Das Alien tanzt Polka

Ellen Norton

Ellen Nortons "Das Alien tanzt Polka" ist der zweite Band mit Geschichten aus nicht nur einem, sondern gleich mehreren heiteren Universen. Auch wenn manchmal geschmunzelt, in einigen Fällen sogar herzhaft gelacht werden darf, stehen sich Plot und Komik gleichberechtigt gegenüber. Es sind nicht nur Klamauk Geschichten, die hier gesammelt worden sind, sondern eine ganze Reihe von durchaus auch spannenden Storys. 

Der Titel der Anthologie spiegelt sich aber nur in ganz wenigen Geschichten wider. Marianna Labischs "Schwingungen" beschreibt den Absturz eines UFOs.  Der Kontakt ist friedlich. Vor allem nehmen sie etwas von der Erde in Gedanken mit.  Auch wenn nur die Nuancen anders bzw. originell sind, liest sich der Plot wegen vieler kleiner Details wie der Nutzung eines Schals sehr gut.   

Uwe Voehl und Markus K. Korb trägt bei „Die letzte Polka“ den Titel nur als Hommage mit sich. Nach dem atomaren Inferno unterhalten sich zwei Nerds aus ihren individuellen Verstecken heraus. Die Dialoge sind überzeugend, aber angesichts der brutalen Situationen belassen es die Autoren bei einer erstaunlich distanzierten emotional den Leser nicht einbindenden Struktur. Ein wenig mehr entweder Pepp oder bizarre Ideen hätten dem Text gut getan.

Claudia Aristovs Auftaktgeschichte "Vom Alpha bis Omega" zeigt die Stärken und Schwächen dieser Anthologie. Als Hommage auf die "Götter aus dem All", welche den Bau der Pyramiden aus eigennützigen Interessen gefordert und initiiert haben, überzeugt die Geschichte. Selbst die Pointe ist originell. Das Problem ist, dass die Autorin als Protagonisten eine Art Klamaukchaosduo ausgewählt hat, das in bester Manier die eigenen Unzulänglichkeiten nicht erkennen muss, weil aus dem Chaos abschließend etwas Gutes erwächst. 

Außerirdische auf der Erde sind genauso ein wichtiges Thema vieler Geschichten wie Menschen im All an Bord der unbekannten Raumschiffe. Ach im Stößer "Herrgottsack" beschreibt eine solche Reise an Bord des fremden Raumschiffs, wobei der Reisebegleiter sich einen einzigartigen Akzent angewöhnt hat. Die Idee wird aber im Laufe der Geschichte schal und bis auf einigen Spitzen kann der ansonsten routiniert schreibende Achim Stößer nicht wirklich viel Plot anbieten.  Parodien auf das Science Fiction Genre im Allgemeinen und dessen Pulpabenteuer im Besonderen sind anscheinend bei einer derartigen Anthologie Pflichtprogramm. Wie gut, das sich am Ende absurde Situationen von alleine auflösen. Eberhard Entensterzs "Das Einhorn des Grauens auf Epsilon Centauri" ist Teil einer endlos fortlaufenden Serie voller Anspielungen auf "Star Trek" und Co. Die Handlung wirkt zu überdreht, die Dialoge erscheinen zu aufgesetzt und am Ende fließt alles zu passend ineinander. Über die Zeit sind zu viele zu ähnliche Texte dieser Art erschienen, als das der Autor der Idee wirklich etwas Neues abgewinnen kann.  Nikolaj Kohler folgt mit  "Calamares Jane und die Fingernägel des Präsidenten" Eberhard Entensterz. Die beiden Autoren könnten Brüder im Geiste sein. Ein Außerirdischer in einem eher fiktiven Wilden Westen. Er stolpert durch einige Klassiker wie die Pokersequenz inklusiv Falschspieler. Dazu eine Anspielung auf Präsident Trump, um den Text zynischer erscheinen zu lassen. Sprachlich experimentell, aber inhaltlich nicht unbedingt abschließend zufriedenstellend. Weniger wäre in beiden Fällen mehr gewesen.  

 Gesucht wird immer und gerne. Bei Michael Schmidts "Die Gebeinde des PKD" nach den legendären Gebeinen des bekannten Science Fiction Autors, der nicht nur im Namen der Raumstation einen Eindruck hinterlassen hat. Aber es gibt bei dieser Geschichte ein grundlegendes Problem. Anfänglich im Bereich der Science Fiction inklusiv entsprechender Anspielungen bis zu Robert A. Heinlein angesiedelt wirkt der mittlere Abschnitt unerklärlich märchenhaft, bis die Pointe bemüht erscheint. Viele offensichtlichen Würdigungen des umfangreichen Werkes Philip K. Dick haben die Schwierigkeit, dessen Einzigartigkeit auf eine neue Art und Weise zu erzählen. Michael Schmidt scheitert ebenfalls nach einem guten Auftakt an dieser Tatsache.

