Clarkesworld 150

Neil Clarke (Hrsg.)
Herausgeber Neil Clarke schaut in der Jubiläumsnummer zurück auf das letzte Jahr mit dem alljährlichen Pooling, blickt aber auch in die nähere Zukunft. In den nächsten neun Ausgaben soll jeweils eine extra übersetzte Kurzgeschichte aus Korea publiziert werden. Neben den chinesischen Geschichten ein weiterer Schritt zur Internationalisierung des Magazins. Im Gegenzug allerdings werden die Nachdrucke verschwinden, in den letzten Monaten die Stärke des Magazins.
 
Im sekundärliterarischen Teil finden sich zwei Interviews. Neil Clarke spricht ausführlich mit dem Musiker Jean Michel Jarre über dessen Karriere, während Chris Urie mit Sarah Pinsker über ihren ersten Kurzgeschichtenband spricht. Über die verschiedenen Formen des Ausdrucks in der inzwischen etablierten Kolumenecke wird genauso geschrieben wie über den neusten wissenschaftlichen Fortschritt.
 
Zwei Nachdrucke finden sich zum letzten Mal in dieser Ausgabe. Und wieder gehört mit Kij Johnsons "26 Monkeys, Also the Abyss" eine dieser wiederveröffentlichten Geschichten zu den Höhepunkten. Die Erzählerin dieser mystischen Geschichte erwirbt 26 Affen, die sich bei ihrem Theatertrick in eine Badewanne quetschen und verschwinden. Irgendwann tauchen sie wieder auf. Sie hat den Akt für einen Dollar gekauft, ein Preis, der "angemessen" ist. Auch der Verkäufer weiß, dass es Zeit ist, etwas Anderes zu machen. Die Erzählerin versucht hinter das Geheimnis der Affen zu kommen, aber sie behalten es anscheinend über den Tod hinaus für sich. Oder sie wissen es einfach nicht. Einfache, aber überzeugende Charaktere, ein Mysterium in der Mitte der Handlung und ein getragener, aber niemals kitschiger Erzählstil überzeugen unabhängig von der Tatsache, das der Leser am Ende der Geschichte genauso schlau ist wie zu Beginn die Erzählerin.
 
Catheryne M. Valentes "The Future is Blue" lebt vor allem von dreidimensionalen Figuren angefangen bei der vielschichtigen Erzählerin Tetley und einer Stadt, die mit dem Namen Garbagetown nur oberflächlich richtig tituliert worden ist. Gleich zu Beginn provoziert die Autorin die Leser förmlich mit einer rasanten Abfolge von Ideen und markanten Szenen. Anstatt sich zu orientieren wird man unmittelbar, aber auch distanziert in das Geschehen einbezogen. Erst nach und nach ordnet sich das Sichtfeld, wobei vor allem Tetley mit ihrem manchmal fast naiv erscheinenden Optimismus angesichts der Herausforderungen wie ein Fanal und weniger wie eine Person erscheint. Tetley läßt die Leser spüren, dass diese nur die Informationen erhalten oder die Teile der Stadt kennenlernen werden, die Tetley ihnen zeigen möchte. In der Zwischenzeit hat die Autorin eine weitere Geschichte verfasst, die ebenfalls in Garbagetown spielt, so dass in der vorliegenden sehr spannenden, sehr dunklen, aber niemals nihilistischen Kurzgeschichte buchstäblich noch die obligatorische Spitze des Eisberges freigelegt wird.
 
Die Qualität der Originalgeschichten ist sehr unterschiedlich. Rich Larson nutzt einen bekannten Titel bei "Death of an Air Salesman".  Die Umweltverschmutzung der sechziger und siebziger Jahre hat dafür gesorgt, dass die Menschen Atemmasken tragen müssen. Dazu ist die Luft, die atembare Luft nicht mehr frei verfügbar, sondern muss von den entsprechenden Verkäufern gekauft werden. Maya und Dima sind ein nettes Paar. Ihre Romanze ermöglicht es dem Leser, einen intimeren Einblick in diese dunkle Zukunft zu erhalten. Dabei etabliert der Autor über längere Zeit ihre Armut, während sie am Ende auf einen Urlaub gehen kann. Ein nicht geklärter Widerspruch. Auch wenn sich inzwischen Teile der Industrienationen für eine bessere Luftqualität einsetzen, könnte die Geschichte vor allem in China spielen. Aber Rich Larson bleibt an einigen entscheidenden Punkten zu oberflächlich, als das der Text als Ganzes überzeugen kann.
 
Emily C. Skaftun "The Thing with the Helmets" ist eine der Geschichten, die humorvoll satirisch sein sollen. Die Prämisse ist aber schwer zu akzeptieren. AUf der einen Seite gibt es anscheinend ausreichend viele Aliens, um auf der ganzen Erde für Aufruhr zu sorgen und die Erde zu erobern, auf der anderen Seite werden die wenigen Protagonisten abschließend fast ohne Probleme mit ihnen fertig. Die magischen Helme sind eine nette Idee, aber die Autorin macht auch hier zu wenig daraus. Die Fakten werden zu leicht akzeptiert, wobei der einzige positive Widerspruch ist, dass die Nutzung der Helme durch Menschen gesundheitsgefährdend ist, während sie gleichzeitig eine Art Sucht spüren.
 
