Tales of Science

Marianne Labisch (Hrsg.)

Anlässlich des 15. Geburtstags microTEC Südwest e.V. haben sich Marianna Labisch und Christine Neuy etwas Interessantes einfallen lassen. Eine illustrierte Anthologie von Kurzgeschichten, geschrieben von Wissenschaftlern und Forschern, die bislang überwiegend sekundärliterarisch in Fachmagazinen publiziert haben. Fast jeder dieser elf Geschichten ist eine einleitende Illustration entweder von Nina Allard oder Julianne Henning vorangestellt worden.

 Auch wenn die Wissenschaftler mit einem Schwerpunkt der Mikrosystemtechnik sehr nahe an der Zukunft, an heraufdämmernden Erfindungen „dran“ sind, ist es erstaunlich, dass sie sich fast mehr mit den humanistischen Folgen und ungeplanten „Entwicklungen“ beschäftigen als der blanken Technik.

 Auffallend sind in dieser Hinsicht die beiden ersten Geschichten der Anthologie. „kleines Cleverle“ von Moustafa Nawito und Cathrina Flums „In der Mikrowelt“. Aus der Sicht von Nanobots wird ihr Alltag beschrieben, wobei die kleinen Helfer der Menschen ein eigenes Bewusstsein, in Flums Geschichte sogar ein fast menschliches Freizeitverhalten entwickeln. Die eigenen Persönlichkeiten werden unterstrichen durch ihre kleinen Gottkomplexe, in denen sie sich dem Menschen als Schöpfer überlegen fühlen, wobei Moustafa Nawito seinen ein wenig egozentrischen Protagonisten auf den harten Boden der Realität zurückholt, während Cathrina Flum bis zum Freizeitpark einen ironischen Grundton durchhält. Erst der letzte Abschnitt der Geschichte mit den menschlichen Protagonisten wirkt ein wenig zu bemüht, um die bis dahin hervorragende Idee wieder unnötig zu Erden.

 Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine steht im Mittelpunkt einiger andere Geschichten. Thomas Burghardts „Laothoe“ beschreibt das Verhältnis zwischen einem auf Hilfe angewiesenen Menschen und seiner Humanoiden. Der Erzähler beobachtet ihr immer menschlicher werdendes Verhalten und gleicht es gleichzeitig ein wenig mit seinem bisherigen Lebenslauf ab. Allerdings bleibt der Autor dem Erzähler eine Auflösung schuldig, das Ende wirkt ein wenig überhastet und eher philosophisch als zufrieden stellend. 

 Christine Rufferts „Schöne neue Welt?“ beschreibt den Arbeitsalltag in einem modernen Altersheim. Wo es sich befindet, ist eine der Pointen der Geschichte. Die Autorin lässt ihre Protagonistin immer weiter abschweifen, fügt einzelne Aspekte der Zukunft nebenbei in die handlungstechnisch eher starre Geschichte ein. Auch die Ausreißerin dient eher als weitere Vermittlung von Informationen. Positiv ist der angenehme, unaufgeregte Stil, in welchem die Story erzählt worden ist.

 Fritz Schlichers „Ergo Sum“ und Nicolai Simons „Auto- Doc“ zeigen die Schwierigkeiten, Androiden im Grunde den menschlichen Stärken anzupassen, ohne die humanistischen Schwachpunkte ignorieren zu können. Simons „Auto- Doc“ ist hinsichtlich des Plots die mehr Zufriedenstellende Geschichte, denn der Mensch muss erkennen, dass er nicht der Herrscher, sondern nur noch der Lehrer ist. Fritz Schlicher versucht in seiner deutlich humorvolleren Story aufzuzeigen, dass es im Grunde keine perfekten Androiden gibt, welche die simple Arbeit des aktiven Verkaufens übernehmen können. Interessant ist dabei weniger das Lernkonzept, mit welchem der Protagonist vorgeht, sondern die für den Leser viel schneller zu erahnenden Auswirkungen. Was zu Beginn zu ernst genommen wird und von den Androiden nicht entsprechend umgesetzt werden kann, entwickelt sich natürlich aufgrund der Vorlagen zu einer neuartigen Form der mechanischen Anarchie. Aber diesen Punkt hätte der Protagonist erkennen können, vielleicht sogar erkennen müssen. Zusätzlich hätte auch gegengesteuert werden können. Wie einige anderen der längeren Geschichten dieser Sammlung hat der Leser das zusätzlich unbestimmte Gefühl, als wenn den Autoren abschließend eine Platzbeschränkung  auferlegt worden ist, denn Fritz Schlicher versucht im Epilog möglichst viele der noch hängenden roten Fäden abzuschließen. Positiv ist, dass der Autor vor allem die Werbebranche, die Jagd nach dem schnellen Geld der Kunden ohne in Extreme zu verfallen persifliert und damit für einige humorvolle Szenen in dieser Sammlung sorgt. 