Die neue Art der Partnersuche beschreibt Ellen Nortens "Abenteuer im Supermarkt". Eine vernachlässigte Ehefrau begegnet im Gang mit den exotischen Speisen ihrem wie ausgewechselten Ehemann. Nach einer schnellen Nummer lässt er sie zurück. Kaum hat sie den Einkauf beendet und gabelt ihren Mann in der Kneipe neben an wieder auf, ist er der Alte. Ein Langweiler vor dem Herrn. Entweder hat nur der sonnabendliche Einkauf nicht nur auf ihn eine erotisierende Wirkung oder etwas ist ganz Anders. Pointiert, ein wenig plakativ die Mechanismen durchschnittlicher Ehen entlarvend mit einem zufriedenstellenden, aber nicht sonderlich überraschenden Ende. 

"Moon Village" von Peter Mack  ist dagegen eine überdrehte Farce. Eine internationale Gruppe von Ländern anfänglich ohne die Amerikaner möchten wieder auf dem Mond landen. In der Polregion, um eine Wasserversorgung für die im Titel genannte Moon Village zu prüfen. Die beiden exzentrischen Protagonisten sehen von Beginn an erst die Möglichkeit, endlich den Beweis zu erbringen, das die Amerikaner niemals auf dem Mond gewesen sein, später die neue Mondlandung als gigantische Vertuschungsaktion. Sie versuchen die Öffentlichkeit mit einer Gegenveranstaltung zu überzeugen. Die Geschichte muss nicht unbedingt neu geschrieben werden und gerät schließlich auch ins Hintertreffen, aber mit bizarren Charakteren und einer sehr fokussierten Erzählstruktur unterhält "Moon Village" vor allem im direkten Vergleich zu anderen Texten, deren Balance zwischen nicht immer natürlichem Humor und Plot unausgewogen erscheint. 

In Marcel Michaelsen "Alles Schrott" zeigt sich die Bunderwehr verteidigungsbereit. Sie schießen ein fremdes Raumschiff ab, das auf einem Schrottplatz strandet. Während die versprengten wie leicht durchgeknallten Einheiten der Bundeswehr zum finalen Schlag ausholen, begegnet der natürlich schleimige Fremde einigen Jugendlichen. Wie bei einigen anderen Storys dieser Anthologie entwickelt sich der zugrundeliegende Plot relativ flott, bringt aber bis auf einige überdrehte Dialoge keine neuen Ideen an den Mann.  

 Regine Bott hat bei "Deus Ex Machina" ebenfalls eine gute Idee. In den neuen Luxusappartements gibt es eine Maschine sogar pro Wohnung, wo die neuen Bewohner beichten können. Das dient aber nicht nur dem Heil der Mieter, sondern könnte in einer paranoiden Wendung auch die Hausgemeinschaft reinhalten. Das abschließende "Opfer" der Freundin wirkt allerdings eher absurd und ist wenig konsequent vorbereitet. Der Bezug auf die "Strafe" ist zu wenig nachhaltig eingearbeitet. In Saschen Haushaltsführung kann Tobias Bachmann mit "Tante Ellis Staubsauger" sogar noch einen draufsetzen. In der Anthologiesammlung "Inspiration" aus dem gleichen Verlag könnte sich sogar eine entsprechende Illustration finden. Über weite Strecken ist der Text überzeugend, gegen Ende schlägt Tobias Bachmann einen verblüffenden Bogen. Hier wird er ein wenig philosophisch, anstatt den Plot konsequent weiter zu entwickeln und dem Leser die neue unfreiwillige Umgebung näher zu bringen. Nach dem Übergang hätten die Ideen für eine weitere Geschichte positiv gesprochen ausgereicht.

Sven Haupts „Der Ausreißer“ nimmt ebenfalls einen derartig einfachen Faden auf. An Bord eines Raumschiffs „verschwindet“ der pubertierende allwissende Sohn und beginnt quasi eine unheilvolle Beziehung mit dem Computer. Der Vater versucht ihn zu retten. Die Pointe ist nicht unbedingt rückblickend neu, aber in dem Augenblick wird der Leser doch von der weitreichenden Entwicklung überrascht. 

 "Der Anarchronist seiner Zeiten" von Hubert Katzmarz ist ein Nachdruck aus der zum 60. Geburtstag von Jörg Weigand veröffentlichten Ehrenschrift. Ein eher am Hungertuch nagender Kleinverleger erhält ungewöhnlichen Besuch. Hubert Katzmarz versucht das Genre ein wenig zu parodieren, erreicht aber nicht die absurden Höhen, die David Gerrold in seinem Buch "Zeitmaschinen gehen anders" scheinbar mühelos erklommen hat. Auch wenn der Humor der Geschichte deutlich natürlich erscheint, enttäuscht das Ende mit der entsprechend dem Charakter der Anthologie Würdigung des Geburtstagskindes. Der Plot wirkt eher beendet als konsequent zu Ende gedacht.  