ZU den besseren Texten gehört die Abenteuerrstory "Treasure Diving" von Kai Hudson. Die Protagonistin muss in den Tiefen der radioaktiv verseuchten Meere nach "hypera" tauchen, welches ihr Volk zu Überleben braucht.  Kai Hudson hat sich Mühe gegeben, nicht nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern versucht zu erklären, warum die Wesen trotz ihrer Kiemen auf Technik angewiesen sind, um derartig tief zu tauchen. Die Wesen agieren zwar wie Menschen und die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen erscheint  zu vertraut, aber die verschiedenen Wendungen und Querverweise auf den Hintergrund der Zivilisation entschädigen für diese exotische Schwäche.
 
Nin Harris versucht in "Dreams Strung like Pearls Between War and Peace" ebenfalls einen überzeugenden Hintergrund zu entwickeln. Raneka lebt als reiche Erbin auf ihrer Welt. Sie versucht nicht in Verbindung mit der von ihrem Großvater angezettelten, aber gescheiterten Revolution gebracht zu werden. Dabei kann sie die sozialen Umwälzungen nicht verhindern. Nin Harris zeigt auf, wie sich Ranekas Leben aus einer armen Familie kommend verändert hat. Diese Beschreibungen sind auch überzeugend. Sie hat aber als Protagonistin das Problem, dass Nin Harris kein Vertrauen in sie setzt. Sie ist meistens passiv, wird mitgerissen und kann nicht agieren. Da sie aber im Mittelpunkt der Geschichte steht, fehlt dem Text ein wichtiger Teil der inneren Balance, so dass die Aktion nicht immer mit den entsprechenden Reaktionen vor allem der wichtigen Identifikationsfigur der Leser übereinstimmt.
 
Zu den emotional besten Geschichten der "Clarkesworld" Märzausgabe gehört "When Home, No Need to Cry". Erin K. Wagner schreibt über eine Astronautin, die zwischen zwei Missionen an Krebs erkrankt. Sie wird sterben. Sie bietet ihre Vorgesetzten, eine letzte Mission fliegen zu dürfen, um zwischen den Sternen zu sterben. In dieser Zukunft ist das Arbeiten und anscheinend Leben im All vertrauter als der Aufenthalt auf der Erde. Auch wenn die Geschichte weder pathetisch noch kitschig ist, hat das Umfeld der Astronautin recht und ihr Verhalten ist angesichts der Krankheit verständlich egoistisch. Auf der anderen Seite hat sie ihren Vorgesetzten viel von ihrem Leben geschenkt, so dass ein Kompromiss wahrscheinlich das für beide Seiten am Besten erscheinende Ergebnis sein könnte. Bis dahin ist es aber ein sehr weiter weg. Erin K. Wagner hat allerdings eine Lösung parat, welche ihre guten Ansätze unterminiert, Teil eines für Kinder konzipierten amerikanischen Weltraumfilms gewesen ist und an keiner Stelle logisch bzw. durchführbar erscheint.
 
Die Idee der Faszination des Alls wird in die längste und leider auch schwächste Geschichte der "Clarkesworld" Ausgabe übernommen. "But still I smile" von D.A. Xiatolin leidet nicht nur wie einige andere Texte an der zu distanzierten Übersetzung, sondern Neil Clarke als Herausgeber und Lektor hat nicht den Mut, ganze unnatürlich erscheinende Teile der Geschichte umzuschreiben und flüssiger zu gestalten. Auch die Hintergrundinformationen werden auf eine teilweise zu stark belehrende Art und Weise präsentiert, so dass sich kein zufriedenstellender Spannungsbogen aufbaut. Die gerade eine Fehlgeburt erleidende Dengwen fängt ein anscheinend außerirdisches Signal vom Proxima Centauri auf. Ihre Crew und sie fliegen dort hin. Die Autorin macht an keiner Stelle wirklich klar, woher die Menschen wissen, dass eine unbemannte Sonde oder ein Radiosignale nicht ausreicht, um Kontakt herzustellen. Die Art und Weise, auf welche schließlich ein Kontakt zu stande kommt, erscheint in der vorliegenden Fassung auch fragwürdig. Der Leser hat das Gefühl, als wenn sich die Autorin nicht sonderlich um den Hintergrund des ganzen Kosmos kümmern wollte und einzelne Auflösungen dadurch spontan entwickelt hat.
 
Die wissenschaftlichen Absurditäten wären leichter zu ertragen, wenn die Protagonisten gut gezeichnet worden wären. Das ist aber leider nicht der Fall. Sie agieren schematisch. Selbst die Sexszenen erscheinen wie von einer Maschine geschrieben, so dass wirklich keiner Spannung aufkommt. Am Ende wird eine eher konstruierte Auflösung angeboten.
 
Bei dieser Art von Texten stellt sich unwillkürlich die Frage, ob Neil Clarke sein erfolgreiches Kind nicht zuletzt aufgrund der Kooperation mit verschiedenen Science Fiction übersetzenden Organisationen und Stiftungen auf einen Pfad führt, der in dieser Hinsicht Quantität gegen notwendige Qualität tauscht. Es sind in letzter Zeit eine Reihe von schwachen chinesischen Science Fiction Geschichten publiziert worden, so dass der Leser mit einem lachenden wie auch vorsichtig weinenden Auge auf die koreanischen Texte in den nächsten neun "Clarkesworld" Ausgaben schauen wird.
 
Die Jubiläumsausgabe von "Clarkesworld" kombiniert vielleicht zu wenige und dann auch noch nachgedruckte gute Geschichten mit einigen durchschnittlichen Texten, so dass im direkten Vergleich momentan weiterhin das ausschließlich Nachdrucke veröffentliche Schwestermagazin "Forever" die zufriedenstellendere Lektüre darstellt.     

E Book, 122 Seiten