 In „Der Kurzschluss“ von Estera Grelle und „Der Fitnesssensor“ aus der Feder Patrick F. Schneider geht es um Erfindungen, welche grundsätzlich erst einmal das Leben der Menschen verbessern sollen. Bei beiden Geschichten zeichnet sich die Pointe sehr schnell ab. Patrick F. Schneiders Text ist zusätzlich noch sehr kurz, die Protagonisten werden eher rudimentär skizziert und die Grundidee zu wenig nachhaltig vorbereitet. Auch bei Estera Grelles Idee einer Möglichkeit, das eigene Gehör der Umgebung anzupassen springt der Funke nur bedingt über. Es gibt keine nachhaltige Erklärung für die plötzlich auftretende besondere Fähigkeit der Geräte, welche in keinem Zusammenhang mit der originären Aufgabe steht. Hier wird die Wissenschaft ein wenig zu sehr zu Gunsten der stringenten Plots gebogen.

 Cathrina Flums „Miniaturisierung allen Übels“ nimmt eine alte Idee auf und versucht sie den gegenwärtigen Klimadiskussionen anzupassen. Wenn man alles Lebendige auf der Erde verkleinert, müsste der Klimawandel noch gestoppt werden. Grundsätzlich eine interessante Ausgangsbasis, wobei die Realisation in der vorgegebenen Form alleine schon an den Klippen grundsätzlich scheitern sollte, welche die Autorin selbst anspricht. Nicht nur Stürme würden die Existenz der Menschen trotz der dann besser ausnutzbaren Schutzräume gefährden, sondern es gibt keinen Beweis, das die folgenden Generationen von Menschen und vor allem auch Tieren nicht wieder wachsen werden. Und vielleicht sogar in einem ungleichen Verhältnis. Absurd wird die Geschichte allerdings gegen Ende, wenn die natürlich Resourcen wie Steine oder Bäume, aber auch Erdöl nicht von der Reduktion betroffen sind. Erdöl befindet sich in einer erstaunlichen Tiefe, wenn die Strahlen wirklich so weit reichen sollten, dann müssten die einzelnen Schichten auch gegeneinander geschützt werden. Unabhängig davon, dass das Erdöl im Grunde ja fast unerreichbar für die kleineren Menschen ist, deren Technik ja auch entsprechend geschrumpft werden muss. Meere sind nicht mehr zu überqueren, da kleinere Wellen die Schiffe schon gefährden könnten. Flüge könnte es nicht mehr geben, da die Entfernungen für den Stand der Technik sich plötzlich vervielfacht haben. Oder ein Flug ins All wird zu einer Odyssee, um mindestens die Satelliten im Orbit zu halten. Die Autorin hätte ihre Idee anders angehen sollen. Die Miniaturisierung als eine Art Generationenprozess beschreiben, in deren Verlauf jeden Generation ein wenig kleinere gezüchtet wird, so dass sich die Technik und die ebenfalls diesem Prozess unterworfenen Tiere besser „anpassen“ können. Das Thema alleine könnte einen ganzen Roman füllen und Autoren wie Stephen Baxter würden daraus wahrscheinlich ein Epos machen. In der vorliegenden Form wird die Ausführung zu sehr gewollt, als das die ganze Geschichte überzeugen kann.

 Zu guter Letzt geht es noch um die Beziehung zwischen dem Menschen und seinen künstlichen Gliedmaßen. Sowohl Nicolai Simon in „Die Prothese“ als auch Thomas Stieglitzs „Was willst du, neue Hand?“ haben das gleiche Thema, gehen aber unterschiedliche Wege. Während Nicolai Simon das Thema eher distanziert wissenschaftlich angeht, schließt Thomas Stieglitz im Grunde mit seiner Story den Kreis dieser Anthologie, in dem er dem Künstlichen eine Persönlichkeit zuspricht, die intellektuell auch befriedigt werden muss. Beide Storys haben stringente Plots, die wenig exzentrisch sind. Orlacs Hände haben keinen Auftritt. Vor allem Nicolai Simons Geschichte ist im Grunde eher eine Art Beschreibung und verläuft handlungstechnisch ausgesprochen flach, während in „Was willst du, neue Hand?“ der anarchistische Humor das Kommando übernimmt.

 Zusammengefasst ist „Tales of Science“ eine kurzweilige Anthologie von wie angesprochen sekundärliterarisch vor geprägten Autoren. Das kann der Leser klar aus den angehängten Lebensläufen erkennen. Alle elf Texte lassen sich kurzweilig lesen, die angesprochenen futuristischen Ideen basierend auf der Extrapolation gegenwärtiger Entwicklungen sind klar nachvollziehbar. Manchmal wünscht sich der Leser vielleicht noch einen Schuss mehr Mut, aus den stringenten Geschichten besondere und vielleicht auch provozierende Kleinode zu machen. Vor einigen Jahren hat Microsoft in den USA eine Anthologie von Science Fiction Autoren zusammengestellt, in welcher positiv auf die Zukunft geschaut werden soll. Das ist auch bei „Tales of Science“ der Fall.

TALES OF SCIENCE: Zukunftsgeschichten aus der Mikrosystemtechnik

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