Clarkesworld 151

Neil Clarke (Hrsg.)

Wie Herausgeber Neil Clarke in seinem Vorwort klarstellt, beginnt mit der April Ausgabe von „Clarkesworld“ ein weiterer Abschnitt der Internationalisierung, im Grunde des Status, den sich Neil Clarke vor vielen Jahren erhofft hat. Neun Geschichten aus Südkorea werden bis zum Jahresende erscheinen, dafür opfert Neil Clarke einen Nachdruck.

 Auch der sekundärliterarische Teil sieht ein wenig anders aus. Neben einer Exkurs in die Welt der Blutkörper finden sich zwei Interviews in dieser Ausgabe. Chris Urie spricht mit Jack Skillingstead, dessen neuster Roman sich mit dem Bürgerkrieg in Syrien auseinandersetzt. Das Interview mit der Fantasyautorin Anna Kashina verblasst angesichts der ausführlichen, pointierten und nachdenklich stimmenden Antworten Jack Skillingsteads.

 Sieben neue Texte finden sich in dieser Ausgabe, keine klassische Novellette oder Novelle. Neben postapokalyptischen Texten finden sich eine Reihe von Anspielungen auf den Cyberpunk.

 Dabei spielt die Zeit nach der Apokalypse eine wichtige Rolle. In „The Last Eagle“ von Natalia Theodoridou heuert Fabiano einen Führer an, um nach seiner Freundin Beatrice in den Bergen zu suchen. Diese ist auf der Jagd nach dem letzten Adler verschwunden. Der Hintergrund der Geschichte mit der Auseinandersetzung zwischen den Anarchisten und den Posthumanisten ist interessant. Aus einer subjektiven Perspektive wird die Geschichte aufgerollt. Die Haupthandlung ist dagegen frustrierender, da die Autorin sich nicht entscheiden kann, ihrem Text eine Art von Ende zu geben. Es ist nicht das erste Mal, das sie ausschließlich Stimmungen vertraut und zu wenig Plot unterbringt.

 Y.M. Pangs „Skycrapers in the Sand“ beinhaltet auch eine besondere Art der Suche in einer postapokalyptischen Welt. Die Protagonistin Xuming muss dabei die Wüste durchqueren, um zu den Ruinen Shanghais zu kommen und ein Päckchen im Oriental Pearl Tower ablegen.  Der Hintergrund ist vage. Über die Katastrophe erfährt der Leser so gut wie nichts. Immerhin sind die Städte innerhalb nur einer Generation unter anscheinend mehr als einhundert Metern Sand verschwunden. Auch wirkt die Mission absurd, niemand wird diesen Gegenstand ohne eine genaue Karte finden. Auf der anderen Seite gelingt es Pang, seiner Protagonistin ein überzeugendes, ein zutiefst menschliches Motiv zu geben. Sie verleiht ihrer Trauer um einen Menschen Ausdruck, der in ihrem Leben vor vielen Jahren eine Kerbe hinterlassen hat. Mit seinem Tod öffnet sich quasi ein Tor in ihr Innenleben. Auch die Stimmung ist gut getroffen und trotz der Kürze bei Ignoranz der unlogischen Prämisse stimmt die Geschichte sehr nachdenklich.

 Auf eine gänzlich andere Art und Weise lässt sich der Bogen zu der Cyberpunk Story „In Search of Your Memories“ schlagen. Sie stammt von Nian Yu. Der Erzähler versucht die Erinnerungen eines Menschen zu retten, dessen Upload schief gegangen ist. Dabei geht der Autor sehr gut in die Tiefe und zeigt eine innovative Variante. Wie bei einigen übersetzten Geschichten scheint in diesem Fall Andy Dudak ein sprachliches Gefühl zu fehlen. Es reicht nicht, die Texte sklavisch ins Englische zu übertragen, wichtig ist, dass der Text homogen erscheint.      

 Priya Chands „Social Darwinism“ zielt auch in Richtung Cyberpunk. Eine Prostituierte lässt ihren Körper verändern und erhält ein Angebot einer geheimnisvollen Organisation, die viel Geld angeblich nur für ein Interview bezahlen wollen. Für eine Protagonistin mit einem dominierenden Geltungsbedürfnis eine perfekte Möglichkeit, die eigenen Triebe Zufrieden zu stellen. Ihre Motive sind positiv, aber neben der zu dominanten, aber zu wenig erläuterten Technik kann die Autorin ihrer Geschichte auch einen überzeugenden Hintergrund geben. Zu opportunistisch setzt sie die Technik ein. Dabei agiert sie entweder sehr pragmatisch oder ambitioniert, ohne das diese beiden Gegensätze irgendwo harmonieren und zusammen genommen einen Sinn ergeben. Angesichts der Körpermodifikationen erscheint der Plotaufhänger nicht konsequent genug und die Autorin vergisst, ihren Plot auch wirklich zu beenden.

