Blaufußtölpel

Thomas Le Blanc (Hrsg.)

Im Untertitel schreibt Herausgeber Thomas Le Blanc von der Dressur des seltenen Blaufußtölpels. Wobei der Leser nach der Lektüre das unbestimmte Gefühl hat, vor allem der so einzigartige wie exzentrische Vogel hat seine Autoren eingefangen. Vielleicht grenzt das Begriff des „Blaufußtölpels“ die kreativen Geister ein wenig ein, denn viele Geschichten sind modern gefärbte Fabeln mit teilweise doch vorhersehbaren oder bekannten Inhalten, aber alleine die Unterschiedlichkeit, mit der insgesamt neunzehn Autoren neunundzwanzig Miniaturen verfasst haben, hebt die Sammlung aus der Masse heraus.

 Auch wenn es die vierte Miniatur der Ausgabe ist, könnte Kai Fockes „Hobby Ornithologen“ auch eine gute Einleitung darstellen. Es wird ein wenig über den Blauflusstölpel philosophiert, bis es für diese Art der Erzählklasse eine plötzlich wie bestimmte Wendung gibt.

 Aber die Entstehung der Rasse der Blaufußtölpels oder einfach wie bei Claudia Meyers „Wie der Blaufußtölpel zu seinem Namen kam“ die Bezeichnung der Tiere spielen eine wichtige Rolle. Bei „Mein Tölpel wunderschön“ entwickelt Anna-Maria Reichl eine fast lyrische Hommage an den besonderen Vogel, während Jacqueline Montemurri in „Legende“ ein Drama von Shakespeares Dimensionen entwickelt, dem sie die blauen Füßen durch den langen Weg des Geliebten im ewigen Eis hinzufügt.   Alexander Roeder greift in seiner Miniatur die drei Sagen um den „Blawfusz“ auf und erweitert dessen Herkunft humorvoll. Karl- Ulrich Burgdorfs „Dodo“ kann auch in die Kategorie der sinnhaften Begriffschöpfung eingeordnet werden. Gemeinsam ist allen Texten, das sie nach Herkünften forschen anstatt direkt Miniatur enzu entwickeln und entsprechende Plots zu gestalten.    

 Viele andere Texte beschäftigen sich eher mit Tierfabeln. Gerald Boschs „Hochzeit- Blues“ beschreibt die traurige Wahrheit über die wahre Liebe in Zeiten dominierender Eltern, während in „Wahre Schönheit“ (Mariane Effinger) selbst der Pfau nach einer wahren Odyssee erkennen muss, wer tatsächlich der Schönste im Vogelreich ist. Kar Ulrich Burgdorf präsentiert mit „Das Blau deiner Füße, Geliebter“ einen Blick hinter die Kulissen des ehelichen Alltags mit geteilten Aufgaben. Vor allem sind es die doppeldeutigen Dialoge, welche Karl Ulrich Burgsdorfs Miniatur aus dem Durchschnitt hervorheben. 

 Es gibt auch eine interessante Science Fiction Geschichten, in denen diese Figur eine wichtige Rolle spielt. Sabine Frambachs „Enias Spielzeug“ beginnt interessant mit der Auswahl eines Kindes in einem Spielzeugladen und endet aus dem Nichts heraus dramatisch. Insbesondere die zweite Hälfte mit dem potentiellen Signal hätte noch ein wenig besser ausgebaut werden können, auch wenn die Mahnung an die Elterngeneration wieder passend ist. Holger Marks First Contact Geschichte „Der erste Eindruck“ ist pointiert und ironisch, fügt aber der Grundidee des vor allem auf visuellen ersten Eindrücken bestehenden Missverständnisses im Bereich der „First Contact“ Story nicht wirklich eine neue Idee hinzu. Aus der anderen

Perspektive berichtet schließlich Ansgar Schwarzkopf in „Haunschild- Duelle“ vom Forscherdrang und der entsprechenden Rache. Ins Unermessliche wird es eine andere Miniatur extrapolieren. Die Folgen dieser Experimente aus der Perspektive der Fremden sind mannigfaltig.

 Im Notfall muss auf den Blaufußtölpel zurück gegriffen werden, um ein ganzes Volk auf einem Planeten vor dem Aussterben zu retten, wie Friedhelm Schneidewind in „Sexuelle Zuchtwahl“ deutlich macht.  

In ihrer zweiten nicht in der berühmtesten Kaschemme des bekannten Universums spielenden Miniatur variiert Monika Niehaus mit „Freitag“ die berühmte Robinsonade, wobei die Pointe ein wenig mit dem Holzhammer ausformuliert zu sein scheint.  Monika Niehaus führt mit „Das Blaue am Himmel“ wieder in Donnas Kascheme, wobei die extravaganten Erzählungen der beiden ansonsten so gegensätzlichen Protagonisten relativ früh enden und eine Art Epilog erfordern. Aber eine Interpretation des Blaufußtölpels reicht, um Geschäfte zu machen. Hätten die Protagonisten geahnt, das in der intellektuellen Begegnungsstätte nebenan – Bernd Schuhs „Die letzten Boobies – ein echtes Exemplar fachsimpelt. Die Pointe ist zu früh erkennbar, aber die kleinen Nuancen machen den besonderen Reiz dieser Miniatur aus.

