Das geschenkte Leben

Robert A. Heinlein

Robert A. Heinleins „Das geschenkte Leben“ steht zwischen dem mit einem HUGO prämierten „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ und dem umstrittenen „Die Leben des Lazarus Long“. Im Original heißt der Roman „I will fear no Evil“ und diese biblische Andeutung ist wahrscheinlich einer der Schlüssel, einen nicht fehlerfreien, aber auch nicht wie von der Kritik verdammten Heinleinroman richtig zu interpretieren. Ob man den Text danach mehr mag, muss jeder für sich entscheiden, aber ihn als gänzlich unleserlich zu diffamieren schießt auch über das Ziel hinaus.

Robert A. Heinlein ist während der Entstehungsphase ernstlich erkrankt und konnte die abschließende Korrektur nicht mit der bekannten Gründlichkeit vornehmen. Natürlich lässt sich argumentieren, dass ein Autor ein Buch nicht veröffentlichen sollte, wenn er mit dem abschließenden Werk nicht zufrieden ist. Heinlein selbst hat niemals seine Krankheit in Interviews oder Briefen vorangestellt.

 Inhaltlich passt der Roman perfekt zwischen die beiden angesprochenen Werke. In „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ zeigt Robert A. Heinlein auf, wie die Mondbewohner sich von der Erde schließlich befreien. Die Erde ist ein immer unwirtlicher, nicht mehr lebensfähiger Planet geworden. Der wirtschaftliche Verfall mit wenigen Kapitalisten als Überlebende, der Aufbau einer sozialistisch aufgebauten Mondkolonie und schließlich die politische Unruhe wird auch in „Das geschenkte Leben“ gestreift. Im Grunde könnte „Das geschenkte Leben“ unmittelbar vor „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ spielen. Über die Mondkolonie erfährt der Leser nur sehr wenig. Der Angestellte, welcher die möglichen Kandidaten prüft – neunzehn von zwanzig Anträgen werden abgelehnt – spielt sich wie ein kleiner Gottkaiser auf. Er wird schließlich vom Geld eingeschüchtert, auch wenn Heinleins Transgenderprotagonist ihn mittels eines oder mehrere Küsse wieder aufbaut.

Auf der Erde verfolgt der Leser das im Grunde in Klassen aufgeteilte Leben. Die USA haben ganze Zonen, Teile von Städten aufgegeben, in denen Verbrecher herrschen und keine Polizei für Ordnung sorgt. Das Betreten dieser Zonen ist lebensgefährlich, wie Eunice feststellen muss. Die Reichen leben in ihren Bezirken, die streng bewacht sind. Das Kapitel ist der einzige gangbare Weg und auch wenn Jonathan Sebastian Smith sehr viel Geld auch aus Eigennutz in Stiftungen steckt, beschreibt Heinlein einen klassischen Kapitalismus ohne die Beimischung sozialistischer Hilfsmittel. Grundlegend bleibt Heinlein aber auch hier im Vergleich zu seinen früheren für Erwachsene geschriebenen Romanen oberflächlich und eher pragmatisch.

Die abschließende Idee einer Art selbst befruchtenden Fortpflanzung wird in „Die Leben des Lazarus Long“ seinen Höhepunkt finden. In diesem Roman reist Lazarus Long unfreiwillig in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück und wird sein eigener Urahne. Auch in „Das geschenkte Leben“ will sich Johann Sebastian Smith jetzt im Körper einer jungen Frau mit den eigenen Samenzellen fortpflanzen und einen Erben zeugen, der seinem Anspruch genügt.

 In einem Brief an ein Fanzine hat Robert A. Heinlein davon gesprochen, dass große Teiles des Romans keine klassische Erzählung sind, sondern die Wunschphantasien eines Sterbenden, dessen Ziel, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, schließlich auf dem Operationstisch gescheitert sind. Aus heutiger Sicht würde vielen Lesern vor allem die Fernsehserie „Lost“ einfallen, die statt einer Operation einen Flugzeugabsturz als Katalysator nimmt. Robert A. Heinlein hat als große Schwäche diese mögliche Interpretation – wenn überhaupt – sehr oberflächlich eingebaut. Ein erläuterndes Nachwort bzw. Vorwort würde die Lektüre unter diesem Gesichtspunkt vereinfachen, die entsprechenden erotischen Phantasien und Wunschvorstellungen erklären und das Ende besser mit dem entsprechenden Titel kombinieren. Denn „I will fear no Evil“ könnte auch als Ode an das Leben, an die Angst vor dem Tod, vor dem Ende verstanden werden.

