ihn, mit einer künstlichen Intelligenz zusammenzuarbeiten, welche sich in erster Linie um ihn und in zweiter Linie um eine eher ambivalent beschriebene Mission kümmern soll.

 Die Autorin hat sich bemüht, zwei konträre Situationen zusammenzubringen. Natürlich steht die Heilung angetrieben, aber nicht nur manipuliert durch die künstliche Intelligenz. Es ist vielleicht ein Klischee des Buddy Films, das diese beiden so unterschiedlichen Geister gegen ihre eigenen Willen zusammenarbeiten müssen, um die gestellte Aufgabe zu lösen. Vielleicht hätte ein dunkleres Ende der Story als Ganzes gut getan, aber die einzelnen Versatzstücke sind nicht nur interessant geschrieben, das hohe Tempo des Plots überdeckt einige logische Schwächen wie die Tatsache, dass die Vorgesetzten dieses im Grunde verlorenen Soldaten sich sehr viel Mühe mit ihm geben. Angesichts der Menge von Soldaten und Stützpunkten ein aufwendiges Unterfangen, das nicht weiter erläutert wird.

 Auf der anderen Seite entwickelt sich ein Szenario, welches das Klischee des alt gedienten Soldaten im Military Science Fiction Genre inklusiv der Überwindung seines Traumes flott mit einigen interessanten, teilweise sehr originellen Exkursionen erzählt, während die zugrunde liegende Handlung unabhängig von diesem Versatzstücken überzeugend und spannend angelegt worden ist. Die Novelle wird also nicht nur Military Science Fiction Fans, sondern vor allem Leser ansprechen, die nicht nur Action, sondern dreidimensionale Charaktere lieben, welche sich im Laufe der Handlung kontinuierlich weiterentwickeln.

 „Your Multicolored Life“ von Xing He ist politisch wahrscheinlich die beste Geschichte dieser „Clarkesworld“ Ausgabe. Es geht vor allem um verschiedene Perspektiven für das gleiche Szenario: was ist Freiheit und wie definiert man sie. Während Zhang aus einer Provinz flieht, in welcher der eher ambivalent beschriebene Roboterherrscher die Menschen unterdrückt und wie Sklaven behandelt, stammt You Ruo aus einer gemäßigteren Zone, in welcher die Menschen zwar auch von den Robotern angeleitet werden, ihnen aber bis auf die „Freiheit“, das Gebiet zu verlassen, sehr viel mehr Privilegien zugestanden werden. Xing He beschreibt aus wechselnder Perspektive deren Flucht und ihr Zusammentreffen. Die beiden so unterschiedlichen Menschen mit dem gleichen innigen Wunsch müssen lernen, sich nicht nur zu vertrauen, sondern zusammenzuarbeiten. Die emotionale Ebene ist ausgesprochen gut entwickelt und am Ende des Spannungsbogen ist der Leser nicht nur für den beiden Figuren, sondern vor allem ihren Intentionen, Träumen und Hoffnungen vertraut. Vielleicht wirkt der Hintergrund ein wenig zu schematisch, zu belehrend entwickelt, aber der Autor will sich vor allem auf die beiden Figuren konzentrieren und muss deswegen eher schwarzweiß artikulierend vorgehen, Vor allem weil er durch das jeweilige Betreten der anderen Welt aufzeigt, wie schwer es ist, deren Kultur zu verstehen oder einfach auch nur einen gemeinsamen Ansatz zu finden. Dieses Zusammenfließen so vieler Ideen und Reiz macht die Stärke der Novelle aus. Ohne Lösungen anzubieten oder auch nur zu belehren entwickelt sich der Plot nach einem etwas schwächeren, sehr getragenen Auftakt zufrieden stellend und alle wichtige Themen werden ausgesprochen kompakt, aber auch vielschichtig gestreift.

 Neben den beiden guten, aber nicht herausragenden Nachdrucken sind es vor allem die längeren Arbeiten dieser „Clarkesworld“ Nummer, die im Gewand der Military Science Fiction oder als Parabel um unabänderliche Rechte lange Zeit im Gedächtnis bleiben. Eine dunkle, nachdenklich stimmende, aber sehr überzeugende Sommer Nummer aus dem Haus Neil Clarke.        

E Books, 112 Seiten