Clarkesworld 162

Neil Clarke (Hrsg)

Neben dem ausführlichen Vorwort präsentiert sich vor allem der sekundärliterarische Teil des Magazins ausgesprochen überzeugend. Mark Cole geht auf die fragilen Unterschiede zwischen Science Fiction und Okkultismus ein. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheint, wird ausführlich und überzeugend mit vielen Beispielen erläutert. Wie immer finden sich eine Reihe von obskuren Filmen, die eine Wiederentdeckung nach der Lektüre des Essays wert sind.

Arley Sorg spricht sowohl mit dem in Europa populären Alastair Reynolds wie auch der unbekannteren Kameron Hruley. Dabei geht es weniger um die aktuellen Werke, sondern ihre bisherigen Karrieren, das Leben in fremden Ländern und die Grundlagen, auf denen sie ihre literarischen Arbeiten aufbauen. Ausführlich mit einem Ohr fürs Nachfragen gehören diese Interviews inzwischen zu den Höhepunkten der „Clarkesworld“ Ausgaben.

Sechs Kurzgeschichten finden sich in der Ausgabe, kein Nachdruck.  Derek Künsken aus Kanada eröffnet die Sammlung mit einer bedingt phantastischen Geschichte. „Time Reveals the Heart“ ist im Grunde eine Drogengeschichte. Lei ist ein Forscher, welcher geistig in die Vergangenheit reist und sie der Zukunft erhält. Die Droge macht abhängig. Seine im Sterben liegende Mutter ist stolz auf ihn. Der Kampf gegen die Droge und damit auch die eigene Arbeit ist das Herzstück der Geschichte. Dank der überzeugenden Charakterisierung und vor allem der Tatsache, dass der Autor nur Möglichkeiten, aber keine Lösungen anbietet, ist der Leser in der Lage, verschiedene Positionen einzunehmen und Leis Handeln nachzuvollziehen, obwohl er ohne Frage einen phantastischen Job hat.

Cameron van Sants „The Whale Fall at the End of the Universe“  präsentiert einen Außerirdischen in einer fremdartigen Umgebung. Es ist ein sehr schmaler Grat, diese Exotik auch überzeugend und konsequent bis zum Ende der Geschichte durchzuhalten. Tristar ist ein Plünderer. In den Tiefen des Alls hält er nach verwertbaren Sachen Ausschau. Der Hintergrund ist ein wenig rudimentär entwickelt worden. Der Kadaver eines Weltraumwals ist ein ideales Opfer, wobei Tristar nicht alleine ist. Sie muss sich fast widerwillig mit Hunter verbünden, um die bizarre Beute in Sicherheit zu bringen. Auch wenn die einzelnen Handlungsstücke nicht abschließend originell oder spannend hat, hat der Autor ein stringentes Garn entwickelt, das als Ganzes vor allem wegen der Hintergrundbeschreibungen überzeugt.

„Grayer Than Lead, Heavier Than Snow“ ist die zweite Geschichte Yukimi Ogawas in „Clarkesworld“. Es empfiehlt sich, zu erste die dort ebenfalls publizierte Story „Ripen“ lesen. Viele Dinge nimmt die Autorin in der Fortsetzung als bekannt an, so dass es nicht leicht ist, in den Text einzudringen.

Kiriko übernimmt eine besondere Mission. Sie soll einem reichen Ausländer helfen, an seine Medizin zu kommen.  Dabei werden so genannte Farbige auf sie aufmerksam.

Interessant ist, dass die Autorin das gegenwärtige und klar erkennbare Japan vorsichtig extrapoliert hat. Die sozialen Strukturen und die Konflikte zwischen den einzelnen Klassen sind klar erkennbar. Außer der Oberschicht gibt es im Grunde nur Menschen, die ums Überleben kämpfen.  Ihre Fähigkeiten sind eher ambivalent.  Ihre Auftraggeberin ist überrascht von der Wirkung ihrer Fähigkeiten.

Eine süffisante Note ist die Möglichkeit, die Erinnerungen nach einer Mission von einem Androiden überschreiten zu lassen. Die Protagonisten gehen mit dieser Idee sehr fahrlässig, fast oberflächlich um und verschenken für eine stringente Handlung ausgesprochen viel Potential.   

Mike Buckleys „The Amusement Dark“ ist eine provozierende Geschichte, deren Ausgangsbasis dem Leser eher vertraut ist. Vor vielen Jahren haben die künstlichen Intelligenzen den Krieg gegen die Menschen gewonnen. Nach dem Sieg haben sie eine Art Beschäftigungstherapie für die Menschen eingeführt. So unternimmt Cal an Bord eines Raumschiffs Expeditionen in die Tiefen des Alls, um nach verschollenen Kolonien der Menschen zu suchen.

