Clarkesworld 146

Neil Clarke (Hrsg.)
In seinem Vorwort träumt Neil Clarke von dem perfekten Sponsor, während Chris Urie Nancy Kress angesichts ihrer neuen abgeschlossenen Trilogie interviewt. Nancy Kress ist immer eine sehr angenehme Gesprächspartnerin, die vor allem über den Genretellerrand hinausschaut und trotzdem in jedem Gesprch vielleicht auch angesichts ihrer Flut von Veröffentlichungen etwas Neues zu sagen hat. Neben dem obligatorischen Esay über die Kunst des Schreibens rundet die Ausgabe ein Einblick in die Fehler der Science Fiction Filme der späten siebziger und frühen achtziger Jahre ab, ohne das wirklich neue Informationen hinzugefügt werden. 
Die längste Geschichte könnte auch ohne SF Elemente funktionieren. Wie bei erstaunlich vielen Texten dieser "Clarkesworld" Ausgabe wird vor allem die Wissenschaft sehr stark gebogen. Aus einer Expedition zum Mars wird eine Reise in die Ewigkeit. Normalerweise hätte die Mutter zum zehnten oder zwölften Geburtstag ihres Sohnes zurück sein müssen, damit die Dramaturgie aber funktioniert, muss der Protagonist alleine mit seinem Vater leben und später über das eigene Leben nachdenken. Es ist ohne FRage eine stimmungsvolle Novelle, die auf der einen Seite das Flair vom Paris einfängt und anscheinend auch dort geschrieben worden ist. Autor Nina Allan" dank in ihrem Nachwort zu "The Gift of Angels: an introduction" den Menschen, die ihr das Jahr in Paris so wunderbar gestaltet haben. Stilistisch ausgezeichnet und von einer wunderbar melancholischen Atmosphäre durchzogen reflektiert der allerdings ein wenig zu sich selbst bemitleidende Autor über den Einfluss von "The Twelve Monkeys" und dem französischen Kunstfilm "La Jete" auf seine Elternund sein eigenes Leben. Der Abflug seiner Mutter hat ihn inspiriert, Sciene Fiction zu schreiben. Im Grunde ist er beziehungsunfähig, wie die homosexuellen Affären zeigen. Selbst mit einer allenerziehenden Mutter und ihrem Sohn kann er trotz gleichbleibender Interessen nicht zusammenleben. Wenn er schließlich aktiv eine wichtige Entscheidung in seinem Leben trifft, endet die Geschichte. Der Leser ahnt, welche Fakten er aufgreifen wird, der Text wirkt aber unvollendet. Bis dahin bewegt sich oberflächlich viel, es passiert aber nicht unbedingt entsprechend viel. Nicht selten vertraut die AUtorin ausschließlich auf entsprechende Stimmungen und kann den Bogen nicht zum Ende schlagen. Das SF Elemente ist wie erwähnt eher aufgesetzt und dient als eine Art MacGuffin. Lesenswert ist der Text trotzdem, auch wenn die Autorin erwartet, das der Leser sehr sehr viel Geduld mit ihrem Protagonisten aufbringt. 
 
Rich Larson präsentiert mit "Octo Heist in Progress" eine sehr freche Geschichte. Efta hat auf einer Party die teuren Schuhe ihrer Schwester vergessen. Sie traut sich nicht, zurück in das Haus zu gehen und heuert einen Mann mit seinem intelligenten Oktopus an, die Schuhe zurückzustehlen. Seine Bezahlung soll die Beute im Safe der Familie sein. Die Geschichte liest sich auf den ersten Blick flüssig, macht aber auf den zweiten Blick auch keinen Sinn. Der Oktopus ist die dreidimensionalste Figur des ganzen Textes, trotzdem traut man ihm nicht zu, ohne die gedankliche Fernsteuerung das Versteck der Schuhe  zu finden und sie einzupacken. Auch die Symbiose zwischen Mensch und Tier funktioniert nicht unbedingt gut. Am besten ist noch in bester Screwball die umständliche wie lustige Erklärung, warum die Schuhe verloren gegangen sind und auf welche sehr komplexe, den eigenen Stolz nicht unbedingt schluckende Art und Weise sie gerettet werden sollen. Rich Larson verfügt als Autor über das richtige Timing für Situationskomödie, aber als Ganzes wirken Abschnitte der Story doch bemüht. 
 