 In dieser Hinsicht mag die Vorgehensweise eines körperlich kranken Heinleins auch Sinn, der sich literarisch ein Denkmal, einen gewissen Ruhm und eine „Unsterblichkeit“ gesichert hat, dessen Geist, dessen Streben und vor allem auch dessen Ansichten aber mit seinem „Tod“ erloschen würden. Sie wären zwar unveränderbar – auch hier hat allerdings seine Witwe teilweise eingegriffen und manipuliert – auf Papier nachlesbar, Heinlein wäre aber nicht mehr in der Lage, sie dem Zeitgeist anzupassen. In so weit verbindet Johann Sebastian Smith und Robert A. Heinlein sehr viel. In manche seiner Protagonisten sind vor allem seine sozialen wie politischen Ansicht eingeflossen und die standhaften Patrioten, aber niemals Faschisten haben nicht selten Heinleins Ansichten kundgetan, aber hier „träumt“ Smith Heinleins mannigfaltigen Weg zu einer anderen Art der Unsterblichkeit. Es ist reiner Zynismus, dass in Betrachtung von Heinleins Grundgedanke diese Flucht nur nach innen geschieht und vor allem sinnlos ist. „Das geschenkte Leben“ – der deutsche Titel impliziert auch diese Möglichkeit – ist eine Farce, die sich über mehrere hundert Seiten erstreckt, aber wahrscheinlich eben wie bei „Lost“ nur real in Sekunden abläuft, bis die von den Ärzten befürchtete Abstoßung des fremden Gewebes den Tod verursacht.  

     Ohne Hintergrundinformationen zu Autor und seinem Gesamtwerk könnte „Das geschenkte Leben“ als die sexuelle Phantasie eines Dirty Old Man angesehen werden. Immerhin wird Smiths Gehirn in den attraktiven Körper seiner Angestellten Eunice verpflanzt, die in den angesprochenen rechtslosen Zonen überfallen und durch eine Kopfverletzung „getötet“ worden ist. Heinlein hat zwar immer sexuelle Ideen in seinem Spätwerk angesprochen, erotisch hat er sie nie beschrieben. Die Verführungsszenen erinnerten an die Vorstellungen eines pubertierenden Jungen. So wird Smith von verheirateten Frauen entjungfert. Partnertausch und Swingertreffen werden expliziert genannt, aber niemals ausführlich beschrieben. Wenn es sich nur bei „Das geschenkte Leben“ um die sexuellen Altphantasien Heinleins handelt, dann stellen sich mehrere Fragen. Die eigene Befruchtung ist schon angesprochen worden. Aber kann Heinlein wirklich wie Thomas Mann zum Beispiel ein verkappter Homosexueller gewesen sein?

 Eunice hat kurz vor ihrem Tod eine Affäre mit dem deutlich älteren Anwalt Smiths Jake angefangen. Smith will sie im Körper von Eunice fortsetzen. Eunice/ Smith heiratet sogar Jake. Natürlich ist es keine direkte homosexuelle Verbindung zwischen Smith und Jake, da ja Eunice Bewusstsein/ ihr Gedächtnis im Körper trotz des entnommenen Gehirns unerklärlicherweise fortbesteht. Smith und Eunice kommunizieren mittels in Klammern wiedergegebener Dialoge, wobei sie ihn Boss nennt. Aber Heinsleins Alter Ego in diesem Buch scheut sich auch nicht vor den entsprechenden Erfahrungen. Dazwischen wird eine attraktive Krankenschwester verführt, was für die nicht prüde und lange Zeit mit einem Künstler zusammenlebende Eunice nicht die erste lesbische Erfahrung ist. Alle Szenen werden eingebettet in Dialoge, die in ihrer Kitschigkeit eher Platz in einer Soap Opera oder einem Softporno haben als in einem ernstzunehmenden Science Fiction Roman. Sie nehmen einen zu großen Raum ein und hätten mittels sorgfältiger Korrekturlesung deutlich gekürzt werden sollen.