Die Fähigkeiten der künstlichen Intelligenzen bleiben dabei nebulös. Auf der einen Seite könnten sie Menschen rekonstruieren, auf der anderen Seite wollen sie es anscheinend nicht bei Allen. Warum dann quasi mit Cal ein wichtiger Botschafter der KIs an einer Art langen Leine geführt wird, bleibt in der vorliegenden Form unverständlich.

Sie geben Cal eine Replikation seiner getöteten Tochter mit, die in keinster Weise dem Original entspricht. Ob die KIs den im Grunde machtlosen Kapitän weiter demotivieren und damit seine Reise demontieren wollen, wird nicht weiter beantwortet.

Die aufgefundene Kolonie hat viele Jahre gegen die KIs Krieg geführt. Natürlich sind sie skeptisch, als ausgerechnet ein von denen ausgesandtes Schiff auftaucht. Der Freizeitpark scheint dabei ein dunkles Geheimnis zu wahren, das viel zu menschlich ist, um zu den künstlichen Intelligenzen und ihrer auf Logik basierenden Weltansicht zu passen.  Auch hier bleibt der Autor eine Reihe von Antworten leider schuldig.

Cal verbündet sich schnell mit den Menschen auf der Welt. Seine Handlungen sind nicht alle konsequent, aber die Motive sind jederzeit nachvollziehbar. Auch wenn der Plot am Ende nicht abschließend aufgelöst wird, bleiben viele zufriedenstellende Ecken und Kanten im Gedächtnis zurück. Nicht perfekt, aber mutig ambitioniert.    

Auch “Leave-Taking” von M.L. Clark steht in einer besonderen Verbindung zu einer vorher veröffentlichten Kurzgeschichten des gleichen Autoren. Es handelt sich dieses Mal um ein Prequel zu „To Catch All Sorts of Flying Things“ . Auch wenn es eine Einführung in diese Welt und vor allem auch die Protagonisten ist, verzichtet der Autor auf Wiederholungen. Daher ist es fast unerlässlich, den ersten Teil zu kennen. Auch andere Magazine greifen gerne auf diese Kurzgeschichtenserien zurück, aber die Verzahnung der einzelnen Texten ist nicht so eng wie hier.

Leni hinterlässt seiner Freundin eine lange Nachricht. Im Kern spricht/ schreibt er davon, dass er die bestehenden Regeln verletzt und einen Kontakt zu den Ureinwohnern von Drasti Prime gesucht hat, mit denen die Menschen sich deren Welt teilen.  

Als Erzähler ist Leni keine sympathische Figur. Er jammert gerne, obwohl er sich die Probleme selbst eingebrockt hat. Das ist ärgerlich, da seine Freundin deutlich interessanter ist. Sie liegt gerade in einem der Krankenhäuser,  wo ihr Körper rekonstruiert wird. Die Kolonie mit fünf unterschiedlichen Rassen, die friedlich zusammenleben ist gut entwickelt und bürgt viel Potential für einen ganzen Roman. Der Autor hat ein gutes Gespür für exotische Völker. Das Ziel dieser Kooperation bleibt allerdings im Dunkel.

Lenis Flucht zu den Ureinwohnern basiert auf seiner Trauer um die Trennung von seiner Freundin.  Diese Trauer/ Wut springt ungefiltert quasi auf die Feru über. Diese können in einem nicht weiter erläuterten Prozess die Schuld manifestieren und schicken sie quasi zum Verursacher zurück.

Die Auflösung dieses inneren Konflikts ist konsequent und Clark scheut auch nicht davor zurück, den Handlungsbogen gedanklich bis zum Ende durchzuplanen.

D.A. Xiaolin Spires präsentiert mit „Coffee Boom: Decotions, Micronized“ eine Art Abenteuergaunerkomödie, die besser funktionieren würde, wenn sie auch eine tatsächliche Bedrohung und daraus resultierend einen überzeugenden Spannungsbogen aufbauen würde.

Stattdessen kann sich Ava auf der Jagd nach dem ersten Preis einer Realityshow mittels gestohlener Bestandteile sehr frei bewegen. Der Diebstahl ist gleichzeitig der Höhepunkt der Geschichte, während die Pointe den kurzweiligen, aber leider auch oberflächlichen Plot zufriedenstellend abschließt.  

„Clarkesworld“ 162 ist eine solide Ausgabe mit einigen guten Geschichten und einer Präsentation origineller Plots. Neil Clarke hat sein statisches Konzept mit einer asiatischen und einer südkoreanischen Story aufgebrochen und greift mehr auf angloamerikanische Texte zurück. Das tut dem Magazin beginnend mit den durchgehend auffälligen Titelbildern wohltuend gut, zumal die sekundärliterarischen Beiträge weiterhin zu den Stärken gehören. 

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E Book, 122 Seiten