Biomechanomicon

Detlef Klewer (Hrsg.)

Detlef Klewer hat beginnend mit der eindrucksvollen Titelillustration eine interessante Themenanthologie zusammengestellt, deren Titel „Biomechanomicon“ und Untertitel „Locevraft in Space“ den Weg weisen. Auch wenn von einer Horror- SF Anthologie gesprochen wird, reihen sich viele Texte eher mit Lovecraftschen Verweisen in den „Alien“ oder besser John W. Campbell mit „Who goes there?“ oder van Vogts „Expedition der Space Beagle“ Reihen ein. Detlef Klewer hat jeder der insgesamt sechzehn Geschichte eine eigene Einleitungsillustration geschenkt, welche den Leser stimmungstechnisch auf die bevorstehenden Abgründe vorbereitet.

 Tobias Habenich eröffnet mit „Die Sprache der Alten“ die Sammlung. Auf einem fremden Planeten sucht ein zum Cyborg umgewandelter Forscher zusammen mit seinem Assistenten nach dem Schlüssel, mit dem die Hinterlassenschaften der Alten sprachlich untersucht werden können. Es ist ein stimmungsvoller biomechanischer Alptraum, der vor allem auf Stimmungen denn eine klassische Spannungskurve vertraut. Das Ende ist in dieser Hinsicht konsequent und im direkten Vergleich zu einigen anderen Geschichten auch abgeschlossen.

 Es handelt sich bei der Auftaktgeschichte „Die Sprache der Alten“ nicht um die einzige Geschichte einer Expedition nach draußen. In der plottechnisch eher biederen Story „Der alte Feind“ von Hans Jürgen Hetterling kämpfen die Menschen mit Insektoiden Außerirdischen. Ein Kampfschiff explodiert über einem abgelegenen kleinen Asteroiden, auf dem ihre Feinde auch schon nach der ultimativen Waffe gesucht haben. Neben der Anspielung auf Walter Ernstings Pseudonym – im Kontext der Geschichte eher unglücklich – überzeugt die Geschichte auch nicht durch den vorhersehbaren Plot und die ein wenig überzogenen erscheinenden Actionszenen. Anstatt wie viele andere Texte auf Atmosphäre zu setzen verliert sich Hetterling anfänglich im Kampgetümmel inklusiv einer Reihe von Machosprüche.

 Deutlich subtiler geht Regine D. Ritter bei „Auf Kynarth“ vor. Der einzige Überlebende einer Expedition wird aufgesucht. Er weigert sich, über seine Erlebnisse zu sprechen. Allerdings sprudelt es in dem Augenblick aus ihm heraus, als er erfährt, dass weitere Menschen auf den abgeschiedenen Planeten geschickt werden sollen. Der Rahmen der persönlichen Erzählung in Kombination mit den dunklen Andeutungen unterhält trotz des ein wenig überdrehten Endes ausgesprochen gut.

Bei Ronja Gerdes ist „Der Seelenstein“ als zufälliger Fund der Mitauslöser von schrecklichen Bedrohungen. In dieser Geschichte stecken beginnend mit der Protagonistin und ihrem Hintergrund eine Reihe von kleinen Ideen, die weniger von der stringenten Handlung getragen werden als das sie herausstechen und eine umfangreichere Präsentation verdient hätten.

 Magnus Andersen „Auferstehung“ folgt den Spuren einer verschollenen Expedition. Militärisch organisiert versuchen sie der Fearweather Organisation zu folgen. Wie bei einigen anderen Storys dieser Anthologie ist der Auftakt ausgesprochen gut. Der Hintergrund ist bizarr und faszinierend zu gleich. Der Weg ist voller ungewöhnlicher Gefahren. Das Ende ist Lovecraft geschuldet eher konsequent, auch wenn die Anspielungen auf das Werk des Amerikaners gut gesetzt worden sind.  Es ist schwer, aus dem Werk Lovecrafts nicht nur neue Ideen zu generieren, sondern auch neue Wege zu finden.    