Alexia Tegens ""BC7V3.1 setzt auf den Tod" ist eine der verblüffenden Geschichten, welche den ganz besonderen Reiz der Anthologie ausmachen. Der Tod ist eine Nervensäge, verliebt in die falsche Krankheit. Er weint sich bei einer besonderen Toten aus. Ein ganzer Bilderbogen von bizarren Impressionen schlägt auf den Leser ein. Diese Schreckensgestalten werden derartig menschlich oder besser nervig menschelnd beschrieben, das der dunkle Hintergrund im Grunde ignoriert werden kann. Ein zufriedenstellendes Ende mit einer guten Personenführung macht die Geschichte zu einem bizarren Höhepunkt der Sammlung.  Nervige Beziehungen trifft auch auf "Kein Mauerblümchen" von Marco Wittemann zu. Beim Besuch einer Ausstellung mit fremden Pflanzen erlebt der Protagonist in mehrfacher Hinsicht eine böse Überraschung.  Die erste Wendung mit der Wandlung der Kollegen wirkt ein wenig bemüht, die Pointe ist auch nicht unbedingt überzeugend, aber dazwischen sind es die doppeldeutigen pointierten Dialoge, welche gut unterhalten.    

Andreas Fiebergs "Eine Million Affen" stellt das berühmte Experiment nach. Die Pointe ist schlagkräftig und anrührend zu gleich. Der Weg dahin bietet aber bis auf Kurzweil nicht viele neue Ansätze. Auch Michael J. Awes "Urlaubszeit" wird am Ende zu einer pointierten Farce. Bis dahin argumentiert der Autor im bekannten Terrain. Während der Vater nur auf dem Mond Urlaub machen will, zieht es die Gattin trotz hoher Ausgaben in die Ferne. Mit den bekannten Folgen einer katastrophalen Reise inklusiv einer Anspielung auf Robinson Crusoe. Ein wenig überdreht aber auch sehr nahe am Leben macht der Autor auf einer alltäglichen Situation eine sehr zugängliche Geschichte.  

Beziehungen zwischen Außerirdischen bzw. kulturelle Missverständnisse spielen nur in zwei Geschichten eine echte Rolle. Monika Niehaus „Keine Wassermänner auf Aquarios“ zeigt eine interessante Devolution der männlichen Bevölkerung, während Georg Jansens „Der Druckfehler“ eine besondere Art des Kennenlernens beschreibt. Beide Geschichten unterhalten kurzweilig und steuern strigent wie konsequent auf die plakativen, aber auch zufriedenstellenden Pointen zu. 

Dazwischen finden sich einige Miniaturen wie Kai Fockes "Philosophischer Diskurs unter Menschenfressern". Der Auftakt ist nicht unbedingt originell oder neuartig, aber unterhaltsam. Leider verliert der Autor im Schlussabschnitt den roten Faden und trifft die für eine derartige Miniatur notwendige nachhaltige Pointe nicht genau. Auch Christoph Frischers "Chaostheorie" ist einer der Texte, der eher wie eine literarische Umsetzung eines Bunuel Films daher kommt, bevor er sich abschließend auf einen tragisch mißverständlichen Handlungsfaden konzentriert. Nur wirken anfänglich die spraschlichen Bilder zu drastisch, ohne Not zu provokativ, bevor gegen Ende keine neue, aber zumindest eine zugänglichere Idee angeboten wird. Johann Seidl ist einer der wenigen Autoren, der sich mit der Idee des Autoren, des Schreibens auseinandersetzt. „Eine kurze Geschichte mit Zeit“ ist eine Anspielung auf Hawkins Theorien. Ein guter Auftakt, der allerdings abschließend sehr stark auseinanderfällt.    

„Das Alien tanzt Polka“ erreicht nicht die Qualität der ersten Anthologie. Vielen Texten fehlt vielleicht das anarchistische Grundelement und der Humor wirkt teilweise ein wenig aufgesetzt, nicht aus den Plots heraus entwickelt. Einige Ideen kommen dem Leser wenig verändert bekannt vor. Trotzdem sollte das Projekt weiterhin von den Lesern unterstützt werden, da es zu wenige Anthologien deutschsprachiger Autoren im Allgemeinen und Themenbände im Besonderen gibt.
 

AndroSF 95
p.machinery, Murnau, August 2018, 272 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 141 9 – EUR 12,90 (DE)
E-Book-ISBN: 978 3 7438 7957 7 – EUR 6,49 (DE)