 Vor allem überdecken sie ein wichtiges anderes Thema. Was macht einen Menschen wirklich aus? Smith muss sich vor Gericht hinsichtlich seiner neuen Identität rechtfertigen. Heinlein beschreibt die Argumente der um ihr Erbe gebrachten Nichten ausführlich, während Smiths Anwalt Jake ausgesprochen pragmatisch kontert. Die Szenen sind aber sehr gut geschrieben worden und Erinnerungen an ähnlich belehrende Passagen in Heinleins früheren Romanen. Insbesondere „Farmhams Oase“ sticht in dieser Hinsicht positiv hervor.

 Hinsichtlich „klassischer“ Science Fiction Themen behandelt Heinlein eine Pulpidee. Wie Frankenstein will er Leben nicht unbedingt erschaffen, er will es über den natürlich Tod des Körpers hinaus erhalten. Es ist eine Ironie, dass ein junger Geist in einem alten Körper wohnt, während bei Jake der Geist/ das Gehirn in Ehren gealtert ist, während sein Körper durch sportliches Training ausgesprochen jung und agil wirkt. Die Nymphe Eunice ist eine klassische Kindfrau. Ein wenig naiv, körperlich ausgesprochen attraktiv wird sie von Smith erst in eine Vorstandsposition fast gegen ihren Willen und intellektuell überfordert gepresst, später dient sie als Resonanzbord für den im Grunde stetig einsamen Smith. Gemeinsam werden sie schwanger, wobei auch hier die Initiative vom egoistisch agierenden Smith ausgeht. Die geschenkten Jahre reichen ihm nicht, er will im Grunde mit seinem hoffentlich Sohn unsterblich werden.

 Zumindest extrapoliert sie Heinlein bis zum angesprochenen bitteren Ende. Ohne Kenntnisse seines Briefes an den Fanzine Herausgeber und den Hinweis auf Ambrose Bierce könnte man davon ausgehen, dass das Leben immer einen Weg findet. Smith Existenz endet in dem Augenblick, in dem sein Kind geboren wird. Ein fast pathetisches Happy End für das Leben eines einsamen, hartherzigen und vom Kapital getriebenen Mannes, den der Leser über vierhundert Seiten im Grunde nur als Ansammlung von Floskeln kennen lernt.

 Alle Figuren wirken unterentwickelt und agieren eher bemüht. Die Dialoge sind vielleicht auch absichtlich kitschig überzeichnet; die Situationen wie aus einer Soap Opera oder einem perfiden Traum, in dem sich ein Sterbender gegen alle Logik seine Zukunft vorstellt. Da Heinlein keine weitere Interpretationsmöglichkeiten angeboten hat, muss sich der Leser ein eigenes Bild machen, aus welcher durchaus konträrer Perspektive er die Geschichte betrachten möchte.

 Wer Heinleins Werk in chronologischer Reihenfolge und vor allem im Unkenntnis seines positiv gesprochen mehr als umstrittenen Spätwerkes betrachtet, wird nur an einzelnen Stellen erkennen, dass „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ – trotz einiger nicht vollendeter roter Fäden – und „Das geschenkte Leben“ aus der Feder des gleichen Autoren stammen. Es ist ein schwieriges, ein nicht unbedingt positiv gesehen sehr sperriges Buch, das überambitioniert und teilweise unterentwickelt erscheint. Viele politisch Ansichten Heinleins genauso wie seine vielleicht feuchten, aber nicht expliziert extrapolierten feuchten Phantasien spiegeln sich in dem Roman wieder. Aber der Leser sollte es als gesellschaftliche Provokation hinsichtlich der eingefahrenen Geschlechterrollen sehen und trotz zahlreicher Längen sich auf die vorhandenen guten Szenen konzentrieren. „Das geschenkte Leben“ erfordert Geduld und Langmut von seinen Lesern, dazwischen steckt aber in rein technischer Hinsicht auch ein Schlüsselwerk zwischen dem klassischen Heinlein und dem eher zur Ironie neigenden Heinlein seiner letzten Schaffensperiode. 

Das geschenkte Leben: Roman

  • Taschenbuch: 576 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (11. Juni 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317408
  • ISBN-13: 978-3453317406
  • Originaltitel: I will fear no evil