 Zu den besten Texten gehört Christopher Frischers „Der augenlose Kapitän“. Howard P. wird geklont und soll an einer Expedition teilnehmen, auf welcher eine seltene und seltsame Farbe im All untersucht wird. Neben den Anspielungen auf Lovecraft und die Idee, dass dieser an Bord des Raumschiffs wieder zum Stift und Papier greift überzeugt der in sich verschachtelte Plot mit einer Reihe von intelligent gesetzten Anspielungen auf den Kontext „Lovecraft in Space“.

 Auch in „Anachron“ von Victoria Sack geht es um eine Expedition in die Tiefen des Alls. Ein verschollenes Raumschiff ist plötzlich wieder aufgetaucht. Die Protagonistin macht sich gegen eine gute Bezahlung mit einer Handvoll Freiwilliger auf den Weg. Während Frischer die Entdeckungen nachhaltiger und effektiver beschrieben hat, konzentriert sich Victoria Sack auf eine Art Möbiusschleife, bestehend aus einer Selbstmordsequenz. Der Text lässt mehr Interpretationsspielraum, wirkt aber als Ganzes auch konzeptuell zu durchgeplant.    

 In diesen Reigen passt auch „Die Ehre des Piraten oder Was geschah mit Charlie Thompson?“ von Gard Spirlin. Wieder geht es um Funde in den Tiefen des Alls, aber der Bezug zu Lovecraft findet sich in Form eines Sexroboters, der gerne die Original liest. Auch wenn der Handlungsablauf der Bedrohung durch überdimensionale Monstren den inzwischen etablierten Schemata dieser Anthologie zu sklavisch folgt, ist zumindest die erste Hälfte des Buches interessant.

 Lisa-Katharina Hensels „Cthugha“ beschreibt die Bedrohungen aus dem Lovecraft Universum hinter einer Art Firewall, die von Unwissenden durchbrochen worden ist. Die Visionen sind kraftvoll und im Gegensatz zu den klassischen Monstren im Raum hat die Autorin mehr Möglichkeiten, auf die alten Vorbilder zurückzugreifen und sie entsprechend zu extrapolieren.

 Ein großes logisches Problem durchzieht die Sammlung. Es erscheint schon unwahrscheinlich, dass gigantische Monstren durch das All streifen und in der Lage sind, ganze Raumschiffe zu fressen oder Bordwände auszureißen. Das gilt sowohl für Henrik Sturmbluths „Die azurblaue Königin“ wie auch „Die Hundefänger“ von Alexa Pukall. Da hilft es auch nicht, dass die Autoren grandiose Antagonisten erschaffen, es wirkt einfach unrealistisch. Hinzu kommt aber noch ein anderer Faktor. Lovecraft hat nicht nur großartige Monstren erschaffen, er galt auch als Meister des Subtilen, der es nicht selten bei Andeutungen belassen hat und nicht immer in die Feinheiten gehen musste. Alleine die Implikationen reichten aus, um seine „Helden“ in den Wahnsinn zu treiben. Bei den beiden Texten gehen die Autoren aufs Ganze und scheitern eher. So wirkt der Beginn von Sturmbluths Geschichte inklusiv des Seelenfanges interessant, um dann im Grunde grob zu enden. Zu viele Fragen bleiben offen. Bei „Die Hundefänger“ beginnt der Text fast bizarr mit der gigantischen Kreatur, welche ganze Raumschiffe bedrohen kann. Wendet sich im mittleren Abschnitt einer „Who Goes there“ Komponente zu, um schließlich wie Melvilles Moby Dick aufzuzeigen, dass das Universum ganz andere Wesen erschaffen hat, bei deren direkten Vergleich der Mensch das kleinste Licht ist.

 Vieles wirkt nicht nur an diesen Texten in Hinblick auf die Vorlage und das Thema übertrieben. Hinzu kommt, dass sich einzelne grundlegende Ideen wiederholen. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Storys und den Perspektiven der Autoren, aber zu viele Versatzstücke sind zu ähnlich und der Fokus liegt bei zu vielen Texten auf Lovecrafts Monstren, aber weniger auf seinen seltsam faszinierenden, aber auch bizarren Fähigkeiten als Meister des unterschwelligen, Alpträume verursachenden Horrors. 