Die kürzeren Texte gehören zu den schwächsten Arbeiten der ganzen Ausgabe. Peng Simengs "The Love Letters" ignoriert im Grunde durch den großen, aber nicht großartigen Hintergrund alle wissenschaftlichen Aspekte. Überträgt man den Inhalt auf eine klassische chinesische Saga macht die Reise zwischen den Asteroiden und die kontinierliche Flucht vor Insekten sogar einen nachhaltigen Sinn. Im All als eine Art Planetenhopping natürlich nicht. Es ist eine Coming of Age Story, die sich entlang der Versatzstücke zieht und zu wenig wirklich originelle Ideen anbieten kann. E.E.Kings "Ghost Island"  beschreibt die seltsame Reise eines Soldaten zu einer Insel, auf welcher den Gerüchten folgend die Männer ihr Gedächtnis verlieren und als jemand anders wieder erwachen. Die Geschichte vertraut auf surrealistischen Ideen wie tausenden von Bildern, welche zum Beispiel eine Brücke stabilisieren. Das ist nett und wirkt auf die Protagonisten wie auch die Leser beunruhigend, erläutert aber nicht, warum die Männer ihren Verstand verlieren. Auch die weiteren Erläuterungen funktionieren zu wenig, um zum Beispiel die perfektionierte negative Wirkung von Reststrahlungen zu erläutern. Zu viele Fragen beantwortet die Geschichte eher ausweichend oder gar nicht. Auch "What the South Wind Whispers" aus der Feder von H. Pueyo funktioniert nur in der Theorie. Eine Art magischer Schild zur Kometenabwehr ist quasi in letzter Sekunde entworfen worden. Er wird in der Nacht von einer künstlichen Intelligenz gesteuert, am Tage aber anscheinend vom Protagonisten, dessen Persönlichkeit höflich gesprochen wankelmütig ist. Vor allem weil die künstliche Intelligenz plötzlich auch extentrische Persönlichkeitszüge aufweist und das gigantische Projekt mehr und mehr die Menschheit gefährdet als beschützt. Weder sind die Figuren überzeugend genug gezeichnet noch funktioniert der Plot von der reinen Logik her, so dass im Grunde zusammenfassend alle drei von nicht angloamerikanischen Autoren geschriebene Geschichten bemüht und schwerfällig, vor allem aber nicht überzeugend erscheinen. 
 
So gut es ist, immer wieder über den Tellerrand hinauszuschauen und neben der chinesischen Science Fiction auch andere Autoren aus unterschiedlichen Ländern zu präsentieren, so sehr sollte sich Neil Clarke bemühen, wenigstens den SF Hintergrund stimmiger hinzubekommen und ggfs auch zu überarbeiten. 
 
Von den zwei Nachdrucken nimmt "Death on Mars" von Madeleine Ashby die Idee der Marsexpedition wieder auf. Kurz vor der Landung erfährt die Crew, dass ein Mitglied schon lange an Krebs erkrankt ist und der Flug zum Mars quasi eine Art Abschiedreise ist. Immer an der Grenze zum Pathos entwickelt sich ein Plot, der angesichts der Herausforderungen dieser Reise wahrscheinlich nur auf einer emotionalen Handlungsebene logisch erscheint. Außerhalb der eigenen Logik einer Geschichte wäre die NASA wahrscheinlich nicht so mitfühlend. Gut geschrieben mit überzeugenden Protagonisten, einem Handlungsverlauf, der konsequent ist und einem melancholischen Ende wirkt der Text trtzdem ein wenig zu mechanisch geschrieben. 
 
Auch beim zweiten Nachdruck "A Catalog of Sunlight at the End of the World" von A.C. Wiese geht es um eine besondere Form des Abschiednehmens. Wie Dozois scheint Neil Clarke inzwischen gerne auf Texte zurückgreifen, welche er selbst in den jährlichen "Best Of" Anthologien verwandt hat. Der Protagonist ist ein Witwer, der sich von seinen Kindern und Enkeln verabschiedet, die an Bord eines Generationenraumschiffs die Erde verlassen. 
Auch wenn das Leben auf der Erde durch die Klimaveränderungen nicht leicht geworden ist, möchte er bei seiner verstorbenen Frau bleiben. In Rückblicken erzählt er quasi von den Sonnenstrahlen seines Lebens, die meisten drehen sich um seine Frau. Am Ende adoptiert er eine streunende Katze, um nicht ganz alleine zurückzubleiben. Die Geschichte ist emotional ansprechend und die Figuren sind dreidimensional gezeichnet. Die Rückblicke überzeugen vor allem durch eine gewisse Altersweisheit. Am Ende ein fast einsamer Höhepunkt dieser erstaunlich durchschnittlichen "Clarkesworld" Ausgabe mit einem Schwerpunkt beim Tod. Vielleicht für den Winter passend. 
 
Nach einigen Ausgaben, in denen die Nachdrucke qualitativ den ERstveröffentlichungen qualitativ hinterher gelaufen sind, hat sich das Rad deutlich gedreht und die beiden Nachdrucke zusammen mit der je nach Gemütslage sehr guten oder sehr schlechten Novelle "The Gift of Angels" sind die einsamen Höhepunkte mit leider viel zu vielen ohne FRage bemühten, aber nicht überzeugenden Kurzgeschichten.

www.clarkesworldmagazine.de

E Book, 112 Seiten