 „Blaue Stunde im Aufwachraum der Evolution“ von Ansgar Schwarzkopf zeigt auf, dass Gott oder besser der nicht allwissende Schöpfer immer wieder die gleichen Fehler macht. Dabei kommt es nicht unbedingt auf die Floskeln wie macht Euch die Erde Untertan an, sondern auf die langfristige Planung, die schließlich zu einem erdrückenden Erfolg wird. Gut geschrieben mit einer passenden bitterbösen Pointe und interessant gezeichneten Charakteren.

 Rainer Schorm zeigt in „Stumble on, Stupid“ die Legendenbildung. Nicht alles mit blauen Füßen ist unbedingt ein Blaufußtölpel, aber trotzdem faszinierend exotisch und vertraut zu gleich. Jörg Weigand weilt mit „Farbkorrektur“ in himmlischen Sphären und zeigt auf, wie zufällig manche Entwicklungen sein können. Seine Frau Karla Weigand greift ironisch mit „Hochzeitsgeschenk der besonderen Art“ auf den Bereich des Grusels zurück, in dem eine abgeschieden lebende Indianerfamilie mit einem besonderen Merkmal den ungezogenen Besuchern ein Abschiedsgeschenk der besonderen Art mitgibt. Spätestens Stephen King mit „Thinner“ lässt grüßen. Die Pointe ist vorhersehbar, aber zumindest ist die Geschichte flott und komprimiert geschrieben worden.   

 Thomas Le Blanc überdreht den Bogen positiv mit seinem modernisierten Märchen „Ach wie gut, das niemand weiß“. Natürlich spielt nicht nur diese bekannte Märchenfigur eine wichtige Rolle, im Märchenland herrscht bei den Beamten Zucht und Ordnung, vor allem aber keine Phantasie vor. Lustig, unterhaltsam, skurril und mit einer entsprechenden mahnenden Pointe ausgestattet eine perfekte Unterhaltung.  Auch Alexander Roeder hat mit „Die Tölpel“ eine historische Fragwürdigkeit aufgeklärt. Das Verschwinden des Schriftstellers Ambrose Bierce ist endlich geklärt. Mit seiner zweiten Geschichte „Familiengespräch beim Abendessen“ zeigt Thomas Le Blanc die darwinsche Evolutionslehre aus einer gänzlich anderen Perspektive, wobei der Forscher nach Aldi/ Lidl und den Baumärkten zu den Blaufußtölpeln und den Finken gekommen ist. Werner Zillig reiht sich mit seiner Farce „Professor Merkels Geheimnis“ in diese Phalanx an. Der Leser erfährt am 100. Geburtstag des Protagonisten als einziger sein Geheimnis des Erfolgs, das auf einem gut gemeinten, allerdings nicht den Legenden entsprechenden Hinweis basiert. 

 Friedheln Schneidewinds "RGB" basiert die Pointe auf einem Mißverständnis, das im Umkehrschluss den Titelgebenden Blaufußtölpel in die Handlung einbaut. Viele der zweiten Geschichten einzelner Autoren sind eher schwach in dieser Sammlung.  Jörg Weigands "Das Standbild" könnte auch ohne den entsprechenden Bezug auskommen und würde trotzdem nicht besser unterhalten,  während bei Karla Weigands "Der unheimliche Mitbewohner" die Idee des schmeichelnden Papageien vielleicht noch nett ist, aber auch hier wirkt der Bezug zu bemüht,  als das diese drei Miniaturen wirklich überzeugen können.  

 Ansgar Schwarzkopf macht  es sich wie Alexander Roeder mit ihren jeweils zweiten Beiträgen sehr viel leichter.  Der Erste präsentiert ein Kochrezept der besonderen Art mit einem kleinen Warnhinweis, während Alexander Roeder in den opulenten Tönen der damaligen Filmkritik mit "Die Vernunft jagt Dr. Tölpel" auch eine Parodie auf die zahlreichen James Bond Imitationen nieder geschrieben hat.  Der fiktive Plot wird bevölkert von den Stars und Sternchen des deutschen Kinos der fünfziger bis siebziger Jahre und der Plot erinnert an manchen Trash, den man heute in Luxusausgaben auf DVD findet. Die beiden auch von der stilistischen Gestaltung her überzeugenden Beiträge runden die insgesamt 13  Phantastische Miniatur überdurchschnittlich ab.  

 Im Gegensatz zu einigen rückblickend eher durchschnittlichen Anthologien haben sich die Autoren mit Eifer und durchaus Originalität auf das mit einem Begriff symbolisierte Thema gestürzt. Das Titelbild von Ansgar Schwarzkopf weist auf die mögliche Themenvielfalt hin und einige der Miniaturen bleiben deutlich länger im Gedächtnis, während sich andere Autoren wie bereits erwähnt vor allem mit der aus chronologischer Sicht zweiten Arbeit sehr viel schwerer tun. 

 

 

M Blaufuss

Phantastische Miniaturen Band 13

80 Seiten, Din A5 Broschüre

bestsellbar bei der Phantastischen Bibliothek Wetzlar