 Detlef Klewers „Ein Stern erwacht“ ist eine kleine Mogelpackung. Im Grunde erwacht ja kein Stern, sondern entsprechende Wesen versuchen ihren Einfluss weiter auszubauen. In ihren Bannstrahl gerät eine von der Erde ausgeschickte Expedition. Die Folgen werden klar und prägnant beschrieben, wobei erst der Epilog impliziert, dass die Fronten Spiegel verkehrt erscheinen. Die Kurzgeschichte ist sehr gut geschrieben, wie Detlef Klewers Innenillustrationen konzentriert sich der Autor Klewer auf Schlaglichter.

 „Der Mann mit dem Koffer“ von Nina Horvath ist eine interessante Geschichte. Die Bezüge zu Lovecraft werden erst gegen Ende deutlich. Bis dahin weiß der Leser nicht, ob es sich um den Alptraum einer Crew über einem fremden Planeten handelt, eine Art „Spiel“ oder Traumexzesse während des künstlichen Tiefschlafs. Die Charaktere sind gut, ein wenig exzentrisch gezeichnet, aber generell interessant, um die nicht ganz sauberen Trennungen zwischen den Ebenen zu überwinden. 

 „Die Tiefe hinter den Sternen“ von David Grade ist auch eine dieser Geschichten, die im Grunde den vorgegebenen Rahmen positiv sprengen. Der Leser möchte mehr über diese bizarre wie bitterböse Zukunft wissen. Die Pilotin heuert Bergleute für die Arbeit in den Tiefen des Alls an. Nur ist eine besondere Gilde nicht nur auf sie, sondern vor allem ihren Arbeitgeber aufmerksam geworden. Während das Ende wieder in den klassischen, aber in der vorliegenden Konzentration der Anthologie auch ein wenig klischeehaften Bereich des Monsters gegen das Universum fällt, ist der Weg dahin mit der Cyberpunkzukunft und vor allem dem Geheimnis der großen Firma ausgesprochen lesenswert und zynisch gesprochen originell.  Ob sie überhaupt logistisch umsetzbar ist und das Verhalten/ Schicksal der Bergarbeiter nicht anderen Gruppen aufgefallen wäre, steht auf einem anderen Blatt.

 Florian Krenns „Das Tor zu den Sternen“ hätte auch die erste Geschichte sein können. Ein verhängnisvolles Experiment, mit dem das Raum- Zeit Kontinuum durchbrochen werden soll führt natürlich zum Erscheinen der Monstren. Nichts an dieser Geschichte ist grundsätzlich originell oder spannend, aber mit seinem intensiven Stil und vor allem der ausgezeichneten Charakterisierung gelingt es Florian Krenn trotzdem, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Vor allem ist er einer der wenigen Autoren, der nach den Wurzeln der Fremden sucht, während die meisten anderen Teilnehmer die Protagonisten und Leser mit den entsprechenden Phänomenen einfach konfrontieren.

 Experimentell ist Anna Noahs „Schöpfungsfehler – die Korrektur“ mit einer passenden Pointe. Zumindest etwas sollte von der Menschheit übrig bleiben, was bei den anderen Geschichten nicht der Fall ist. Der expressive Stil solcher Storys entschädigt für einige nicht schlecht geschriebene, aber inhaltlich auch bekannte Geschichten dieser Anthologie.

 Positiv ist, dass zusammen mit Detlef Klewers sehr guten Innenillustrationen „Biomechanomicon“ einer der wenigen in Deutschland noch zusammengestellten Themenanthologien sind und stilistisch die Qualität der Beiträge ausgesprochen hoch ist. Kontraproduktiv wirkt – als Manko einer solchen Themenausgabe – die Häufung bestimmter Handlungsmuster. Daher empfiehlt es sich, zwischen den einzelnen Beiträgen mehr Zeit zu lassen und einige der Ideen ein wenig Patina ansetzen zu lassen. Angesichts der Möglichkeiten des Themas hätten sich aber einige der Autoren auch ein wenig mehr ideentechnisch gehen lassen können, um experimenteller, expressiver und vielleicht auch provokativer zu agieren. H.P. Lovecrafts Werk scheint so auf wenige markante Punkte reduziert zu werden, was dem Amerikaner gegenüber auch unfair ist.

Lovecraft in Space – Eine Horror-SF-Anthologie
AndroSF 101
p.machinery, Winnert, Juni 2019, 302 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 162 4 – EUR 17,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 908 8 – EUR 8,99 (DE)