 Aus Korea stammt „The Flowering“ von Soyeon Jeong. Im Gegensatz zu den chinesischen Texten ist die Übersetzung ins Englische sehr gut gelungen, das Gefühl für den Sprachrhythmus ist vorhanden. In einem Korea der Zukunft müssen sich die Menschen ausweisen, bevor sie ins Internet dürfen. Alles kann kontrolliert werden. Eine Gruppe möchte diese Tyrannei der Regierung unterwandern. Auch wenn die Aktionen der Rebellen angesichts der technischen Möglichkeiten nicht überzeugen und die Autorin Magie statt Technik einsetzt, ist die Ausgangsprämisse interessant. Korea geht konsequent gegen die Anonymität im Netz vor, auch wenn das der ganzen Gesellschaft schadet. Auf der anderen Seite blickt die Autorin durch die Struktur aus einem stringenten Erzählstrang und dann einigen ironisch anonymen Kommentaren über den Tellerrand hinaus und will ein gesellschaftliches Problem aufzeigen.

Auch wenn das Ende eher gewollt als konzeptionell entwickelt worden ist, überzeugt die Geschichte durch die gute Ausgangsidee, den sicheren Stil und abschließend auch durch die solide gezeichneten Charaktere mehr als die Auswahl chinesischer Geschichten in den letzten Bänden zusammen.    

 Auch die längste Geschichte „Ripen“ von Yukimi Ogawa leidet unter einer mäßigen Übersetzung. Eine Frau aus den oberen Gesellschaftsschichten – markiert durch ihre brillante wie künstliche Hautfarbe – fragt zwei einfache und damit farblose Menschen, die Erscheinungen ihres Alterungsprozesses zu verbergen. Der Hintergrund ist ausgesprochen gut. Eine exotische, farbenprächtige und vor allem technisch sehr gut durchdachte Gesellschaft mit Technicolour auf Menschenhaut. Leider erzählt Yukimi Ogawa ihre Geschichte zu umständlich, zu distanziert und die Dialoge wirken derartig künstlich, das der Leser immer wieder aus dem Plot förmlich herausgerissen wird.

 Es gibt nur einen Nachdruck in dieser „Clarkesworld“ Ausgabe.  Nich Wolvens „Confessions of a Con Girl“ aus dem Jahr 2007 ist ein sehr guter Nachdruck.  Die unzuverlässige Erzählerin Sophie berichtet den Lesern, wie sie am College so viele negative Stimmen gesammelt hat, bis sie aus dem College verbannt werden musste. Leider ist sie zu der einzige nachhaltig zugängliche Charakter in einer Welt, die zunehmend auf Internetvoting und Manipulation der potentiell Stimmberechtigten basiert. Die einzelnen Wendungen sind interessant,  wobei Nick Wolvan an einigen Stellen auch auf Konstruktionen denn Konzeptionen zurückgreifen muss. Die Collegewelt in ihrer Abgeschiedenheit soll eine Art soziales Probemodell sein, wobei die Interaktion zwischen realer Welt und den Jugendlichen eher bemüht erscheint.  Sie zu einer tragischen Heldin zu machen ist gewagt. Der Leser kann ihre charakterlichen Schwächen genauso wie ihre Umgebung erkennen, während sie diese eher zur Seite schiebt und beginnt, ihr Publikum ebenfalls zu manipulieren. Trotzdem liest sich der Text flott und immer noch sehr unterhaltsamen.

 Mit den beiden Themenblöcken Cyberpunk und postapokalyptische Gesellschaften überzeugt die April Clarkesworld Ausgabe über weite Strecken. Die Qualität der Nachdrucke im „Forever“ Magazin ist weiterhin deutlich höher, wobei insbesondere der Abstecher nach Südkorea viel Potential verspricht, das inzwischen auf der chinesischen Seite am Abflauen ist. Der große Schwachpunkt sind leider weiterhin die angloamerikanischen Geschichten. An dieser Flanke laufen einige semiprofessionelle Magazine „Clarkesworld“ mehr und mehr den Rang ab.